Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1892 - Gertrude Bell
In der Schatzkammer des Schahs
Teheran

Vor einem keineswegs königlichen Tor hielten wir an und wurden mit großem Zeremoniell in den Palast geführt. Der Palast war schließlich unerwartet schön. Nachdem wir einen schmalen Garten durchquert hatten, befanden wir uns im ersten Hof - einem Hof der Regierungsbüros, wie man uns sagte, obwohl das Wort Büro nicht die Vorstellung dieser anmutigen Gebäude erweckt, von deren oberen Galerien Vorhänge wehten, die der Luft drinnen Kühlung zufächelten.
   Unsere Führer geleiteten uns durch weitere Bogengänge, durch hohe dunkle Flure und wieder hinaus ins Sonnenlicht des mittleren Gartens. Die Architektur, die ihn umgab, war sehr unregelmäßig. Hier glänzten die Mauern von Fayence-Kacheln, dort traten Bogenreihen von dem sonnenheißen Pflaster zurück - zierliche Bogen, die irgendeinem stillen italienischen Kloster zur Zierde gereicht hätten, und dahinter stand das reich geschmückte Gebäude, in dem der Schah am Neujahrstag in vollem Staat thront und das von dem davorliegenden Garten nur durch die Falten eines riesigen Vorhangs getrennt war, der, wenn er zur Seite gezogen wird, den geschnitzten Thron in einer Säulennische enthüllt.
   Noch weiter hinten erreichten wir den Palast selbst, ein zweistöckiges Gebäude mit vielen Fenstern, vor dessen Stufen sich die zierlichen Lustgärten erstreckten, mit ihren gepflasterten Wegen und weichen frischen Rasenflecken, ihren Bäumen und bunten Blumenbeeten, zwischen denen die Springbrunnen munter sprudelten und Bächlein sich in ihren blau gekachelten Betten dahinschlängelten. Die undurchdringlichen und drohenden Wände des Harems grenzten die Gärten ab.
   Nachdem wir die Marmortreppe erklommen hatten, fanden wir uns einem großen hölzernen Tor gegenüber, dessen Siegel auf dem Schloß erst erbrochen werden mußte, bevor seine Flügel sich uns öffneten. Erwartungsvoll standen wir da, während der Minister, der uns führte, am Schloß herumfingerte. Vielleicht war er wirklich ein mächtiger Geist, den unsere Gegenwart nach langer Gefangenschaft aus der Flasche befreit hatte, in die Salomo ihn eingesperrt hatte. Wir waren schon etwas vorbereitet auf die märchenhaften Schätze, die uns zu zeigen er zum Vorschein gekommen war.
   Vorbereitet? Oh nein, keineswegs! Denn welcher nüchterne Sterbliche konnte auf den Glanz vorbereitet sein, der über uns hereinbrach?
   Ein großer überwölbter Raum mit spiegelblankem Fußboden und bemalten Wänden, mit tiefen Nischen, durch deren hohe schmale Fenster die Sonnenstrahlen eindrangen - und überall Edelsteine! Edelsteine auf den Fächern der Wandschränke in den Nischen, Edelsteine über Edelsteine auf den Teppichen aufgenäht, die an den Wänden hingen, Edelsteine, die an dem Thron am anderen Ende des Saales aufblitzten, Edelsteine in Glaskästen, die sich durch die Mitte des Saales zogen. Ein einziges Gefunkel und Geglitzer im Sonnenlicht, in den dunklen Ecken noch schimmernd, erfüllten die Juwelen den ganzen Raum mit ihrem strahlenden Glanz.
