1845 - Ludwig Leichhardt
Ein Tag in der Wildnis
Ich erhob mich gewöhnlich, wenn ich den lauten Ruf des Jackass (Dacelo gigantes) hörte, welcher seiner Pünktlichkeit wegen nicht unrichtig des Ansiedlers Uhr genannt wird. Darauf weckte ich meine Gefährten, beauftragte Brown, den Tee zu kochen, Herrn Calvert, das Fleisch mit Salz und Majoran zu würzen. Nachdem wir uns gewaschen, bereiteten wir das Frühstück, aus zweiundeinemhalben Pfunde Fleisch bestehend, das die Nacht hindurch geschmort hatte. Dazu kam auf jeden von uns ein Quarttopf Tee. Herr Calvert teilte einem jeden seine Portion zu. Nachdem dies notwendige Geschäft beendet ist, kommt Charley gewöhnlich mit den Pferden, die zu ihrer Tagesarbeit zurechtgemacht sind.
Nach dem Frühstück geht Charley mit John Murphy, die Ochsen zu holen, die dann gewöhnlich etwas nach sieben Uhr gebracht werden. Nun erfolgt das Beladen derselben, was wenig Zeit erfordert, da unsere Vorräte sehr zusammengeschmolzen sind. Ungefähr um ein Viertel auf neun Uhr brechen wir auf und setzen den Weg vier Stunden weit fort, um uns dann nach einem Platze zur Lagerstelle umzusehen.
Sobald das Lager aufgeschlagen ist und die Pferde und Ochsen von ihren Lasten befreit sind, haben wir jeder eine bestimmte Arbeit zu verrichten. Das Feuermachen kommt mir zu. Browns Obliegenheiten bestehen darin, Wasser zum Tee zu holen. Herr Calvert wiegt einundeinhalbes Pfund Mehl zu einem Fettkuchen ab, welcher lieber als eine andere Speise gegessen wird. Nachdem der große Teetopf geleert ist, wiegt Herr Calvert zweiundeinhalbes Pfund getrocknetes Fleisch ab, welches für unsre letzte Mahlzeit bestimmt ist.
Während des Nachmittags folgt ein jeder seinen Geschäften, sei es, daß man die Kleider wäscht oder ausbessert, die Sättel und Packsättel instand setzt oder das Gepäck ordnet. Meine Beschäftigung besteht darin, mein Tagebuch zu schreiben, meinen Weg zu vergleichen, eine botanische Exkursion in die Umgebung des Lagers zu machen oder auf Erforschung der Gegend auszureiten. Meine Begleiter schreiben auch ihre Bemerkungen auf oder gehen aus, um Sämereien zu sammeln oder merkwürdige Steine zu suchen. Herr Gilbert nimmt sein Gewehr, um Vögel zu schießen. Gegen Sonnenuntergang rufe ich alle laut, um sie um das Tafeltuch zu vereinigen. Während wir unser Mahl genießen, nimmt die Tagesreise, die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft unsre Gedanken in Anspruch oder bildet den Gegenstand unserer Unterhaltung, je nachdem unsere Gesellschaft gelaunt ist. Einige Vorfälle haben mich streng verschwiegen gemacht, und ich bin jetzt bei der redseligen Heiterkeit meiner jüngsten Gefährten selten vergnügt. Deren Seelenstimmung ist, anstatt nachzulassen, heiterer und lebensfroher denn je geworden.
Als meine Aufgabe betrachte ich es, jedem so viel Ratschläge zu geben, als ich nur kann, im Falle meine Begleiter wünschen oder das Verlangen blicken lassen, zu lernen; ich bin glücklich, wenn ich bemerke, daß ihnen daran liegt, sich mit den Gegenständen der Natur, von welchen sie umgeben sind, bekannt zu machen, oder wenn sie deren wechselseitige Verwandtschaft einsehen. Herr Roper ist schweigsamer Natur. Herr Calvert spricht gern und belebt durch seine Redseligkeit, von welcher er einen guten Teil besitzt, unsere Mahlzeiten. In dieser Hinsicht ist er ein guter Gesellschafter. Er steckt voller Schnurren und Anekdoten, welche, obgleich alt, zuweilen doch recht nett und stets rein sind und dazu dienen, die Gesellschaft zu erheitern. Herr Gilbert ist viel gereist, hat daher einen reichen Schatz von Impressions de voyage. Seine Unterhaltung ist gewöhnlich sehr angenehm und belehrend, indem er den Charakter der Gegenden, welche er gesehen, die Sitten und Gewohnheiten der Völker, welche er kennengelernt hat, beschreibt. In der Ornithologie Australiens hat er ausgedehnte Kenntnisse.
Wenn die Nacht anbricht, ziehen wir uns auf unsre Lager zurück. Die zwei Schwarzen und ich selbst breiten die unsrigen unter Gottes schönem, freiem Himmel aus, während die Herren Roper, Calvert, Gilbert, Murphy und Phillips ihre Zelte haben. Herr Calvert teilt Roper Erzählungen mit; John unterhält Herrn Gilbert. Brown stimmt seine Corroborri-Gesänge an, bei denen ihn Charley trotz ihres letzten Zankes begleitet. Brown singt angenehm, und seine melodische, klagende Stimme lullt mich in den Schlaf, wenn ich sonst zu diesem geneigt bin.
Herr Phillips hat etwas sonderbare Gewohnheiten. Gewöhnlich schlägt er sein Zelt in einiger Entfernung von den übrigen unter einem schattigen Baume oder in einer Gruppe grüner Gebüsche auf, wo er sich so bequem einrichtet, als es ihm die Umstände erlauben, indem er Gras und Zweige unter seinem Lager ausbreitet und sein Zelt mit diesen bedeckt, um es schattig und kühl zu machen. Zugleich steckt er lilienähnliche Crinumstengel mit Blüten vor seinem Zelte in die Erde, um sich die Aussicht aus demselben für die kurze Dauer unseres Aufenthalts zu erheitern. Wenn die Nacht vorrückt, hören die Schwarzen zu singen auf; Murphys geschwätzige Zunge ruht, nachdem er Herrn Gilbert eingeschläfert, und zuletzt schweigt Herr Calvert, wenn Ropers kurze Antworfen seltener und seltener erfolgen. Das Gewieher der angebundenen Pferde, der Klang der Viehglocken oder der Ruf eines Nachtvogels unterbricht dann allein in unserm Lager die Stille der Nacht. Das Feuer, welches so lange gebrannt, als es von den Corroborri-Sängern geschart worden, erlischt allmählich oder flackert und dampft matt unter dem großen Topfe, in welchem unser Fleisch leise zischend kocht. Die glänzenden Sternbilder steigen unbeachtet über den Häuptern der träumenden Wandrer der Wildnis am Himmel herauf, bis sie der Ruf des lachenden Jackass wieder zu den Geschäften des anbrechenden Tages weckt.
Leichhardt, Ludwig
Tagebuch einer Landreise in Australien von Moreton Bay nach Port Essington während der Jahre 1844 und 1845
Halle 1851, Nachdruck Stuttgart 1983