Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1859 - Ferdinand von Hochstetter
Am Taupo-See: Der Maorihäuptling
Nordinsel, Neuseeland

Mit dem Namen Taupo verknüpft sich bei mir die Erinnerung an eine der großartigsten und in ihrer Art eigentümlichsten Gegenden, welche ich gesehen habe, vor allem aber das Andenken an die edle Gastfreundschaft des Missionars Rev. Grace und seiner liebenswürdigen Familie. Dieser hochachtbare, mit begeistertem Mut für seinen schönen Beruf wirkende Mann ist der einzige Europäer am Taupo-See.
    Das Missionshaus liegt nur wenige hundert Schritte von dem Maori-Pa Pukawa entfernt, malerisch an eine Bergwand gelehnt, auf einer Terrasse 200 Fuß hoch über dem See. Unter dem gastlichen Dach dieses Hauses brachte ich mit meinem Freude Hasst fünf Tage zu, während welcher ich mit dem Entwurf einer Detailkarte des Sees beschäftigt war. Herr Grace war mir dabei durch seine Lokalkenntnis auf die freundlichste Weise behilflich und begleitete mich auf meinen Ausflügen, während die Anordnungen der trefflichen Hausfrau uns ganz und gar vergessen ließen, dass wir uns im entferntesten Inneren von Neuseeland befanden. Das Bild des glücklichen, mit einer Schar blühender Kinder gesegneten europäischen Familienlebens war wahrhaft rührend.
    Wie kontrastierte mit diesem Bilde das von den Einflüssen der Zivilisation kaum erst berührte Maoritum, das in dem benachbarten Pa durch einen berühmten Maori-Fürsten, Te Heuheu, noch in seinem alten heidnischen Glanz repräsentiert war!
    Ich hatte längst von dem großen und mächtigen Te Heuheu gehört, der zu Pukawa am Taupo-See residiert. Sein Name ist bekannt, so weit die Maori-Sprache reicht; denn er gehört zu einem der ältesten und berühmtesten Adelsgeschlechter des Landes und zählt unter die Heroen oder Halbgötter seines Volkes. Er wurde mir geschildert als ein Mann von bedeutenden Fähigkeiten, als der »beste und schlechteste Kerl zugleich«, als stolz, klug, großmütig, als ein rätselhaftes Gemisch von moderner Zivilisation und altem kannibalischen Heidentum. Ich war neugierig, seine persönliche Bekanntschaft zu machen und beschloss, dem gefürchteten Potentaten der Gegend mit meinen Reisegefährten in aller Form den pflichtschuldigen Besuch abzustatten. Allein, erst am zweiten Tag nach meiner Ankunft am See kam ich dazu, da ich den ersten Tag des schönen Wetters halber zu einem Ausflug nach den heißen Quellen bei Tokanu benutzt hatte.
    Mr. Grace begleitete mich nach dem Pa. Dieser liegt auf einem halbinselartigen Vorsprung in den See und ist mit einer starken Palisadenreihe umgeben, durch welche zwei Schiebetore führen. Wir traten durch eines der Tore ein auf einen länglich viereckigen Platz, an dessen oberem Ende zunächst ein schönes Vorratshaus (Pataka) unsere Aufmerksamkeit erregte. Es war rot angestrichen und stand, um die darin aufgespeicherten Vorräte vor der Gefräßigkeit der Ratten zu schützen, auf vier runden Pfosten. Ann der Vorderseite war es mit prächtigen Schnitzereien in dem den Maoris eigenen Kunststil versehen. Zierlich ineinander verschlungene Linien und arabeskenartige Figuren wechselten am Giebelfeld mit grotesken dickköpfigen und großäugigen Menschengestalten. Diesem Pataka gegenüber lag eine unscheinbare Hütte ohne allen architektonischen Schmuck, aber mit einer bei allen besseren Maori-Hütten üblichen kleinen Vorhalle unter dem vorspringenden Dach – das war Te Heuheus Palast, und auf der Veranda dieses Palastes saß ein finster blickender Mann in eine schmutzige wollene Decke gehüllt – das war Te Heuheu selbst.
