Um 1905 - Stefan von Kotze
Bergbau und Bergbauschwindel
Charters Towers, Australien
Die Stadt Charters Towers hat eine Einwohnerzahl von etwa 30.000 Seelen und erhält sich lediglich durch die Goldbergwerke. Wenn diese einmal ausgehen, ist es mit der ganzen Ansiedlung vorbei. Dann werden die vielen Steinpaläste, die langen Straßen zierlicher Wellblechäuser, die großen Hotels und Kaufläden dem Verfall überlassen werden müssen. Denn die Oberfläche des Bodens ist ebenso wüst und arm wie die unterirdischen Schichten reich sind. Und leider ist aller Bergbau schließlich eine Raubwirtschaft. Was man aus den Eingeweiden der Erde herausgerissen, das wächst nicht wieder. Durch reichliche Anwendung von Leitungswasser haben einige der Hausbesitzer eine klägliche Nachahmung von Gartenanlagen geschaffen. Die Mehrzahl aber begnügt sich, wenn ihnen die Landschaft zu trostlos erscheint, sie sich durch den idealisierenden Boden eines Bierglases zu betrachten.
Überall aus dem blau-weißen Blechdach-Meer ragen die rauchenden Schlote der Gruben empor, und Tag und Nacht dröhnt das Gestampfe der vielen Quarzmühlen. Nur am Sonntag herrscht ein Schweigen, das dem Einwohner geradezu auf die Nerven fällt. Wie furchtbar laut solch eine gefährliche Stille sein kann, lässt sich gar nicht beschreiben.
Am Sonnabend, der nur ein halber Arbeitstag ist, beginnen sich abends die Straßen zu füllen, bis aller Wagenverkehr eingestellt werden muss. Alles was Beine hat, wandert das Pflaster auf und ab und die Kneipen machen glänzende Geschäfte. Sonntags dagegen sind Läden und Bars geschlossen, die Straßen auch in den großen Küstenstädten des Südens wie ausgestorben. Mit dem scheuen Blick eines Verbrechers schleicht sich ab und zu ein Durstiger durch die Hintertür in das Restaurant und wagt eine mehr oder minder hohe Geldstrafe um eines erfrischenden Trunkes halber. Im Norden wird es allerdings vielfach nicht so genau mit dem Sonntagsschluß genommen und die hohe Polizei sogar schießt sich gern den frechen Übertretern des Gesetzes an. Geschlossen werden abends die Schankwirtschaften um 11 Uhr – mit Variationen.
Trotz der anstrengenden Untergrundarbeit und des heißen Klimas sieht man in ChartersTowers überall gesunde, fröhliche Gesichter und gut gekleidete Menschen. Vor allem das weibliche Geschlecht, das ich hier zum ersten Mal längere Zeit hindurch studieren konnte (honni soit qui mal y pense) ist geschmackvoll angezogen, was man von den mit Vorliebe in ohrenbetäubenden Farben sich ergehenden Damen der südlichen Städte nicht behaupten könnte. Allerdings ist Nord-Queensland, wo es immer Sommer ist, fällt es leicht (und billig), duftig und frisch auszusehen.
Über 3.000 Fuß tief sind einzelne der Schächte schon in Charters Towers. Das heißt, obwohl das Feld auf der großen nordsüdlichen Bergkette 1.500 Fuß hoch liegt, holt man das goldreiche Quarz noch aus einer Tiefe von 1.500 Fuß unter dem Meeresspiegel herauf. Die Betriebsmaschinerie, die künstliche Lüftung, die Sicherheitsregeln sind sehr vollkommen. Man tritt durch eine kleine Tür in dem Schachtüberbau in einen großen, soliden Fahrstuhl ein. Ein Signal ertönt, und hinab geht es mit Eisenbahngeschwindigkeit, aber so leise, so sicher, daß man kaum etwas verspürt, außer vielleicht einem bedenklichen Emporstreben des Magens gen oben.
Natürlich hat man bei kleinen Schächten Handwinden oder ein Pferdegöpelwerk, und statt des Fahrstuhls einfach die Seilschlinge oder ein Förderfaß, das sich wie ein Kreisel dreht und gelegentlich auch mal irgendwo anstößt oder überkantet, was bekanntlich nicht gerade angenehm ist. Die Schächte sind innen allerdings meist mit Brettern beschlagen oder in sehr feuchtem Boden auszementiert, weil selbst das kleinste Stück, das sich loslöst und fällt, lebensgefährlich wird. Ich sah einst einen Mann, den ein haselnußgroßer Stein 500 Fuß tief zwischen die Schulterblätter getroffen und getötet hatte. Die Wunde sah aus, als ob sie von einer Explosivkugel herrührte, das Rückgrat war durchschlagen und das Loch im Rücken so groß, dass man seinen Kopf hätte hineinstecken können.
Während der Fahrt nach unten ist alles still und dunkel. Da, plötzlich, ein Lichtschein, einige gedämpfte Stimmen, und wir sind da. Mit der Wachskerze in der Hand – denn schlagende Wetter gibt es hier nicht – wandern wir durch die langen, niedrigen Galerien, zum Takte der Hämmer. Hin und wider tönt aus der Ferne ein dumpfer Sprengschuß. Dann wieder ein Warnungsruf – wir drücken uns an die Wand, und vorbei saust eine Reihe beladener Wagen, von einer mit komprimierter Luft getriebenen Maschine gezogen. Endlich sind wir an das Ende eines der Maulwurfsgänge gestolpert und sehen vor uns das Gesicht der Ader, metallisch glitzernd. Das ist natürlich nicht alles Gold. Aber es sieht verlockend aus.
