1802 - François Péron
Französische Besucher auf Tasmanien
Um neun Uhr fuhren wir an der kleinen Insel vorbei, welche zunächst dem Eingang des Hafens liegt, und deren Oberfläche ganz mit Grün, Gesträuchen und Bäumen bedeckt ist, so daß sie einem hübschen Lustwalde gleicht. Um halb zehn Uhr waren wir an dem Eingange des Schwanenhafens. Eine malerisch-schönere, angenehmere Stelle habe ich auf der ganzen langen Reise nicht gesehen. Den Hintergrund der Ansicht des Hafens bilden sieben Gebirgsrücken, die sich stufenweise hintereinander gegen das Innere der Insel hin erheben; rechts und links fassen hohe Hügel den ganzen Hafen ein, und ihre Zweige laufen in hübsch abgerundete Vorgebirge aus und bilden romantische Buchten. Überall zeigt sich die üppigste Vegetation; immergrüne, starke, hochstämmige Bäume bedecken die Ufer und stehen so dicht beisammen, daß es beinah unmöglich ist, in die Wälder einzudringen, die sie bilden. Zahllose Schwärme von kostbar befiederten Papageien und Kakadus flattern um die Wipfel, und die schönen Meisen mit ultramarinblauen Kragen scherzten unter ihren Zweigen. Der Wasserspiegel des Hafens war vollkommen ruhig, und ganze Legionen von schwarzen Schwänen schwammen stattlich herum.
Während uns die süße Betrachtung des reizenden Naturgemäldes, das vor uns aufgestellt war, ganz beschäftigte, zog uns ein Geschrei davon ab, daß uns von dem rechten Ufer des Hafens, welchem wir am nächsten waren, entgegenschallte. Wir wandten unsere Blicke dahin und sahen zwei Wilde, die beide durch gewaltige Gestikulationen Erstaunen und Verwunderung ausdrückten. Der eine trug eine Art Fackel von brennender Rinde in der Hand. Wir beantworteten ihr Schreien, aber da wir uns dem Ufer zu näher suchten, so erwarteten sie uns nicht, sondern flohen in den Wald und verschwanden.
Wir setzten unsere Fahrt weiter fort bis in eine kleine Bucht, in deren Hintergrund sich ein hübsches Tal zeigte, das irgendeinen Bach von süßem Wasser zu enthalten schien; deswegen entschloß sich Herr Freycinet [einer der Offiziere], hier zu landen. Kaum waren wir ans Ufer gestiegen, als sich uns zwei Eingeborene auf einem beinahe senkrecht abgeschnittenen Hügel darstellten. Wir winkten ihnen freundschaftlich zu, und sogleich sprang einer, man hätte sagen können, er stürzte sich von dem Felsen herab, und in einem Augenblick war er bei uns. Er war ein junger Mensch von 22 bis 24 Jahren von durchgehend starkem Körperbau, nur hatte er den seiner ganzen Nation gemeinschaftlichen Fehler, nämlich dünne Arme und dünne Beine. In seiner Gesichtsbildung war nichts düsteres oder wildes; seine Augen waren lebhaft und geistreich, und seine Miene drückte zugleich Wohlwollen und Erstaunen aus. Herr Freycinet umarmte ihn, und sich tat desgleichen; aber die Gleichgültigkeit, mit welcher er dieses Freundschaftszeichen annahm, beweis uns, daß es für ihn keine Bedeutung habe. Was ihn zuerst am meisten zu interessieren schien, war die weiße Farbe unserer Haut; um sich zu überzeugen, ob sie am ganzen Leibe dieselbe sei, öffnete er uns nacheinander die Weste und das Hemd, und da er sie überall gleich fand, so drückte er sein Erstaunen durch Aufschreien und besonders durch ein äußerst lebhaftes Stampfen mit den Füßen aus.