    Ich hatte einen sehr ungnädigen Empfang. Erst nachdem der Missionar mit dem Häuptling gesprochen, ließ dieser sich herbei, mir die Hand zu reichen und mich einzuladen, neben ihm auf der ausgebreiteten Matte Platz zu nehmen. Er übersah mit seinen blitzenden, schwarzen Augen die Reihe meiner Begleiter, die ihn ehrfurchtsvoll begrüßten, und stellte dann an mich die wenig liebenswürdige Frage, ob ich wisse, dass die Eingeborenen, welche ich als Führer und Träger bei mir habe, keine Sklaven seien, sondern die Söhne unabhängiger, freier Häuptlinge, und dieser Frage folgte eine lange Herzensergießung. Te Heuheu meinte, dass er sich immer freue, unabhängige Europäer höheren Ranges kennen zu lernen, da diese stets wackere Leute seien, welche den Eingeborenen mit schuldiger Achtung entgegenkämen, dass er aber die gemeinen Europäer, davongelaufene Matrosen und anderes Gesindel, mit welchen Neuseeland von Europa und Australien überschwemmt werde, als die erbärmlichsten und schlechtesten Menschen verabscheue; er habe, da er mich zu den ersteren rechne, meinen Besuch schon gestern erwartet und alle Vorbereitungen getroffen gehabt, um mich festlich und freundlich zu empfangen. Den ganzen Tag habe er in seinem besten Anzug auf mich gewartet, allein, ich sei nicht gekommen und es sei daher meine Schuld, dass ich ihn heute in seinem Hausgewand träfe.
    Es bedurfte wiederholter Entschuldigungen und mannigfaltiger Aufklärungen, bis ich den in seinem Stolz beleidigten Häuptling versöhnt hatte. Aber ich muss ihm zur Ehre nachsagen, dass er mir seinen Groll nicht nachtrug, sondern noch am selben Tag für meine Maoris ein fettes Schwein schlachten ließ und dieselben auf Freigiebigste, ohne dass er eine Bezahlung annahm, durch fünf Tage in seinem Pa bewirtete. Auch ließ er mich das kostbarste Stück, das er sein Eigen nannte, ein Erbstück seiner großen Vorfahren, das er wie ein Heiligtum bewahrte, sehen, ein prächtiges Mere Punamu nämlich, eine Streitaxt von 15 Zoll Länge aus dem schönsten geflammten und durchscheinenden Nephrit geschnitten.Er erklärte mir, dass diese Mordwaffe in blutiger Schlacht einem feindlichen Häuptling abgenommen worden sei, dass sie schon fünf Mal mit seinen Ahnen begraben gewesen und dass die Scharte an einer Seite von dem letzten tödlichen Hieb herrühre, der auf einen harten Schädel geführt worden sei.
    Ein zweites Stück, das er mir mit Stolz zeigte, war ein englischer Sattel, welchen er samt Reitpferd vor Jahren von Sir George Grey, dessen Führer und Begleiter er auf einer Reise nach dem Taupo-See gewesen war, zum Geschenk erhalten hatte.
    Iwikau Te Heuheu hat fünf Weiber und war willens, dazu noch zwei weitere zu nehmen. Er erfreut sich einer zahlreichen Nachkommenschaft, die sein Stolz und seine Freude ist, hat es aber, obwohl dem Christentum freundlich gesinnt, stets abgelehnt, sich taufen zu lassen, da er fürchtet, dadurch seinen Einfluss und sein Ansehen als Häuptling, das auf allerlei heidnischen Vorstellungen, namentlich auf der ihm zugeschriebenen Macht über böse Erd- Wasser- und Luftgeister beruht, einzubüßen. Er ist von mittlerer Statur, mehr zart als robust gebaut, und trug sein schwarzes Haar in langen Locken. Sein bartloses, auf der rechten Seite nicht vollständig tätowiertes Gesicht mit den kleinen funkelnden Augen machte mir den Eindruck von schlauer, berechnender Klugheit. Er hat nichts von der imposanten, majestätischen Heldengestalt seines verstorbenen Bruders Tukino Te Heuheu, der als ein Riese von sieben Fuß Höhe mit silberweißem Haar geschildert wird und vorzugsweise der große Mann gewesen zu sein scheint, dem die jetzigen Heuheus ihren Ruf und ihr Ansehen verdanken. Tukino Te Heuheu hatte im Mai 1846 in dem benachbarten Dorfe Te Rapa auf tragische Weise seinen Tod gefunden durch eine mit einer Flut verbundenen Bergabrutschung, die in der Nacht eintrat und den Häuptling mit seiner ganzen Familie und einem großen Teil seines Volkes begrub. Iwikau ließ den Leichnam seines Bruders aus den Schutt- und Trümmermassen ausgraben und feierlich bestatten. Nach einigen Jahren wurden die Gebeine, dem herrschenden Gebrauch bei großen Häuptlingen gemäß, wieder ausgegraben, auf eine Art Paradebett gelegt und in einem prachtvoll geschnitzten Sarg aufbewahrt. Dann sollten die heilig gehaltenen Reste auf den Gipfel des Tongariru getragen werden, denn der tiefe Kraterschlund des Vulkans war dem großen Mann zum Grabe bestimmt, und die himmelansteigende Schlacken- und Aschenpyramide zum Grabdenkmal. Aber der großartige Gedanke wurde nur halb ausgeführt. Als die Träger sich dem obersten, fortwährend dampfenden Eruptionskegel näherten, da wurde en gewaltiges, unteririsches Getöse vernehmbar, und entsetzt legten sie ihre schwere Last an einem Felsvorsprung nieder. Dort liegen die Reste heute noch. Der Berg aber ist aufs strengste tabu, und niemand darf ihn besteigen.
