Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1859 - James Bonwick
Die letzten Tasmanier in Oyster Cove

Als ich Oyster Cove im Jahr 1859 besuchte, bot sich mir ein trauriges Bild. Ich wiederhole hier meinen Bericht, wie ich ihn Dr. Nixon, dem Bischof von Tasmanien, bei meiner Rückkehr nach Hobart erstattet habe. Ich suchte ihn auf, weil ich wußte, daß er echtes Interesse für die Aborigines hatte, aber wegen langer und schwerer Krankheit, die später zum Rücktritt von seinem Posten führte, sich nicht um sie kümmern konnte. Zwangsläufig werden in dem Bericht einige Tadel ausgesprochen.
    Verderben war über die Aborigines gekommen und zeigte sich in ihrer Verwahrlosung. Mr. Dandridge, der bei ihnen lebte, schien ihnen gegenüber freundlich zu sein, betrachtete sich aber lediglich als Verteiler der Rationen; er sagte mir selbst, daß er überzeugt sei, daß er ihren Untergang nicht aufhalten könne. Er und seine Frau führten eine Schule für die Kinder der Farmer und Landarbeiter außerhalb der Reservation. Die Schwarzen zu unterweisen galt als hoffnungslos. Aber hätte nicht ein bißchen mehr getan werden können?
    Ich traf auf eine elende Sammlung von Hütten und Wirtschaftsgebäuden, den Ruinen des alten Gefangenenlagers, gänzlich verdreckt und voller Flöhe, wie ich an mir selbst feststellen mußte. Der Superintendent konnte allein nicht alles sauberhalten; er hatte keine Diener, und die Schwarzen wollten diese Arbeit nicht tun - also wurde sie nicht gemacht. Die Gebäude umschlossen einen großen, viereckigen Hof. Die Familie des Offiziers wohnte nicht besonders anheimelnd. Die Eingeborenen waren in einigen benachbarten Hütten oder Büroräumen untergebracht. Der Lehmboden war in einem traurigen Zustand. In einigen Hütten gab es noch Reste von Bodenbrettern; die Seitenwände der Hütten waren am Zusammenfallen, die Dächer überhaupt nicht dicht. Viele Fenster waren zerbrochen, manche Türen schlossen nicht richtig. Die Möbel waren verschwunden. Hier und da gab es einen Schemel oder ein Stück Holz, aber die Frauen hockten lieber auf dem Boden, und das sah nicht immer anständig aus. Betten und Bettzeug waren besonders erbärmlich. Ich drückte dem Superintendent gegenüber meine Betroffenheit über das fürchterlich schmierige Bettzeug aus. Hier und da gab es bloß eine einzige Decke, und ich erwähnte den Mangel an Bettzeug bei alten Leuten - dabei war es gerade die kalte Jahreszeit. Mr. Dandridge war ebenso überrascht wie aufgebracht, rief die Frauen und befahl ihnen, ihm zu sagen, wo all die Decken hingekommen seien. Eine Frau sagte ganz unbeteiligt: »Böser weißer Mann hat alle gestohlen.« Die Erklärung des Superintendent war, daß sie so hinter Alkohol her seien, daß sie die Decken, die sie von der Regierung bekamen, und sogar ihre Kleidung verkauften, um an Schnaps zu kommen. Aber hätte man sie nicht ein bißchen schützen können?
    Die Gärten, früher gerühmt, waren nicht mehr da. Es gab kein Zeichen von Lesestoff in den armseligen Hütten. Dem Anschein nach wurde in großen runden Töpfen gekocht, die mitten in jeder Hütte standen. Mehrfach beobachtete ich, wie die Hunde einen Topf ausleckten, denn Mensch und Tier teilten Tisch und Bett. Die wöchentlichen Rationen betrugen zu der Zeit 6,3 kg Fleisch, 4,4 kg Mehl, knapp 100 g Tee, 450 g Zucker, knapp 100 g Seife, 60 g Salz und knapp 100 g Tabak. Als Kleidung gab es eine Zuteilung von einem Stück blauen Serge, 3,5 mal 1,5 m groß, aus dem sie eine Art loses Kleidungsstück machten. Ein Unterrock aus Flanell, eine rote Mütze, ein Taschentuch, ein Wollschal, Baumwollkittel und Jacke sollten verteilt werden, und ich sah auch einige im Lager. Taschentücher waren offensichtlich nicht in Gebrauch. Wenn Besuch erwartet wurde, wurden die Aborigines ausreichend ausgestattet. Einmal war dünner Baumwollstoff für Hemden ausgeteilt und zweifelsohne auch in Gebrauch genommen worden. Jacken aus Stoff mit Punktmuster wurden nur bei besonderen Anlässen getragen.
