Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1884 - Joseph A. Graf von Hübner
Auf einer Schafstation
Darling Downs

Darling Downs, der fruchtbarste Teil der Kolonie, liegt am westlichen Abhang des Küstengebirges, Coast Range [heute: Great Dividing Range] genannt. Die großen Squatter von Darling Downs bilden die queensländische Aristokratie. Die von ihnen besessenen Weidegründe, auf welchen sie ihr Vieh, hauptsächlich Schafe, züchten, nehmen eine Oberfläche von ungefähr 75 Qudratmeilen [etwa 200 km²] ein. Jenseits dieses Gebiets, nach West und Nord, beginnt die Terra incognita. Man fängt zwar an, sie zu erforschen. Eine gewisse Anzahl verwegener Pflanzer haben sich, über Gefahren und Entbehrungen erhaben, auf einige hundert Meilen von der Küste niedergelassen. Demungeachtet ist es noch eine geheimnisvolle Welt.
   Ein schmaler zerklüfteter Landstrich scheidet den Ozean von dem Küstengebirge, dessen Kamm eigentlich den Rand einer sich gegen West und Südwest allmählich senkenden Hochebene bildet. Die dünnen Wasserfäden, welche auf den östlichen Abhängen der Coast Range entspringen, fließen dem Stillen Ozean zu, während die ihren Ursprung auf dem Hochplateau nehmenden Bäche, den Kontinent in südwestlicher Richtung durchkreuzend, den Darling, verschiedene andere Flüsse, endlich den Murray bilden, welcher sich unweit Adelaide in den Indischen Ozean ergießt.
   Wir befinden uns unterwegs nach diesen interessanten Downs. Der Busch beginnt, wo die Stadt aufhört. Es sind aber meist offene, open forests, das heißt teilweise gelichtete Wälder. Die ganze Gegend ist eigentlich nichts anderes. Hier und da sieht man Gehöfte, hier und da eine Häusergruppe, die Stadt genannt wird, aber alles liegt mehr oder weniger versteckt im Busch, der, zu seinem Lobe sei es gesagt, etwas grüner und frischer ist als die Wälder von New South Wales.
   Das Land hebt sich stufenweise, und die engspurige Bahn vertieft sich mehr und mehr im Walde, bis sie eine 2000 Fuß hohe Wand erreicht. Diese zu ersteigen ist nunmehr die Aufgabe. Die Ingenieure lösten sie in der einfachsten und zugleich etwas haarsträubenden Weise, mittels sehr vieler, sehr kleiner und sehr steiler Kurven. Die Fahrt bietet echt australische Fernsichten; eine ernste, großartige Landschaft, die, mit den vorspringenden und zurückweichenden Gliedmaßen des Gebirges wechselnd, doch immer dieselbe bleibt. Bergketten mit horizontalen Kämmen, dicht bewachsen mit Eukalyptus - lichtblau, dunkelblau, grünlichblau - ziehen nach Süden. Zu unseren Füßen gähnt der Abgrund. In seinen tiefsten Tiefen gleichfalls dichter Gummiwald.
   Der Zug hat den Rand der Hochebene glücklich erklettert, ist vor der Hauptstadt von Darling Downs, Tuwumba, vorübergedampft und setzt uns in der Station Oakley [Oakey] ab. Entfernung von Brisbane 124 Meilen.
   Kleine Wägelchen, Buggies, bringen uns über Weidegründe fahrend nach Sir Patrick Jenning's Station.
   Es ist die Zeit der Schur, und man führt uns sofort nach den Hallen, wo diese wichtige Operation vor sich geht. Über die Schafe, wie man mir sagt, Merinos erster Qualität, halte ich mich, bei einer Unkenntnis der Materie, nicht für geeignet, ein Urteil abzugeben. Mehr als die Schafe interessieren mich die Männer, welche unter sich die Arbeit teilen. Es handelt sich hier um eine Reihe systematisch geordneter Operationen. Wir fanden meist junge Leute; die einen, schmächtig und beinahe schwächlich aussehend, sind in der Kolonie geboren, andere, mit breiten Schultern und strammen Armen, Europäer. Alle arbeiten mit höchster Aufbietung ihrer Kräfte so rasch als möglich, weil sie nach der