    Der jetzige Te Heuheu widmete dem Verstorbenen auch einen Klagegesang, der nicht ohne manchen schönen poetischen Zug ist, und errichtete zu seinem Andenken in dem Pa Pukawa ein Mausoleum (Wahi-tapu), des ein Meisterwerk der Maori-Architektur gewesen sein soll. Wir sahen nur noch die Trümmer davon am unteren Ende des Pas unter malerischen Baumgruppen von Karaka und Kowai, einige künstlich geschnitzte Pfosten mit höchst merkwürdigen Darstellungen, die sich alle auf die unversiegbare Manneskraft des verstorbenen Heroen und auf die Fruchtbarkeit seiner zahlreichen Weiber zu beziehen schienen.
    Innerhalb der Umzäunung de Pas wohnen neben Te Heuheu nur seine nächsten Angehörigen und Verwandten. Im unteren Teil bemerkte ich noch ein Gurkenfeld und ein von dem Missionar Rev. Taylor angelegtes, aber jetzt gänzlich verwahrlostes Stück Weinberg. Die Stöcke hingen voll von Weintrauben, die aber sauer und ungenießbar waren. Außerhalb des Pas liegen zahlreiche Hütten zerstreut, in welchen Te Heuheus Untergebene wohnen.
    Den Gegenbesuch machte mir der stolze Häuptling in elegantem schwarzem Anzug. Noch manche Stunde saß ich während meines Aufenthaltes in Pukawa mit dem merkwürdigen Mann zusammen und hörte seinen Betrachtungen und Erzählungen zu. Aus seinem Munde habe ich die interessanten Sagen, die in der Tradition der Maoris an die Taupo-Gegend geknüpft sind … Seiner politischen Gesinnung nach gab er sich al einen feurigen Anhänger der national Partei zu erkennen. So sehr er in enthusiastischen Lobeserhebungen den früheren Gouverneur Sir George Grey rühmte, ebenso scharf verurteilte er die jetzige Regierung und beteuerte, er werde nie mehr die »Pakeha-Stadt« Auckland besuchen, wo man ihn bei seinem letzten Besuch wie einen Hund behandelt habe. Beim Abschied ließ er mir durch den Missionar sagen, er werde sich freuen, mich abermals bei sich aufzunehmen, aber er warne den Engländer, welcher mich in Auftrag des Gouverneurs als Dolmetsch begleitete, vor einem zweiten Besuch in seinem Pa, er habe ihn nur meinetwegen geduldet, weil ich ein Fremder sei und der Maori-Sprache nicht mächtig.
    Das war Te Heuheu, einer der wenigen noch lebenden Repräsentanten der alten heidnischen Zeit, um dessen Haupt noch ein Abglanz jenes romantischen Heroentums schimmert, das wie eine dunkle Sage an das klassische Zeitalter eines unter den Einflüssen europäischer Zivilisation rasch seinem Untergang entgegeneilenden wilden Kannibalenvolkes erinnert.

Hochstetter, Ferdinand von
Neu-Seeland
Stuttgart 1863

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!