1836 - Charles Darwin
Von Sydney nach Bathurst
12. Januar 1836. - Früh am Morgen brachte uns eine leichte Brise an den Eingang von Port Jackson. Statt ein blühendes Land zu erblicken mit blühenden Häusern besät, erinnerte uns eine gerade Linie gelblicher Küstenriffs an die Küste von Patagonien. Ein einsamer Leuchtturm aus weißem Stein erinnerte uns allein daran, daß wir in der Nähe einer großen bevölkerten Stadt seien. Ist man in den Hafen eingelaufen, so zeigt er sich als schön und geräumig, mit einer rifförmigen Küste von horizontal geschichtetem Sandstein. Das nahezu ebene Land ist mit einzeln stehenden, strauchartigen Bäumen bedeckt, die den Fluch der Unfruchtbarkeit andeuten. Kommt man weiter landeinwärts, so wird die Landschaft besser: Schöne Villen und nette Landhäuser sind hie und da am Strande entlang verstreut. In der Entfernung zeigten uns steinerne, zwei oder drei Stockwerke hohe Häuser und am Rand einer Hügelreihe stehende Windmühlen an, daß wir in der Nachbarschaft der Hauptstadt Australiens sind.
Endlich warfen wir in der Bucht von Sydney Anker. Wir fanden das kleine Wasserbecken von vielen großen Schiffen besetzt und von großen Lagerhäusern umgeben. Am Abend ging ich durch die Stadt und kehrte voll Bewunderung zurück. Sie ist ein äußerst großartiges Zeugnis für die Kraft der britischen Nation. Hier haben zwanzig Jahre in einem viel weniger versprechenden Land viele Male mehr getan, als eine gleiche Zahl von Jahrhunderten in Südamerika bewirkt hat. Mein erstes Gefühl war, daß ich mir gratulierte, als Engländer geboren zu sein. Nachdem ich später etwas mehr von der Stadt gesehen hatte, sank freilich meine Bewunderung etwas, aber dessen ungeachtet ist es immerhin eine schöne Stadt. Die Straßen sind regelmäßig, breit, reinlich und in ausgezeichneter Ordnung gehalten; die Häuser sind von einer gehörigen Größe und die Läden gut ausgestattet. Die Stadt kann ganz richtig mit den großen Vorstädten verglichen werden, welche sich von London aus und von einigen wenigen anderen großen Städten in England in das Land hinein erstrecken; aber nicht einmal in der Nähe von London oder Birmingham zeigt sich ein solches rapides Wachstum. Die Anzahl großer Häuser und anderer Gebäude, die eben vollendet worden waren, war in der Tat überraschend; nichtsdestoweniger beklagte sich doch jedermann über die hohen Mietpreise und über die Schwierigkeiten, sich ein Haus zu verschaffen. Von Südamerika kommend, wo in den Städten eine jede Person von Wohlstand bekannt ist, überraschte mich hier nichts mehr, als nicht sofort imstande zu sein, zu ermitteln, wem diese oder jene Equipage gehörte.
Ich mietete einen Mann und zwei Pferde, um mich nach Bathurst zu begeben, einem ungefähr hundertzwanzig Meilen im Innern gelegenen Dorfe, dem Mittelpunkt eines großen ländlichen Bezirks. Auf diese Weise hoffte ich, eine allgemeine Vorstellung von dem Ansehen des Landes zu erhalten. Am Morgen des 16. Januar brach ich zu meiner Exkursion auf. Die erste Station brachte uns bis Paramatta, einer kleinen Landstadt, der Bedeutung nach Sydney sehr nahestehend. Die Straßen waren ausgezeichnet, nach MacAdams Prinzipien gebaut und mit Basaltstein bedeckt, der zu diesem Zweck aus der Entfernung von mehreren Meilen herbeigeschafft worden war. In jeder Beziehung zeigte sich eine große Ähnlichkeit mit England. Vielleicht waren nur die Bierhäuser hier noch zahlreicher. Die Truppen von Menschen in Eisenketten oder die Haufen von Sträflingen, welche hier irgendein Vergehen begangen hatten, sahen am wenigsten englisch aus: Sie arbeiteten in Ketten unter der Aufsicht von Wachen mit geladenen Gewehren. Die Möglichkeit, die die Regierung besitzt, mittels Zwangsarbeit sofort gute Straßen durch das Land zu legen, ist, wie ich glaube, eine der hauptsächlichsten Ursachen des früh schon eintretenden Wohlstandes dieser Kolonie gewesen.
