Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1896 - Caecilie Seler-Sachs
Tehuantepec

Die letzte kurze Wegstrecke führte durch Pflanzungen von Zuckerrohr, Baumwolle und Bananen. In den buschigen Hecken, die den Weg einfaßten, war blühendes Rankenwerk, unter anderem die reizende Panuquera (Paullinia fuscenceus Ktth.), die wir in der Ebene des Pánuco zuerst getroffen hatten. Der Weg selbst zeigte die unangenehme Schwellenbildung, die man auf lehmigem Erdreich, das von Reit- und Lasttieren viel begangen wird, so häufig findet und die dadurch entsteht, daß ein Tier immer in die Stapfen des anderen tritt. Dadurch gibt es in der nassen Zeit, wenn der Boden weich ist, Hügel und Täler, die dann, wenn es trocken und die Erde ausgedörrt ist, quer über den Weg verlaufende Schwellen bilden. Mehrfach stand Wasser in den Vertiefungen: der Überfluß dessen, was zur Bewässerung der Pflanzungen gedient hat; und mitten im Weg lag ein toter Esel, an dem die kleinen schwarzen Geier, die Zopilotes, ihre Arbeit taten und vor dem unsere Pferde einen scheuen Seitensprung machten. Kurz vor dem Ort führte der Weg noch einmal auf den breiten, sandigen Strand am Flusse, und zwischen Kokoshainen, Rohrhütten und den Schienen der Isthmusbahn erreichten wir endlich die von Sand erfüllten, von erhöhten Bürgersteigen eingefaßten Straßen der Stadt. Im Hotel Europa, beim Gascogner Tocaven, gab es leidliche Unterkunft für Mensch und Tier.
   Das also war Tehuantepec!  Seit meiner Schulzeit haftete an diesem Namen ein gewisser Glanz, und er hatte meine Phantasie seit langem beschäftigt. Nun, als das Ziel nach heißer, ermüdender Reise erreicht war, ergab der erste Eindruck eine starke Enttäuschung.
   Es ist ein sauberer, verschlafener Platz; ich hatte mir eingebildet, eine lebhafte kleine Hafenstadt zu finden. Der eigentliche Kern der Stadt, der um die Hauptkirche Santo Domingo herum und dicht am linken Ufer des Flusses liegt, ist wenig umfangreich. Die Vorstädte mit ihrer hübschen und heiteren Indianerbevölkerung sind weit ausgedehnter. Die am weitesten vom Flußufer entfernten Häuser von Santo Domingo klettern am Cerro del Tigre hinan, der der Stadt den Namen gab. Ebenfalls zwischen Fluß und Hügel liegt San Pedro Pixana; am entgegengesetzten Fuße des Berges und landeinwärts San Blas. Am rechten Ufer Santa Maria. Da keine Brücke über den Fluß führt - nur weit unterhalb der Stadt überspannt ihn die Eisenbahn nach Salina Cruz -, so ist die Verbindung mit diesem Ortsteil in der nassen Jahreszeit oft wochenlang unterbrochen. Jetzt freilich befand sich so wenig Wasser im Flußbett, daß er mit Leichtigkeit zu durchwaten und der Verkehr ziemlich lebhaft war. Kostete es uns doch Mühe, außerhalb der Stadt einen Platz zum Baden aufzufinden, der genügend Wasser hatte, um den ausgestreckten Körper notdürftig zu bedecken.
   Hügel und Fluß bieten gewiß zur Regenzeit manch hübsches Bild, das Anmutigste aber sind doch die schlanken, kräftigen Frauengestalten mit ihrer malerischen Kopftracht und dem aufrechten, leichten Gang, der überall eine Folge der Gewohnheit ist, leichte Lasten auf dem Kopfe zu tragen. Die großen, bunt bemalten Schalen, in denen Früchte und Mais getragen werden, machen den Anblick der Gestalten noch bunter und heiterer. Diese Schalen - Jicapetzle genannt, rnexikanisch: xicalli petztic - werden in Chiapas gefertigt und kommen nur bei den beiden großen Jahresmärkten zum Verkauf. In Chiapas werden auch ganz schmucke Jicaras, Trinkschalen aus der Frucht der Crescentia cujete, gefertigt. Eine solche, sehr zierlich mit Gold- und Silberstreifen und Vögeln bemalte erhielt ich vom Bischof Mora zum Geschenk. Wir hatten an diesen eine Empfehlung von Monsignore Gillow und freuten uns gegenseitig, eine alte Bekanntschaft zu erneuern. Die Briefe, die wir von ihm an einige Dorfvorstände erhielten, erwiesen sich wirksamer als die Regierungsschreiben, da es sich um Indianerdörfer handelte. Gegen alles, was von der Regierung kommt, ist der Indianer mißtrauisch, gegen das, was von der Kirche kommt, ist er freundlich gesinnt. Die Kirche hat ihm nur seine alten Götter genommen, und die hat er längst vergessen. Der Racker von Staat will fortwährend etwas von ihm: Geld, Soldaten und oft sogar Land für andere Leute.

Seler-Sachs, Caecilie
Auf alten Wegen in Mexiko und Guatemala: Reiseerinnerungen aus den Jahren 1985 bis 1897
Wien 1992

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!