1884 - Ernst von Hesse-Wartegg
Das Hochland von Mexiko und seine Seen
Wer Mexiko aus den vielen populären Schilderungen des Landes und seiner schönen Hauptstadt kennenlernt, macht sich gewöhnlich eine ganz unrichtige Vorstellung von den Bildern, die er dort in Wirklichkeit zu sehen bekommt. Nach zahlreichen Holzschnitten und kolorierten Ansichten zu schließen, würde man glauben, die alte Aztekenstadt liege eng zusammengepfercht in einem Hochgebirgstal, aus dem man nicht heraustreten kann, ohne sofort mit der Nase an irgendeinen hohen schneebedeckten Vulkan anzustoßen. Der gewaltige Popocatepetl wird gewöhnlich als in eine scharfe Spitze auslaufend und Rauchmassen auspustend dargestellt, und auf manchen Bildern erscheinen noch mehrere andere schneebedeckte Bergriesen neben ihm.
In Wirklichkeit liegt Mexiko indessen auf einer weiten, vollständig flachen Hochebene von etwa 60 Kilometern Durchmesser, um das sich in einer Ellipse ein Kranz hoher Gebirgszüge legt. Gebirgszüge, deren zahlreiche Gipfel auf 3.000 bis 5.500 Meter emporsteigen. Aber selbst der nächste derselben, der Cerro de Ajusco, ist an 30 Kilometer von Mexiko entfernt, während der Gipfel des Popocatepetl in horizontaler Projektion nahezu 70 Kilometer weit entfernt ist. Dieser Kranz von Gebirgen ist nur gegen Norden zu offen, obschon auch hier niedrige Höhenzüge sich quer über die Hochebene legen.
Wegen seiner Lage auf vollkommen ebenem Flachlande hat man in Mexiko nach keiner Seite hin jene Gebirgsvistas, wie man sie sich vorzustellen pflegt. Zudem sind die Straßen Mexikos schachbrettförmig angelegt, aber sie laufen leider derart, daß man zwischen den Häuserfronten hindurch keinen der Bergriesen, dieser Wahrzeichen der Stadt, sehen kann. Man kann also in Mexiko lange verweilen, die Alameda, die Plaza Mayor und andere große Plätze mit etwas freiem Ausblick besuchen und wird sich dennoch keine Vorstellung von der bewundernswerten Lage der Stadt, inmitten so großartiger Gebirge, machen können. Erst wenn man das Observatorium im Nationalpalast oder noch besser den Turm der Kathedrale besteigt, sieht man mit jedem Schritt aufwärts ein sich immer mehr erweiterndes, großartiges Panorama, das nur an wenigen anderen Punkten der Erde seinesgleichen haben dürfte. Alles, was man sieht, die weite kreisförmige Hochebene mit ihren vier großen Seen, die aus der Ferne in wundervollem Azur herüberleuchtenden, sie umschließenden Bergzüge und die schwarzen gewaltigen Massen des Popocatepetl und Iztaccihuatl mit ihren weißen, wie in Hermelin gehüllten Häuptern - alles das weist darauf hin, daß man sich im Mittelpunkt eines ausgestorbenen, vorzeiten schon ganz angefüllten Kraters befindet, des Kraters eines der kolossalsten Vulkane des Erdballs. Noch heute wird diese Kraterdecke häufig genug durch Erdstöße erschüttert, und daß die den Kraterrand bildenden Gebirgszüge vulkanischer Natur sind, das beweisen nicht nur die großen Lava- und Basaltmassen, die Obsidian- und Porphyrlager derselben, sondern vor allem anderen der am Kraterrande selbst später entstandene Riesenvulkan des Popocatepetl, der heute noch immer tätig ist und aus den Solfatares seines Kraters Schwefel und heiße Dämpfe in gewaltigen Massen emporsendet. Nur erscheinen an seiner Spitze keine so mächtigen Rauchwolken, wie sie auf vielen phantasiereichen Bildern Mexikos zu sehen sind. Im Gegenteil, von Mexiko aus gesehen, ist die Spitze des Vulkans vollkommen rauchlos, und nur wenn man selbst oben steht, sieht man gerade über seinem Krater eine schwache Rauchwolke. Und auch in dem weiten ebenen Talkessel findet man genug Spuren vulkanischer Tätigkeit, obgleich der Boden ganz aus