Ich schlief die Nacht in einem sehr komfortablen Gasthaus in Emu-Ferry, fünfunddreißig Meilen von Sydney in der Nähe des Fußes der Blauen Berge. Dieser Straßenzug ist der frequentierteste und der am längsten von allen bewohnte in der Kolonie gewesen. Das ganze Land wird von hohen Geländern eingeschlossen, da die Farmer es noch nicht dahin gebracht haben, Hecken zu ziehen. Es finden sich viele massive Häuser und gute Landwohnungen über die Landschaft verstreut; obschon aber beträchtliche Stücke Landes unter Kultur stehen, bleibt doch der größere Teil noch so, wie er bei seiner ersten Entdeckung war.
Die äußerste Gleichförmigkeit des Pflanzenwuchses ist der merkwürdigste Zug im landschaftlichen Bild des größeren Teils von Neu-Süd-Wales. Überall finden wir ein offenes Waldland, den Boden zum Teil mit einer äußerst dünnen Weide bedeckt mit nur sehr geringem Anflug von Grün. Die Bäume gehören nahezu sämtlich zu einer Familie, und meistens stehen ihre Blätter in einer senkrechten, anstatt wie in Europa in einer nahezu horizontalen Stellung; das Laub ist dürftig und von einem eigentümlich blaß-grünen Farbton ohne irgendwelchen Glanz. Daher sehen die Waldungen hell und schattenlos aus; obgleich das ein Verlust an Annehmlichkeit für den Reisenden ist unter den sengenden Strahlen der Sommersonne, so ist es doch für den Landmann von Bedeutung, da es ihm gestattet, Gras zu bauen, wo es im anderen Falle nicht wachsen würde. Die Blätter werden nicht periodisch abgeworfen: Dieser Charakter scheint der ganzen südlichen Hemisphäre gemein zu sein, nämlich Südamerika, Australien und dem Vorgebirge der Guten Hoffnung. Die Bewohner dieser Hemisphäre und der zwischen den Wendekreisen gelegenen Gegenden verlieren auf diese Weise vielleicht eines der prachtvollsten, wenn auch unserem Auge gewöhnlichen Schauspiele in der Welt, nämlich das erste Aufbrechen der Laubknospen an dem blattlosen Baum. Die Leute können uns indes dagegenhalten, daß wir dies Schauspiel teuer bezahlen, und zwar dadurch, daß wir das Land durch so viele Monate mit nackten Baumskeletten bedeckt sehen. Auch dies ist wohl richtig; aber unsere Sinne erlangen dadurch ein große Empfänglichkeit für das Ergötzen an dem ausgesuchten Grün des Frühjahrs, welches die Augen derjenigen, welche zwischen den Wendekreisen leben und das ganze Jahr hindurch mit den prachtvollen Erzeugnissen dieser glühenden Klimate gesättigt sind, niemals empfinden können. Die größere Anzahl der Bäume, mit Ausnahme einiger der blauen Gummibäume, erreichen keine bedeutende Größe; sie wachsen aber immerhin hoch und ziemlich gerade und stehen in gehöriger Entfernung voneinander. Die Rinde von einigen Eukalyptus-Arten fällt jährlich ab oder hängt in langen Streifen abgestorben herab, welche dann vom Wind umhergeweht werden und den Wäldern ein trauriges und unordentliches Ansehen geben. Ich kann mir keinen vollständigeren Kontrast vorstellen als zwischen den Wäldern von Valdivia oder Chiloe [in Chile] und den Waldungen von Australien.
