1851 - Friedrich Gerstäcker
Goldrausch in Sydney und Bathurst
Wie hatte sich Sydney in der kurzen Zeit meiner Abwesenheit verändert! Als ich vor etwa vier Monaten den Ort verließ, war es eine zwar geschäftige, aber sonst ruhige und allem Anschein nach vollkommen vernünftige Stadt, in der nicht die geringsten Symptome irgendeines hitzigen Fiebers oder eines versteckten Wahnsinns zu erkennen waren. Alles ging seinen geregelten Gang, und wenn auch dann und wann einmal ein paar ehrgeizige Redner in irgendeinem Antitransportationsmeeting [es gab Bestrebungen, die britische Regierung zu der Einstellung der Deportationen zu bringen] einen kleinen Teil der Bevölkerung für ein paar Stunden aufregten, so verlor sich diese augenblickliche Aufwallung doch schon abends beim Tee wieder, und am nächsten Morgen war keine Spur mehr davon zu finden. Was aber fand ich wieder?
Es wird schwer sein, lieber Leser, Dir einen deutlichen Begriff von dem wirklich fabelhaften Zustand zu machen, in dem sich die Leute zu befinden schienen, und wie mir selber dabei zumute war. Bist Du schon einmal, selbst vollkommen nüchtern, in eine Gesellschaft etwas angetrunkener, höchst fideler, exaltierter Leute gekommen, in eine Gesellschaft, wo alles drunter und drüber ging, wo die Flaschen unter und die Leute auf den Tischen lagen, wo man sang und jubelte, Reden hielt und einander, ohne darauf zu achten, daß der Nachbar das nämliche tat, die wahnsinnigsten Geschichten in die Ohren schrie und nun ebenfalls verlangte, daß der eben Eintretende all das tolle Zeug auch ebenso toll mitmachen und sich ohne weitere Vorbereitung in den höchsten Grad geistiger Aufregung nicht erst hineinarbeiten, sondern gleich hineinstürzen solle? So ungefähr ging es mir, als ich hier nach Sydney kam und sich alles wie im tollen Walpurgistanz der Brockennacht um das flammende Teufelslicht so hier um den blühenden Götzen des neugefundenen Goldes schwindelnd, aber unermüdlich drehen sah, und wenn ich nicht glaubte, daß die Leute alle mitsammen verrückt geworden wären, so geschah das nur aus dem einzigen Grunde, weil ich es ganz gewiß wußte.
Man hörte, wohin man sich wandte, nichts auf der weiten Welt als entsetzliche Geschichten von riesigen »Nuggets« (ein wahrscheinlich mit dem Gold gefundenes Wort, das noch in keinem Wörterbuch steht), cradles, licenses, claims und wie alle die geheimnisvollen Sprüche sonst heißen mögen. Alle Berechnungen reduzierten sich auf Unzen und Pennyweights und ein gewöhnliches Gespräch konnte man mit keinem Menschen mehr führen.
»Doktor, ich weiß nicht, mir ist heute morgen so unwohl«, hörte ich einen meiner Freunde zu seinem Hausarzt sagen.
»Haben sie schon von dem Riesennugget gehört?« lautete die Antwort.
»Jawohl, jawohl, aber meinen Sie wohl, daß ich etwas einzunehmen brauche?«
»Nein bewahre, hundert und sechs Pfund Troy soll er an reinem Gold wiegen.«
Ein Orangenmann schiebt seinen Karren durch die Straße und die George Street hinauf, als ob er die Post einholen wolle.
»Hallo old fellow - was kosten die Orangen?«
»Letzte Ladung, letzte Ladung, Gentlemen!« schreit der Bursche stehenbleibend und sich den Schweiß von der Stirn trocknend, »morgen fahre ich was anderes als Orangen nach Bathurst hinauf - acht für Sixpence - bless your eyes have you seen the nugget?« Es ist zum Verzweifeln.