Alluvialmassen und vegetabilischen Resten gebildet wird. An manchen Stellen treten heiße Quellen zutage, an anderen wird Naphtha gefunden. Und wie die meisten Krater erloschener Vulkane, so hat auch dieser seinen See oder vielmehr die Reste eines einstigen Sees, der früher wohl zwei Drittel des ganzen Tales bedeckt haben mochte, heute aber großenteils eingetrocknet ist und nur an den tiefsten Stellen Wasserbecken zurückgelassen hat. Noch zur Zeit des Aztekenreiches, also vor 370Jahren, war der größte Teil des Hochplateaus mit Wasser bedeckt, und auch die Stadt Mexiko selbst stand, ein aztekisches Venedig, im Wasser, aber aus verschiedenen Ursachen: teils durch die große Verwüstung der Wälder, teils durch vulkanische Bodenveränderungen zog sich der Wasserspiegel seither zurück und hinterließ jene vier großen Seen, welche heute eine so charakteristische Eigentümlichkeit dieses Hochtales sind. Der größte und der Hauptstadt am nächsten gelegene dieser Seen ist jener von Texcoco.
Da er keinen Abfluß besitzt und von allen Seen am tiefsten gelegen ist, empfängt er auch all die Salzmassen und anderen mineralischen Substanzen, welche die tropischen Regen von den Bergen herabspülen. Er ist ein Salzsee, mit mehr Salzgehalt als das Baltische Meer, nicht ganz so viel als der Ozean. Seine auch den Abfall der Stadt Mexiko empfangenden verpesteten Wassermassen entwickeln viel Schwefelwasserstoffgas. Ebenso wie andere Salzseen, enthält auch dieser keine Fische, aber dafür ist er die eigentliche Heimat jenes eigentümlichen Molches, der so lange Zeit den Naturforschern Kopfzerbrechen verursachte, des Axolotl (Amblystoma Axolotl); wohl eines der häßlichsten und abstoßendsten Tiere, welche die Naturgeschichte kennt. Halb Salamander, halb Fisch, von schmutziggrauer Farbe, mit schwarzen Flecken, besitzt es einen dem Chamäleon ähnlichen Kopf und dahinter an jeder Seite an Stelle der Kiemen je vier fleischige Auswüchse in der Form kleiner Palmenwedel. Seit seiner Entdeckung im vorigen Jahrhundert bis zum Jahre 1865 hielt man diese Gestalt für die des ausgewachsenen Tieres. Erst 1865 wurde die Entdeckung gemacht, daß sie nur die Larve eines in Amerika häufig vorkommenden Molches ist, Die Länge eines ausgewachsenen Tieres ist 6 bis 10 Zoll.
Ich sah das scheußliche Tier in großen Mengen auf den Märkten in Mexiko, denn so seltsam es erscheinen mag, der Axolotl wird von Indianern wie von Spaniern als ein Leckerbissen angesehen und auf verschiedene Weise als Speise zubereitet. Sein zartes, weißes Fleisch erinnert an das des Aales, und ich kann gar nicht wissen, ob es mir während meines Aufenthaltes in Mexiko nicht häufig als Aal vorgesetzt wurde.
Ein anderes merkwürdiges Produkt der mexikanischen Seen und vornehmlich des Texcocosees sind die Milliarden von Wasserfliegen, von den Mexikanern Axayacatl (Ahuatlea mexicana) genannt, welche in förmlichen Wolken über dem See schweben oder sich auf deren Oberfläche in solchen Massen niederlassen, daß sie große schwarze Felder bilden und sich, aus der Ferne betrachtet, etwa ähnlich ausnehmen wie die Lagunen Venedigs zu einer gewissen Zeit der Ebbe. In Brehms' «Tierleben», das vom Axolotl eine vorzügliche Beschreibung liefert, habe ich diese eigentümliche Art Wassermücken nicht angeführt gefunden. Auf einer Fahrt, die ich vom Kanal von San Lazaro aus quer über den seichten See nach dem gerade gegenüberliegenden Texcoco unternahm, wurde ich selbst durch diese schwarzen Mückeninseln getäuscht. Glücklicherweise hielten sie sich fern und ließen sich nicht auf unserem Boote nieder, was übrigens nur durch ihre große Anzahl unangenehm gewesen wäre, denn sie stechen nicht.