   Völlig benommen traten wir in eine der Nischen und ließen unseren Blick über den Inhalt der Wandschränke wandern. Da gab es Schwerter, deren Scheiden mit Rubinen besetzt waren; Stäbe und Szepter, von oben bis unten mit Spiralen von Türkisen und Saphiren besät; diamantene Kronen, würdig, das Haupt eines Kaisers mit einem Heiligenschein von Licht zu umkränzen; Brustharnische und Epauletten, von deren inkrustierten Smaragden der Speer des Feindes abprallen mußte; Schilde, deren verwirrende Pracht seine Augen blenden mochte. Da gab es Ringe und Armreifen und wunderbare Halsbänder, Sterne und Orden, nie erträumten Zierrat, und, als ob die Einbildungskraft der Goldschmiede sich erschöpft hätte, bevor sie noch ihre Aufgabe zu Ende führen konnten, Reihen über Reihen winziger Gläser voller ungefaßter Steine - Diamanten, Saphire, Topase, Amethyste - der Nektar eines olympischen Gottes, der in seinem Becher gefror. In Glaskästen lagen die Diademe früherer Könige, hohe geschlossene Helme funkelten von kostbaren Juwelen; zahllose unaufgereihte Perlen; teure und geschmacklose Spielzeuge, bemerkenswert nur ihres ungewöhnlichen Wertes wegen - ein Globus zum Beispiel, der auf einer Säule nur aus Diamanten ruhte, dessen Meere aus großen flachen Smaragden gebildet waren und dessen Erdteile aus Rubinen und Saphiren; und, in üppiger Verschwendung zwischen den Kästen verstreut, Girlanden von Türkisringen und großen Goldstücken, die längst außer Kurs sind; in dieser königlichen Währung jedoch, so wird erzählt, wurde dem Zaren einst eine gewaltige Zuwendung entrichtet.
   Auf der anderen Seite des Saales waren die Schätze kaum weniger wertvoll und sogar noch schöner, denn Schrank neben Schrank war mit feinsten Emailarbeiten gefüllt, mit Schalen und Krügen und den Hälsen der Kalians, alles mit ausgewählten Mustern in zart abgestimmten Farben verziert, deren Frische alle Zeiten überdauert. Diese Schätze entzogen sich der Kritik tadelsüchtiger Kenner, die es nicht verabsäumt hätten, uns darauf hinzuweisen, daß diese Schmuckstücke doch recht kitschig und daß viele der riesigen Rosendiamanten fehlerhaft und von schlechter Farbe seien.
   Zwischen all den Edelsteinen und den Emailarbeiten gab es einige Gegenstände, die mitten in unserer Bewunderung ein leises Lachen in uns aufsteigen ließen. Der königliche Besitzer des Schatzhauses hatte, zweifellos aus lauter Eifer, den Beweis zu erbringen, daß er das Wohlbefinden des inneren nicht weniger im Auge habe als den Schmuck des äußeren Menschen, auf einige der oberen Fächer Fläschchen gestellt mit - was konnten das nur für silberne Kügelchen sein? fragten wir uns und blickten neugierig hinauf. Für Perlen nicht weiß genug, aber das konnte es doch nicht sein, obwohl es verdächtig danach aussah - und doch, ja, es waren - Pillen! Tatsächlich Pillen, Quacksalberarzneien, die der Schah auf seinen westlichen Reisen gesammelt, heimgebracht und zwischen seine Schätze gestellt hatte. Nach dieser Entdeckung waren wir ebensowenig überrascht, Flaschen mit billigem Parfüm und Zahnputzpulver zwischen den Diamanten zu finden, wie festzustellen, daß einige der unbezahlbaren Cloisonné-Schalen mit Zahnbürsten gefüllt waren, noch fühlten wir uns ernstlich enttäuscht, als uns feierlich mitgeteilt wurde, daß die Holzkästen, die, jeder auf einem besonderen Tischchen, in Abständen im ganzen Raum verteilt waren, nichts weiter als Spieldosen seien, die alle zugleich spielen zu lassen das Entzücken des Beschützers des Universums ausmacht, wenn er kommt, um seine Schätze zu besichtigen.
   Der Himmel mag wissen, welch glücklichem Zusammentreffen von Umständen er es verdankt, daß diese Schätze noch alle vorhanden sind, denn sie schienen uns nur recht ungenügend bewacht zu sein, falls nicht der Geist aus der Flasche sie behütet. Es gibt da tatsächlich eine verschlossene Tür, zu der nur der König und der Premierminister einen Schlüssel besitzen; ein Dieb pflegt aber für gewöhnlich sich von der Notwendigkeit, ein Schloß zu erbrechen, nicht abschrecken zu lassen, und sollte ein peinliches Ehrgefühl ihn daran hindern, das königliche Siegel zu verletzen, so könnte er mit etwas Findigkeit sich den Zugang durch eines der vielen Fenster erzwingen oder gar, gehörte er zu den unternehmenden Naturen, auch durch das Dach; und einmal drinnen, wurden ihn nur noch die gläsernen Schranktüren von den Reichtümern trennen, die so unermeßlich sind, daß er ein Vermögen wegschleppen könnte, ohne eine Entdeckung befürchten zu müssen.