In der George Street besonders bildeten sich dabei die wunderlichsten Gruppen - vor den Juwelierläden standen die Menschen und schauten in staunender Bewunderung die außerordentlichen Nuggets an, vierzig und fünfzig Unzen schwer, die eben in den Ophir Diggings gefunden und hier nun zur Schau gestellt waren. Sie verheißen so viel wie: »So, seht Ihr, so ein Stück könnt Ihr auch bekommen, und vielleicht noch größer, wenn Ihr Euch nur augenblicklich Wiegen, Schaufeln, Spitzhacke und alle möglichen anderen Marterwerkzeuge kauft, Hunderte von Meilen in die Gebirge zieht und dort zu arbeiten anfangt, als ob Ihr Euch nach den Antipoden durchgraben wolltet.«
Vor der Redaktion des Morning Herold ging es noch bunter zu - dort war gerade die Zeitung aufgeklebt, in der der neuentdeckte hundertpfündige Klumpen beschrieben stand, und einige zwanzig Menschen schienen total unbekümmert, was aus ihrem übrigen Körper würde, so sie nur den Kopf in die förmliche Schädelpyramide einzwingen konnten, die sich von gierigen Lesern des goldenen Berichts um das beliebte Zeitungsbrett her gebildet hatte. Wer bis jetzt noch nicht mit sich einig gewesen war, ob er in die Goldminen hinaufgehen sollte oder nicht, dem war der 300 Pfund schwere Klumpen in das Gegengewicht geschlagen, und er machte sich nun Hals über Kopf auf den Weg, die andern, jedenfalls dort noch ebenso herumgestreuten Klumpen nicht länger unaufgehoben liegen zu lassen.
Eisen - wer hat da behauptet, daß im Eisen die magnetische Kraft liege, die über den ganzen Erdball hin ihre Wirkung ausübe? Gold ist der Zauber, der jetzt wie ein böser Fiebertraum über den Weltball zuckt, Gold der Magnet, dem sich in diesem Augenblick die Nadeln der ganzen Christenheit zuwenden und von dem selbst die Heiden angesteckt sind, daß sie Heimat und Freunde verlassen, um in der Fremde elend zu werden.
In der Straße sah es aber noch bunter aus - an einer Menge von Stellen wurden Karren gepackt - unten Fässer und Kisten, oben Wasch-und Quecksilbermaschinen darauf gebunden, und Spaten, Schaufeln und Spitzhacken überall eingesteckt, wo noch irgendein Luftloch frei geblieben war. Um solche Karren standen dann immer Scharen von Menschen, staunten die Maschinen an oder beneideten die Glücklichen, die jetzt schon imstande waren, dem Eldorado entgegenzueilen - die Glücklichen! Dray nach Dray, mit allen nur möglichen brauchbaren und unbrauchbaren Dingen beladen, von mageren Ochsen oder Pferden gezogen und ganzen Karawanen abenteuerlich gekleideter Mädchen eskortiert, zog die Straßen hinauf oder hielt vor den öffentlichen Schenkläden, noch einmal und wieder einmal einen letzten Abschiedstrunk zu tun.
Der größte Menschenhaufen sammelte sich aber stets, wenn die Post, die Royal Mail, mit lebender Fracht bis an den Gipfel beladen, abends um 5 Uhr abfuhr - nicht allein Abschiednehmende (und verwünscht gute Ursache hatten sie, von denen Abschied zu nehmen, die ihren Hals auf einer australischen königlichen Postkutsche in Gefahr brachten) und Glückwünschende, sondern auch Massen von Neugierigen, die wenigstens jene Passagiere noch einmal sehen wollten, die in zweimal vierundzwanzig Stunden sich schon wirklich in jenen fabelhaften Regionen befinden würden, gegen die Aladins Lampe und Sindbads Höhle doch immer nur eine alte Rüstkammer abgelegter Juwelierarbeiten waren. Wenn diese Leute nachher nach Hause gingen, geschah es gewöhnlich mit dem festen Entschluß, ihr Glück nun auch nicht länger förmlich von sich zu stoßen, jede andere Beschäftigung, sei sie auch noch so einträglich, hier aufzugeben und mit erster Gelegenheit selber nach den Minen aufzubrechen.
Der Preis bis Bathurst, etwa 130 englische Meilen, war bis jetzt 30 Shilling oder eineinhalb Pfund Sterling gewesen, durch diese Masse von Passagieren aber, die befördert werden wollten, stieg er auf 2 Pfund 5 Shilling, und als ich mich an dem Tag nicht gleich einschreiben ließ und am nächsten wieder hinkam, auf 2 Pfund Sterling 10 Shilling hinauf, und dabei nur 14 Pfund Gepäck frei. Da ich übrigens fest entschlossen war, hier in Australien, seit mir doch Zeit genug blieb, die Minen wenigstens einmal zu besuchen und den Charakter derselben kennenzulernen, wollte ich denn auch keine Zeit mehr versäumen, nahm mir einen Platz auf den nächsten Mittwoch in acht Tagen und wartete nun ruhig meine Zeit ab, bis die Reihe an mich kommen würde.