    Als ich eine Bemerkung machte wegen der Armseligkeit der Kleidung und der elenden Erscheinungen bei solchem Wetter, wurde die Klage wiederholt, daß sie Kleidung für Schnaps eintauschten, obwohl alles sogar mit einem Stempel der Regierung versehen war.
    Zu Zeiten des Gouverneurs Denison ging es ihnen besser, wie sie mir selbst sagten, denn er kam sie häufig besuchen, brachte einige Familienmitglieder mit und ein Paket Spielzeug, Murmeln und Bälle. Er packte sein Schätze aus, spielte mit ihnen, sogar Bockspringen machte er mit, und es gab viel Spaß und zum Schluß etwas Gutes zu essen. Lady Denison kam manchmal mit einer Gruppe Damen vorbei und nahm dann zur Abwechslung Eingeborene in der Kutsche mit in die Stadt. Seine Exzellenz hat auch manchmal eine Kutsche geschickt, um einige zum Essen im Government House abzuholen; hinterher gab es dann ein lustiges Stück im Theater. Dr. Nixon, der gelehrte und leutselige Bischof, kam oft zu Besuch und gab ihnen geistlichen Rat, vergaß aber nie, etwas Eßbares mitzubringen. Ein Korb voller Äpfel und ein freundliches Lächeln ließen aufmerksame Zuhörer erscheinen. Daß der Gouverneur nicht mehr da war und der Bischof lange Zeit krank, hatte dann der Aborigines Tage verdunkelt.
    Sie sprachen offen von ihren Freunden, wollten aber auch das eine oder andere Wort über den Krieg gegen die Schwarzen und den Kummer, der daraus entstanden war, nicht ungesagt sein lassen. Die »bösen weißen Männer« kamen in ihren Erzählungen häufig vor. Sie verfolgten sie immer noch, stahlen ihre Kleider und machten sie betrunken.
    Ihre Bewegungsfreiheit war nicht eingeschränkt. Kein Zaum umgab das Gelände, und sie konnten jederzeit im Busch umherziehen. Manchmal blieben sie ein paar Tage weg, und wenn sie wiederkamen, ging es ihnen gesundheitlich besser. Die Krankheiten, die sie plagten, entstanden aus Erkältungen, die unbehandelt blieben. Walter nahm mich mit zu einem eingefriedeten Stück Land, das als Friedhof diente. Der war überhaupt nicht romantisch, und er gab einem sehr zu denken.
    Die moralische Verfassung der Leute wurde von Maryann, Walters Mischlingsfrau, sehr ungehalten beklagt. »In Flinders«, sagte sie, »hatten wir Seelen, aber hier haben wir keine. In Flinders hat man sich um uns gekümmert, und die bösen Weißen wurden daran gehindert, uns schlecht zu behandeln. Hier haben wir es mit dem Abschaum der Gesellschaft zu tun. Man hat uns mit dem Auswurf der Welt zusammengebracht (das bezog sich auf die ehemaligen Sträflinge). Hier gibt es schlechte Menschen jeder Art. Es ginge uns um einiges besser, wenn jemand uns aus der Bibel vorlesen und mit uns beten würde. Wir werden durch Alkohol und andere üble Dinge in Versuchung geführt, aber es gibt weder Bibel noch Gebet. Zur Nahrung für den Körper gehört auch Nahrung für die Seele. Man sollte an uns arme letzte Überlebende denken und uns glücklich machen. Aber niemand kümmert sich um uns.«
    Das ist, was ich in meinen Aufzeichnungen niedergeschrieben habe.

Bonwick, James
The Last of the Tasmanians or, the Black War of Van Diemen’s Land
London 1870; Nachdruck New York 1970
Übersetzung: U. Keller

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!