Bei Sonnenuntergang begegneten wir einer Gesellschaft von etwa zwanzig schwarzen Eingeborenen, von denen jeder in ihrer herkömmlichen Art und Weise ein Bündel von Speeren und anderen Waffen trug. Dadurch, daß ich einem der anführenden jungen Männer einen Shilling gab, wurden sie leicht aufgehalten und warfen dann zu meiner Unterhaltung die Speere. Sie waren alle teilweise bekleidet, und mehrere konnten ein wenig englisch sprechen; ihre Gesichter waren freundlich und angenehm, und sie schienen bei weitem nicht so gänzlich herabgekommene Wesen zu sein, wie sie gewöhnlich dargestellt werden. In ihren eigenen Künsten sind sie bewundernswert. Eine Mütze wurde in dreißig Yards [knapp 30 m] Entfernung aufgestellt, und sie schossen mit dem Wurfstock einen Speer durch sie hindurch mit der Geschwindigkeit eines Pfeils, der vom Bogen eines geübten Bogenschützen abgesendet wird. Beim Verfolgen der Fährte von Tieren oder Menschen zeigen sie einen wunderbaren Scharfsinn, und ich sah aus mehreren ihrer Bemerkungen beträchtliche Schärfe des Verstandes herausleuchten. Sie wollen indes nicht den Boden kultivieren oder Häuser bauen oder seßhaft bleiben oder sich auch nur die Mühe machen, eine Schafherde zu besorgen, wenn sie ihnen gegeben wird. Im ganzen scheinen sie mir einige Grade höher zu stehen in der Zivilisation als die Feuerländer.
Es ist sehr merkwürdig, in dieser Weise mitten in einem zivilisierten Volk eine Gruppe harmloser Wilder zu sehen, die umherwandert, ohne zu wissen, wo sie die Nacht schlafen wird, und welche sich ihren Lebensunterhalt durch das Jagen in den Wäldern verschafft. Wie die Weißen allmählich vorgerückt sind, haben sie sich über das mehreren Stämmen gehörende Land verbreitet. Obgleich diese hierdurch von einer ihnen gleichen Bevölkerung eingeschlossen werden, halten sie doch ihre alten Unterscheidungsmerkmale aufrecht und führen zuweilen sogar Krieg miteinander. Bei einer derartigen Begegnung, welche vor kurzem stattfand, wählten sich die beiden Parteien, merkwürdig genug, die Mitte des Dorfes von Bathurst zum Schlachtfelde. Dies war der besiegten Partei zum Nutzen, denn die fliehenden Krieger nahmen ihre Zuflucht in den Baracken der Ansiedler.
Die Zahl der Eingeborenen nimmt reißend ab. Auf meinem ganzen Ritt sah ich mit Ausnahme einiger von Engländern aufgezogener Knaben mir noch eine einzige andere Gruppe. Diese Abnahme muß ohne Zweifel zum Teil eine Folge der Einführung von Spirituosen, von europäischen Krankheiten (denn selbst die milderen Formen derselben, wie z. B. die Masern, treten hier äußerst zerstörend auf) und zum Teil von der allmählichen Ausrottung der wild lebenden Tiere sein. Man gibt an, daß eine große Anzahl ihrer Kinder ausnahmslos in sehr früher Kindheit infolge des Einflusses ihres wandernden Lebens zugrunde geht; und da die Schwierigkeit, sich Nahrung zu verschaffen, zunimmt, so muß die Gewohnheit des Herumwanderns sich verbreiten, und daher wird die Bevölkerung ohne irgendwelche auffallende Sterblichkeit infolge von Hungersnöten in einer Weise reduziert, welche äußerst plötzlich erscheint im Vergleich mit dem, was in zivilisierten Ländern auftritt, wo der Vater, wenn er auch durch Übernahme von mehr Arbeit sich selbst schadet, doch nicht seine Nachkommen zerstört.
