Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1774 - Georg Forster
Die Entdeckung von Neukaledonien
(Zweite Weltumrundung von James Cook)

 

Am 4. September morgens um sieben Uhr entdeckte ein Seekadett vom Mastkorb aus gegen Süden hin Land, welches sich weit nach Westen, zum Teil auch nach Südosten erstreckte. Es schien von beträchtlicher Höhe und des nebligen Wetters halber noch ziemlich weit von uns zu sein, als sich jedoch die Luft aufgehellt hatte, sahen wir, daß die Entfernung kaum acht Seemeilen betragen mochte; indessen war es zugleich windstill geworden, so daß wir uns zu jedermanns Mißvergnügen nur äußerst langsam näherten. Herr von Bougainville erzählt in seiner Reisebeschreibung, daß er bei dem heftigen Winde, der die See sehr hoch getürmt, auf einmal in eine Gegend gekommen, wo das Meer ganz ruhig gewesen, unerachtet derselbe Wind noch immer mit gleicher Heftigkeit fortgeweht habe. „Ebendaselbst“ (fügte er hinzu) „trieben etliche Stücke Holz, desgleichen Früchte am Schiff vorüber, woraus ich schloß, daß eine Küste in der Nähe vorhanden sein müsse.“ Und so verhielt es sich wirklich, denn der von ihm angegebenen Lage nach ist er damals gerade nordwestwärts von dem nämlichen Land gewesen, das wir jetzt vor uns hatten.
   Die anhaltende Windstille machte, daß wir uns am Nachmittag noch immer ziemlich weit vom Ufer befanden, doch konnte man bereits an mehreren Orten Rauch aufsteigen sehen und folglich mit Wahrscheinlichkeit das Land für bewohnt halten. Der Offizier, der im Mastkorb war, machte uns zugleich Hoffnung, einen neuen Vulkan zu untersuchen, indem er vorgab, er hätte aus dem Berge Flammen hervorbrechen sehen. Es muß aber wohl nur eine Täuschung gewesen sein, denn wir haben nachher auf der ganzen Insel nicht einmal vulkanische Produkte, geschweige denn einen wirklich brennenden Berg ausfindig machen können.
   Das zuerst entdeckte Vorgebirge liegt unterm 20. Grade 30 Minuten südlicher Breite und 165 Grade 2 Sekunden östlicher Länge und wurde nach dem Namen des jungen Offiziers, der es zuerst erblickt hatte, Kap Colnett, das ganze Land hingegen, welches von beträchtlichem Umfang zu sein schien, Neukaledonien genannt. Zwar hatten wir noch keinen von den Einwohnern zu Gesicht bekommen, konnten uns aber doch nicht enthalten, ihretwegen schon allerhand Vermutungen zu wagen. Da wir die Bewohner der Neuen Hebriden so ganz verschieden von den Neuseeländern und sogar unter sich selbst voneinander abweichend gefunden hatten, so machten wir uns bereits Hoffnung, die Bevölkerung Neuseelands hier von Neukaledonien ableiten zu können. Es zeigte sich aber nachher, daß diese Mutmaßungen zu voreilig, und daß es überhaupt nicht wohl möglich sei, die Bevölkerungsgeschichte der Eilande im Südmeer zu bestimmen.
   Ehe es finster wurde, kamen drei Kanus mit Segeln vom Lande auf uns zu. Die Einwohner hatten das Schiff der Ferne wegen vielleicht für ein Kanu, mithin auch für ungleich näher gehalten, doch schien es, daß sie ihren Irrtum bald gewahr wurden, wenigstens kehrten sie nicht lange nachher wieder zurück. Gegen Westen bestand das Land aus mehreren Inseln, und gerade vor uns brach sich die See auf eine ganze Strecke weit dergestalt, daß wir vermuteten, das ganze Land müsse in einer Entfernung vom Ufer mit einem Rief von Korallenklippen umgeben sein.
