1836 - Charles Darwin
Tasmanien
30. Januar. - Die Beagle segelte nach Hobart Town in Van Diemen's Land. Am 5. Februar, nach einer Überfahrt von sechs Tagen, deren erster Teil schön, der letzte kalt und stürmisch war, kamen wir in die Mündung der Storm Bay: Das Wetter rechtfertigte diesen schaudervollen Namen. Die Bucht sollte vielmehr ein Aestuarium genannt werden, denn sie erhält in ihrem oberen Ende die Wasser des Derwent; in der Nähe der Mündung finden sich einige ausgedehnte basaltische Plateaus, aber höher hinauf wird das Land bergig und von einem lichten Wald bedeckt. Die unteren Teile der Berge, welche die Bucht umgeben, sind abgeräumt, und die hellgelben Getreidefelder und dunkelgrünen Kartoffelfelder schienen sehr üppig zu stehen.
Spät am Abend ankerten wir in der netten kleinen Bucht, an deren Ufer die Hauptstadt von Tasmanien liegt. Der erste Anblick stand dem von Sydney deutlich nach. Das letztere kann eine große Stadt genannt werden, dies hier nur ein Städtchen. Es steht am Fuß des Mount Wellington, welcher 3.100 Fuß hoch, aber von geringer Schönheit ist. Aus dieser Quelle indes erhält die Stadt einen guten Vorrat von Wasser. Rund um die Bucht liegen einige schöne Lagerhäuser und auf der einen Seite eine kleine Festung. Wenn man von den spanischen Kolonien kommt, wo eine so prachtvolle Sorgfalt im allgemeinen auf die Befestigungen verwendet wird, erscheinen die Verteidigungsmittel in diesen Kolonien hier sehr verächtlich. Vergleicht man die Stadt mit Sydney, so wird man hauptsächlich durch die vergleichsweise geringe Zahl von größeren Häusern überrascht, die entweder gebaut oder im Bau begriffen sind. Nach der Volkszählung von 1835 hat Hobart Town 13.826 Einwohner und das ganze Tasmanien 36.505.
Sämtliche Ureinwohner sind auf eine Insel in der Bass-Straße gebracht worden, so daß Van Diemen's Land den großen Vorteil genießt, frei von einer eingeborenen Bevölkerung zu sein. Dieser äußerst grausame Schritt scheint völlig unvermeidlich gewesen zu sein und das einzige Mittel, einer fürchterlichen Kette von Räubereien, Brandstiftungen und Ermordungen, welche die Schwarzen begangen, ein Ende zu setzen; Verbrechen, welche früher oder später damit geendet hätten, daß die Schwarzen gänzlich ausgerottet worden wären. Ich fürchte, es besteht kein Zweifel, daß dieses ganze Übel darin seinen Ursprung hatte, daß einige unserer Landsleute sich ganz schmählich betragen haben. Dreißig Jahre sind eine kurze Periode, um auch den letzten Ureinwohner von seiner Mutterinsel verbannt zu haben, noch dazu, da die Insel fast so groß ist wie Irland! Die Korrespondenz über diesen Gegenstand, welche zwischen der Regierung in England und der von Van Diemen's Land stattfand, ist sehr interessant. Obgleich eine große Zahl von Eingeborenen in den Gefechten, welche mit Zwischenräumen mehrere Jahre hindurch stattfanden, erschossen und zu Gefangenen gemacht wurde, so scheint sie doch nichts von unserer überwältigenden Kraft überzeugt zu haben, bis die ganze Insel im Jahre 1830 unter das Standrecht gestellt und gleichzeitig durch öffentlichen Aufruf die ganze Bevölkerung aufgefordert wurde, bei dem großen Versuch, die eingeborene Rasse ganz und gar in Sicherheit zu bringen, die Regierung zu unterstützen. Der dabei befolgte Plan war dem bei den großen Jagden in Indien befolgten ähnlich: Es wurde eine quer durch die Insel reichende Kette gebildet mit der Absicht, die Eingeborenen auf Tasmans Halbinsel in eine Sackgasse zu treiben. Der Versuch schlug fehl. Die Eingeborenen hatten ihre Hunde angebunden und sich während einer Nacht durch unsere Vorpostenlinien durchgeschlichen. Dies ist durchaus nicht überraschend, wenn man ihre geübten Sinne und die gewöhnliche Art und Weise, wilde Tiere zu beschleichen, in Betracht zieht. Mir ist versichert worden, daß sie sich auf beinahe nackter Erde verbergen können, und zwar in einer Art und Weise, welche kaum zu glauben ist, bis man selbst Zeuge davon wird. Die dunkelfarbigen Körper werden dabei leicht für die angeschwärzten Holzklötze genommen, welche über das ganze Land verstreut sind. Man hat mir von einer Wette erzählt zwischen einer Anzahl von Engländern und einem Eingeborenen, welcher am Abhang eines kahlen Berges in voller Länge dastehen sollte; wenn die Engländer ihre Augen für eine kürzere Zeit als eine Minute schließen wollten, so wollte er sich niederducken und sie sollten nicht imstande sein, ihn von den umgebenden Klötzen zu unterscheiden. Aber um auf unsere Jagdgeschichte zurückzukommen, die Eingeborenen, welche diese Art von Kriegführung wohl verstanden, waren in fürchterlicher Unruhe, denn sie erkannten sofort die Gewalt und die Zahl der Weißen; kurze Zeit danach kam ein aus dreizehn Mann bestehender Trupp, welcher zu zwei Stämmen gehörte, und übergab sich in Verzweiflung den Weißen im vollen Bewußtsein des ganz schutzlosen Zustandes. Später wurde durch die unerschrockenen Bemühungen des Mr. Robinson, eines tätigen, wohlwollenden Mannes, welcher in eigener Person furchtlos die feindlichsten Eingeborenen besuchte, die ganze Bevölkerung veranlaßt, in ähnlicher Weise zu handeln. Sie wurden dann nach einer Insel gebracht, wo sie mit Nahrung und Kleidung versorgt wurden. Graf Strzelecki führt an, daß zur Zeit ihrer Deportation im Jahre 1835 die Zahl der Eingeborenen sich auf 210 belief. Im Jahre 1842, also nach Verlauf von sieben Jahren, zählte man nur noch vierundfünfzig Individuen, und während eine jede Familie im Innern von Neu-Süd-Wales, die nicht durch die Berührung mit den Weißen infiziert worden war, eine Menge Kinder hatte, hatten die auf der Flinders-Insel während acht Jahren nur eine Zunahme von vierzehn Kindern.