So rückte denn der Mittwoch heran, abends um fünf Uhr war ich an Ort und Stelle, kletterte, meiner früheren Fahrt nach Albury eingedenk, gleich von Anfang an oben auf den Wagen, wo wir 16 erwachsene Menschen saßen, und mit dem Ruf «All is right», während noch keiner seinen Sitz eigentlich gewiß hatte, zogen die Pferde an, und wir schüttelten uns nach und nach ineinander.
Bis Paramatta geht die Stagecoach, ein sehr schöner stattlicher Wagen, das sind 15 Meilen. Von da bis Penrith, etwa 18 Meilen mehr, bekommt man eine Art Omnibus, auch noch bedeckt, von da aber fangen die offenen Karren an; die Pferde waren schlecht und die Wagen ebenfalls, und das Ganze war in der kalten Nacht eben eine miserable Fahrt. In der Stockdunkelheit ließ sich natürlich auch nicht viel von der Gegend erkennen, überall am Weg sahen wir aber die Lagerfeuer der in die Minen mit Provisionen und Gerät Wandernden, manchmal fünf bis sechs Feuer zusammen, und mehrmals überholten wir Fußreisende, die mitten in der Nacht rüstig vorwärts wanderten und dem Anschein nach gar nicht den Tag abwarten konnten, um nur erst die Minen - das Gold - zu erreichen.
Etwa um neun Uhr am nächsten Morgen begegneten wir vier Männern, die aus den Minen zurückkamen; sie rasteten einen Augenblick in demselben Haus, wo wir frühstückten. Meine Mitpassagiere fielen gierig über sie her, ihnen einen getreuen Bericht vom Eldorado abzupressen; sie waren aber einsilbig, meinten jedoch, es sei viel Gold oben, und wer nur tüchtig arbeiten wolle, könne schönes Geld verdienen. Die Goldgierigen waren damit vollkommen beruhigt - arbeiten, bah, was ist das, das versteht sich von selbst - nur Gold. Mir klang die Sache ungemein nach Kalifornien, und ich freute mich auf das Resultat.
An demselben Morgen kamen wir zu Mount Victoria, und es war dies der erste Platz in Australien, wo ich wirkliche Szenerie in einem etwas großartigeren Charakter gesehen habe. Mount Victoria ist selber ein ziemlich bedeutender Berg, der schroff und malerisch in einen ihn von drei Seiten umgebenden Kessel hinabläuft und ein weites, mit Bäumen dicht bewachsenes, tiefes Tal bildet. Die Vegetation ist allerdings dieselbe wie in allen übrigen Teilen Australiens, die ich bis jetzt gesehen habe. Gumbäume, ewige Gumbäume [Eukalyptusbäume], was eben alle übrigen Landschaften so entsetzlich monoton macht. Hier aber, wo die weit ausgedehnten und zurückgedrängten Bergmassen eine weitere Fernsicht gestatten, erhalten die den Hintergrund und die Seitenkulissen bildenden Schichten eine andere, sich mehr und mehr ablichtende Färbung und dadurch selbst meine Freunde, die Gumbäume, einen ehrenvollen Platz in dem Ganzen; man vergißt für den Augenblick, daß sich ihre Brüder in der Ferne nur mit dem fremden Sonnenlicht geschmückt und farbige bunte Nebelschleier übergehängt haben, um sich ein anderes, phantastisches Aussehen zu geben, daß es aber sonst ebenfalls nur ehrliche, mattfarbige, gleichblättrige Gumbäume sind.
Der hier eine tiefe Schlucht überbauende Weg scheidet die beiden Täler mit einer ihm gegenüberliegenden Felskuppe in zwei, wie es scheint, fast gleiche Hälften, von denen der Blick nach rechts hinunter wohlgefällig auf kleinen hingestreuten weißen Häusern und Wohnungen geschäftiger Menschen ruht, während links die noch unberührte, unentweihte Wildnis in all ihrer großartigen Öde liegt.