   Frühmorgens näherten wir uns bei frischem Wind der Küste und entdeckten bald das Riff, das der Küste parallel ungefähr drei gute Seemeilen davon entfernt lag. Innerhalb des Riffs segelten verschiedene Kanus herum, deren jedes zwei Segel führten, eins hinter dem anderen aufgerichtet. Die Mannschaft dieser Fahrzeuge beschäftigte sich mit Fischfangen. Nicht lange stießen noch etliche Kanus vom Lande, fuhren über das Riff und zu uns her. Sobald sie nahe genug waren, riefen wir ihnen zu, sie gafften uns zwar eine Weile an, fuhren dann aber ganz gleichgültig wieder zurück. Unterdessen hatten wir eine Durchfahrt im Riff entdeckt und zwei Boote zur Sondierung in See gesetzt. Bald gaben unsere Leute Zeichen, daß sie eine bequeme und sichere Durchfahrt gefunden hätten, und wir sahen zugleich vom Schiff aus, daß sie sich mit einem wohlbemannten Kanu ganz vertraulich unterhielten. Wir folgten ihnen also und gelangten nun durch den Kanal, der ungefähr eine Meile breit sein mochte, innerhalb des Riffs, wo die See ganz ruhig war. Zu beiden Seiten der Einfahrt, vornehmlich an der engsten Stelle, hielten einige Kanus, aus welchen die Indianer mit einem freundschaftlichen, freimütigen Wesen, welches uns viel Freude machten, uns zuwinkten, daß wir ja recht in der Mitte der Durchfahrt bleiben möchten. Unsere Boote ruderten indessen noch weiter voraus und zeigten uns bei jedesmaligem Bleiwurf die Tiefe durch Signale an.
   Das Land schien unfruchtbar und mit einem weißlichen Grase bedeckt. Buschwerk war nirgends zu sehen, auf den Bergen aber standen hier und da einzelne Bäume, die mehrenteils weiße Rinde und viel Ähnlichkeit mit unseren Weiden hatten. Als wir näher kamen, lag am Fuß der Gebirge eine schmale Ebene, mit grünen, schattigen Bäumen und Büschen bekränzt, vor uns, unter denen sich hin und wieder eine Kokospalme und ein Pisang erhob. Auch bekamen wir einige Häuser zu Gesicht, die kegelförmig, fast wie große Bienenkörbe gestaltet waren und statt der Tür nur eine Öffnung hatten.
   Mittlerweile kam Leutnant Pickersgill im Boot zurück und erzählte, daß sich die Mannschaft des indianischen Kanus nicht nur sich sehr freundlich betragen, sondern und einen ihrer Landsleute, den sie Tea-buma nannten, als ihren Eriki oder König vorgestellt hätten. Diesem schenkte er etliche Medaillen nebst andern Kleinigkeiten und verteilte den Rest des Vorrats unter die übrigen, die aber alles sogleich dem Tea-buma übergaben. Herr Pickersgill brachte vier oder fünf Fische an Bord, die er als Gegengeschenk bekommen hatte, zum Unglück aber sie waren bereits in Fäulnis geraten und nicht zu genießen.
   Im Hafen lag ein kleines Eiland, mit Riffs und Untiefen umgeben, in dessen Nachbarschaft wir auf gutem Grund ankerten. Sobald diese geschehen war, drängten sich ungefähr zwanzig Kanus ans Schiff, deren jedes zwei Segel führte und aus zweien durch eine Plattform aus Brettern zusammengefügten Kähnen bestand. Auf der Plattform lag ein Haufen mit Asche vermengter Erde, und auf diesem wurde beständig Feuer unterhalten. Viele von den Leuten stiegen ganz zutraulich an Bord, und einer verkaufte uns eine Yamswurzel gegen ein Stückchen rotes Tuch. Bei Tische bekamen wir noch mehr Zuspruch von den Indianern, gepökeltes Schweinefleisch , Pökelfleisch aber wollten sie ebenso wenig anrühren wie Wein trinken, die Yams hingegen, welche wir zu Tanna eingehandelt, ließen sie sich ganz wohl schmecken. Nur schade, daß unser Vorrat davon zu gering war um sie nach ihrem völligen Belieben damit bewirten zu können. Alles Rote stach ihnen in die Augen, besonders das rote Tuch oder Boy, doch erboten sie sich niemals, etwas dafür wiederzugeben. Das Wort „Eri“ und noch ein paar andere ausgenommen, hatte ihre Sprache gar keine Ähnlichkeit mit irgendeiner anderen, die wir zuvor im Südmeer gehört. Wenn man bedenkt, daß in allen ostwärts gelegenen Eilanden diese Ozeans, auch auf Neuseeland eine und ebendieselbe Sprache (oder wenigstens deren Dialekte) gesprochen werden, so kann man sich leicht vorstellen, daß uns die große Verschiedenheit der Sprachen, welche wir im westlichen Teil dieses Meers antrafen, äußerst befremden mußte. Auch die Leute selbst waren von allen, die wir gesehen hatten, sehr verschieden, nämlich groß und mehrenteils von wohlproportionierten Gliedmaßen, ihre Gesichtszüge sanft, Haar und Bart schwarz und stark gekräuselt, bei einigen fast wollig, und die Farbe der Haut ins Schwarze fallend, aber dunkel kastanienbraun wie bei den Bewohnern von Tanna.