Diese Axayacatl werden von den Indianern in den unglaublichsten Mengen aus dem Wasser geschöpft, zu einem Brei gestampft, in Maishüllen getan und so gekocht. Diese Mückenkuchen sind auch häufig in den inneren Stadtteilen Mexikos auf den Märkten in Stößen aufgeschichtet zu finden und werden gerne gegessen. Dasselbe geschieht mit den Eiern der Wassermücken, die auch in den unglaublichsten Massen auf den Wasserpflanzen abgesetzt werden. Die Indianer pressen die Eier in einen Brei, versetzen sie mit Vogeleiern und bringen sie dann zu Kuchen gebacken auf den Markt, wo sie besonders zur Fastenzeit gern gekauft werden. Ja es hat sich in dem Seedistrikt eine eigene Industrie entwickelt, indem die Indianer in passenden Zwischenräumen voneinander Schilfrohrbündel derart in den Grundschlamm stecken, daß nur die Spitzen über dem Wasser hervorstehen. Diese werden bald mit Eiern nicht nur vollständig bedeckt, sondern sie sitzen in großen Knollen auf denselben. Dann werden die Rohrbündel aus dem Wasser gehoben, über einem Tuch gehörig geschüttelt und neuerdings in den Schlamm gesteckt. Auch die Larven der Mücken, kleine, gelblichweiße Würmer, werden zu ähnlichen Zwecken angesammelt.
Der größte von den vier Seen ist, wie gesagt, der Texcoco, dessen westliches Ufer heute etwa 4 1/2 Kilometer von der Hauptstadt entfernt liegt. Er hat in nordsüdlicher Richtung eine größte Länge von etwa 25 Kilometer und eine (ostwestliche) größte Breite von etwa 22 Kilometer, obschon sie in Bishops «Old Mexico» mit 30 englischen Meilen angegeben wird. Seine Tiefe dürfte an keiner Stelle 2,5 Meter überschreiten, während sie durchschnittlich wohl nur 1 Meter beträgt. An zahlreichen Stellen ist der See so seicht, daß die leichten, zwischen San Lazaro und der Stadt Texcoco am gegenüberliegenden Ufer verkehrenden Boote mit langen Stangen gestoßen werden können und häufig genug auf den Grund geraten. Bei meiner Überfahrt blieb das Boot zweimal im Schlamm stecken. Der Wasserspiegel liegt bei mittlerem Wasserstand etwa 1,1 Meter tiefer als die Hauptstadt.
Wenn ich nur von vier Seen des Hochplateaus sprach, während in manchen geographischen Werken von fünf Seen die Rede ist, so hat dies seinen guten Grund. Ihre Zahl kann entweder mit vier oder mit sechs angegeben werden, aber nicht mit fünf. Außer dem Texcocosee sind nämlich noch vorhanden der Zumpangosee, der nördlichste und kleinste; dann der San Cristobalsee, zwischen diesem und dem Texcocosee; ferner der Chalco und der Xochimilco, beide südlich des Texcoco. Nun bilden aber die beiden letztgenannten Seen eigentlich nur einen einzigen See, durch dessen Längenmitte ein nordsüdlich laufender Damm führt. Er kann somit als ein einziger See angesehen werden, was die Gesamtzahl auf vier und nicht auf fünf bringt. Wenn andere indessen den Chalco und den Xochimilco als zwei verschiedene Seen betrachten, da nun müßten sie dies ebenfalls mit dem San Cristobalsee tun, weil auch dieser durch einen ähnlichen künstlichen Damm in zwei Hälften geteilt wird, deren südliche der eigentliche San Cristobalsee ist. Der nördliche Teil heißt nach einer in demselben gelegenen Insel und Ortschaft See von Xaltocan. Damit wären aber sechs Seen verschiedenen Namens vorhanden.
