Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1880 - Carl Lumholtz
Der erste Abend im tropischen Australien
Gracemere, Rockhampton, Queensland

Wir fuhren nach Gracemere, Viehstation der Herren Archer, welche sieben Meilen von der Stadt Rockhampton entfernt liegt. Die Umgegend ist flach, einförmig und sumpfig, aber in der Nähe der Station hebt sich das Terrain.
   Als wir den höchsten Punkt erreicht hatten, eröffnete sich uns plötzlich eine weite Aussicht; vor uns lag ein großer Wasserspiegel, dessen Fluten von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne schimmerten und auf dem sich Hunderte von Vögeln tummelten, und auf den grünen Ufern im Vordergrunde grasten oder saßen unzählige Gänse, welche schreiend aufflogen, als wir uns näherten. Auf einer sich weit in den See erstreckenden Landspitze lag die Station, welche mir auf längere Zeit als Aufenthaltsort dienen sollte; mit ihren vielen Häusern sah sie von weitem wie ein kleines Dorf aus.
   Wir fuhren an einer großen Kaktushecke entlang, um nach dem Hauptgebäude zu gelangen, welches an der äußersten Spitze der Landzunge liegt. Die nackten gezimmerten Wände machten auf mich, der ich von dem Luxus in Melbourne und Sydney kam, einen kümmerlichen Eindruck; aber die geräumigen Zimmer und die kühlen Veranden winkten mir gastfrei entgegen und sahen gemütlich aus.
   Als wir gegessen hatten, nahm Mr. Archer sein Mikroskop hervor, damit ich einige von den Insekten betrachten sollte, welche in Tausenden die Lampe umkreisten, aber weiße Ameisen hatten es unbrauchbar gemacht. Diese Tiere sind für ganz Queensland eine große Plage, und es müssen beim Anlegen der Häuser große Vorsichtsmaßregeln ihretwegen getroffen werden.
   Es war ein eigenartiges Leben, das mit jetzt im australischen »bush« entgegentrat. Die Sommerwärme war drückend, der Novemberabend stockdunkel und wurde nur ab und zu durch starke Blitzstrahlen erhellt.
   Die Insekten sammelten sich massenweise unter dem Dach und fielen, vom Lampenlicht geblendet, scharenweise auf den Tisch, so daß das Lesen unmöglich gemacht wurde. Fledermäuse und Nachtschwärmer flogen durch die geöffneten Fenster und Türen ein und aus; es mag unglaublich klingen, aber nicht allein unten auf der Erde, sondern auch oben im Wasserkühler quakten die Frösche, und zwar so laut, daß sie beim Sprechen störten.
   Ich richtete mich übrigens ganz gut au der Station ein und verbrachte dort einen angenehmen Sommer und Winter, sieben Monate lang, sehr von dem neuen und reichen Wirkungskreis angezogen. Eine kleine Hütte war mir als Arbeitszimmer überlassen und derart eingerichtet, daß sie auch zum sicheren Aufbewahrungsort meiner Sammlungen dienen konnte. Mein europäischer Sommeranzug wurde bald zu warm, und ich schaffte mir das gewöhnliche australische Kostüm an, welche alle tragen, die »in the bush« leben. Ein leichtes wollenes Hemd, darüber ein buntes leinenes, welches am Halse offen ist und dessen Ärmel bis zum Ellenbogen aufgestreift sind, Beinkleider von dickem weißen Baumwollzeug, moleskin genannt, weiße baumwollene Strümpfe und Schuhe, ein breit geränderter Filzhut mit Verbrämung - darin besteht der ganze Anzug, der überall fertig genäht und billig zu kaufen, nett, reinlich und zugleich sehr zweckmäßig ist. Die Gegend von Rockhampton ist wegen ihres warmen und trockenen Klimas bekannt, 40°C ist im Sommer nichts Seltenes. Gracemere liegt gerade so weit innerhalb des Wendekreises, daß man es das tropische Australien nennen kann, die Wärme ist sogar stärker hier als nördlicher in dem feuchten Klima, wo der Passatwind weht. Es kann im Winter vorkommen, daß Reiffrost auf dem Felde liegt, und nicht selten wird Eis auf einer Pfütze, einer Wassertonne usw. gefunden. Das Thermometer fällt zwar nicht sehr tief, aber an solchen Tagen ist die Kälte sehr empfindlich und Kaminfeuer morgens und abends äußerst wohltuend. Der Himmel ist fast immer klar und wolkenfrei, die Luft namentlich im Winter rein und durchsichtig. Die Berge haben dann einen überaus hübschen blauen Farbton, und nach Sonnenuntergang nimmt der Himmel oft einen eigenartigen grünlichen Schimmer an.
   Es läßt sich nicht leugnen, daß ein beständiger Sommer etwas Ermüdendes und Einförmiges hat, denn Sommer ist es ja im größten Teil des Landes; dahingegen wird sich jeder, der Sonnenschein und Wärme liebt, behaglich in Queenslands Klima fühlen, welches wohl das gesündeste in der tropischen Welt ist.