   Nachmittags fuhren wir unter Bedeckung von zwölf Seesoldaten in zwei starkbemannten Booten dem Ufer zu und stiegen auf einer flachen Landzunge aus, wo ein Haufen teils wehrloser, teils bewaffneter Einwohner versammelt war. Obwohl nicht ein einziger Miene machte, uns das Landen zu verwehren, so mußten sicherheitshalber die Seesoldaten förmlich aufmarschieren, indem wir dicht vor ihnen auf- und abgingen und die Einwohner baten, ein wenig Platz zu machen. Dies taten sie unweigerlich und gleich darauf hielt ein ansehnlicher junger Mann, den uns Leutnant Pickersgill als den König Tea-buma zeigte, eine Rede, nachdem zuvor ein anderer durch lauten Ausruf allgemeine Stille geboten hatte. Die Rede schien ernsthaft zu sein, klang aber doch ganz sanft und wurde zuweilen mit lauter Stimme vorgetragen. Hin und wieder mochte der Redner Fragen vorlegen, wenigstens hielt er inne und einige alte Männer aus dem Haufen antworteten dann jedes Mal. Die ganze Rede dauerte zwei bis drei Minuten.
   Bald darauf kam ein anderer angesehener Mann oder Befehlshaber, der auf eben die Art eine Rede hielt, und nun mischten wir uns ohne Bedenken unter die Versammlung, um ihre Waffen und Zierrate näher in Augenschein zu nehmen. Vor allen Dingen erkundigten wir uns durch Zeichen, ob frisches Wasser zu haben wäre. Worauf ein Teil gegen Westen, der größte aber nach Osten zeigte.
   Die Indianer waren durchgehend von großer Statur, sonst aber von denen, die uns zuvor an Bord besucht hatten, in keinem wesentlichen Stück unterschieden. Das einzige, was ich vorher noch nicht wahrgenommen hatte, bestand darin, daß manchen die Arme und Füße ungewöhnlich dick geschwollen und mit einer Art von Aussatz behaftet waren.
   Einige trugen das Haar auf dem Scheitel zusammengebunden, andere ließen es nur an den Seiten wachsen und hatten das übrige abgeschnitten. Noch andere sahen wie Neger aus, wozu ihre platten Nasen und aufgeworfenen Lippen nicht wenig beitrugen. Statt aller Kleidungsstücke trugen sie nur eine Schnur um den Leib und eine andere um den Hals. Die Männer hatten die Zeugungsteile in ein Stückchen braunes Zeug gewickelt, das aus der Rinde eines Feigenbaums verfertigt war, und diese runde Wulst entweder an der Gürtelschnur in die Höhe gezogen oder unterwärts frei herabhängen. So sittsam das auch gemeint sein mochte, so konnten wir Europäer es nach unseren vaterländischen Begriffen nach doch ebenso wenig züchtig und ehrbar nennen wie die ähnliche Tracht der Mallikoleser, bei welcher das, was versteckt werden sollte, vielmehr recht sichtbar wurde. In der Tat sah auch jeder Einwohner dieses Landes wie ein umherwandernder Priap aus. Indessen sind die Begriffe von Scham in allen Ländern verschieden und ändern sich auch von Zeit zu Zeit. Die Trachten, besonders die Rüstungen, die im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert an allen europäischen Höfen Mode waren, würde man jetzt für äußerst unanständig halten; wer getraut sich aber zu behaupten, daß heutzutage mehr Schamhaftigkeit in der Welt sei als damals, oder wer wollte den tugendhaften Charakter jener unüberwindlichen Ritter, die sich den Ruhm der Keuschheit, der Ehre und der edelsten Sitten erwarben, bloß deshalb in Zweifel ziehen, weil sie Hosen nach der damaligen Mode trugen?
