Um 1905 - Stefan von Kotze
Moskitos in Maytown
Queensland
So richtete ich mich auf meine erste Nacht unter freiem Himmel ein. Eine Zeltdecke war unnötig, denn Regen oder selbst Tau sind unbekannt um diese Jahreszeit. Ich warf einige dünne, blattreiche Zweige auf den hartgebrannten Boden, nachdem ich erst mit dem Messer mir ein Loch für die Hüfte gegraben, und dann polsterte ich das Ganze mit ausgerissenem getrocknetem Gras. Hierüber kam eine Decke, und mit dem Bündel als Kopfkissen und einer zweiten Decke über mir - fertig war ich!
Aber ich hatte nicht mit den Moskitos gerechnet!
Was der Moskito in dem ausgedorrten Innern Australiens eigentlich will, hat mich immer sehr gewundert. Wo die Larven, die ja bekanntlich im Wasser leben, eigentlich ihre Existenz fristen, ist ein Rätsel, das ich nicht zu beantworten wage. Allerdings ist jedes kleine Wasserloch, jeder Regenbehälter, jeder Eimer selbst voll von ihnen. Aber das gibt noch lange nicht Rechenschaft über die Milliarden, die alle wüsten Plätze erfüllen. Meine Theorie ist immer gewesen, daß der nordwestaustralische Moskito ein Überbleibsel der tertiären Periode ist und überhaupt nicht stirbt. Die Größe und Raublust des Biestes allein stehen schon dafür ein.
Ich habe mal einen Mann gesprochen, der wollte die Moskitos am Golf von Carpentaria schlachten und zu Talg verarbeiten. Er hatte schon einen Prospekt über sein Unternehmen herausgegeben und war sehr hoffnungsvoll, daß die neue Industrie mit Unterstützung der Regierung eine bessere Ära im Norden einführen und Normaton zum Handelszentrum Australiens machen würde. Ich habe aber seitdem nichts von ihm gehört. Offenbar war die Börse feindlich.
Die Qualen, die das kleine Säugetier dem friedlichen Neuling bereiten kann, der sich ohne Netz in seinen Bereich gewagt, spotten der Beschreibungsfähigkeit.
Mit zufriedenem Lächeln sitzt er und betrachtet den Sonnenuntergang. Da erscheint der erste Moskito auf dem Schlachtfeld. Sssss! tönt es schrill durch die abendliche Stille, und eiligst greift der Geängstigte zur Pfeife, um durch dichte Rauchwolken den Störenfried zu vertreiben. (Ich spreche jetzt nur von den Nichtraucher-Moskitos. Einzelne Abarten scheinen Tabak einfach zu vergöttern.)
Und wieder wird es still, bis die Pfeife ausgebrannt ist und Sssss! Sssss! aufs neue beginnt die Musik; und nun entsteht eine eigenartiger Wettkampf: der Geplagte ist schnell, aber der Moskito ist schneller. (Anmerkung: Ich habe in einer langen Laufbahn der ernstesten Moskitoverfolgung noch nie mit völliger Gewißheit den Tod eines dieser Tiere von menschlicher Hand feststellen können.)
So geht es nicht. Schon schmerzen Gesicht und Arme von einzelnen Stichen, und kleine Schwellungen werden an den unglaublichsten Körperteilen wahrnehmbar. Also wieder zur Pfeife. Rauch ist das einzige Mittel, und der Verteidiger raucht und raucht den schweren, schlechten amerikanischen Stangentabak, bis er seekrank die Pfeife von sich wirft und hilflos die erneuten Angriffe abwartet.
Und seine Peiniger erscheinen schnell wieder. Er springt empor und eilt auf und ab. Aber die Tagesarbeit hat ihn ermüdet. Zu Bett also!
Er zieht die Decke über den Kopf und versucht zu schlafen. er nickt auch wirklich ein, aber ein böses Alpdrücken plagt ihn. Er träumt, er sei gewaltsamerweise in einem türkischen Bad eingesperrt und werde nun bis zu seiner bald voraussichtlichen gänzlichen Auflösung gefangen gehalten. Mit einem erstickten Schrei erwacht er, wirft die Decke weit von sich und findet sich in Schweiß gebadet. Denn bei 35 Grad Wärme läßt sich schlecht unter einer wollenen Decke schlafen.