In hydrographischer Hinsicht gibt es jedoch nur vier verschiedene Seebecken im Hochtal von Mexiko, deren tiefstgelegenes, wie gesagt, das des Texcocosees ist. Der Chalco und Xochimilco liegt mit seinem Wasserspiegel bereits 1 1/4 Meter über der Hauptstadt, der San Cristobal und Xaltocan 2 1/4 Meter über derselben und der nördlichste und kleinste der Seen, der Zumpango, gar 7 Meter über der Hauptstadt. Dieser letztgenannte (Süßwassersee) gehört heute infolge der großartigen, unter den Spaniern hergestellten Ableitungsgräben von Huehuetoca nicht mehr zu dem hydrographischen Gebiete der Hauptstadt, sondern gibt sein Überschußwasser dem Tulafluß ab, einem Nebenfluß des sich bei Tampico in den Golf von Mexico ergießenden San Juan (Panuco). Der San Cristobalsee ist etwas salzhaltig, aber die südlichen Seen (Chalco und Xochimilco) enthalten Süßwasser und sind ebenfalls nur von sehr geringer Tiefe.
Wie man sieht, liegt die Mehrzahl dieser Seen hoch über dem Niveau der Hauptstadt, welch letztere nahezu den tiefsten Punkt des ganzen Kessels einnimmt. Vier dieser Seen haben keinen anderen Abfluß als das etwas tiefer liegende Becken des Texcocosees. Bei heftigen Regengüssen, denen Mexiko leider so häufig ausgesetzt ist, steigt der Wasserspiegel des Texcoco demnach rasch derart hoch, daß er auf das gleiche Niveau mit der Hauptstadt kommt und damit jeden Abfluß des Regenwassers und, was noch viel schlimmer ist, jenem der Kloaken Mexikos vollständig ein Ende macht. Ja, häufig genug steigt der Wasserspiegel noch höher und setzt die Hauptstraßen der Hauptstadt 1 bis 2 Fuß tief unter Wasser, wie es leider in dem eben vergangenen Winter (1888 auf 1889) [das Buch erschien1890] der Fall war.
Diese Überschwemmungen waren in den beiden vergangenen Jahrhunderten derart häufig und verursachten derartige Kalamitäten, daß man den Hauptruhestörer, den Zumpango, durch das Riesenwerk des Durchstiches von Nochistongo von dem Tale Mexikos Oberhaupt ganz ablenken mußte. Aber der Hauptstadt ist damit nur wenig geholfen. Die Überschwemmungen dauern fort, wenn sie auch nicht dasselbe Maß erreichen, und augenblicklich geht man ernstlich daran, das Tal durch ein System von Kanälen mit sehr großen Kosten zu entwässern. Für Mexiko selbst ist diese Entwässerung zu einer Lebensfrage geworden, denn die stagnierenden, schmutzigen Gewässer, die abzugslosen Kloaken der Stadt sowie der von beiden durchtränkte Boden hauchen die schädlichsten Miasmen aus und sind die Ursache zahlreicher Fieber, Typhus und mehrerer anderer Krankheiten. Besäße Mexiko nicht seine 2200 Meter über dem Meeresspiegel erhabene, hohe Lage, läge es beispielsweise in der Tierra Caliente nicht viel höher als das Meer, die Krankheiten hätten längst vielleicht schon den letzten Einwohner hingerafft. Infolge der hohen Lage der Stadt ist aber auch die Luft derart verdünnt und dabei ihr Feuchtigkeitsgehalt ein derart geringer, daß die Fäulnis der seit Jahrhunderten hier sich ansammelnden organischen Substanzen lange nicht in demselben Maßstab vor sich geht wie in den tiefer gelegenen Regionen. Für diese sich im Texcocosee und fast gleichzeitig auch in den Straßen der kellerlosen Hauptstadt ansammelnde Wassermassen gibt es heute keinen Abfluß. Sie bleiben wochenlang in den Straßen der Hauptstadt und verschwinden erst allmählich durch die Verdunstung. Aber auch selbst in der trockenen Jahreszeit ist der Spiegel des Texcocosees nicht viel tiefer als die Hauptstadt, und auf 2 Fuß Tiefe wird man hier immer auf Wasser stoßen. Deshalb ist auch in der günstigsten Jahreszeit der