Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1836 - Charles Darwin
King George Sound

7. Februar. - Die Beagle segelte von Tasmanien ab und erreichte am sechsten des folgenden Monats King George Sound, welcher an der südwestlichen Ecke von Australien liegt. Wir blieben hier acht Tage und haben während unserer ganzen Reise keine langweiligere und uninteressantere Zeit verlebt. Das Land sieht, von einer Erhöhung aus angesehen, wie eine bewaldete Ebene aus, hie und da mit abgerundeten und zum Teil nackten Bergen. Eines Tages ging ich mit einer Gesellschaft aus, in der Hoffnung, eine Känguruh-Jagd zu sehen, und marschierte eine ziemliche Anzahl von Meilen durch das Land. Überall fanden wir den Boden sandig und arm. Er trug entweder eine grobe Vegetation von dünnem niedrigem Buschwerk und drahtartigem Gras oder einen Wald von verkümmerten Bäumen. Die Szenerie glich der auf den hohen Sandsteinplateaus der Blauen Berge.
    Indes findet sich die Casuarina (ein ungefähr einer schottischen Tanne ähnlicher Baum) in einer größeren Zahl und der Eucalyptus in etwas geringerer. An den offenen Stellen finden sich viele Grasbäume - eine Pflanze, welche in ihrem Äußeren eine gewisse Verwandtschaft mit der Palme hat, aber statt von einer Krone nobler Wedel besetzt zu sein, nur ein Büschel sehr grober grasähnlicher Blätter am oberen Ende trägt. Die allgemeine grüne Färbung des Strauchwerks und anderer Pflanzen schien, von der Entfernung aus gesehen, für Fruchtbarkeit zu sprechen. Indes war ein einziger Gang hinreichend, um eine derartige Illusion zu zerstören. Und wer so wie ich denkt, wird niemals den Wunsch hegen, noch einmal in einem so wenig einladenden Lande spazierenzugehen.
    Eines Tages begleitete ich Kapitän Fitzroy nach Bald Head, dem von so vielen Seefahrern erwähnten Ort, wo sich einige einbilden, Korallen gesehen zu haben, andere versteinerte Bäume, welche in der Stellung stehen sollten, in der sie gewachsen wären. Unserer Ansicht nach waren die Schichten dadurch entstanden, daß der Wind feinen, aus außerordentlich kleinen, abgerundeten Stückchen von Muscheln und Korallen bestehenden Sand angehäuft hat, wobei im Verlauf dieses Prozesses Zweige und Wurzeln von Bäumen in Verbindung mit vielen Landmollusken eingeschlossen wurden. Das Ganze wurde dann durch das Durchsickern von kalkhaltiger Flüssigkeit konsolidiert, und auch die zylindrischen Höhlen, welche nach dem Zerfallen des Holzes übrigblieben, wurden in dieser Weise mit einem harten tropfsteinartigen Gestein erfüllt. Die weicheren Teile werden jetzt durch einen Verwitterungsprozeß entfernt, und infolgedessen springen die harten Abgüsse der Wurzeln und Zweige der Bäume über die Oberfläche vor und ähneln in einer eigentümlich täuschenden Weise den abgestorbenen Stümpfen des früheren Dickichts.
    Ein großer Stamm von Eingeborenen, genannt die Weißen-Kakadu-Leute, machten zufällig der Niederlassung einen Besuch, solange wir dort waren. Diese Leute wurden durch das Anerbieten von ein paar Faß Reis und Zucker überredet, ein großes Corroboree, das heißt eine Tanzgesellschaft abzuhalten. Sobald es dunkel war, wurden kleine Feuer angezündet, und die Leute fingen an, ihre Toilette zu machen, welche darin bestand, daß sie sich in Flecken und Streifen weiß malten. Sobald alles fertig war, wurden große Feuer in beständiger Glut erhalten, um welche herum die Frauen und Kinder als Zuschauer sich versammelten. Die Kakadu-Leute bildeten zwei verschiedene Parteien und tanzten meist sich einander beantwortend. Der Tanz bestand darin, daß sie entweder nach der Seite oder nach Indianerart hintereinander auf einen freien Fleck liefen und den Boden, während sie zusammen marschierten, mit großer Gewalt stampften. Ihre schweren Fußtritte wurden durch eine Art von Grunzen, durch das Zusammenschlagen ihrer Keulen und Speere und von verschiedenen anderen Gestikulationen begleitet, wie von dem Ausstrecken ihrer Arme und dem Winden ihrer Körper. Es war eine außerordentlich rohe, barbarische Szene und nach unserer Meinung ohne irgendwelchen Sinn; wir beobachteten aber, daß die schwarzen Frauen und Kinder es mit dem größten Vergnügen verfolgten. Vielleicht stellten ursprünglich derartige Tänze gewisse Handlungen, wie z. B. Kriege oder Siege, vor; da war ein Tanz, welcher der Emu-Tanz genannt wurde, bei welchem jedermann seinen Arm in einer eigentümlich gebogenen Art wie den Hals jenes Vogels ausstreckte. Bei einem anderen Tanz ahmte ein Mann die Bewegung eines in den Wäldern grasenden Känguruhs nach, während ein anderer herankroch und nun darstellte, wie er es mit dem Speer treffe. Wenn beide Gruppen sich zum Tanz vereinigten, zitterte der Boden unter der Schwere ihrer Tritte, und die Luft erklang von ihrem wilden Geschrei. Alle schienen sehr aufgeräumt zu sein, und die Gruppen beinahe nackter Figuren, im Schein der glänzenden Feuer betrachtet, die sich alle in einer widrigen Harmonie bewegten, boten eine vollkommene Darstellung eines Festes unter den niedrigsten Barbaren dar. Auf Feuerland haben wir viele merkwürdige Szenen des Lebens der Wilden gesehen, aber ich glaube, niemals eine, wo die Eingeborenen so aufgeräumt und so vollständig guter Laune waren. Nachdem der Tanz vorüber war, bildete die ganze Gesellschaft einen großen Kreis auf der Erde, und zum Entzücken aller wurden nun der gekochte Reis und Zucker verteilt.
    Nach mehreren langweiligen Aufenthalten infolge von schlechtem Wetter waren wir am 14. März froh, unseren Bug zur Ausfahrt aus dem King George Sound und zur Fahrt nach der Keeling-Insel zu richten. Lebewohl, Australien, du bist ein aufblühendes Kind und wirst zweifellos einmal eine große Fürstin des Südens sein: Du bist aber zu groß und ehrgeizig zur Liebe und noch nicht groß genug zum Respekt. Ich verlasse deine Ufer ohne Kummer und ohne Bedauern.

Darwin, Charles
Reise eines Naturforschers um die Welt
Stuttgart 1875

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!