Begierig sagt er die frische Luft ein, denn ein geringer Windhauch ist gnädiglich erwacht und kühlt für einige Minuten die nasse Stirn. Da beginnt sie wieder, die höllische Musik; es klingt, als übe ein Anfänger die höchsten Töne auf der Violine. Es gibt Menschen, die dieser Melodie mit Seelenruhe zuhören können. Aber sie gehören zu einer glücklichen Familie, die man wissenschaftlich als Pachydermen bezeichnet.
Sssss! - Klatsch! - Sssss! - Klatsch - vorbei natürlich. Und rastlos tobt der Kampf. Dem uneingeweihten Zuhörer muß sich das Ganze wie ein Lied mit Beckenbegleitung anhören. Das Gesicht beginnt bedenklich anzuschwellen unter dem doppelten Einfluß der Stiche und der Backpfeifen.
Mit einem Wutschrei springt der Verzweifelte endlich auf und rennt wie irr umher; aber hinter ihm drein braust das unbarmherzige Heer von Mänaden. Und er stürzt zusammen, hoffnungslos, und überläßt seinen Körper den Hyänen der Nacht.
Soweit war ich gekommen. Da erschien, wie ein rettender Engel, der Postreiter im Nachanzug auf der Bildfläche.
"Wollte mal sehen, wie Sie sich zurecht finden", bemerkte er grinsend.
Der ganze Stolz war aus mir herausgesogen worden. Ich ergriff des Mailmans Hand und klagte ihm mein Leid.
"Eh -Oh - Ah! Da kann Ihnen bald geholfen werden. Hätten sich aber ein Moskitonetz mitnehmen sollen."
Er netzte seinen Zeigefinger im Munde und hielt ihn hoch.
"Wind kommt von Westen. Also da" und er zog einen Strich auf der linken Seite meines Lagers in den Sand, "da legen Sie jetzt mal schnell etwas Kuhmist entlang und stecken ihn hier an diesem Ende an!"
Ich wagte nicht zu staunen oder zu fragen. Er half mir, den getrockneten Dünger, der in Menge umherlag, zu sammeln, und dann baute ich eine Mauer und steckte sie an einem Ende an. Sie begann wie Zunder zu glimmen und verursachte einen scharfen dichten Qualm, der von der leichten Brise gerade über meine Lagerstätte getrieben wurde.
"Aber legen Sie das Zeug doch in einer geraden Linie", meinte der Postreiter, als ich mein etwas nachlässig gebautes Fort betrachtete.
"Das macht doch keinen Unterschied!"
"Aber es sieht unordentlich aus!" Und der kniete nieder und richtete die Mauer sorgfältig und liebevoll aus.
Selbst im Busch gibt es also Pedanten!
"Und wird das Zeug die ganze Nacht hindurch brennen?" fragte ich.
Der Postreiter maß die Linie mit ausgestreckter Hand ab und erklärte dann im Ton der Gewißheit, nachdem er seine Uhr zu Rate gezogen: "Bis ein viertel nach sechs Uhr wird es brennen. Und dann sind wir schon beim Frühstück."
Dann, ehe er wegging, machte er noch ein paar Querstriche in regelmäßigen Abständen neben den Linien in den Sand und prägte mir ein: "Sehen Sie, wenn das Feuer bis dahin gekommen ist, ist's Mitternacht. Hier ist's zwei - hier vier! Also, wenn Sie nachts aufwachen, wissen Sie immer, was die Zeit ist, ohne ein Streichholz anzustecken und nach der Uhr zu sehen."
Dann empfahl er sich.
Beiläufig, der Buschmann, vielleicht aus dem übertragenen Instinkt einstiger bitterer Erfahrung, ist ein schrecklicher Geizhals mit Streichhölzern. Gewöhnlich, wenn er seine abends gefüllt, steht er lieber aus seiner gemütlichen Lage auf, geht an die Hitze des Lagerfeuers, verbrennt sich die Finger mit glühenden Kohlen und nach vielen Anstrengungen bugsiert er ein rotes Stück auf den Tabak: nur um ein Schwefelholz zu sparen. Käme im selben Augenblick ein Trödler vorüber mit einer heimlichen Flasche Grog, so würde er eine Mark für den Schluck Gift bezahlen, ohne mit den Wimpern zu zucken.
Ich hatte eine schimpfliche Nacht zugebracht. Denn an den Qualm hat man sich erst zu gewöhnen, wie der Mailman später, aber zu spät, dozierte. Mir schien es, als triebe ich den Teufel durch den Beelzebub aus.
Kotze, Stefan von
Australische Skizzen
Berlin 1921