Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1813 - James Justinian Morier
Der Marmor von Täbris

Diese Naturmerkwürdigkeit besteht aus einigen auffallenden Teichen, oder Lachen, deren träge Wasser in einem langsamen und regelmäßigen Bildungsverlauf stocken, erstarren und versteinern und so jenen schönen durchsichtigen Stein hervorbringen, der gewöhnlich Tabrizer Marmor heißt, auf den meisten persischen Begräbnisplätzen so merkwürdig und an allen ausgezeichneten Gebäuden der Gegend eine Hauptzier ist. Diese Teiche, welche dicht nebeneinander liegen, sind innerhalb einer halben Meile Umfang enthalten, und ihre Lage ist mit untereinander liegenden Steinhaufen und Hügeln bezeichnet, welche mit den vermehrten Ausgrabungen sich vermehrt haben. Noch hatten wir in Persien nichts gesehen, was die Aufmerksamkeit der Naturforscher mehr verdient hätte als dies, und nie habe ich meine Unkunde in diesem Felde mehr beklagt, weil ich wohl fühlte, wie wichtig es wäre, diese Erscheinung wissenschaftlich zu erörtern. Indes, ehe ich gar nichts von der Stelle sage, welche vielleicht außer uns kein Europäer untersucht hat und wovon wir gewissermaßen rechtlich gehalten sind, erhaltene Kunde mitzuteilen, will ich lieber folgende Bemerkungen über unseren Besuch machen im Vertrauen, daß ein biederer und kundigerer Leser meine vollendeten Umrisse ausfülle.
   Wenn man nämlich der Stelle nahekommt, so klingt der Boden hohl, sieht öde und verkalkt aus, und kommt man darauf, so weht einen ein starker mineralischer Geruch aus den Teichen an. Man kann den Versteinerungsprozeß vom Anfang bis zum Ende verfolgen. An einer Stelle ist das Wasser klar, an einer zweiten sieht es dicker und stockend aus, an einer dritten ganz schwarz und an der letzten weiß, wie Rauchfrost. In der Tat sieht ein versteinerter Teich wie gefrorenes Wasser aus, und ehe der Prozeß vollendet ist, bricht ein leicht darauf geworfener Stein die äußere Decke und das schwarze Wasser darunter dampft aus. Ist der Prozeß vollendet, so macht ein Stein keinen Eindruck mehr und man kann darüber gehen, ohne sich einen Schuh naß zu machen. Ist in die Versteinerung eingehauen worden, so kann man den merkwürdigen Gestehungsprozeß klar sehen und er sieht aus wie Bogen von grobem Papier, die aufeinander geschichtet sind. Das Streben des Wassers, Stein zu werden, ist so groß, daß, wo es vom Grund in Blasen aufsteigt, die Versteinerung die Form von Kügelchen annimmt, als ob die Quellblasen durch einen Zauberschlag in ihrem Spiele angehalten und in Marmor umgestaltet würden. Diese Steinblasen, welche die merkwürdigsten Proben dieses außerordentlichen Steinbruchs liefern, führen häufig Erdteilchen mit sich, durch welche das Wasser abgelaufen ist.
   Dieser so hervorgebrachte Stoff ist bröckelig, durchsichtig und zuweilen reich grün, rot oder kupferfarbig geädert. Er läßt sich in ungeheure Platten schneiden und nimmt einen schönen Glanz an. Außer Binsen bemerkten wir keine im Wasser wachsenden Pflanzen. Die kürzeste und beste Beschreibung dieser Teiche ist die des Curtius vom ascanischen See, qua sponte concrescens.
   Die jetzige königliche Familie in Persien, deren Fürsten nicht viel auf öffentliche Bauten wenden, hat nicht viel von diesem Stein weggeschafft, aber einige große Platten, welche Nadir Schah schneiden ließ und die jetzt unter unzähligen Bruchstücken unbeachtet liegen, zeigen, was er beabsichtigte. Der Stein wird so sehr als ein Luxusartikel angesehen, daß nur der König, seine Söhne und durch besonderen Firman dazu berichtigte Personen ihn ausgraben dürfen; und Stolz überwältigt den Geiz so, daß ihn an den Meistbietenden zu verpachten den gegenwärtigen Besitzern noch nicht eingefallen zu sein scheint.
   Eine gute Richtung nach den Teichen ist eine Spitze von den nahe liegenden Bergen, unter denen sie unmittelbar liegen. Sie liegen vom Dorfe Shiramin N 30 W und etwa zwei Meilen vom Rande des Sees.
   
Morier, James Justinian    
Jacob Morier’s zweite Reise durch Persien, Armenien und Kleinasien nach Constantinopel, in den Jahren 1810 bis 1816
Weimar 1820

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