Unentweiht sage ich? Der Kutscher erzählte uns eine Anekdote vom Mount Victoria, die mir das Blut in den Adern gerinnen machte. Gerade vor der höchsten Kuppe, die mit steilen und schroffen Felsmassen weit über den unter ihr rauschenden Wald hinaushängt, fuhren wir vorbei, als er nach der höchsten Spitze hinauf zeigte und, sich zu uns umwendend, sagte: »Das ist die Spitze, wo sich damals der junge Bursche hinuntergestürzt hat.« Und weshalb? lautete die fast allgemeine Frage.
»Oh, er soll nicht richtig im Kopf gewesen sein«, sagte einer der Passagiere, der schon mehr als zwanzig Jahre hier im Lande war und die Verhältnisse wohl genauer kannte, als er selber gern gestehen mochte, »es war damals, als sie hier die Straße bauten, und sie hatten einen jungen Bengel dabei, der immer den Kopf hängen ließ und sich mit den anderen gar nicht abgeben wollte. Natürlich waren es lauter Kettengänger, Deportierte, welche die öffentlichen Arbeiten verrichten mußten. Keiner von allen mochte den jungen Burschen leiden, er paßte auch nicht zwischen die Leute, und der Führer hieb ihn manchmal, wenn er, wie er meinte, seine trübe Laune hatte, ‚daß ihm die Haut vom Rücken hing‘. Eines Morgens, als er auch einmal, ich weiß nicht mehr, was, versehen und seine gehörige Portion Prügel bekommen hatte, war er auf einmal verschwunden, und wie wir - wie die Leute hier unten am Wege arbeiteten, sahen sie auf einmal den jungen Menschen da oben auf der Felskuppe stehen. Der Aufseher rief ihm natürlich gleich zu, er solle herunterkommen und an die Arbeit gehen, sonst ließe er ihm eine andere Portion aufzählen; der ‚Verrückte‘, denn verrückt muß er ganz gewiß gewesen sein, schüttelte aber langsam den Kopf, hob dann die Hände in die Höhe und rief so laut, daß wir es alle mitsammen deutlich hören konnten: ‚Gott sei meiner Seele gnädig - Gott segne Euch alle!‘ und warf sich von da oben herunter, daß er gleich darauf wie ein Wollsack aufschlug«.
»Und war er tot?« fragte einer.
»Tot?« sagte der Erzähler, und der rauhe Gesell schauderte innerlich ordentlich zusammen, als ihm wahrscheinlich das Bild des zerschmetterten Unglücklichen wieder vor der Seele auftauchte.
»Hier die Brücke sind auch vor einiger Zeit ein paar hinuntergefallen«, sagte der Kutscher, um uns auch die zweite angenehme Nachricht genießen zu lassen.
»Über das Geländer?« »Ja, da dicht am Geländer hin, wo die kleinen Büsche stehen - es waren zwei, die nach Bathurst marschierten. Unterwegs bekamen sie Streit miteinander, und gerade hier fingen sie an, sich zu boxen und zu ringen, bis sie dann beide hinunterstürzten und einer gleich tot blieb und der andere, glaub ich, nur Arm und Bein zerbrach. Er ist aber wohl auch nachher gestorben.«
»Nein«, sagte da einer der Passagiere, ein bleicher, finster aussehender Gesell, »das war ich selber.«
Wir sahen den Mann alle an, der Kutscher hieb aber in dem Moment in die Pferde, der Weg ging steil bergab, und im vollen Galopp rissen die Tiere den Weg hinab den schweren Wagen hinter sich her, daß ich alle Augenblicke glaubte, wir schlügen kopfüber kopfunter den Hang hinunter, und dann hätte ich nicht einen Pfifferling um unser aller Leben gegeben. Wir hatten aber Glück, kamen lebendig unten an und wechselten im Tal die Pferde.
Die Straße glich jetzt einem Jahrmarktsweg - überall Karren, bald mit Pferden, bald mit Ochsen bespannt; überall aber schwer mit Gepäck beladen und mit Zügen von Menschen vor und hinter sich, die also den Minen und damit, wie sie meinten, ihrem Glück entgegenzogen. Hier und da fanden wir noch Lagerfeuer am Weg, wo die Karawanen nicht zeitig aufgebrochen oder Treiber ausgegangen waren, das im Wald zerstreute Vieh zusammenzusuchen; an anderen Orten rauchten die niedergebrannten Feuer, und Scharen schwerbepackter Männer und nicht selten Frauen, sogar mit Kindern auf dem Rücken, trafen und überholten wir auf der Straße. Das Wetter war klar und schön, und die Leute schienen alle bester Laune und voll der reichsten Hoffnungen.