Fall gegen den See nicht hinreichend stark, um die Kloaken dahin mit der erforderliche Schnelligkeit abfließen zu lassen. Dazu kommt noch der Umstand, daß das Becken des Texcoco allmählich durch die Abfälle der über 300.000 Einwohner zählenden Stadt immer mehr ausgefüllt wird. Welche Abfallmassen von einer solchen Einwohnerzahl im Laufe eines Jahres resultieren, kann man sich wohl leicht vorstellen, und sie verteilen sich nur über einen Flächenraum von etwa 300 Quadratkilometer. Eine andere Ursache der langsamen, aber sicheren gänzllichen Ausfüllung des Texcocosees sind die großen Staub- und Sandmassen, welche in der trockenen Jahreszeit von den ausgedörrten, sonnverbrannten Bergwänden herabgeweht werden. Ganze Sandwolken ziehen im Sommer über und durch die Stadt, über die Ebene hinweg und versinken in dem See. So groß sind diese Sandmassen, daß zuweilen der von Mexiko nach dem Texcocosee führende Kanal von San Lazaro stellenweise innerhalb drei Tagen vollständig ausgefüllt oder verschüttet wird - eine Tatsache, die auch in den «Archives de la Mission Scientifique au Mexique», 11. Band, Seite 323, zum Ausdruck kommt.
Auf diese Weise ist die vollständige Ausfüllung des einzigen, tiefer als Mexiko liegenden Seebeckens nur eine Frage mehrerer Jahrzehnte, und es ist als ein wahres Glück für die Stadt anzusehen, daß der jährliche Regenfall im Laufe der Zeit, wie vorne bemerkt, abgenommen hat. Aber auch jetzt noch ist er hinreichend groß, daß die Ausfüllung des Texcocosees die schwersten Folgen für Mexiko haben wird, wenn nicht gar seine Existenz bedroht wird.
Jedenfalls sieht Mexiko infolge seiner unglücklichen Lage einer traurigen, unsicheren Zukunft entgegen, selbst wenn die großen, in der Ausführung begriffenen Kanalisierungsarbeiten ausgeführt sein werden. Denn werden die Wassermassen auch endlich durch diese kolossalen, kostspieligen Werke abgeleitet und der Texcocosee trockengelegt, so ist es leicht möglich, daß die Stadt dadurch aus dem Regen in die Traufe gelangt. Heute stehen ihre Bauten auf sumpfigem Boden oder, besser gesagt, auf einer dünnen, festen Erdkruste, die auf ausgedehnten, die ganze Stadt unterminierenden Sümpfen ruht. Vertrocknen nun diese, so wird sozusagen der Boden unter ihren Füßen weggezogen, und es fragt sich, ob die feste Erdkruste stark genug sein wird, um die Häusermassen zu tragen. Noch ein anderer Umstand drängt sich dabei der Betrachtung auf: Die Erdbeben haben in dem großen Talkessel durchaus nicht aufgehört, und wenn sie in der Stadt Mexiko nicht in ihrer vollen Kraft gefühlt werden, so hat dies seinen Grund gerade in der schlammigen Unterlage, auf der sie steht; wird nun diese trockengelegt, so werden die Erdbeben mit viel größerer Heftigkei als bisher ihre Wirkung außern können als bisher.
Nach der Zerstörung der alten Aztekenstadt durch die spanischen Horden unter Cortez war es beabsichtigt worden, die neue Stadt der Spanier weiter südliche auf dem höher gelegenen Plateau von Tacubaya anzulegen, aber Cortez ließ sich durch das in den Trümmern der zerstörten Stadt vorhandene Baumaterial verleiten, seine Hauptstadt an derselben Stelle zu erbauen. Dieser Entschluß hat sich in der bittersten Weise gerächt. Unter Maximilians kurzer Regierung war es sogar beabsichtigt worden, die Residenz nach dem viel gesünderen, besser gelegenen Puebla zu verlegen, und man kann heute gar nicht voraussagen, was die Zukunft bezüglich Mexikos noch mit sich bringen wird.
Hesse-Wartegg, Ernst von
Mexiko. Land und Leute. Reisen auf neuen Wegen durch das Aztekenland
Wien und Olmütz 1890