Inzwischen schien unsere Schaluppe noch mehr seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen als unsere Personen. Nachdem er sie einige Augenblicke betrachtet hatte, schien er ganz in die Untersuchung dieses neuen Gegenstandes vertieft zu sein. Die Dicke der Planken und Spanten, die Dauerhaftigkeit der Bauart, das Steuerruder, die anderen Ruder, die Masten und Segel, alles besah er sich genau, stillschweigend und mit der angestrengtesten Aufmerksamkeit, welche das unzweideutige Kennzeichen der Teilnahme und des überlegten Erstaunens ist. In diesem Augenblick wollte einer unserer Bootsleute wahrscheinlich sein Erstaunen noch höher spannen und bot ihm eine Glasflasche, mit Arrack gefüllt, der zu unseren Lebensmittel-Rationen gehörte. Der Glanz des Glases überraschte den Wilden so sehr, daß er einen lauten Schrei ausstieß, als er die Bouteille in die Hand nahm; er besah sie aber nur einige Augenblicke, und da die Schaluppe seine Aufmerksamkeit weit mehr anzog, so schleuderte er sie als ein Ding, das ihn nur von wichtigeren Betrachtungen abhielt, ins Meer hinaus, und setzte seine Untersuchung ruhig fort. Weder das Geschrei des Matrosen, der sich über den Verlust der Arrackflasche ärgerte, noch die Eile, mit welcher ein anderer ins Meer sprang, um sie wieder aufzufischen, schienen den mindesten Eindruck auf ihn zu machen. Er versuchte mehrere Male, die Schaluppe vom Land abzustoßen; aber da das Tau, womit sie angelegt war, seine Bemühungen vergeblich machte, so gab er sie endlich auf, und kam wieder zu uns an Land, nachdem er uns das auffallendste Beispiel von der Aufmerksamkeit und dem Nachdenken eines Wilden gegeben hatte, das uns je vorgekommen war.
Herr Freycinet und ich stiegen nun den erwähnten Hügel hinan, auf welchem wir den zweiten Eingeborenen, einen alten Mann von etwa 50 Jahren, fanden, dessen Bart und Haare zum Teil grau waren. Seine Gesichtsbildung war offen und frei; zwischen einigen unzweideutigen Merkmalen von Angst und Schrecken schimmerte jedoch Gutherzigkeit und Biederkeit hindurch. Dieser Alte betrachtete und betastete uns mit gleichem Erstaunen und Vergnügen wie der Junge; er öffnete unsere Westen und Hemden, um die Haut auf unserer Brust zu besehen; dann winkte er zwei Weibern, die sich in einiger Entfernung hielten, herbeizukommen. Sie zögerten einige Augenblicke; doch näherte sich uns hierauf die ältere, und die jüngere, die weit erschrockener und furchtsamer schien, folgte ihr nach. Jene mochte ungefähr 40 Jahre alt sein; breite Runzeln auf der Haut ihres Bauches waren unverkennbare Zeichen, daß sie schon mehrere Kinder geboren hatte; sie völlig nackt, und schien, so wie der Alte, gut und wohlwollend zu sein. Die junge Frau, die ungefähr 26 bis 28 Jahre alt zu sein schien und einen ziemlich robusten Körperbau hatte, war ebenfalls ganz nackt, bis auf ein kleines Känguruhfell, worin sie ihr kleines Mädchen trug, das sie noch stillte. Ihre Brust, obgleich schon etwas welk, war gut geformt, und schien reichlich mit Milch versehen zu sein. Diese junge Frau hatte wie die beiden Alten, für deren Tochter wir sie hielten, eine interessante Physiognomie; ihre Augen hatten viel Ausdruck und etwas Geistreiches, das wir später bei keinem Zweige dieses Volkes wieder gefunden haben. Sie äußerte sehr viel Liebe für ihr Kind, und ihre mütterliche Sorgfalt war so zärtlich, wie sie immer bei unverdorbenen Weibern ist.
Herr Freycinet und ich wetteiferten, diese gute, interessante Familie mit Geschenken zu überhäufen; aber alles, was wir diesen Leuten anboten, wurde mit einer Gleichgültigkeit aufgenommen, die uns sehr auffiel; die wir aber nachher noch öfters bei Individuen derselben Menschenrasse wahrzunehmen Gelegenheit hatten.
