Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1854 - Ludwig Karl Schmarda
Besuch in Wollongong
Illawarra, New South Wales

Ich erwachte gerade, als wir bei Tagesanbruch an dem kleinen Kai von Wollongong, dem Hauptort des Distrikts, anlegten. Es ist ein kleiner Ort, mit reinlichen Häusern und hübschen Gärten, verdient jedoch gar keine weitere Beachtung neben der Szenerie, die sich hinter ihm ausbreitet. Hinter den weißen Dünen, an denen die großen Wogen des blauen Meeres anschlagen, liegt eine kleine Ebene, die aber sehr bald wellenförmig sich hebt, bis hohe blaue Berge den Horizont begrenzen. Die Terrassen und Vorhügel, die in großer Zahl und in der reizendsten Perspektive sich gruppieren, sind mit frischestem Grün bedeckt. Ich ließ mir von dem Wirt ein Pferd geben, der ganz gutmütig meinte, es sei kein Renner, aber da ich das Land sehen wolle, so werde ich ohnedies nicht viel oder gar nicht galoppieren und in der Ausdauer und Ruhe des Pferdes einen reichlichen Ersatz für den Abgang der Schnelligkeit finden. Eine sehr gute, breite, macadamisierte Straße lag vor mir, und da ich kein bestimmtes Programm hatte, folgte ich ihr.
    Die Hauptkultur ist Getreide. Die Weizen- und Maisfelder standen sehr üppig, während die Ackerbauer in allen anderen Teilen der Kolonie trostlos waren über die in Aussicht stehende Mißernte. Während der Regenmangel überall fühlbar war, hatte es hier hinreichend geregnet. Die schönen waldigen Berge, die so nahe an der Küste in einem kleinen Kreisbogen zurückweichen und mit ihren Ausläufern fast den Strand berühren, schützen das Land von allen Seiten gegen die heißen Winde des Inneren und sind ein mächtiges Anziehungsmittel für alle Wasserdünste, welche der Seewind aus dem Osten bringt. Inn dieser glücklichen Berggruppierung und den basaltischen Gebirgsarten, welche den Sandstein durchbrechen und deren Verwitterungsprodukte eine an Alkalien rieche Dammerde liefern, liegt das ganze Geheimnis der Üppigkeit und Schönheit dieses kleinen Flecken Erde.
    Die Häuser stehen in großen Abständen voneinander in der Mitte ihrer Felder. Ihr glänzendes Weiß und die roten Ziegeldächer heben sich sehr hübsch aus dem lichten Grün des wallenden Saatlandes und den Gärten voll Pfirsich- und Orangenbäumen ab; Weinreben, hier und da blühende Windlinge und andere Schlingpflanzen überziehen wie grüne Gitter die Mauern. Zwischen den Feldern stehen überall noch große Baumgruppen mit einladendem Schatten darunter, und an manchen Orten steht noch eine kleine Strecke Wald, die der Ansiedler geschont hat, um sich auf lange Jahre seinen Brennholzbedarf zu sichern. In einigen dieser ehrwürdigen Waldreste zogen die luftigen Kronen der australischen Fächerpalme (Corypha australis) bald meine Aufmerksamkeit an sich, und ich folgte instinktmäßig meinen alten Erinnerungen aus der Tropenwelt und trieb, sobald ich die erste Seitenstraße erblickte, meinen Braunen, der wenig Neigung für meinen Geschmack bewies, in dieselbe hinein.
    Die Fächerpalme ist ungemein graziös, der Stamm oft über 80 Fuß hoch, gerade, aber verhältnismäßig sehr schlank, fast dünn, doch stark genug, die leichten luftigen Fächer, die im frischen Morgenwinde fröhlich rauschen, zu tragen. Die Ansiedler geben dieser Palme den Namen welche vom 32. bis 35. Grad südlicher Breite längs der Küste als eine echte Seeuferpalme, selbst im dürftigsten Sand unter der blütenreichen Scrubvegetation auftritt, aber nirgends in das Innere geht, den Namen Cabbage-tree (Kohlbaum), da die Blattknospe wie die der meisten Palmen eßbar ist. Die jungen, noch unentwickelten Fächer liefern, in heißem Wasser abgebrüht und im Schatten getrocknet, den Stoff zu jenen dauerhaften und billigen Hüten, die im Busch allgemein getragen und nur von den Panamahüten übertroffen werden.