Außer diesen offenkundigen Ursachen der Zerstörung scheint ganz allgemein irgendein anderer geheimnisvoller Einfluß tätig zu sein. Wo nur immer der Europäer seinen Fuß hingesetzt hat, scheint der Tod den Eingeborenen zu verfolgen. Wir können auf die großen Flächen von Amerika, nach Polynesien, dem Vorgebirge der Guten Hoffnung und Australien blicken: Wir finden dasselbe Resultat. Auch ist es nicht der weiße Mensch allein, welcher in dieser Weise zerstörend auftritt: Die polynesische oder malaiische Bevölkerung hat in Teilen des Ostindischen Archipels in dieser Weise die dunkelfarbige eingeborene Bevölkerung vor sich her getrieben. Die Varietäten des Menschen scheinen aufeinander in derselben Weise einzuwirken wie verschiedene Spezies von Tieren - die stärkere unterdrückt immer die schwächere. Es war sehr niederdrückend, in Neuseeland die schönen, energischen Eingeborenen sagen zu hören, daß sie wohl wüßten, das Land wäre dazu bestimmt, von ihren Kindern auf andere überzugehen. Jedermann hat von der unerklärlichen Abnahme der Bevölkerung auf der schönen und gesunden Insel von Tahiti seit den Tagen von Kapitän Cooks Reisen gehört, obschon wir in diesem Falle hätten erwarten können, daß sie zugenommen haben würde. Der Kindesmord, welcher früher bis zu einem außerordentlichen Grade herrschte, hat aufgehört; Ausschweifung ist in einem bedeutenden Grade unterdrückt worden, und die mörderischen Kriege sind weniger häufig gewesen.
17. Januar. - Zeitig am Morgen überschritten wir den Nepean in einer Fähre. Obgleich der Fluß an dieser Stelle sowohl breit als tief war, hatte er doch nur eine sehr kleine Menge fließenden Wassers. Nachdem wir auf der gegenüberliegenden Seite ein niedrig gelegenes Stück Land überschritten hatten, erreichten wir den Fuß der Blauen Berge. Die Erhebung ist nicht steil, da die Straße mit sehr viel Sorgfalt an der Seite eines Sandsteinriffes eingeschnitten ist. Auf dem Gipfel breitet sich eine beinahe horizontale Ebene aus, welche, unmerklich nach Westen aufsteigend, zuletzt eine Höhe von mehr als 3.000 Fuß erreicht. Nach einer so großartigen Bezeichnung wie »die Blauen Berge« und nach ihrer absoluten Erhebung hatte ich erwartet, eine kühne Bergkette quer das Land durchsetzen zu sehen; aber anstatt dessen bot eine langsam sich erhebende Ebene nur einen unbeträchtlichen Hintergrund für das niedrig gelegene Land in der Nähe der Küste dar. Von dieser ersten Erhebung aus war die Aussicht auf das ausgedehnte Waldland nach Osten hin sehr überraschend, und die Bäume in der Umgebung erhoben sich zu kühnen und hohen Formen. Befindet man sich aber einmal auf der Sandsteinebene, so wird die Szenerie äußerst eintönig: Jede Seite der Straße ist von strauchartigen Bäumen der nirgends fehlenden Familie der Eukalypten eingefaßt, und mit Ausnahme von zwei oder drei kleinen Gasthäusern finden sich keine Häuser und kein kultiviertes Land; überdies ist die Straße sehr einsam. Der am häufigsten gesehene Gegenstand ist ein Ochsenwagen, der mit Haufen von Wollballen beladen ist.