Den Nachmittag, wo wir an ein Stück sehr schlechter Straße kamen, rannten wir mit den beiden rechten Rädern über eine mitten in den Geleisen hochaufstehende Wurzel, und es knackte irgendwas an dem Fuhrwerk. Der Kutscher stieg ab und sah nach Rädern und Federn; dort schien aber alles in gutem Stand oder war vielmehr so mit Schmutz bedeckt, daß sich gar nichts erkennen ließ. Er stieg wieder auf, gab den Pferden die Peitsche, und im Galopp ging es den steilen holprigen Berg hinunter. Wie wir unten ankamen, fiel die Deichsel, die oben, als wir über die Wurzel rasselten, wahrscheinlich eingeknickt war und wohl nur noch aus Gefälligkeit so lange gehalten hatte, aus den Schultern, und wir mußten jetzt beinahe vier Meilen bis zur nächsten Poststation zu Fuß gehen. Wäre sie unterwegs an dem Berghang ausgefallen, wir hätten Arme und Beine gebrochen.
Abends, schon eine Weile nach Sonnenuntergang, erreichten wir Bathurst und stiegen dort im Royal Hotel bei Mrs. Black ab. Kaum war hier noch Raum zu bekommen, so lagen all die Wirtshäuser voll; ich hörte auch, daß die am nächsten Morgen nach den Minen hinaufgehende Post ebenfalls schon gänzlich besetzt sei, und entschloß mich bald, den übrigen Weg - nur noch etwa 28 Meilen - zu Fuß zurückzulegen.
Die Gespräche im Hotel zu Bathurst drehten sich natürlich einzig und allein um das schon gefundene und noch zu findende Gold, und so sehr mich der Inhalt selber anekelte, so interessant waren mir doch auch zu gleicher Zeit die manchmal förmlich wahnsinnigen Ansichten einzelner. Besonders interessierte mich ein englischer Jude, der auf die geheimnisvollste Weise von selbstentdeckten und noch keinem Menschen weiter bekannten förmlichen Goldbergen sprach, um die herum er die Diamanten und anderen Edelsteine nur so auflesen könne. Seine Zuhörer horchten ihm im wahren Sinn des Wortes mit offenem Munde zu, und ein paar herumgezeigte Stücke Gold setzten seiner ganzen Erzählung die Krone auf. Nicht mehr von Unzen und Pfunden sprachen die Leute, sondern von Zentnern, und das schönste dabei war, daß sie ernsthaft blieben.
Ich trank mein Glas Brandy hot und legte mich nachher ruhig zu Bett; ich hatte morgen eine tüchtige Fußtour vor mir und wußte nur zu gut, was mir in den Minen selber an Strapazen und Unannehmlichkeiten bevorstand; war aber auch dabei fest entschlossen, nur eben so lange oben zu bleiben, bis ich einen Überblick über das Ganze erlangt hätte, und nicht wieder etwa, wie in Kalifornien, mich festzuarbeiten.
Mit zweien meiner Mitpassagiere auf der Royal Mail - ich sollte sie eigentlich Leidensgefährten nennen - brach ich am nächsten Morgen nach den Minen auf; der Weg war öde und wenig belebt, denn die richtige und nächste Minenstraße nach dem Innern führte gar nicht über Bathurst; dennoch überholten wir viele Drays, die schwer beladen in die Berge zogen, und hätten den Turon selber schon früh genug erreichen können, wären meine beiden Wandergefährten nicht so entsetzlich schlechte Fußgänger gewesen. Der eine besonders war ein kleines dickes Männchen, und so schnell ihn auch sein eigenes Gewicht, immer tief dabei aufseufzend, bergab trieb, so rasch blieb er zurück, wo der Weg nur selber eben wurde, und ging es erst einmal gar wieder bergauf, dann mußten wir anderen beiden oft Viertelstunden lang warten, um ihn nur wieder in Sicht zu bekommen. Wir ließen ihn aber später ganz zurück, und ich habe ihn nie wieder gesehen.