Da nun Herr Freycinet sobald wie möglich unsere Vermutungen wegen des Daseins eines Süßwasserbaches im Grunde des Tales, das vor uns lag, zu bestätigen suchte, so ging er deshalb mit einigen Leuten fort; Herr Lesueur zog in den Wald auf die Jagd, und ich blieb bei den Wilden zurück, um sie noch weiter zu beobachten und ihre physische Konstitution zu untersuchen, und um einige Wörter ihrer Sprache zu erlernen. Da der junge Mann sah, daß unsere Matrosen Feuer anmachen wollten, so eilte er, Baumzweige um uns einzusammeln, und dann ergriff er eine Art von Fackel, die er nicht weit von dem Orte, wo wir uns befanden, niedergelegt hatte, und in wenigen Augenblicken verschaffte er uns ein sehr großes Feuer, das uns um so mehr Vergnügen machte, da das Thermometer sich kaum auf 9° C halten konnte. In diesem Augenblicke hatte die junge Frau einen Schrecken, dessen Ursache zwar lächerlich scheint, aber nicht zu übergangen werden verdient. Nämlich einer unserer Matrosen hatte gefütterte Handschuhe an, die er auszog und in die Tasche steckte, als er sich dem Feuer näherte; bei diesem Anblick tat die junge Frau einen so lauten Schrei, daß wir anfangs dadurch beunruhigt waren; bald aber erkannten wir, was ihr Entsetzten veranlaßt hatte: sie hielt, wie sich aus ihren Gebärden und Zeichen schließen ließ, die Handschuhe für doppelte Hände oder wenigstens für eine zweite Haut, die man von der unteren abstreifen konnte. Wir lachten herzlich über diesen sonderbaren Irrtum; aber unser Lachen hörte bald auf, als uns der Alte sogleich eine Arrackflasche wegnahm, die wir nicht missen konnten da sie einen Teil unseres Vorrats an Lebensmitteln ausmachte, und die er uns demnach zurückgeben mußte; dies machte ihn, wie es schien, ärgerlich; denn er zog bald darauf mit seiner Familie ab, so dringend ich ihn auch bat, noch länger zu verweilen.
Nun ging ich wieder an das Ufer herab; das Meer stand niedrig, und in weniger als zwei Stunden sammelte ich mehr als vierzig neue Arten von sogenannten Weichtieren oder Mollusken, Muscheln, Schalentieren und Fischen.
Als ich zu unserer Schaluppe zurückkam, erfuhr ich von Herrn Freycinet, daß er vergebens den mühsamen Weg das Tal hinauf gemacht und lange fortgesetzt, aber auch nicht die mindeste Spur von süßem Wasser gefunden habe. Herr Lesueur war dagegen in seinen Bemühungen glücklicher gewesen, denn er hatte Vögel von zwölferlei Arten mitgebracht; darunter waren außer drei Arten von Papageien auch die bereits erwähnte Meise mit blauem Kopf und Kragen. Da die Matrosen während unserer Abwesenheit unser kärgliches Mahl zubereitet hatten, so aßen wir eiligst und fuhren ab, um einen Teil des Ufers zu besuchen, wo wir süßes Wasser zu finden hofften. Wir kamen bald zu einer Hütte von Eingeborenen; es war bloß ein halbrunder Windschirm von Baumrinden, der von einigen dürren Ästen gestützt wurde; er schien keinen anderen Zweck zu haben, als gegen die ungestümsten Winde zu schützen, die hier gewöhnlich aus Südwesten wehen, weswegen das armselige Obdach seinen Rücken jener Gegend zukehrte. Vor dieser elenden Hütte fanden wir die Überreste eines kürzlich erst ausgelöschten Feuers; und nicht weit davon lagen großen Haufen von Austernschalen und riesenhaften Ohrschnecken (Haliotis gigantes), die einen fauligen, ekelhaften Geruch ausdünsteten, weil wahrscheinlich noch Reste von Tieren in denselben waren. Am Rande des Ufers lagen zwei Pirogen (Kähne von Wilden), deren jede aus drei plump zusammengefügten Rollen von Rinden bestand und von Riemen derselben Art zusammengehalten wurden. Herr Lesueur hat diese rohen Kunstprodukte abgezeichnet.