In der Mitte des Tages fütterten wir unsere Pferde in einem kleinen Gasthaus, genannt das Weatherboard. Das Land ist hier 2.800 Fuß über dem Meeresspiegel erhoben. Ungefähr anderthalb Meilen von diesem Ort ist ein des Besuchs außerordentlich werter Aussichtspunkt. Indem man ein kleines Tal mit seinem geringfügigen Wasserlauf hinabgeht, öffnet sich ganz unerwartet ein ungeheurer Abgrund zwischen den Bäumen, welche den Fußpfad begrenzen, in einer Tiefe von ungefähr 1.500 Fuß. Geht man wenige Yards weiter, so steht man am Rande eines ungeheuren Abgrunds and sieht unter sich eine große Bucht oder einen Golf (denn ich weiß nicht, welchen anderen Namen ich hier anwenden könnte), der dicht mit Wald bedeckt ist. Der Aussichtspunkt liegt gewissermaßen am oberen Ende der Bay; die Reihe der Riffe geht auf jeder Seite auseinander und zeigt einen Bergvorsprung hinter dem anderen, wie an einer kühnen Meeresküste. Diese Riffe bestehen aus horizontalen Schichten eines weißen Sandsteins und sind so absolut senkrecht, daß an vielen Stellen eine am Rande stehende Person, wenn sie einen Stein hinabwirft, ihn auf die Bäume in dem Abgrunde darunter auftreffen sehen kann. Die Reihe dieser Felsvorsprünge ist so ununterbrochen, daß man, um den Fuß des von diesem kleinen Bach gebildeten Wasserfalls zu erreichen, wie angegeben wird, einen Umweg von sechzehn Meilen machen muß. Ungefähr fünf Meilen entfernt, gerade gegenüber, erhebt sich eine andere Reihe von Felsen, welche auf diese Weise das Tal vollständig einzuschließen scheinen; deshalb ist der Name Bay gerechtfertigt in seiner Anwendung auf diese große amphitheatralische Einsenkung. Wenn wir uns einen bogenförmig sich ausdehnenden Hafen, dessen tiefes Wasser von kühnen riffartigen Küstenfelsen umgeben wird, trocken gelegt vorstellen und uns ferner denken, daß von seinem sandigen Boden ein Wald entspringt, so würden wir dann das Aussehen und die Anordnung vor uns haben, wie sie sich hier darbot. Diese Art von Aussicht war für mich vollständig neu und äußerst prachtvoll.
Am Abend erreichten wir Blackheath. Das Sandsteinplateau hat hier die Höhe von 3.400 Fuß erreicht und wird, wie früher, von demselben strauchartigen Holz bedeckt. Von der Straße aus hatten wir gelegentlich Einblicke in ein tiefes Tal; aber wegen der Steilheit und der Tiefe seiner Seiten war der Boden kaum jemals zu sehen. Blackheath ist ein sehr komfortables Gasthaus, welches ein alter Soldat hält und das mich an die kleinen Gasthäuser in Nord-Wales erinnerte.
18. Januar. - Sehr zeitig am Morgen brach ich auf und ging ungefähr drei Meilen, um Govett's Leap zu sehen, einen Aussichtspunkt von ähnlichem Charakter wie der am Weatherboard, aber vielleicht noch wunderbarer. So zeitig am Morgen, wie es noch war, war der Golf mit einem dünnen blauen Dunst erfüllt, welcher, obschon die allgemeine Wirkung der Aussicht störend, doch die scheinbare Tiefe erhöhte, in welcher sich der Wald unter unseren Füßen erstreckte. Diese Täler, welche eine so lange Zeit eine unüberwindliche Schranke für die Versuche der unternehmendsten Kolonisten, das Innere zu erreichen, darboten, sind äußerst merkwürdig. Große armartige Buchten, die sich an ihrem oberen Ende erweitern, zweigen sich häufig von den Haupttälern ab und dringen in die Sandsteinebene ein; andererseits sendet die Sandsteinebene häufig Vorgebirge in die Täler und läßt selbst dergleichen als beinahe inselartig vereinzelte große Massen in den Tälern stehen. Um in einige dieser Täler hinabzusteigen, ist es nötig, einen Umweg von zwanzig Meilen zu machen. Und in andere haben die Landvermesser