Um 1880 - Georg Seelhorst
Das Idol von Mokoia
Lake Rotorua
Nordinsel, Neuseeland
In der Mitte des Rotoruasees erhebt sich die kleine Insel Mokoia, welche von Alters her der Sitz und schliesslich die letzte Zuflucht des grossen Arawastammes von Rotorua, der alten Ngati-whaka-ane war. Auf dem Gipfel stand eine Befestigung, ein Pa, welche 1818 von den Ngapuhi, einem feindlichen Stamm, zerstört wurde und von der nichts mehr zu sehen ist. Der Platz ist tabu, heilig, wie noch mehrere andere auf der Insel, die überhaupt grösseres Interesse hat, wie wir gleich sehen werden. Sie war früher stark bevölkert und gut angebaut, jetzt leben nur noch wenige Maoris auf derselben.
Die kreisrunde Form des Sees und das Vorhandensein der Insel fast genau in der Mitte scheint darauf hinzudeuten, dass der See ein alter Krater sei. Es war mir daher von Interesse, die Insel zu besuchen. Ausserdem aber erzählte uns Herr Graham, an welchen wir empfohlen worden waren, dass sich auf der Insel ein sehr altes Idol der Maoris, der Matuatonga, begraben befinde, welches nur einmal Europäern zu Gesicht gekommen war, als der frühere Gouverneur von Neu-Seeland,Sir George, Gray, der ein warmer Freund der Maoris ist, die Gegend besuchte. Dabei habe Jemand aus dem Gefolge Seiner Excellenz ein Stück von dem Steinbild abgeschlagen und dadurch die Maoris so aufgebracht, dass sie dasselbe vergraben hätten und keinem Weissen mehr zeigen wollten. Das war Wasser auf unsere Mühle. Herrn Geheimrat Reuleaux gelang es dann auch, Herrn Graham zu veranlassen, mit uns hinüberzufahren, um womöglich den Matuatonga für uns ausgraben zu lassen. Früh am nächsten Morgen segelten wir in einem europäischen, mit Maoris bemannten Boot ab, mit einigen Flaschen versehen, deren Inhalt nebst der Beredsamkeit unseres Begleiters die Scheu vor der Entweihung des Idols überwinden helfen sollten.
Unsere Bootsleute hatten den kuriosen Einfall gehabt, hinten am Steuer des Bootes noch einen kleinen Mast mit einem Segel zu befestigen, eine Einrichtung, die mir gerechte Bedenken einflösste. Ihre nautischen Fertigkeiten waren bei weitem nicht so gross als ihre Sorglosigkeit, denn mehrere Male glaubte ich, dass wir kentern würden. Doch kamen wir glücklich hinüber, als wir aber mit eleganter Wendung landen wollten, parierte das Segel nicht und wir befanden uns im Moment auf einem Felsen, der ein Leck in das Boot schlug, während die flatternde Leinwand dasselbe so zur Seite zerrte, dass das Wasser hereinstürzte. Die Geschichte sah im Augenblick gefährlicher aus, als sie war. Ein Paar Maoris von der Insel kamen zu Hilfe und zogen das Boot an's Land.
Die Insel ist ein Porphyrberg von über dreihundert Fuss Höhe, mit einem trigonometrischen Signal auf der Spitze. Sie ist durchaus mit Buschwerk bedeckt, unten sind Felder, oben Farrngestrüpp. Während Herr Graham mit den Maoris wegen der Ausgrabung des Matuatonga unterhandelte, bestieg ich den höchsten Punkt, eine Arbeit, die wegen des dichten, brusthohen Farrnkrautes bei gänzlicher Abwesenheit eines Pfades keine ganz leichte war. An manchen Stellen war kaum durchzukommen, einmal sass ich so in den eisenharten Stengeln verstrickt, dass ich an die Rückkehr dachte, allein ich entdeckte auf dem Abhange des letzten Kegels eine Pfadspur, die ich gewann und bis zum Gipfel verfolgte, der so ohne Mühe erreicht wurde. Dicht unter dem Gipfel steht Porphyr von grauer Farbe mit wenig Quarz an, auf dem Gipfel steht kein Stein zu Tage, er ist dick mit Vegetation bedeckt, doch fand ich in dem lockeren Erdboden kleine Steinstückchen, die mit Sicherheit als Bimsstein zu erkennen sind Die Aussicht war interessant, aber das Bild ein beschränktes, da nur die Insel und der See bis zu den umgebenden Bergen zu sehen war. Im Südwesten ragte eine hohe imposante Bergmasse über die anderen wie eine Riesenmauer von grauer Farbe hervor.
Zum Abstieg benützte ich denselben Pfad, der mich aber nu: in ein noch dichteres Gestrüpp brachte, aus dem ich freilich leichte: den Weg abwärts, als vorher aufwärts, fand.
Unterdess hatten Mr. Grahams Bemühungen den schönsten Erfolg gehabt, der Matuatonga war bereits ausgegraben. Vor uns lag eine plumpe, über meterhohe, menschliche Figur, aus einen rundlichen Stein gearbeitet, an der aber Arme und Beine, Kopf und Gesicht zu erkennen waren. Der Kopf erschien so zurückgeneigt, dass das Gesicht nach oben sah. Wir hatten das Urbild jener kleinen, aus Nephrit gearbeiteten Idole vor uns, welche die Maoris als Schmuck am Halse tragen, die sie Tikitiki nennen und in hohen Ehren halten. Man erzählte, dass der Matuatonga als kleiner Tikitiki auf die Insel gebracht worden und dann so gewachsen sei, dass man ihn nicht mehr wegschaffen konnte. Der Stein wiegt mehrere Zentner und besteht aus demselben Porphyr wie die ganze Insel. Herr Geheimrath Reuleaux nahm mehrere Skizzen davon. Währenddem genoss ich das unvergleichliche Schauspiel vor meinen Augen. Rings umgab uns eine dichte Wand von Phormiumpflanzen, deren Blätter fast zehn Fuss lang waren. Eine Schar halb und ganz nackter Kinder hatte sich herzugedrängt, wurde aber von den anwesenden Maoris immer wieder fortgejagt. In der Mitte lag in seinem Grabe das Götzenbild und auf der ausgeworfenen Erde hockte ein Maori, nur mit einem frisch gewaschenen europäischen Oberhemd bekleidet, während andere mit nicht viel grösserem, aber weniger sauberen Kleiderluxus uns mit wachsamen Blicken betrachteten! Die Hauptkleidung der Leute besteht in englischen weisswollenen Decken. Es sieht urkomisch aus, wie die Kinder das ungefüge Stück immer mit den Händchen vor der Brust zusammenhalten, damit sie es nicht verlieren. Hier sahen wir auch mehrere tätowierte Männer. Bei den Frauen wird das Kinn und die Oberlippe mit blauen Streifen gezeichnet, die Männer verzieren mit den bekannten Spiralen das Gesicht und den Glutaeus maximus! Nachdem wir das Idol genugsam studiert hatten, wurde es wieder eingegraben. Die Stelle ist als Garten mit Feldfrüchten bepflanzt, so dass niemand ahnt, welchen Schatz sie birgt.
Es wurde uns weiter ein Baum gezeigt, in welchem Teile eines menschlichen Skelettes, dabei der Schädel, so zwischen den Ästen eingewachsen sind, dass man sie nicht leicht entfernen kann. Sie sollen von einem Krieger herrühren, der sich hier verbarg und vom Tode ereilt wurde.
Seelhorst, Georg
Australien in seinen Weltausstellungsjahren 1879-81
Augsburg 1882