Diese Hütte, dieses kürzlich erst erloschene Feuer, diese Muscheln und Pirogen ließen uns keinen Zweifel darüber, daß die Familie, mit welcher wir soeben eine Zusammenkunft gehabt hatten, diesen Teil des Ufers bewohne; auch dauerte es wirklich nicht lange, so sahen wir sie längs dem Strande zu uns herkommen. Sobald sie uns erblickten, erhoben sie ein großes Freudengeschrei und verdoppelten ihre Schritte, um desto schneller zu uns zu gelangen. Ihre Zahl war nun mit einem Mädchen von 16 bis 17 Jahren, einem von 4 bis 5, und einem kleinen Mädchen von 3 bis 4 Jahren vermehrt. Sie bestand demnach aus neuen Personen, von welchen die beiden ältesten Vater und Mutter, der junge Mann und seine Frau Eheleute und zugleich Geschwister, das junge Mädchen die Schwester, und die Kleinen die Kinder derselben zu sein schienen.
Diese Familie kam soeben vom Fischfang zurück, der wohl ergiebig gewesen sein mochte; denn beinahe alle waren mit großen Seeohrschnecken beladen, von der Art, welche diesen Ufern eigen ist. Der Alte nahm den Herrn Freycinet bei der Hand und winkte uns, ihm zu folgen; er führte uns zu der erbärmlichen Hütte, die wir soeben verlassen hatten. Das Feuer wurde in einem Augenblicke wieder angezündet; man rief uns zu wiederholten Malen zu: Medi, medi (setzt euch, setzt euch); wir setzten uns; die Wilden kauerten sich auf ihre eigenen Fersen nieder, und jeder machte nun Anstalt, den Ertrag der Fischerei zu verzehren. Die Zubereitung des Essens erforderte weder lange Zeit noch viel Mühe. Die großen Schnecken wurden auf das Feuer gesetzt, das Tier wurde in seiner eigenen Schale gebraten, und dann ohne weitere Würze oder Zubereitung verschluckt. Wir kosteten auch von den auf diese Weise zubereiteten Schnecken und fanden sie zart und saftig.
Während unsere guten Van-Diemensländer ihr einfaches Mahl verzehrten, gerieten wir auf den Einfall, ihnen etwas vorzusingen, nicht nur, um sie zu belustigen, als auch, um zu sehen, welchen Eindruck der Gesang auf ihre Organe und ihren Geist machen würde; wir stimmten daher das Lied an, das so ganz dazu gemacht ist, den Enthusiasten zu entflammen, ob es gleich in der Revolution so herabgewürdigt worden ist [die Marseillaise]; denn wir hielten es für unsren jetzigen Zweck am passendsten. Im ersten Augenblick schienen die Wilden mehr bestürzt als erstaunt zu sein; doch bald erholten sie sich von der ersten Überraschung und hörten nun aufmerksam zu; das Essen wurde aufgeschoben; ihre Zufriedenheit drückte sich durch so seltsame Gesichtsverdrehungen aus, daß wir kaum das Lachen darüber verbeißen konnten, und sowie eine Strophe beendet war, brachen sie in laute Beweise ihres aufgereizten Feuereifers aus, die sie inzwischen nur mit Mühe zurückgehalten hatten, und alle schrien vor Entzücken; besonders machte dieser Gesang auf den jungen Mann einen gewaltigen Eindruck; er war beinahe außer sich; er riß sich bei den Haaren, kratzte mit beiden Händen am Kopfe, machte mancherlei Bewegungen und schrie dabei lange laut auf. Nachdem wir diesen ergreifenden Kriegsgesang beendet hatten, sangen wir einige von unseren leichten, zärtlichen Liedchen; die Wilden schienen zwar den Sinn derselben zu fassen; aber wir sahen bald, daß solche Töne ihre Organe allzu wenig erschütterten.