erst vor kurzem eindringen können, und die Kolonisten sind noch nicht imstande gewesen, ihre Rinder hineinzutreiben. Aber der merkwürdigste Zug in ihrer Bildung ist, daß, obschon sie an ihrem oberen Ende mehrere Meilen breit sind, sie sich meist ihrer Mündung zu in einem solchen Grade zusammenziehen, daß sie unpassierbar werden. Der Generalvermesser Sir T. Mitchell versuchte vergebens, indem er erst ging und dann zwischen den großen herabgestürzten Fragmenten von Sandstein durchkroch, durch die Schlucht hinaufzukriechen, in welcher sich der Fluß Grose mit dem Nepean verbindet; und doch bildet das Tal in seinem oberen Teil, wie ich gesehen habe, ein prachtvolles horizontales, einige Meilen breites Becken, von allen Seiten von Felsen umgeben, deren Gipfel der Annahme zufolge nirgends weniger als 3.000 Fuß über den Meeresspiegel sich erhebt. Wenn Rinder in das Tal des Wogan auf einem zum Teil natürlichen, zum Teil von dem Landeigentümer hergestellten Pfade (welchen ich hinabgegangen bin) getrieben werden, können sie nicht entweichen; denn dies Tal wird an allen übrigen Stellen von senkrechten Felsenriffen umgeben, und acht Meilen weiter hinab zieht es sich von einer mittleren Breite von einer halben Meile zu einer bloßen Spalte zusammen, die für Menschen und Vieh undurchgängig ist. Sir T. Mitchell gibt an, daß das große Tal des Flusses Cox mit allen seinen Zweigen sich da, wo er sich mit dem Nepean verbindet, in eine Schlucht von 2.200 Yards Breite und ungefähr 1.000 Fuß Tiefe zusammenzieht. Andere ähnliche Fälle ließen sich noch anführen.
Wenn man die Übereinstimmung der horizontalen Schichten auf jeder Seite dieser Täler und die großen amphitheatralischen Einsenkungen betrachtet, so ist der erste Eindruck der, daß sie wie andere Täler durch die Tätigkeit des Wassers ausgehöhlt worden sind. Wenn man aber über die ganze ungeheure Masse von Stein nachdenkt, welche nach dieser Ansicht durch bloße Schluchten oder Spalten entfernt worden sein müssen, so wird man veranlaßt zu fragen, ob derartige Orte nicht auch durch Senkungen entstanden sein können. Betrachtet man aber die Form der sich regelmäßig verzweigenden Täler und der schmalen, von den umgebenden Plateaus aus in dieselben einspringenden Vorgebirge, so sind wir gezwungen, diese Vorstellung aufzugeben. Diese Aushöhlungen der jetzigen alluvialen Tätigkeit zuzuschreiben, würde ein unglücklicher Gedanke sein; auch würde der Wasserabfluß von der Ebene am oberen Ende nicht immer, wie ich in der Nähe des Weatherboard bemerkt habe, in das obere Ende dieser Täler fallen, sondern in die eine Seite ihrer meerbusenartigen Einbuchtungen. Einige der Einwohner machten gegen mich die Bemerkung, daß sie niemals eine dieser meerbusenartigen Einbuchtungen betreten hätten, ohne von ihrer Ähnlichkeit mit einer kühnen Meeresküste überrascht gewesen zu sein. Dies ist sicherlich der Fall. Überdies zeigen an der gegenwärtigen Küste von Neu-Süd-Wales die zahlreichen schönen, weit sich verzweigenden Häfen, welche meistens mit dem Meer durch eine enge, in die Sandsteinküsten-Felsen eingearbeitete Mündung zusammenhängen, die von einer Meile bis zu einer Viertelmeile in der Breite variieren, mit den großen Tälern im Innern viel Ähnlichkeit, wenn auch nur in einem Miniaturmaßstab. Dann tritt uns aber sofort die verwirrende Schwierigkeit entgegen, warum das Meer diese großen, wenn auch umschriebenen Vertiefungen auf einer großen Ebene ausgewaschen und bloße Schluchten an den Mündungen gelassen hat, durch welche der ganze ungeheure Betrag zerriebener Substanz fortgeschafft worden sein muß?