Die Beagle blieb hier zehn Tage, und während dieser Zeit machte ich mehrere angenehme kleine Ausflüge hauptsächlich zu dem Zweck, den geologischen Bau der unmittelbaren Umgebung zu untersuchen. Die hauptsächlichsten Punkte von Interesse bestehen erstens in einigen außerordentlich reichen fossilführenden Schichten, welche zur devonischen und Kohlenperiode gehören, zweitens in den Beweisen für eine neuerdings eingetretene geringe Erhebung des Landes und endlich in einem vereinzelten und oberflächlich gelegenen Flecken von gelblichem Kalkstein oder Travertin, welcher zahlreiche Eindrücke von Baumblättern zusammen mit Gehäusen von Landschalentieren enthält, welche beide jetzt nicht mehr existieren. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß dieser kleine Steinbruch den einzigen noch übrigen Bericht der Vegetation von Van Diemen's Land während einer früheren Periode enthält.
Das Klima ist hier feuchter als in Neu-Süd-Wales, und daher ist das Land fruchtbarer; der Ackerbau blüht, die angebauten Felder sehen gut aus, und in den Gärten sind Mengen von gut gedeihendem Gemüse und von Fruchtbäumen. Einige der an wohlgeschützten Stellen stehenden Farmhäuser hatten ein sehr anziehendes Aussehen. Der allgemeine Anblick der Vegetation ist der von Australien ähnlich; vielleicht ist er ein wenig grüner und anheimelnder, wie auch die Weide zwischen den Bäumen im ganzen etwas reichlicher ist. Eines Tages machte ich einen langen Spaziergang auf der der Stadt gegenüberliegenden Seite der Bucht; ich fuhr in einem Dampfboot quer über die Bucht, von denen zwei beständig hin- und herfahren. Die Maschine eines dieser Fahrzeuge war gänzlich hier in der Kolonie fabriziert worden, welche von dem Tage ihrer Gründung an damals nur dreiunddreißig Jahre zählte! An einem anderen Tag bestieg ich den Mount Wellington. Ich nahm einen Führer mit mir, denn bei einem ersten Versuch verirrte ich mich wegen der Dichte des Waldes. Unser Führer war indes ein dummer Kerl und führte uns nach der südlichen und feuchten Seite des Berges, wo die Vegetation sehr üppig war und von wo aus die Besteigung wegen der Anzahl verfaulter Baumstämme beinahe ebenso mühsam und beschwerlich war wie die auf einem Berge in Feuerland oder in Chiloe. Es kostete uns fünfeinhalb Stunden strengen Kletterns, ehe wir den Gipfel erreichten. An vielen Stellen wuchs Eukalyptus zu einer bedeutenden Größe und bildete einen noblen Wald. In einigen der feuchtesten Schluchten gediehen Baumfarne in einer ganz außerordentlichen Art und Weise; ich sah einen, welcher bis zu der Basis der Wedel wenigstens zwanzig Fuß hoch gewesen sein muß und der im Umfang genau sechs Fuß maß. Die äußerst elegante Sonnenschirme bildenden Wedel brachten einen dunklen Schatten hervor wie in der ersten Abendstunde. Der Gipfel des Berges ist breit und flach und wird von ungeheuren eckigen Massen nackten Grünsteins gebildet. Seine Erhebung beträgt 3.100 Fuß über dem Meeresspiegel. Der Tag war prachtvoll klar, und wir genossen eine weit ausgedehnte Aussicht. Nach Norden erschien das Land wie eine Masse bewaldeter Berge von ungefähr derselben Höhe wie der, auf dem wir standen, und mit einer ebenso sanften Kontur. Nach Süden lag das vielfach durchbrochene Land und das Wasser, welches viele verwinkelte Buchten bildete, deutlich wie eine Landkarte vor uns. Nachdem wir einige Stunden auf dem Gipfel geblieben waren, fanden wir einen besseren Weg zum Hinabsteigen, erreichten aber die Beagle nicht vor acht Uhr abends nach einem Tag harter Arbeit.
Darwin, Charles
Reise eines Naturforschers um die Welt
Stuttgart 1875
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000