Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1772 - Peter Simon Pallas
In Kjachta
Sibirien

6. April 1772. Am 6. April bei Tagesgrauen erreichten wir die Grenzfestung Kjachta. Dieser berühmte Grenz- und Handelsplatz, wo gegenwärtig fast der ganze Handel zwischen Rußland und China getrieben wird, liegt in einem weiten Tal.
    Die Besatzung von Kjachta besteht aus einer Kompanie Soldaten und einer Anzahl Kosaken, die hier wohnhaft sind. Der Kommandant ist ein Stabsoffizier, der zugleich die kleinen Grenzangelegenheiten zu besorgen und mit dem Vorgesetzten der chinesischen Kaufmannschaft anfallende Unterhandlungen und kleine Händel zu schlichten hat; in wichtigeren Fällen aber an die Grenzkanzlei in Selenginsk und an den Irkutsker Statthalter Bericht zu erstatten und Befehle zu erwarten hat. Die besten Einwohner von Kjachta sind russische Kaufleute oder auch Vertreter großer russischer Kontore, die sich nach und nach ansässig gemacht haben. Es herrscht hier überall ein gesittetes und gastfreies Wesen, das man — außer in Irkutsk — in keiner sibirischen Stadt findet. Der Umgang mit den kjachtischen Einwohnern würde noch angenehmer sein, wenn man nicht in allen Gesellschaften so unmäßig mit dem Teetrinken geplagt würde; weil ein jeder Kaufmann sich eine Ehre daraus macht, einen Gast so viele Teesorten als er nur hat probieren zu lassen. Die Grenze ist von Kjachta westlich bis an den Selenga und östlich bis zum Tschikoi mit spanischen Reitern besetzt, was sonderlich wegen des Schleichhandels mit Vieh seinen Nutzen hat. Gegenüber Kjachta liegt ein chinesisches Grenz- und Handelsstädtchen. Dieser Ort hat eigentlich keinen Namen. Die Russen nennen ihn nur den chinesischen Flecken oder auch Naimatschin. Die chinesische Benennung, aus welcher diese verderbte, auch bei Mongolen gebräuchliche entstand, ist eigentlich Maimatschin und soll aus den beiden Worten Maima und Tschin zusammengesetzt sein, deren erstes soviel als Handel, letzteres aber einen jeden mit Mauern umgebenen Ort bedeuten soll. Der Ort liegt nicht viel über sechzig Faden von der südlichen Wand der Festung Kjachta entfernt, ungefähr parallel zu dieser und scheint etwa zweihundert dicht aneinander gebaute Gehöfte zu enthalten. In der Mitte zwischen dem Ort und der russischen Festung stehen zwei zehn Fuß hohe Grenzpfähle nebeneinander, deren einer mit russischer, der andere mit mandschurischer Aufschrift geziert ist. Der chinesische Flecken hat keine andere Befestigung als eine ins Viereck um die äußersten Linien der Häuser gezogene Bretterwand, um die im Jahre 1756, zur Zeit des Kalmückischen Krieges, da dieser Grenzort von den aufständischen Mongolen mit Feuer und Schwert bedroht wurde, in der Eile ein kleiner kaum drei Fuß breiter Graben gezogen worden ist. Jede Wand der Befestigung hat in der Mitte ein Haupttor auf die Hauptstraßen, die nördliche aber überdies zwei Nebenpforten, welche sich auf Nebenstraßen öffnen. Über einem jeden Haupttor ist ein hölzernes Wachthäuschen gezimmert, wo die chinesische Besatzung, welche aus zerlumpten Mongolen mit Knütteln besteht, hauptsächlich des Nachts Wache hält.

Pallas, Peter Simon
Reise durch verschiedene Provinzen des Russischen Reiches
Band 3, St. Petersburg 1801

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