Mein anderer Begleiter war ebenfalls, wie mir am Anfang schien, ein ziemlich stark beleibter Gesell, mit nur etwas magerem Gesicht, der Schweiß stand ihm aber fortwährend in großen Tropfen auf der Stirn, und er erklärte mir plötzlich, er könne nicht mehr weiter, bis er nicht »ein paar von seinen Hemden« ausgezogen habe. Ein paar von seinen Hemden? Ich sah den Mann ganz erstaunt an, er war aber vollkommen ernst, warf ein paar doppelte Decken, die er ebenfalls noch, fest zusammengerollt, auf dem Rücken trug, auf die Erde nieder und zog sich drei, sage drei, wollene Hemden oben ab, wobei er noch, wie er mir versicherte, nur zwei, ein wollenes Überhemd und ein Flanellhemd (wahrscheinlich auch noch ein paar Unterjacken) anbehielt. An Hosen, von denen er drei wollene und eine Unterhose trug, wollte er, um sich nicht zu erkälten, keine ausziehen, aber ein paar Strümpfe und ein paar Socken warf er ab und behielt nur ein Paar wollene und ein Paar baumwollene Strümpfe an. Auch den wollenen Schal, den er bis jetzt um den Hals getragen hatte, band er ab. Der Mensch fing an, ordentlich dünn zu werden, und ich bin fest überzeugt, daß er, legte er die übrigen viertel und halben Dutzend Hemden und Hosen ebenfalls ab, gar keinen Schatten mehr geworfen hätte.
Die Nacht lagerten wir in den Bergen, wo wir nur hie und da spärliche und stets schmutzige Wasserlöcher und nicht einen einzigen fließenden Bach mehr fanden, um an einer kleinen Lache wenigstens einen Quarttopf voll Tee brauen zu können. Wir waren am nächsten Morgen bald nach Tagesanbruch am Turon.
Schon vorher hatten wir ein paar kleine steile Creeks passiert, in denen ich unten Waschmaschinen rasseln hörte, aber sie hielten ebenfalls kein fließendes Wasser, nur stehende Wasserlöcher; ich wollte die Zeit nicht damit versäumen, zu ihnen hinabzuklettem, und gedachte sie lieber auf dem Rückweg zu besuchen.
Als ich übrigens den letzten Hügelhang, der mich noch vom Turon trennte, hinabstieg, fand ich alle meine Erwartungen erfüllt, alle meine Befürchtungen bestätigt - es war dasselbe Leben und Treiben, dasselbe Haschen und Jagen, derselbe Erfolg, dieselben Täuschungen wie in Kalifornien, nur die Natur noch trauriger, nur die Schwierigkeiten mit Waschen und Arbeiten, wie mir schon damals schien, noch größer.
Das war also der Turon, wohin jetzt Tausende wie nach einem Eldorado drängten und strebten, das der Platz, der allen auf der Straße Herumlaufenden mit einem goldenen Schein überstrahlt schien, wo ihre kühnsten Hoffnungen und Erwartungen erfüllt werden sollten? Ihr armen Leute, ihr tatet mir in dem Augenblick ungemein leid, und ich ging mit noch einmal so leichten Schritten den Berg hinunter, weil ich nicht mit dazu gehörte und bald, gewiß recht bald, wieder diesem schauerlichen Aufenthalt adieu sagen konnte.
Mit dem Eldorado mußte es aber doch nicht so recht richtig sein, denn zu meinem Erstaunen sah ich gerade an diesem Morgen förmliche Züge von Miners, mit ihren Wiegen und Handwerkszeug auf dem Rücken, den Turon hinunterziehen, und wie mir einige von ihnen, die ich fragte, sagten, so wanderten sie anderen, neu entdeckten Minen zu.
»Aber am Turon sollen ja die Minen so ergiebig sein«, warf ich ein. »Ja, manche Stellen sind schon gut«, lautete die Antwort, »und manche haben hier schönes Geld zusammengeschlagen, aber es kommen ihrer zu viele, und dann ist an vielen Stellen zu viel und an anderen wieder zu wenig Wasser - bloß um den knappen Tageslohn mag man auch nicht solche Arbeit tun, und wir wollen einmal sehen, ob es nicht an ‚der Welt Ende‘ besser ist.«
Die neuen Diggings liegen nämlich an einem Platz, der humoristischerweise »the world's end« genannt war, und Hunderte sah ich in den wunderlichsten, manchmal auch traurigsten Aufzügen dorthin strömen, das hier am Turon vergebens gesuchte Glück nun dort endlich und wirklich zu finden - am Ende der Welt mögen sie es wirklich finden.