   Dieses Stückchen Zeug, durch welches sich die Neukaledonier wie die Mallikoleser etc. so sehr von anderen Völkern auszeichnen, ist bisweilen lang genug, daß das überflüssige Ende, nachdem es an den Gürtel gebunden worden, noch an der Halsschnur befestigt werden kann. An dieser Schnur hängen auch wohl kleine kugelrunde Stückchen eines hellgrünen, nephritischen Steins von eben der Gattung, die man auf Tanna findet und die mit dem neuseeländischen Nierenstein nahe verwandt ist. Der Kopfputz besteht manchmal aus einer hohen, runden Mütze, die einer Husarenmütze nicht unähnlich sieht. Es ist nämlich ein Stück grobes, schwarz gefärbtes, steifes Zeug, welches der Länge nach zusammengenäht und unten und oben offen gelassen wird. Die Befehlshaber hatten die ihrigen mit kleinen, roten Federn besetzt, auch wohl oben mit einem langen Busch von Hahnenfedern geziert. Zu den Ohrlöchern pflegen sie so wie die Einwohner der Osterinsel den ganzen Knorpel des Ohrläppchens auszuschneiden und das dadurch entstehende Loch sehr in die Länge auszudehnen. Dies geschieht, um wie auf Tanna mehrere aus Schildkrötenschale verfertigte Ringe hinein zu hängen. Bisweilen stecken sie auch ein aufgerolltes Blatt von Zuckerrohr hindurch. Ihre Waffen bestehen aus Keulen, Speeren und Schleudern. Erstere sind nach mancherlei Gestalten und aus verschiedenen Holzarten gemacht, aber sämtlich kurz, kaum über drei Fuß lang und meistens den Keulen ähnlich, welche die Tanneser aus Kasuarinenholz verfertigen. Am Kolben oder dem unteren Ende ragen etliche kleine Erhöhungen oder sternförmige Zacken hervor; andere haben ganz kurze Schäfte und sind unterhalb wie eine Sense oder Haue krumm gebogen. Die Speere sind fünfzehn bis zwanzig Fuß lang und entweder von schwarzem Holz oder mit schwarzer Farbe bestrichen. Die zierlichsten haben vor der Mitte einen Höcker, daran bisweilen Schnitzwerk verschwendet ist, welches ein Menschengesicht vorstellen soll. Diese Speere werfen sie vermittelst eines großen Riemens, der an einem Ende einen Knoten, an dem andern aber einen Ring oder ein rundes Loch hat und auch in Tanna zu gleichem Behuf gebraucht wird. Hier sind diese Wurfriemen weit besser und aus einer Art roter Wolle gearbeitet, die wir für den Balg eines unbekannten Tieres gehalten hätten, wenn uns nicht zuvor die große indianische Fledermaus zu Gesicht gekommen wäre, von welcher diese Wolle herkommt. Bogen und Pfeile sind hier zu Lande nicht bekannt, sondern man führt statt dessen Schleudern, die aus dünnen Schnüren, dick wie ein Bindfaden, bestehen und an deren einem Ende sich ein Quast, am andern und am Ende wie auch in der Mitte ein Auge oder eine Schleife befindet. Die Steine, welche daraus geworfen werden, sind aus weichem, fettem Seifenstein (Smectites), der sich bloß durch Hin- und Herreiben in eine beliebige Form bringen läßt, länglich gestaltet und an beiden Enden zugespitzt. Sie passen allemal in die mittlere Schleife der Schleuder und der Schütze trägt sie in einer um den Leib gebundenen Tasche, die von grobem, starkem, aus Grasfasern zusammengeflochtenen Zeug gemacht ist. Der Form nach sahen diese Steine fast wie die Glandes plumbae der Römer aus.