Nachdem nun die Mahlzeit beendet war, die wir durch unseren Gesang unterbrochen hatten, wurde die Szene plötzlich interessanter. Das junge Mädchen (sie hieß Ureh-Ureh) zeichnete sich immer mehr durch die sanftesten Gesichtszüge so wie durch den ebenso zärtlichen als geistreichen Ausdruck ihrer Blicke aus; sie war wie ihre Eltern völlig nackt; aber sie schien gar nicht zu ahnen, daß man in dieser vollständigen Nacktheit irgend etwas Unanständiges oder Unschickliches finden könnte; sie war schwächer gebaut als ihre Schwester und ihr Bruder; aber sie war auch lebhafter und leidenschaftlicher als diese. Herr Freycinet, welcher neben ihr saß, schien hauptsächlich der Gegenstand ihrer Schäkereien zu sein, und das ungeübteste Auge würde in den Blicken dieses unschuldigen Naturkindes jenen feinen Ausdruck entdeckt haben, der dem einfachen Scherz einen ernsteren und mehr durchdachten Anstrich gibt. Auch die Koketterie mischte sich mit ins Spiel. Ureh-Ureh lehrte uns zum ersten Mal die hierzulande übliche Schminke kennen. Sie nahm nämlich einige Kohlen, zerdrückte sie zu sehr feinem Staube und rieb sich Stirn und Backen damit, so daß sie in einem Augenblick schwarz wie eine Teufelsmaske war. Nun blickte sie uns triumphierend und mit innigstem Selbstgefallen an. So ist denn also Putzsucht und Koketterie den Weibern angeboren!
Während dies alles vorging, hatten die kleinen Kinder auch an allem teilgenommen und die Gebärden und Gesichtsverdrehungen der Alten nachgemacht; was uns aber am meisten auffiel, war, daß sie bei unserm Gesang vor Freuden mit den Füßen trampelten; sie waren allmählich mit uns vertraut geworden, und am Ende nahmen sie sich bei uns Freiheiten heraus, als ob sie schon lange mit uns bekannt wären; jedes kleine Geschenk, das wir ihnen machten, erregte großes Vergnügen bei ihnen und reizte sie, ihre Zudringlichkeit zu verdoppeln; es waren lustige, lebhafte, schelmische Kinder, gerade so, wie auch bei uns die Kinder in diesem Alter sind. Ebenso ergibt sich aus unseren Beobachtungen auch die Bemerkung, daß der Charakter der Weiber wie der Kinder weit weniger durch den Einfluß des Klimas oder der physischen Bedürfnisse und der Verfeinerung des gesellschaftlichen Lebens verändert wird als der Charakter der Männer.
Die Gerätschaften und Werkzeuge dieser Familie waren ebenso einfach wie wenig zahlreich. Ein Blatt von handförmigem Tang (Fucus palmatus), das an beiden Enden vermittelst eines hölzernen Pflöckchens umgestülpt war, vertrat die Stelle eines Trinkgeschirrs; ein abgebrochener Granatsplitter diente statt des Messers, um die Rinde von den Bäumen abzuschälen, und zum Schärfen der Sagajen [Speere]; ein hölzerner Spatel wurde insbesondere zum Ablösen der Muscheln und Schnecken von den Klippen gebraucht. Ureh-Ureh allein trug einen Sack von Binsen so niedlich und sonderbar geflochten, daß ich ihn zu haben wünschte. Da dieses junge Mädchen sich auch gegen mich besonders freundlich betrug, so wagte ich es, um diesen Sack zu bitten; sogleich und ohne sich zu bedenken gab sie ihn mir in die Hand und begleitete dies Geschenk mit einem verbindlichen Lächeln und einigen zärtlichen Worten, welche nicht zu verstehen mir sehr ärgerlich war; ich gab ihr dagegen ein Halstuch und ein Hammerbeil, dessen Gebrauch ich ihrem Bruder wies, worüber die ganze Familie in Erstaunen geriet und laut aufschrie.