   Das Hauptgebäude der Station ist gleich allen anderen Häusern ganz von einer Veranda umgeben. Dieselbe ist auf eigentümliche Art von Kletter-Feigenbäumen eingeschlossen, welche sich an Pfählen emporranken. Das Dach ist nach australischer Sitte mit Zinkplatten gedeckt und an den Ecken der Häuser sind große Eisenkübel angebracht, in denen sich der Regen sammelt; denn Regenwasser ist in ganz Australien das gewöhnliche Trinkwasser, es wird gewöhnlich auf den Veranden in Säcken von Segeltuch aufgehängt, wodurch es einer starken Verdampfung ausgesetzt und eisig kalt ist.
   Unten am Wasser ist ein sehr hübscher Garten angelegt, in dem Apfelsinen, Weinranken und die europäischen Feigenbäume zwischen Ananas und Mangos der tropischen Zonen wachsen. Im Winter gedeihen Levkojen, Reseda, Astern und ähnliche Blumen recht gut, aber der Sommer ist für dieselben zu warm. Pelargonium und Kalledium prangen in prächtigen Farben.
   Die hervorragendsten Bäume im Garten sind die prachtvolle madagassische Pontiana regia, die Tamarinde, der Jacarandenbaum nebst verschiedenen australischen Tannen, unter denen ein besonders hübsches Exemplar der bekannten Bunya-bunya (Araucaria Bidwillii) ist. Dieser stolze Baum wächst nur von Brisbane an bis zum Burnett River und wird von der Regierung wegen der Schwarzen beschützt, welche die riesenhaften Zapfen aufsammeln und den Samen als Nahrungsmittel benutzen.
   Kaktus und Dattelpalmen entzücken das Auge, tragen aber aus unbekanntem Grund keine gute Frucht.
   Am Rande des Wassers ist in großer Ausdehnung der berühmte ägyptische Papyrus angepflanzt worden, der nachgerade zu eine dichten Boskett herangewachsen ist. Ein kleiner Rohrsperling (Acrocephalus australis) hat sich in diesem Papyrusgebüsch niedergelassen, in dem er paarweise nistet. Er singt namentlich abends und in der Nacht und gilt als Australiens bester Sänger. Das Wasser oder die Lagune, wie es genannt wird, ist eine Meile lang und ein eine halbe Meile breit und wird von vielen Wasservögeln belebt. Im Winter werden über 400 Pelikane gesehen, aber im Sommer ziehen die meisten fort.
   Die Pelikane fischen namentlich nachts, und zwar betreiben sie, wie bekannt, dieses Geschäft in größerer Gesellschaft. Das Geräusch, das sie während des Fischens durch das Plätschern mit ihren Flügeln hervorbringen, klingt ungefähr so, wie wenn sich ein Raddampfer in Bewegung setzt. Manchmal sah ich, wie sie sich emporschwangen, ohne scheinbar die Flügel zu bewegen, spiralförmig stiegen sie höher und höher, bis sie ganz zuletzt außer Sicht waren. Es hatte den Anschein, als täten sie es nur zu ihrem Vergnügen oder um sich zu sonnen; kommen sie aber wieder herunter, so geschieht es mit einer solchen Schnelligkeit, daß es in der Luft saust.
   Einige Arten von Schwänen (Cygnus atratus) werden ab und zu gesehen, im November hörte ich sie manchmal abends singen. Es wimmelt von Enten und Gänsen, weißen, grauen oder blauen Reihern und Schlangenhalsvögeln (Plotus).
   Mr. A. Archer zählte einmal 37 verschiedene Vogelarten auf der Lagune, und doch ist das Vogelleben unbedeutend im Vergleich mit dem, was es vor Jahren war. Das Vieh hat nämlich das an den Ufern wachsende hohe Gras und Schilf aufgefressen, in dem unzählige Vögel, unter anderen auch schwarze Schwäne, nisteten. Mr. Archer schätzte ehemals die Zahl der Vögel auf mehr als 10.000, und zwar nur auf dieser Lagune. Wurde ein Schuß abgefeuert, so erhoben sich die Vögel mit einem Lärm, der dem fernen Donner glich.
    Der auffallendste Vogel der Lagune ist unbedingt die schöne Parra gallinacea, in Australien Lotusvogel genannt. Er hält sich auf umherschwimmenden Blättern, namentlich auf denen der Wasserlilie auf, und da die blauen Wasserlilien stark an den Ufern der Lagune vertreten sind, findet man auch dort die meisten Lotusvögel. Er ist etwas größer als eine Drossel, hat sehr lange Beine und namentlich ungewöhnlich entwickelte Zehen, wodurch er mit großer Leichtigkeit über die schwimmenden Blätter spaziert. Er frißt namentlich Schnecken und Insekten, welche er gewöhnlich beim Umwenden des Blattes findet. Sein schmuckloses Nest baut er gleichfalls auf Blättern.