Nun ist das allerdings das nämliche in Kalifornien, die Leute ziehen dort ebenfalls unermüdlich von einer Bergschlucht zur anderen - wo fünfzig kommen, begegnen sie auch sicher fünfzig, die gehen, bis jeder das Plätzchen findet, wo er seine Arbeit bezahlt zu bekommen glaubt, um endlich die Minen wieder verlassen zu können. Hier aber kam mir das ein wenig früh vor, denn die Zeitungen - oh die Zeitungen! - hatten gesagt: Die Leute seien da oben nicht einmal zufrieden, wenn sie nur eine Unze den Tag fänden. Nur eine Unze! Ich war zu lange in Kalifornien gewesen, um nicht zu wissen, was es bedeuten will, eine Unze den Tag zu finden, und wie wenige imstande sind, das wochenlang durchzuführen. Ich fand auch bald, daß ich mich in meinen Erwartungen über die hiesigen Minen nicht im mindesten getäuscht hatte und daß sie, ebensowenig wie die kalifornischen, jene Tausend-und-eine-Nacht-artigen Beschreibungen und Schilderungen verdienten. Es war harte Arbeit und Lohn dafür ungewiß, wie dort, und die Zahl der Unzufriedenen überwog in das Unendliche die der Zufriedenen. Allerdings sind einige Stellen am Turon, welche die dort Arbeitenden außerordentlich gut bezahlen; am sogenannten golden point haben einzelne Partien schon förmliche Vermögen herausgewaschen; obwohl aber einzelne Partien wirklich glänzende Geschäfte machen und ihr Glück von den dabei natürlich sehr interessierten Händlern und Krämern in alle Welt ausposaunt wurde, arbeiten andere wieder - und diese bedeutend in der Majorität - dicht daneben und verdienen kaum ihren Taglohn, während Hunderte am Fluß auf und ab ziehen, hie und da beginnen and wieder aufhören, weil sie eben nicht einmal, oder doch nur sehr spärlich, ihren Taglohn machen können. Waren sie doch keineswegs hier herauf gekommen, wie die Hunde zu leben und weiter nichts zu verdienen als was sie, wären sie in Sydney geblieben, gleichfalls verdient und doch ein menschliches Dasein dabei geführt hätten! Viele entschlossen sich also kurz und gut, jetzt, da es noch Zeit und Arbeit in Sydney gesucht war, wieder dorthin zurückzukehren, andere versicherten mir, sie wollten es noch ein paar Monate mit ansehen, »sie träfen doch wohl einmal den einen glücklichen Punkt«, und andere meinten wieder: Sie gingen unter keiner Bedingung in ihre alten Verhältnisse zurück, ehe sie nicht wenigstens ebenso viel gegraben hätten, als sie mitgebracht oder ausgelegt. So weit waren ihre Erwartungen schon heruntergegangen.
Das alles nun melden die australischen Zeitungen nicht; sie heben nur die Lichtseite des Gemäldes heraus, und ihr Zweck und Ziel ist dabei auch leicht genug zu erkennen. Menschen wollen sie nach Australien haben, Arbeiter, und die, welche durch die bisher von englischer Seite ausgestreuten Auswanderungsschriften nicht hierher gelockt werden konnten, denen soll das Gold den letzten Gnadenstoß geben. Ihren Zweck werden sie auch unfehlbar erreichen, Auswanderer werden ihnen in Massen zuströmen, und Arbeit wird und muß nicht allein billiger werden, sondern sie können auch die jetzt so sehr fehlenden Arbeiter in Massen herüberbekommen - werden das aber nachher zufriedene Menschen sein? Doch daran liegt ihnen nichts; sie brauchen Schäfer und Hütten- und Viehwächter, Hirten und Weinbauern, Gärtner, Feld- und Straßenbauer, und es läßt sich denken, daß sie die Gelegenheit benutzen, solche Leute hier herüberzubringen. Die Regierung begünstigt das natürlich, so viel sie kann, denn sie hat den Knopf auf dem Beutel und zieht mit ihren Lizenzen eine ungeheure und stets sichere Rente. Je mehr Arbeiter sie in die Minen bekommt, desto mehr müssen ihre 30 Shilling per Monat bezahlen, und wenn Tausende dann auch aufgerieben werden oder erschöpft die Minen verlassen, so erhält man doch stets gute Arbeiter - »der Bien' der muß«, sagt der Russe, und der bisherige Miner muß auch, will er nicht verhungern, sobald er nichts in den Minen verdienen kann, Schäfer oder sonst etwas - und dann, wenn erst einmal die Stellen überfüllt sind, um jeden Lohn - werden.