Inzwischen rückte die Nacht heran, und wir brachen auf, um mit unserer Schaluppe noch tiefer in den Hafen hineinzusegeln, wo wir übernachten wollten. So wie unsere neuen Freunde unseren Entschluß bemerkten, standen sie alle auf, um uns zu begleiten; aber auf die Vorstellung des Alten blieben die beiden Weiber und die Kinder, die ältere ausgenommen, in der Hütte zurück; die übrigen gingen mit uns; Herr Freycinet nahm die Ureh-Ureh am Arm, ich den Alten, Herr Lesueur den Sohn, und Herr Brue, unser Seekadett, führte das Kind. Unser Weg war so sehr mit Gebüsch und Stauden bewachsen, daß die armen Wilden, da sie ganz nackt waren, viel davon leiden mußten; die junge Ureh-Ureh erregte besonders unser Mitleid, da sie an den Schenkeln und am Leibe sehr stark von den Zweigen geritzt wurde. Sie tat aber nicht, als ob sie etwas davon empfände, sondern schritt immer rasch durch die Gebüsche vorwärts und plauderte mit Herr Freycinet, ohne daß sie hoffen durfte, von ihm verstanden zu werden, und da sie endlich darüber ungeduldig wurde, so begleitete sie ihre Reden mit neckischen Gebärden und süßem Lächeln, dem die Koketterie nicht mehr Ausdruck hätte geben können.
Als wir unserem Landungsplatze nahe kamen, hörten wir einige Flintenschüsse fallen, die unsere biederen Begleiter in großen Schrecken setzten; besonders war die gute Ureh-Ureh so sehr erschrocken, daß sie heftig zitterte, und Herr Freycinet viele Mühe hatte, sie zu beruhigen; die Angst vergrößerte sich noch, als eine beträchtliche Zahl von der Mannschaft der Naturaliste herbeikam, die uns entgegenging, und die wir nicht erwartet hatten. Es waren die Herren L. Freycinet, Faure, Breton und Bailly, welche den Nachforschungshafen untersucht hatten, und da sie ebenso wenig wie wir süßes Wasser finden konnten, hierher gekommen waren. Wir meldeten nun diesen Herren, wie freundschaftlich uns die Wilden empfangen, und sie überhäuften diese nun ebenfalls mit Geschenken, von welchem aber keines so viel Eindruck machte als ein langer roter Federbusch, welchen Herr Breton der jungen Ureh-Ureh darreichte. Sie hüpfte vor Freunde; sie rief ihren Vater und ihre Brüder herbei; sie schrie, sie lachte, kurz, sie schien vor Entzücken über das große Glück ganz trunken zu sein.
Wir gingen nun an das Ufer hinab und stiegen in unsere beiden Schaluppen; die guten Van-Diemensländer wichen keinen Augenblick von uns, und als sie uns in das Meer hinausstechen sahen, drückten sie ihren Schmerz über unsere Entfernung auf die rührendste Weise aus; sie winkten uns, wieder zu ihnen zu kommen, und zündeten auf dem erwähnten Hügel ein großes Feuer an, als ob sie uns den Ort ihres Aufenthaltes anzeigen wollten; auch blieben sie wahrscheinlich die ganze Nacht dabei; denn wir sahen das Feuer bis zu Tagesanbruch brennen.
So endete unsere erste Zusammenkunft mit den Van-Diemensländern. Alles was ich hier davon erzählt habe, ist in jedem einzelnen Umstand wahr; ich konnte dem Vergnügen nicht widerstehen, diese rührenden Szenen ganz auszumalen.
Péron, François
Entdeckungsreise nach Australien
in: Bibliothek der neusten und wichtigsten Reisbeschreibungen....
Weimar 1808
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000