1826 - Peter Cunningham
John MacArthurs Schafe
Camden bei Sydney
Über den Razor Hill geht es nach Argyle; hat man vier Meilen zurückgelegt, so führt links ab ein Weg zu Herrn John MacArthurs großem Landgut und Schafstation. Neu-Süd-Wales verdankt diesem patriotischen Mann die Einführung der höheren Schafzucht, wodurch die Kolonie fast ihren ganzen Ruf erlangt hat, den sie genießt. Neu-Süd-Wales und Merinowolle sind in der Tat so eng miteinander verbunden, daß ich mit keinem Fremden noch von ersterem gesprochen habe, ohne daß er das zweite erwähnt hätte. Dies Produkt allein ist es, was das auswärtige Ansehen der Kolonie in neuerer Zeit begründete und den Widerwillen bekämpfte, der im allgemeinen gegen diesen Zusammenfluß des englischen Auswurfs - wie man sie zu betrachten gewohnt war - vorherrschte. Eine halbe Meile vom Fluß abwärts liegen die Gebäude auf einer Anhöhe; ein Bach mit einzelnen, an seinen Ufern angebrachten Wasserbassins fließt langsam die Schlucht herab, durch die man zu dem Wohnhaus gelangt. Die Ländereien Herrn MacArthurs, die er teils von der Regierung erhalten, teils angekauft hat und die ein zusammenhängendes Ganzes bilden, betragen mehr als 30.000 Morgen, die hauptsächlich in dünn bewaldeten, wellenförmigen und mit schönem Rasen bedeckten Hügeln bestehen, welche vortreffliche, trockene Weideplätze abgeben, und aus den fruchtbarsten Ebenen am Ufer des Flusses, welche Weizen, dem besten englischen gleich an Quantität und Qualität, und vortrefflichen Mais hervorbringen. Gegen vierhundert Morgen in der Nähe des Flusses liegende Ländereien waren gleich von Anfang an mit Wald bewachsen und von Teichen unterbrochen, welche keinen eigentlichen Abfluß hatten. Bei jedem heftigen Regen wurde diese Gegend unter Wasser gesetzt und hatte vollkommen das Ansehen einer sehr guten englischen Wiese. Ein entsprungener Deportierter entdeckte hier zuerst eine Herde wildes Rindvieh, welche von einem entlaufenen Stier und zwei Kühen herrühren, von denen man noch Abkömmlinge in ansehnlichen Herden antrifft.
Dieser Umstand veranlaßte Herrn MacArthur, sich in dieser Gegend niederzulassen, da er voraussetzte, daß jene Tiere bestimmt nicht die magersten Triften zu ihrem Aufenthalt gewählt hätten. Allein vierzig Meilen von Sydney, und zwar durch gänzlich unbewohnte Strecken davon geschieden, sich niederzulassen, erschien in damaliger Zeit so unüberlegt und verwegen, daß einige den armen Mann bemitleideten, andere über seine Torheit lachten, als er sich an den Ort seiner Wahl begab. In Kürze sahen sie jedoch das schnelle Gedeihen seiner Herden, die keine nachbarliche Einzäunung auf den vortrefflichen Weideplätzen beschränkte, und lernten einsehen, daß der Mann doch nicht so töricht gewesen sei, sondern die eigentlichen Toren ihnen selbst viel näher verwandt waren.
