1883 - Lady Mary Anne Broome
Die Wüste blüht
Westaustralien
Ich erzähle jetzt von unserer Reise und fange da an, wo ich mit dem letzten Brief aufgehört habe: mit unserer Abfahrt nach Dongara. Der erste Reisetag war nicht besonders beeindruckend, und der Hof, in dem wir übernachtet haben, weder besonders sauber noch komfortabel. Einer unserer Herren hat bei der Häckselmaschine im Schuppen geschlafen, weil ihm sauberes Stroh und die eigenen Decken lieber waren als das ihm angebotene Bett. Ich glaube, der Kutscher und die Ordonnanz haben die Sitze aus der Kutsche genommen und darauf geschlafen! Aber ein Gutes hatte diese Art der Unterbringung doch: Wir sind alle noch im Dunkeln aufgestanden und saßen bei Tagesanbruch reisefertig in der Kutsche.
Nach etwa einer Meile kamen wir an die großen Sand Plains; sie heißen so, obwohl sie eigentlich nur ein schmaler Ausläufer der Sahara oder Wüste im Inneren Australiens sind, weniger als 70 Meilen breit; sie liegen zwischen dem fruchtbaren Land um Dongara und guten Schafweiden auf der anderen Seite.
Man kann diesen Wüstenstreifen nicht umgehen; alles, was die Regierung hat machen können, war, Brunnen zu graben und einzuzäunen und grobgehauene Viehtränken aus ausgehöhlten Baumstämmen dort aufzustellen, wo es Wasser gibt. Und so kann man Rinder durch dieses Stück Wüste treiben, insbesondere nach den Winterregen, wenn die Brunnen voll sind.
Dann gibt es noch hier und da, im Abstand von etwa zehn Meilen, kleine Wäldchen, wie Oasen, einen oder zwei Morgen groß, wo die Hirten lagern und Feuer machen und ihre Tiere ausruhen und fressen lassen können.
Es muß aber sehr mühselig sein, Vieh hier hindurchzutreiben, und es tun auch nur die, die keine andere Wahl haben. Wir haben uns ausgemalt, welche Änderungen die neue Eisenbahn in Kürze bringen wird.
Ich weiß nicht, ob ich Dir überhaupt verständlich machen kann, was für eine Gegend das hier ist. Sieht man sie zum ersten Mal bei Tagesanbruch, wenn die Sonne rot und rund über den fernen östlichen Horizont steigt, kommt sie einem erst recht unheimlich und fremdartig vor. Stell Dir einen Ozean vor, aus Sand statt aus Wasser, und Du hast eine ungefähre Idee, wie es um uns herum aussah - soweit das Auge reichte. Aber es ist kein ruhiger und glatter Ozean, sondern einer mit Wellen und Wogen, die wie durch Zauber plötzlich erstarrt sind. Diese Wellen fuhren wir hinauf und hinunter, immer den Telegraphenmasten folgend; wir sahen keine Spuren von Hufen oder Rädern, nur unsere eigenen von vor ein paar Tagen auf der Hinfahrt nach Dongara. Es ging nur in Schrittgeschwindigkeit vorwärts, und wenn wir einen Sandhügel erklettern mußten, ging es nur sehr, sehr langsam. Der feine Sand rieselte wie Wasser von den breiten großen Rädern, und nichts war zu hören als das Knarren des Wagens und hin und wieder ein Ruf des Kutschers, der die braven Pferde anrief, die mit tief gesenktem Kopf tapfer und stetig vorwärtszogen. Die Herren versuchten, einen Falken zu schießen, der ab und zu vor uns auftauchte; aber er ließ niemanden auf Schußweite herankommen. Andere wilde Tiere haben wir an diesem Tag nicht gesehen.
Zuerst gab es niedrige, magere, nackte Büsche, aber als wir richtig in den Sand kamen, kamen die Blumen dazu. Ist das nicht wunderbar? Ich mußte an den Bibelvers denken über die Wüste, die wie eine Rose blüht, und hier wurde mir zum ersten Mal klar, was das bedeutet.
Während vieler Monate des Jahres ist diese sandige Öde absolut nackt und leblos, aber unsere Reise war so geplant, daß diese Durchquerung zur Blütezeit der Wildblumen stattfand. Und es war ganz bestimmt der schönste Anblick, den man sich vorstellen kann; ich glaube, meine Beschreibung gibt auch nicht annähernd wieder, wie schön es war.
Das große Wunder ist, daß sie überhaupt da sind - die kleinen Büsche, aus denen sie wachsen, scheinen nur locker auf dem Sand zu sitzen, und da sind die Blüten und blühen vor sich hin, ohne einen Tropfen Wasser und unter einer erbarmunglosen Sonne. Sie blühen deshalb nicht länger als drei Monate, aber es ist zum Staunen und wunderschön.
Vor dem Beginn unserer Reise hatten uns Leute gesagt: »Und dann werden Sie unsere wilden Blumen sehen«, und ich hatte wenig interessiert geantwortet »Ach ja« und nicht mehr daran gedacht. Jetzt aber meine ich, daß ich bisher überhaupt nie welche gesehen habe! Immerzu wollte ich den Wagen anhalten, die Leiter anlegen, aussteigen und die eine oder andere ganz besondere Blume pflücken oder auch ganze Büschel ausreißen, denn das ging am schnellsten. Hätte ich das getan, wären wir heute noch dort.
Der Begleitoffizier sprang immer wieder von seinem Pferd, um mir etwas besonders Schönes zu pflücken. Die Menge war einfach verwirrend. So kamen wir an eine Stelle mit himmlischen blauen Blumen, im schönsten, leuchtendsten Blau, das man jemals an einer Blume gesehen hat; und diese Stelle erstreckte sich über Meilen ringsum, so weit man sehen konnte, nur hier und da unterbrochen von Büscheln großer, leuchtendroter Blüten oder einer Ansammlung karmesinroter Immortellen oder fedriger grauer Smoke Plants. Aber ich glaube, Jungs interessieren sich nicht so sehr für Blumen, deshalb will ich Dich nicht mit meiner Begeisterung langweilen. Sie zu trocknen oder sonstwie zu konservieren hat keinen Zweck; die tote Blüte gibt ein genauso falsches Bild wie eine Mumie von einem Menschen.
Das völlige Fehlen von Tieren, die vollkommene Stille, diese farbenprächtige Welt von Blüten rundum ließ einen glauben, es wäre alles nur ein Traum. Geräuschlos ging es weiter und weiter durch den tiefen Sand. Wir waren von dem Anblick der Blumen alle so fasziniert, daß außer einem gelegentlichen »Oh« der Begeisterung keiner etwas sagte.
Als es auf Mittag zu ging, zeigte der Kutscher auf eine dunkle Linie am Horizont und sagte: »Da ist Tipper's Thicket.« Das hörten wir nur zu gern, denn es bedeutete essen, ausruhen und frische Pferde. Seit dem Morgen hatten wir nur 15 Meilen zurückgelegt, und doch waren wir seit Sonnenaufgang unterwegs; daran kannst Du sehen, wie langsam wir gefahren waren.
Broome, Lady Mary Anne
Letters to Guy
London 1885
Neuausgabe: Remembered with Affection
Melbourne 1963
Übersetzung: U. Keller
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000