   Da Kapitän Cook vor allen Dingen frisches Wasser ausfindig zu machen wünschte, eilte er mit uns bald wieder ins Boot und fuhr ostwärts am Ufer hinauf, das hier überall von Manglebäumen beschattet war, die zum Teil auf sumpfigen Boden, zuweilen auch im Wasser selbst wuchsen. Wir hatten kaum den Strand verlassen, als die Insulaner sich ebenfalls verliefen und vermutlich nach Hause zurückkehrten. Zwei nahmen ihren Weg am Strand entlang, mußten aber die äußerste Mühe anwenden, um sich zwischen den dichtverwachsenen Manglebäumen hindurchzuarbeiten. Da wir sahen, daß es den armen Schelmen ungemein sauer wurde, so ruderten wir zu ihnen hin und nahmen sie ins Boot, und diese Erleichterung ließen sie sich ganz wohl gefallen; als wir wohl zwei Meilen zurückgelegt hatten, zeigten sie uns eine Einfahrt zwischen den Manglebäumen, die die Mündung eines Flusses zu sein schien. Das Wasser war dort tief genug, um mit dem Boot fortzukommen, wir liefen also hinein, ruderten den schlängelnden Krümmungen eine Weile nach und fanden endlich, daß der Weg zu einem Wohnplatz der Indianer führte. Einige von ihnen standen am Ufer und waren Zeugen, als ich eine Ente schoß, von denen eben ein großer Schwarm über uns weg flog. Ich schenkte sie einem von den beiden Indianern, die wir an Bord hatten, weil er besonders große Lust darauf äußerte. Sie schienen sich zwar über die Wirkung des Feuergewehrs zu wundern, jedoch nicht im geringsten davor zu erschrecken. Dies bestätigte sich auch, als wir wenige Augenblicke nachher Gelegenheit fanden, von neuem auf Vögel zu schießen, und es war überaus angenehm, daß wir ihnen auf eine so schickliche und unschuldige Art zeigen konnten, was für Gewalt uns das Schießgewehr über sie gäbe.
   Endlich landeten wir an einer Stelle, wo der Fluß kaum zwölf Fuß breit war. Das Ufer reichte nur ungefähr zwei Fuß über das Wasser, indem die Flut jetzt beinahe am höchsten stand. Hier wohnten ein paar Familien, die mit Weib und Kindern ganz vertraulich zu uns kamen, ohne Argwohn oder Unwillen über einen so fremden Besuch blicken zu lassen. Die Weiber waren größtenteils kastanienbraun, auch wohl noch dunkler, so wie Mahagoniholz, dabei selten von mehr als mittlerer Statur. Aber durchgehend stark und zum Teil plump gebaut. Was sie vollends verunstaltete, war ihre Tracht, die nicht häßlicher sein konnte. Man stelle sich einen kurzen Rock vor, der aus unzähligen Fäden oder an einem langen Strick befestigten Schnüren bestand. Dieser Strick wurde einigemal um die Hüften gewickelt, so daß die Schnüre schichtenweise übereinander zu liegen kamen, folglich von der Mitte des Leibes an gleichsam ein dichtes Strohdach ausmachten, welches aber kaum ein Drittel der Lenden, mithin gerade nur so viel und nicht mehr bedeckte als nötig war, um anzuzeigen, daß es aus Ehrbarkeit geschah. Dies Strohdach gab den Frauen, wie man sich vorstellen kann, eine häßliche, unförmige Figur. Manchmal waren die Schnüre durchgehend, meistens aber nur die äußerste Schicht schwarz gefärbt, und die übrigen sahen wie schmutzig gewordenes Stroh aus.