Indem nun Herr MacArthur erwog, auf welche Weise er seine Ländereien am vorteilhaftesten nutzen könnte, gelangte er zu der Überzeugung, daß die Merino-Schafzucht hier unter sehr günstigen Aussichten betrieben werden könne. Er fand zugleich, daß seine Wolle ein sehr guter Ausfuhrartikel nach England sei, den es bisher aus dem Ausland bezog, und entschied sich daher für die Unternehmung um so mehr, als die natürlichen Produkte des Landes ihm wenig Hoffnung auf einen vorteilhaften überseeischen Absatz zu geben schienen. Im Geiste sah er das gröbere Vieh sich auf den schönen trockenen Weideplätzen in edleres verwandeln, und die Früchte seiner klugen und wohlüberlegten Unternehmung kommen uns jetzt zugute. Von drei Mutterschafen und einem Widder, mit welchen er seinen Stamm anfing, hat er bereits mehr als zweitausend reine Merinos und verkauft noch alljährlich vierzig Widder, im Durchschnitt für siebzehn Pfund das Stück; außerdem veredelt er auch seine übrigen Schafherden durch Kreuzen, bis sie dem feineren Vieh zum Teil gleichkommen. Vor einigen Jahren versuchte Herr MacArthur sowohl die Zahl als auch Güte seiner Herden zu vermehren, indem er die stärksten und feinsten Schafe und Widder aussuchte und eine besondere Rasse aus ihnen zog, und es bleibt wohl keinem Zweifel unterworfen, daß dieser Versuch gelingen wird. Allerdings verlieren die Gattungen Zuchtvieh anfänglich in einem neuen Lande, weil man mehr auf die Menge als die Güte der einzelnen Tiere zu sehen pflegt, was erst mit dem steigenden Wert der Ländereien und der Vermehrung selbst die besondere Aufmerksamkeit der Landwirte auf sich zieht.
Den gegenwärtigen blühenden Zustand verdankt die Kolonie hauptsächlich der feinen Schafwolle, und die Schafzucht muß daher ein Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit des Kolonisten werden. Die Herden bestehen hier gewöhnlich der Zahl nach aus ungefähr dreihundert Mutterschafen oder aus vierhundert Widdern. Jede Herde hat einen besonderen Hirten, der sie bei Sonnenaufgang austreibt, nach Sonnenuntergang in die Hürden bringt und stets vor der Herde hergeht, damit sich diese langsamer und ruhiger bewege und den schwachen und kränklichen Tieren auch Zeit zum Fressen verbleibt. Im Sommer gehört es zu seinen Obliegenheiten, stets darauf bedacht zu sein, daß die Tiere während der Tageshitze hinlänglich Wasser haben und daß er sie bei zu großer Wärme so viel wie möglich in den Schatten bringe, sie dort möglichst einzeln lagern und nie zu lange auf einem Punkte ruhen lasse, weil daduch leicht Windbrüche bei den Tieren entstehen. Die Hirten führen ihre Nahrungsmittel bei sich und haben den ganzen Tag über die ihnen anvertraute Herde zu wachen. Macht man die Beobachtung, daß ein unter der ihm übergebenen Herde umhergehen kann, ohne sie zu beunruhigen, so ist dies ein für seine gute Amtsführung sprechendes Zechen. Des Nachts bringt man immer drei Herden in dicht nebeneinander stehende Hürden, über welche ein besonderer Wächter die Aufsicht hat, der die Schafe ebenso pünktlich des Abends - wie der Hirt beim Austreiben hinaus - zählt. Diesem steht ein guter Hund bei, ein kleines Wachhäuschen schützt ihn vor Regen, und ein gut unterhaltenes Feuer scheucht in der Regel die wilden Hunde von den Herden zurück, die deren einzige Feinde sind. Im November werden die Schafe geschoren und im Oktober zur Begattung der Widder zugelassen; die Lammzeit tritt an März und April ein, die dem europäischen September und Oktober gleichkommen. Das kommt daher, daß die Weideplätze im Herbst besonders gut sind, indem dann eine Art zweiter Frühling eintritt, die Lämmer leichter die Kälte als Wärme zu ertragen vermögen und weniger von den Bremsen beunruhigt werden.
Cunningham, Peter
Zwei Jahre in Neu-Süd-Wales oder: Nachrichten über den gegenwärtigen Zustand dieser Kolonie und die Vortheile, welche sie dem Auswanderer bietet …
Leipzig 1829
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000