Leistung, d.h. mit einer gewissen Summe für die Schur von 20 Schafen, gezahlt werden. In der Regel reichen fünf Minuten aus, um das Tier seines Felles zu entkleiden. Letzteres wird sogleich durch andere Hände auf die Tischplatte geworfen, auf welche es ausgebreitet fallen muß, was eine nur durch Übung zu erwerbende Fertigkeit verlangt. Die armen Tiere, ihrer Kleidung beraubt und gleichsam sich ihrer Nacktheit schämend, flüchten durch kleine Türen nach dem Hofraum. Die Felle werden sodann klassifiziert, gerollt und in offenen Bretterverschlägen während 8 - 12 Stunden aufbewahrt. Erst wenn sie in dieser Weise die tierische Wärme verloren haben, werden sie gepreßt und in Ballen verpackt, deren jeder mit starker Leinwand umgeben, genäht und bezeichnet wird. Zwei Ballen, durch Eisenklammern verbunden, bilden den Artikel, wie er nach London ausgeführt wird.
   Die Scherer verdienen 15 - 20, die übrigen Arbeiter 10 Shilling am Tage. Außerdem werden sie ernährt. Ihr Getränk ist sehr schwacher Tee ohne Zucker. Während der ganzen Periode, welche 6 - 8 Wochen dauert, enthalten sich die Männer der geistigen Getränke. Aber nach der Schur wird die verlorene Zeit eingebracht, und Alkohol fließt in Strömen.
   Einer der Arbeiter, ein kräftig aussehender Mann mit grauem Haar, welcher die Felle zu pressen hatte, fiel mir durch sein urgermanisches Wesen auf. Ich redete ihn ohne weiteres auf deutsch an. Seine ernsten Züge erheiterten sich, und meine Frage beantwortend, erzählte er mir die einfache Geschichte seines Lebens. »Ich bin,« sagte er mir, » aus der Umgegend von Berlin gebürtig. Wir verdienen hier bei weitem mehr als zu Hause. Allerdings ist das Leben bedeutend kostspieliger, aber demungeachtet geht es uns besser. Wir haben uns niemals gute und kräftige Nahrung zu versagen. So genießen wir alle Tage Fleisch, und zwar in Fülle. Wer arbeitet ist sicher, sein Brot zu verdienen. Armut ist unbekannt.«
   Sir Patrick sagte mir, daß dieser Mann vordem in seinem Solde gestanden war und 100 Pfund Sterling Jahreslohn erhielt. Er verließ diesen Dienst, um free selector zu werden. Sein Weib besorgt das Haus und die kleine Wirtschaft. Er selbst geht auf Arbeit von Station zu Station und ist ein wohlhabender Mann geworden. Wie so viele seiner Landsleute haben ihn die allgemeine Wehrpflicht und sein mäßiges Gefallen am Kriegerstande nach Australien geführt. Es ist dies die Geschichte aller free selectors und kleinen Pflanzer. Nur liederliche Gesellen kommen nicht auf.
   Diese Station, eine der bedeutendsten in den Darling Downs, heißt Westbrook. Das Wohnhaus liegt einige Meilen entfernt auf dem Plateau, welches seinen Charakter bewahrt. Mit Drahtfäden eingeschlossene Weidegründe und halb ausgeroderter Busch folgen sich unablässig. Die Kämme der von uns überschrittenen Berge bleiben in Sicht, erheben sich aber kaum über die Ebene des Plateaus und gleichen niedrigen Hügeln.
   Westbrook ist ein geräumiges Haus, mit einer breiten Veranda, welche die Schlafzimmer gegen die Sonne schützt. Nächst der in das meinige führenden Tür werden mir einige dunkle Blutflecken gezeigt, die Spuren eines Kampfes, welcher gestern hier zwischen einer Katze und einer Kobra stattfand. Vor einigen Monaten, in den ersten Zeiten meines Aufenthaltes in Schlangenländern, würde mit diese Entdeckung eine schlaflose Nacht verursacht haben. Aber dergleichen Gemütsbewegungen verlieren sich bald. Man gewöhnt sich an alles.

Hübner, Joseph Alexander Graf von
Durch das Britische Reich
Band 1, Leipzig 1886

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000

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