   An Zierraten unterschieden sich die Weiber nicht von den Männern; sie trugen ebenfalls Muscheln, Ohrringe und kleine Kügelchen von nephritischem Stein. Einige hatten auch zwischen der Unterlippe und dem Kinn drei schwarze Linien nach tahitischer Art in die Haut punktiert. Ihre Gesichtszüge waren grob, drückten aber einen hohen Grad von Gutherzigkeit aus. Die Stirn war meistens hoch, die Nase unterhalb breit, oberhalb platt und die Augen klein. Aus den vollen, runden Backen ragten die Knochen unter den Augen ziemlich stark hervor. Das Haar war gekräuselt und oft, wie auf den Societäts- und freundschaftlichen Eilanden, kurz geschnitten.
   Ungefähr zwanzig Schritte vom Ufer entfernt lagen die Wohnhütten dieser Familie auf einer kleinen Anhöhe. Sie waren zehn Fuß hoch, kegelförmig gestaltet, aber oben nicht zugespitzt. Die innere Anlage, oder was bei unseren Häusern das Zimmerwerk ist, bestand aus senkrecht aufgerichteten Pfählen, die mit geflochtenen Reisern fast in der Art von Hürden zusammen verbunden und vom Fußboden bis an die Decke ringsum mit Matten verkleidet waren, oben darauf ruhte ein halbrundes Strohdach. Das Tageslicht fiel in diese Wohnungen nur durch ein Loch, das auch als Tür diente, aber nur vier Fuß hoch war, so daß man sich beim Ein- und Ausgehen allemal bücken mußte. Innen war die Hütte voller Rauch, und am Eingang lag ein Haufen Asche. Es scheint also, daß die Einwohner hauptsächlich der Mücken wegen, die in jeder sumpfigen Gegend häufig sein müssen, Feuer anzünden. Zwar bekamen wir nur wenige dieser Insekten zu sehen, doch war heute auch ein ziemlich kühler Tag.
   Um die Hütte standen einige Kokospalmen, die aber keine Früchte hatten, auch Zuckerrohr, Pisangstämme und Arumwurzeln. Letztere wurden vermittelst kleiner Furchen bewässert und an einigen Stellen völlig unter Wasser gehalten, was auf den Eilanden des Südmeers durchgängig zu geschehen pflegt. Im Ganzen hatte die Pflanzung nur ein schlechtes Aussehen und schien bei weitem nicht zureichend, die Einwohner das ganze Jahr über zu ernähren. An eine solche Mannigfaltigkeit von Früchten, wie wir sie bisher auf den Inseln angetroffen hatten, war hier gar nicht zu denken, vielmehr erinnerte uns alles an die Armut der elenden Bewohner von Oster-Eiland, vor welchen die hiesigen wenig voraus zu haben schienen.
   So viel wir merken konnten, war ein Mann namens Hibai der Vornehmste oder Vorgesetzte unter den hier versammelten Familien. Diesem machten wir einige Geschenke und spazierten darauf am Ufer des Flusses bis an die Mangelbäume, wo uns eine neue Pflanze aufstieß. Gegen die Berge zu, deren erste Anhöhen ungefähr zwei Meilen weit von hier entfernt sein mochten, hatte das Land eine äußerst öde Gestalt. Hin und wieder erblickte man zwar etliche Bäume und kleine angebaute Felder, doch gingen sie in dem umliegenden, ungleich größeren, unfruchtbaren und wüsten Raume verloren, der unseren Heiden gewissermaßen ähnlich sah. Vor einer Hütte fanden wir einen irdenen Topf, der vier bis fünf Maß halten mochte, auf einem Aschenhaufen. Dies Geschirr hatte einen dicken Bauch und war aus einer rötlichen Erdart ziemlich grob gearbeitet, auch in- und auswendig mit Ruß gleichsam überzogen. Aus der Asche ragten drei spitze Steine empor, an welche der Topf seitwärts so angelehnt wurde, daß ein Feuer unter ihm brennen konnte. Nach einigem Verweilen bei diesen guten Leuten kehrten wir zu unseren Booten zurück und waren völlig überzeugt, daß der Mangel an Nahrungsmitteln die einzige Ursache sei, warum man uns keine mitgeteilt hatte.