Es wird in dieser Galerie nicht mehr gearbeitet. Denn hier ist die Grenze der Mutungserlaubnis. Dieses Quarz gehört bereits dem benachbarten Bergwerk. Ein Gefühl überwältigender Verlassenheit und Hilflosigkeit kommt über uns. Vielleicht ist es die Hitze, die kaum erträglich scheint, vielleicht der Mangel an Lüftung in dieser entlegenen, unterirdischen Sackgasse. Irgendwo über uns tickt eine Luftbohrmaschine wie eine Totenuhr. Dazu das eintönige, schwermütige Tröpfeln des aus der Decke sickernden Wassers. Uns wird unheimlich zu Mute.
Wir wandern zurück. Überall, in kurzen und lagen Galerien, über uns, neben uns, unter uns, tauche halbnackte, riesenhafte Vulkangestalten auf, fremdartig in der schwachen, rötlichen Kerzenbeleuchtung. In Schweiß gebadet schwingen sie ihre Hämmer, ein nächtlich geheimsnisvolles Treiben. Eine Wolke erstickenden Dynamitrauches wird von dem künstlichen Luftdruck an uns vorübergehetzt. Und dann tauchen wir wieder aus dem Labyrinth heraus auf der Plattform vor dem Schacht auf.
Meilenweit kann man in diesen Galerien marschieren, denn die meisten Bergwerke sind unter Grund miteinander verbunden. Und fast ebenso lang würde dieses Kapitel werden, wenn ich mich auf eine Beschreibung des Betriebes einlassen würde. Ich muß mich daher mit einigen Randbemerkungen begnügen.
In Charters Towers hält sich die Ergiebigkeit des Quarzes auf ungefähr eine Unze zur Tonne. Aber das ist noch lange nicht die Grenze der Rentabilität. In Bendingo z. B., einem der ältesten Goldfelder Australiens, zahlt Stewarts Company gute Dividenden von Stein, der nur 1/10 Unze Gold pro Tonne enthält. Es liegen noch ungeheure Schätze an Metallen im Boden, der Pike harrend, Quarzmassen, die vorläufig noch zu arm sind, die große Maschinenanlagen und Minenverarbeitung verlangen, wo der Reingewinn erst durch die Menge des Materials lohnend wird, wo man nach dem Grundsatz das kleinen Profits und des großen Umsatzes verfahren muß. Das ist natürlich nicht sehr verlockend, so lange noch leicht gewonnene Schatzkammern zu finden sind, und vor allem die Börse gibt sich ungern damit ab.
Denn in allen bedeutenden Unternehmen ist der Londoner Makler noch maßgebend. Und seine Geschäftspraktiken sind eigentümlich. Der Bergwerksschwindel in West-Australien, durch den Tausende kleiner Aktionäre in Europa ruiniert wurden, dürfte noch nicht vergessen sein. Da wurde ein Mutungsrecht für einige hundert Pfund Sterling vom Entdecker gekauft, großartige Berichte über den fabelhaften Reichtum der Adern in Umlauf gesetzt, ein Millionensyndikat gegründet, einige tausend Pfund aufs Betriebskonto geschrieben – und der Rest des Geldes verschwand spurlos in verschiedenen auserlesenen Hosentaschen. Darauf wurde wacker weiter gelogen, glänzende Nachrichten heimgesandt, die Aktien in die Höhe getrieben, bis alle „Wissenden“ ausverkauft hatten und endlich der Krach kam. Einzelne dieser Gruben, die dem Publikum angepriesen wurden und die tatsächliche Adern enthielten (wahrscheinlich aus Versehen), gingen auch an dieser blödsinnigen Überkapitalisierung zugrunde. Denn welches einzelne Bergwerk kann anständige Dividenden auf eine künstliche Marktquote von 150 – 200 Millionen Mark bezahlen, um so mehr, als eine Goldader selten ein langes Leben führt.
Natürlich ist durch diese Machinationen die Bergindustrie schwer geschädigt worden. In Australien gilt heute der Titel „Bergbauexperte“ als schwere Beleidigung. Positiv: Lüge; Komparativ: hundsgemeine Lüge; Superlativ: Goldminenprospekt!
Wenn die Aufmerksamkeit des Großkapitals in Europa einmal auf einen Distrikt, sei er in Alaska oder in Patagonien gelegen, gelenkt worden ist, so gibt es kein Halten mehr und das faulste Angebot geht ab wie warme Semmeln. Das Publikum braucht nur einen Leithammel.
In Gegenden, die das Glück haben, gerade bei der Börse modern zu ein, wird natürlich auch ein schwunghafter Handel mit goldjaltigen Quarzproben getrieben. So sandte ein berüchtigter Gründer aus Coolgardie einmal eine halbe Tonne Stein nach London, der äußerst reich war, aber leider nicht von seinem Mutungsblock stammte. Eine Gesellschaft m(it) b(ankrotten) H(intermännern) wurde geschaffen, und dann traf ein Kabeltelegramm an den leitenden Bergingenieur ein: Sinkt sofort Schacht und beginnt Abbau der Ader!
Die Antwort lautete niederschmetternd: Werde anfangen mit Abbau, sobald Sie mir die Ader zurückschicken!
Kotze, Stefan von
Australische Skizzen
Berlin 1921