    Die Corphyra ist jedoch nicht die einzige Palme Illawarras, denn minder schlank, aber nicht weniger schön ist die ihrem Speciesnamen Ehre machende Seaforthis elegans, die auf einem 40 bis 60 Fuß hohen Stamm einen Krone gefiederter Wedel von neun bis zwölk Fuß Länge trägt
    Mein Seitenweg führte einen Bach entlang höher in die Berge. An einer Talerweiterung wurde der Wald gerade gelichtet. Eine rohe Hütte aus gefällten Baumstämmen war nahezu vollendet und wurde mit Baumrinde gedeckt, der Kamin war noch nicht fertig, und die Frau des Ansiedlers bereitete das Frühstück im Freien. Die nächste Umgebung des Hauses war bereits ganz rein von Bäumen und Unterholz, aber in größerer Entfernung waren zwei Männer mit dem Fällen der Bäume beschäftigt und ihre Axthiebe hallten weit durch den Wald. Die Bäume wurden nahe an der Wurzel gefällt, aber in regelmäßigen Entfernungen wurden die Stämme höher oben abgehauen, so daß die vier Fuß hohen Stümpfe die Pfosten für die Einfriedigung abgeben, die Stämme dienen entweder allein oder, wenn sie schwer sind, gespalten als Querbalken. Auf dem gelichteten Grunde hatte der neue Ansiedler die zerstreuten Palmen geschont; ein Beweis, welche tiefe Sinn für die Schönheiten der Vegetation selbst in jenen Menschen wohnt, welche der Hochmut weniger Privilegierter als die ungebildeten Klassen bezeichnet. Von hier aus wurde der Weg die Höhen hinan beschwerlicher, aber immer schöner. Ungemein wohl tat es mir, eine kühle, feuchte Walsluft zu atmen, so erfrischend wie in unseren Alpentälern. Der Wald ist hochstämmig und besteht meistens aus Myrtaceen, Sapindaceen, Cedrelaceen, mit hartem, wertvollem Holz und Ficusarten, mit schwammigem, weichem, beim Trocknen schwindendem Stamm, er ist schattenreich, fast dunkel durch die dichten Laubmassen. Eucalypten sind nicht selten, bilden aber nicht mehr den vorherrschenden Bestand und werden von den hohen Bäumen mit lichtsuchenden grünen Blättern, die ein wirkliches schattenreiches Laubdach bilden, in den Hintergrund gestellt. Neben den spezifisch australischen und subtropischen Formen kommen auch tropische, milchsaftreiche Bäume wie Sapotaceen vor. Piper, Bitis und andere Schlingpflanzen ranken um die Stämme und spinnen grüne Netze von Zweig zu Zweig oder hängen in langen Festons herab. Der Wald ist nicht durchsichtig wie in den blauen Bergen, sondern dichtes Unterholz, darunter Rhamneen, Caprifoliaceen und Lorbeergewächse stehen in den Zwischenräumen der hohen Bäume, einjährige Pflanzen mit breiten saftigen Blättern, grünes Gras und krautartige Farren bedecken den Boden. Auf den Steinen wächst feuchtes Moos und Jungermanien, und die Baumstämme sind mit Orchideen, Moos und Flechten, epiphyten Farrenkräutern, darunter mit jenen schönen großen Farren (Platycerum grande) bedeckt, deren Blätter gefingert sind und wie ein korinthisches Kapitell die Stämme umgeben. An den steilen Bachufern stehen prachtvolle Baumfarren (Alsphila und Balantium) bis zwanzig Fuß hoch. Alles ist frisch, feucht und grün und glitzert von Tau, und das Wasser, das im Eukalyptuswald so selten ist, steht überall in großen Tropfen. Von den kleinen schroffen Erhöhungen am Pfade ist der Anblick der lebenstrotzenden Pflanzenwelt reizend, denn in dem dunkeln Laub, durch welches fremde Blüten und goldgelbe oder feuerrote Fruchttrauben leuchten, herrscht die größte Mannigfaltigkeit in Farbe und Form, in denen der Ansiedler oft die geliebten und bekannten Pflanzengestalten der unvergessenen Heimat zu erkennen glaubt, deren Namen er auf die Fremdlinge überträgt, unter denen er die Esche und Ahron, buch und Eiche, elbst Apfel- und Kirschbaum adoptiert hat. Der Exocarpus ist ihm die Kirsche und eine Euphoribacee die englische Stechpalme geworden; gerade so wie er in den reißenden Marsupialien die ihm bekannten Raubtiere wiedersieht. Für die frappantesten fremden Pflanzenformen hat er andere Analogien gesucht und neue Namen gefunden, die oft die hervorstechendsten Eigenschaften bezeichnen, so spricht er von Gummibäumen und und Buchsbaum ( Gum tree und Box tree, beide sind Eukalypten) und von Zypressen (Cypress pine, unter der die Callitris gemeint ist), vom Baum mit der Eisenrinde (Iron bark, eine Akazie), vom Leder- und Teebaum (Leather jacket und Tea tree). Die Bennungen sind nicht fix und bezeichnen in verschiedenen Lokalitäten oft ganz verschiedene Bäume, so alltäglich und vulgär viele sind, so haben manche etwas Zartes und die schönen roten Blüten einer unbestimmten Sapindacee werden Maiden’s blush genannt.