   Am folgenden Morgen kamen die Indianer mit ihren Booten ziemlich früh ans Schiff. Auf jedem Fahrzeug brannte ein Feuer, und zwar, um Schaden zu verhüten, auf einem Haufen von Steinen und Asche. Es waren auch einige Weiber unter dieser Gesellschaft, von denen jedoch keine an Bord wollte; die Männer hingegen kamen meist ohne Einladung herauf und fingen an, ihre Waffen gegen Stücke tahitischen Zeugs zu vertauschen.
   Um einen nähergelegenen Platz zum Füllen der Wasserfässer ausfindig zu machen, schickte der Kapitän die Boote von neuem an Land. Wir gingen mit und stiegen eben da aus, wo wir gestern gelandet waren, und begegneten einigen wenigen Einwohnern, die auf unsere Nachfrage nach frischem Wasser westwärts deuteten, wo noch niemand nachgesucht hatte. Dieser Anleitung zufolge gingen wir den Sandstrand entlang, der an ein schönes, grünes Gebüsch grenzte, und kamen bald zu einer Hütte, hinter der verschiedene Pflanzungen angelegt waren. Um die näher zu untersuchen, nahmen wir einen kleinen Umweg tiefer ins Land, mußten aber eines Grabens wegen, der zur Wässerung des Landes gezogen war und sehr salziges Wasser führte, bald wieder umkehren.
   Dann eilten wir nach einer nahen Anhöhe, von wo man weit und breit nach Wasser Ausschau halten konnte. Hier war das Erdreich von ganzer anderer Beschaffenheit. Anstatt daß in der Ebene nur eine dünne Schicht guter, fruchtbarer Erde oben auflag, welcher man an den urbar gemachten Orten durch einen Dünger von zerbrochenen Muscheln und Korallen zu Hilfe kommen mußte, war auf der Anhöhe felsiger Boden, der aus großen Stücken Quarz und waagerechten Stücken von Glimmer, mithin aus einer Art von Gestellstein bestand. In dieser Gegend war eine Menge verdorrtes Gras, meistens nur dünn und ungefähr drei Fuß hoch gewachsen. Zwanzig bis dreißig Schritt weit auseinander gab es einzelne Bäume, die an der Wurzel schwarz, wie verbrannt, aussahen, oben aber eine lose, schneeweiße Rinde und lange, schmale, weidenähnliche Blätter hatten…
   Niedriges Strauchwerk war auf diesem Hügel nirgends anzutreffen und die Bäume standen ebenfalls so zerstreut, daß die Aussicht durch nichts gehindert wurde. Was uns an der Aussicht am meisten gefiel, war eine Reihe schattiger Bäume und grüner Büsche, die in einer Linie von der See bis an die Berge reichten und allem Anschein nach längs den Ufern eines Baches stehen mußten. Wir hatten uns nicht geirrt, denn nachdem wir noch durch einige Pflanzungen vorgedrungen waren, fand sich unter diesen Bäumen wirklich ein kleiner Fluß. Ungefähr zweihundert Schritte weit vom Strand war das Wasser schon nicht mehr mit Seesalz vermischt, folglich konnten hier die Fässer mit geringer Mühe gefüllt und ans Schiff gebracht werden.