Ein Herr Hargraves, der Entdecker des australischen Goldes, reist jetzt überall im Land umher und sucht und findet auch neue Plätze. Dadurch werden die Gemüter und Phantasien der Goldsüchtigen in ununterbrochener Spannung gehalten. Die wahnsinnigsten Gerüchte können nicht abenteuerlich genug sein, sie finden Glauben, und der Sache wir nun noch mit fabelhaften Goldadern in Quarzgestein, mit Diamanten, Rubinen und Platin die Krone aufgesetzt. In fieberhafter Aufregung flüstern sie einander, selbst oben in den Minen, dunkle Andeutungen in die Ohren, packen bei Nacht und Nebel ihr Handwerksgeschirr und ihre Provisionen auf und wandern und klettern keuchend über die steilen Gebirge, um in einer anderen Bergschlucht dieselbe Arbeit, vielleicht mit demselben Erfolg, zu beginnen.
Und sind die Minen wirklich so reichhaltig, wie sie geschildert werden? fragt der Leser. Ja und nein. Einzelne Stellen sind es in der Tat, im allgemeinen liegt das Gold aber zu sehr zerstreut, und das Waschen desselben ist schwieriger und weniger lohnend als an gleich reichen Stellen in Kalifornien. Das Gold liegt nämlich nicht wie in Kalifornien nur unter der leichten Erde, auf dem Felsen und Ton, oder in den unteren Gesteinsschichten, die erst mit Ton und Kies gemischt sind, sondern es wird schon oben, oft selbst in lockerer Fruchterde - allerdings meist in zu geringen Quantitäten, um das Waschen zu zahlen - gefunden. Oben von der äußersten Spitze des Hügelrückens habe ich die Leute die Erde sechs bis sieben Zoll aufgraben und zum nächsten Wasser schleppen sehen, woraus sie noch ihren Taglohn machten. Das klingt nun allerdings sehr ermutigend für den, der die Bearbeitung nicht kennt, aber es besteht der große Nachteil, daß das Gold zu sehr zerstreut ist und es sich meistens nicht besonders lohnt, die ganze Erde zu waschen, um das wenige darin enthaltene Gold zu gewinnen. Dies scheint mir aber auch, beiläufig gesagt, wiederum ein Beweis der Neuheit des Landes zu sein: Das schwere Gold hat noch nicht, wie in Kalifornien, Zeit bekommen, sich zu Boden zu setzen, und liegt durch den ganzen, selbst leichten Boden zerstreut. Daß es einzelne Stellen, und die hauptsächlich in den Barren der Flüsse und wahrscheinlich in den Flußbetten selber gibt, die sehr reich ausfallen und aus denen auch noch später sehr viel Gold gewonnen wird, bleibt gewiß. Einzelne werden immer noch dort ihr Glück machen und in kurzer Zeit ein Vermögen herausschlagen; aber wie viele Tausende laufen dann daneben her und ziehen mit Nieten ab! Wie viele Tausende verlassen Heimat und Geschäft, um als Goldwäscher ihr Glück zu machen, und verdienen nicht einmal so viel, um nur wieder zu Heimat und Geschäft zurückkehren zu können! Nein, wer hierher, des Goldwaschens wegen, auswandern will, der sage nur gleich von vornherein: »Ich bin noch jung und will einmal ein paar Jahre lang ein abenteuerliches Leben führen, wenn es mir auch im schlimmsten Fall schlecht dabei geht und ich nichts verdienen kann; vielleicht glückt's mir doch, und ich bekomme dabei zugleich die Welt etwas zu sehen.« Ein junger Mann mag es in diesem Sinne wagen, einer aber, der keine Jahre mehr nutzlos zu vergeben hat, sollte es sich lieber recht genau vorher bedenken, ehe er sein Glück oder Unglück in den Minen versucht.
Gerstäcker, Friedrich
Reisen
Band 4, Stuttgart und Tübingen 1854
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000