   Als nächstes zeigte man uns den weltberühmten Pfauenthron, der, wie es heißt, von einem siegreichen Schah aus Delhi hergebracht worden sein soll. Ein scharlachroter, mit Perlen benähter Teppich bedeckt seinen Boden, auf dem der König nach orientalischer Sitte mit untergeschlagenen Beinen sitzt, inmitten eines Gefunkels von Email und Edelsteinen. Vor einem Jahr war dieser Thron der Mittelpunkt einer höchst unerquicklichen Geschichte von Habgier und Palastintrigen gewesen - und wer kann sagen, was für vergessene Verbrechen seinen Juwelen ihr grausames, verführerisches Glitzern verliehen haben?
   Weiter schritten wir durch eine lange Flucht bezaubernder Gemächer mit niedrigen bemalten Decken, Wänden, bedeckt mit einem Mosaik aus Spiegelglas und Fenstern, die auf den einladenden Garten hinausgingen. Abscheuliche Kopien der allerschlechtesten europäischen Gemälde schmückten sie; an der einen Wand hingen gerahmte Photographien - Gruppenaufnahmen von den Reisen des Schahs, in denen seine dürftige Erscheinung einen prominenten Platz einnahm, und alle trugen sie den Stempel geistloser Leere, der für Gruppenaufnahmen so charakteristisch ist, ob sie nun königliche Hoheiten oder die Zöglinge einer Wohlfahrtsschule darstellen. Da und dort lieh ein herrlicher Teppich den Gemächern sein sanftes Feuer, größtenteils aber waren die Fußboden mit groben Erzeugnissen europäischer Webstühle bedeckt - mit den flammenden Rosen und ordinären, aufdringlichen Mustern, die auf den verdorbenen Geschmack der Orientalen von heute eine so unglückliche Anziehungskraft ausüben.
   Mit dem Gefühl hoffnungsloser Verwirrung verließen wir endlich den Palast, wo wir durch unvorstellbaren Reichtum geblendet und durch kindische Torheit zum Lachen gereizt worden waren. Sowohl der Reichtum als auch die Kindereien kamen uns in gleichem Maße unsinnig vor, als wir schweigend auf dem sandigen Weg heimwärts ritten.
   Vor unserem Gartentor hauste ein heiliger Derwisch. Auch er war ein König - in den Gefilden der Armut -, und seine Macht über den schmalen Wüstenstreifen machte ihm niemand streitig. Er erhob fromme Almosen als Steuern, sein Palast war ein Dach aus Zweigen, vier nackte Pfähle bildeten die Säulen seines Throns, und die Steine der Wüste waren seine Kronjuwelen. Seine Tage verbrachte er auf eine Weise, die sich nur wenig von der seines Nachbarn und Bruderherrschers unterschied.
   Den ganzen Sommer lang hatte er die herumliegenden Steine gesammelt und zu ordentlichen Haufen aufgeschichtet. Sein nutzloses religiöses Tun war nahezu vollendet, er legte letzte Hand an sein Werk, das die Winterstürme und der Schnee genauso zerstören würden, wie der Winter des Unglücks den Reichtum des anderen in alle Winde zerstreut. Doch der Derwisch war von keinem Gedanken an die Zukunft gequält, auf seine eigene merkwürdige Art plagte er sich zur Ehre Gottes, und obwohl seine Juwelen weder eines Schlosses noch eines Siegels noch eines bewaffneten Posten bedurften, um sie zu bewachen, verlieh ihre menschliche Bedeutung ihnen einen Wert, der den Schätzen des Königs unerreichbar blieb.
   
Bell, Gertrude
Miniaturen aus dem Morgenland- Reiseerinnerungen aus Persien und dem Osmanischen Reich
herausgegeben von Gabriele Habinger
Wien 1997
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Promedia

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