    Der Wald ist belebt, die gellende Stimme des Dacelo und der Lockruf der Wongawongataube werden überall gehört. Auch Säugetiere huschen über den Weg, und zwar scheuchte ich einmal ein Opossum in solcher Nähe auf, daß selbst mein geduldiger Brauner sich bis zu einem Aufbäumen verstieg.
    Nach ungefähr vierstündigem Ritt erreichte ich den Gipfel der Höhen und war erstaunt, wie die Vegetation hier sich plötzlich änderte. Es war der Anfang eines Plateaus, auf dem ich angelangt war, mit dem matten Grün der Bäume und dem fahlen Gelb der Gräser; große, ziemlich tiefe Wasserpfützen standen in Folge der letzten Regen noch umher, in denen ich einen alten europäischen Bekannten fand, ein Trompetentierchen, das unserem Stentor niger gleicht bis auf die Farbe, welche beim australischen violett ist. Diese Tierchen erscheinen auch hier, wie bei uns, gesellig, in großen Schwärmen an den dem Lichte ausgesetzten Stellen, wo sie durch ihre Masse dem Wasser eine dunklere Färbung gaben. Die Vegetation besteht weiter ins Land hinein aus Proteaceen und Myrtaceen. Ich war abgestiegen und hatte zur Vorsicht meinem Pferde die Vorderfüße mit Lederriemen gebunden, die hier mit zum Sattel und Zeug gehören und welche Hobbles genannt werden, um mich zu versichern, dass es nicht ohne mich den Rückweg suchte.
    Die Aussicht vom Rande des Plateaus ist prächtig, der Himmel ist rein und tiefblau, nur am östlichen Horizont über dem  Meer liegen einige Wolken. Das Land zu den Füßen in seinen Undulationen hat alle Farbabstufungen, vom dunkelsten Grün des Waldes, das hier und da mit Braun oder Grau untermischt ist, bis zu dem lachenden Grün der Saaten. Die Länge dieser kreisabschnittähnlichen Oase beträgt gegen 50 englische Meilen, die größte Breite ungefähr in der Mitte bei 25. Beim Hinabsteigen konnte ich den Weg nicht finden, auf dem ich heraufgekommen war. Da ich jedoch voraussetzte, daß mehrere Wege auf’s Plateau führten, folgte ich dem Rande ungefähr anderthalb Stunden lang, bis ich einen Weg fand. Ich kam nun über andere Berge, meist aus tonreichem Sandstein, hinab, fand sie aber nicht minder schön als die meines Aufganges, und so war es auf meinen Exkursionen an den folgenden Tagen. Die ebne ist überall gut angebaut und kann leicht die zehnfache Menge produzieren, wenn sie ganz in Kultur kommt, da die Dammerde überall gut und reichlich vorhanden ist. Der Meeresstrand dagegen bot wenig Ausbeute, er besteht überall aus Dünen, nur große Mengen der Physalia waren an den Strand geworfen. Wollongong, der Hauptort, hat keinen Hafen, sondern nur einen kleinen Kai, an dem ein oder zwei Schiffe anlegen können. Bei der Einschiffung fiel mir die große Menge an Salat und Gemüse auf, mehr aber die Känguruhs, die eingeschifft wurden, deren Fleisch gut ist und mit Rindfleisch verglichen wird, der Leckerbissen ist aber der große Springschwanz, der zur Bereitung von Suppen verwendet wird.

Schmarda, Ludwig Karl
Reise um die Erde in den Jahren 1853 bis 1857
Band 2, Braunschweig 1861

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