   Die Eier werden als große Seltenheit angesehen, sie zeichnen sich durch Form und Farbe aus, haben ein schönes Braun mit vielen Strichen und Flecken. Sie sehen aus, sagt Gould, »als wären sie von einem Manne gezeichnet, der es darauf angelegt hat, die Oberfläche mit phantastischen Linien zu bedecken, um sich durch diesen Versuch selber ein Vergnügen zu bereiten«. Die Jungen sehen sehr possierlich aus mit ihren im Verhältnis zu dem winzigen Körper langen Beinen und Zehen.
   Der ausgewachsene Vogel ist nicht scheu, die Jungen hingegen sehr furchtsam. Ich beobachtete öfters die alten Vögel mit ihren Jungen; näherte ich mich, so verschwanden die Jungen spurlos, während die Alten ohne Furcht umherstolzierten und sich um niemanden kümmerten. Lange blieb es mir ein Rätsel, wie die Jungen sich so gut verstecken und auch so lange Zeit spurlos verschwinden konnten, aber die Auflösung erhielt ich eines Tages schönen Tages. Ein alter Vogel kam mit zwei Jungen dicht ans Land, ich verbarg mich hinter einem Baum, ließ sie dicht an mich herankommen, und als ich plötzlich vorsprang, sah ich die beiden Jungen schnell unter Wasser tauchen und sich am Grunde festhalten; hier konnte ich sie über eine Viertelstunde beobachten und holte sie dann hervor.
   Es sind viele Fische in der Lagune, Barsche, Aale und Hechte mit sehr langer Schnauze, aber besonders zahlreich ist der Mugil vertreten. Dieser besitzt die Eigentümlichkeit, hoch aus dem Wasser emporzuschnellen; dabei kommt es vor, daß er ins Boot fällt und so gefangen wird.
   Ist der Wasserstand der Lagune wegen Trockenheit sehr niedrig, so kann man mit Sicherheit darauf rechnen, überall beim Baden auf Fische zu stoßen, die einem gerade über den Kopf daher fahren.
   Gracemere war ursprünglich Schafstation, aber in späteren Jahren mußten die Schafe dem Rindvieh weichen. Teils war das Klima zu feucht, teils wurden die Schafe durch die schädliche Grasart, welche an der Küste wächst, das so sehr gefürchtete spear grass (andropogon contortus) vernichtet. Es hing sich in der Schafwolle fest oder bohrte sich in das Fleisch ein, wodurch die Tiere starben. Aus dem Grunde ist Gracemere jetzt ausschließlich Viehstation; die Schafe wurden circa 350 Meilen westwärts geführt.
   Als eine Kuriosität führe ich an, daß in Gracemeres Umgegend das in Norwegen so bekannte Dachrohr wächst (Phragmites communis), wohl die einzige Grasart, welche Norwegens und Queenslands Flora gleichzeitig besitzt.
   Da die Herren Archer Norweger sind, oder wenigstens norwegisierte Briten, wird es vielleicht von Interesse sein zu erfahren, daß dieselben die ersten Weißen waren, welche das Land an der Stelle, wo jetzt Rockhampton liegt, in Besitz nahmen. Sie haben auch manchen Punkten in der Umgegend nordische Namen gegeben, wie z.B. Mount Berserker, Sleipner, usw. Ihre Weideplätze hatten im Anfang eine Ausdehnung von 50 Meilen in der Länge und ungefähr 20 in der Breite.
   Aber je mehr das Land kolonisiert wird, erhalten die Vieheigentümer nicht mehr die Erlaubnis, jene großen Weideplätze zu behalten; den dieselben gehen nicht eigentlich in ihren Besitz über, sondern sie dürfen sie nur gegen eine jährliche Abgabe an die Regierung benutzen. Daher wurde das Areal der Station sehr bald beschränkt, indem das Land zum Verkauf ausgeboten ward. So geht es gewöhnlich mit allem neu angebauten Land in Australien. Zuerst kommt der große Schaf- und Viehbesitzer, der Squatter, welcher oft auf ungeheure Strecken Beschlag legt. Später muß er kleineren Eigentümern das Feld räumen, den Selectors, welche hauptsächlich Ackerbau treiben.
   Der Squatter erhält jedoch Erlaubnis, einen bestimmten Teil des Landes als Erbeigentum zu kaufen, und dies hatten die Herren Archer getan. Auf ihrem Besitz befanden sich jetzt nur 4.000 Stück Vieh, aber es war alles Vollblut. So hatten sie kürzlich einen 9 Monate alten Ochsen eingeführt, welcher 315 Pfund Sterling kostete. Nicht wegen der Milch, sondern des Fleisches wegen wird in Australien so viel Gewicht auf eine feine Viehrasse gelegt.

Lumholtz, Carl
Unter Menschenfressern - Eine vierjährige Reise in Australien
Hamburg 1892

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000

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