   Dem Befehlshaber Tea-buma, der uns hier begegnete, verehrten wir etliche Medaillen nebst anderen Kleinigkeiten und bekamen von ihm eine Schleuder und etliche Keulen als Gegengeschenk. Die Ufer des Baches waren von Mangelbäumen beschattet, hinter denen ein zwanzig Fuß breiter Raum andere Baum- und Pflanzenarten trug. Dieser schmale Strich hatte eine Schicht guter, kräftiger Pflanzerde, und zwar mit grünem Rasen bewachsen, woran wir unsere Augen mit desto größerem Vergnügen weideten, je mehr er mit dem dürren Ansehen der Berge kontrastierte. Diejenige Gegend des Strandes, wo wilde Bäume und Gebüsche wuchsen, war uns als Naturforschern die wichtigste. Auch fanden wir daselbst mancherlei unbekannte Pflanzen und viele Arten Vögel von verschiedenen Klassen, die größtenteils ganz neu waren. Doch mehr als all das gefiel uns die freundschaftliche gutherzige Gemütsart und das friedliche Betragen der Einwohner. Ihre Anzahl war nur gering und die Wohnungen lagen sehr zerstreut, doch standen meistens zwei und zwei beieinander, und zwar gemeiniglich unter einer Gruppe von hohen Feigenbäumen, deren Äste so fest ineinander geschlungen waren, daß man kaum den Himmel durch das Laub erblicken konnte. Diese Lage verschaffte den Leuten außer einem beständig kühlen Schatten auch noch ein andere Annehmlichkeit, nämlich, daß die Menge von Vögeln, die vor dem brennenden Mittagsstrahl der Sonne in den dick belaubten Wipfeln Schutz suchten, ein beständiges Konzert unterhielten. Der Gesang einer Art Baumkletten war vorzüglich sanft und gefiel deswegen jedem, der für die harmonischen Lieder dieser ländlichen Sänger nur einigermaßen Geschmack hatte. Auch den Einwohnern mußte dies ganz gut behagen; denn sie saßen meistens am Fuß dieser wohltätigen Bäume, die zugleich wegen einer Sonderbarkeit in ihrer Struktur unsere Aufmerksamkeit erregten. Ihr Stammende steht nämlich zehn, fünfzehn bis zwanzig Fuß hoch über der Erde und ruht auf langen Wurzeln, die aus dieser Höhe in schurgerader Linie schräge nach dem Boden herab gehen, dabei so rund sind, als wären sie gedrechselt, und so elastisch wie eine gespannte Bogensehne sind. Aus der Rinde dieser Bäume werden vermutlich jene Stückchen braunes Zeugs verfertigt, welche im Putz der Neukaledonier eine so auffallende Figur machen.
   Unsere neuen Bekannten lehrten uns eine Menge Wörter aus ihrer Sprache; sie hat aber gar keine Ähnlichkeit mit irgendeiner anderen, und das ist gewiß mehr als hinreichend, um selbst den größten und eifrigsten Genealogen von Mutmaßungen über ihre Herkunft abzuschrecken. In Betracht des Charakters dieser guten Leute merkten wir bald, daß ihre Güte des Herzens und ihre Friedfertigkeit zum Teil mit natürlicher Trägheit verbunden war. Wenn wir spazieren gingen, so folgten sie uns selten nach; kamen wir vor ihren Hütten vorüber, ohne zuerst zu reden, so ließen sie es gut sein und schienen sich gar nicht um uns zu kümmern. Nur die Weiber bezeugten etwas mehr Neugierde und versteckten sich bisweilen im Gebüsch, um uns von fern her ansichtig zu werden; herankommen durften sie aber nur in Gesellschaft der Mannspersonen.
   Daß wir Vögel schossen, erregte bei den Einwohnern nicht das mindeste Aufsehen oder Bestürzung. Im Gegenteil, wenn wir uns ihren Wohnungen näherten, so pflegten sich die jungen Leute von selbst nach Vögeln umzusehen sie uns anzuzeigen. Mir kam es so vor, als ob sie zu dieser Jahreszeit wenig Beschäftigung haben müßten, denn das Feld war schon bestellt und Pisangs und Arumwurzeln für die künftige Ernte bereits angepflanzt. Eben deshalb mochten sie auch jetzt weniger als zu anderer Zeit im Stande sein, uns Lebensmittel zu überlassen, was sie sonst, ihrer freundschaftlichen und gutherzigen Gemütsart nach, wohl getan haben würden. Wenigstens wäre es sehr lieblos, wenn ich anders urteilen und ihnen allein die Gastfreiheit absprechen wollte, die doch allen übrigen Bewohnern des Südmeers in so hohem Grade eigen ist und um deren willen sie dem seefahrenden Fremden so schätzbar sind.
   
Forster, Georg
Sämtliche Schriften
Band 2, Leipzig 1843

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