Das einzige Licht, welches ich auf dieses Rätsel werfen kann, ist, daß ich darauf aufmerksam mache, wie Bänke der allerunregelmäßigsten Form in einigen Meeren gegenwärtig gebildet zu werden scheinen, wie z. B. an Stellen des Westindischen Meeres und des Roten Meeres, und daß ihre Seiten äußerst steil sind. Ich bin zu der Vermutung geführt worden, daß derartige Bänke durch Niederschläge gebildet worden sind, welche durch starke Strömungen auf dem unregelmäßigen Boden aufgehäuft worden sind. Daß in manchen Fällen das Meer, anstatt solche in einer gleichförmigen Fläche auszubreiten, sie rund um untermeerische Felsen oder Inseln anhäuft, ist kaum möglich zu bezweifeln, wenn man die Seekarten von Westindien genauer durchgesehen hat. Und daß die Wellen die Kraft haben, hohe und steile Riffe zu bilden, selbst in Häfen, die rings vom Lande eingeschlossen sind, habe ich in vielen Teilen von Südamerika bemerkt. Wenn man nun diese Vorstellungen auf die Sandsteinplateaus von Neu-Süd-Wales anwendet, so stelle ich mir vor, daß die Schichten durch die Tätigkeit starker Strömungen und der Wellenbewegungen eines offenen Meeres auf dem unregelmäßigen Boden angehäuft worden sind und daß die talähnlichen, hierdurch unerfüllt gelassenen Räume Seitenwände darboten, welche während einer langsamen Erhebung des Landes steil abfallend in Felsenriffe ausgewaschen wurden; der abgenagte Sandstein wurde entweder zu der Zeit entfernt, wo die schmalen Spalten durch das zurückweichende Meer eingeschnitten wurden, oder noch später durch alluviale Tätigkeit.
Bald nachdem wir Blackheath verlassen hatten, stiegen wir von dem Sandsteinplateau durch den Paß des Victoria-Berges hinunter. Um diesen Paß herzustellen, ist eine ungeheure Menge von Felsen durchschnitten worden; der ganze Plan und die Art seiner Ausführung verdienen, dem Straßenbau in England an die Seite gestellt zu werden. Wir betraten nun Land, welches nahezu 1.000 Fuß weniger hoch war und aus Granit bestand. Mit der Änderung des Gesteins besserte sich auch der Pflanzenwuchs: Die Bäume wurden schöner, standen auch weiter voneinander, und das Weideland zwischen ihnen war ein wenig grüner und auch reichlicher. Bei Hassans Walls verließ ich die Landstraße und machte einen kurzen Abstecher nach einer Farm mit Namen Walerawang, an deren Vorsteher ich von dem Besitzer in Sydney einen Empfehlungsbrief hatte. Mr. Browne hatte die Freundlichkeit, mich aufzufordern, den folgenden Tag noch dort zu bleiben, was ich mit viel Vergnügen tat. Dieser Ort bietet ein Beispiel einer jener großen Farmen oder besser noch Schaf-Etablissements der Kolonie. In diesem Fall waren aber Rinder und Pferde im ganzen zahlreicher als gewöhnlich, weil einige der Täler sumpfig waren und eine größere Weide boten. Zwei oder drei ebene Stellen in der Nähe des Hauses waren gerodet und mit Getreide bepflanzt worden, welches die Erntearbeiter jetzt schnitten: Es wird aber nicht mehr Weizen gesät, als zum jährlichen Unterhalt der auf der Niederlassung beschäftigten Arbeiter notwendig ist. Die gewöhnliche Zahl der zugeteilten Sträflingsarbeiter ist hier ungefähr vierzig; zu der gegenwärtigen Zeit waren aber im ganzen mehr da. Obschon die Farm Vorräte von allem Notwendigen hatte, war doch ein offenbarer Mangel an Komfort zu bemerken, und es lebte nicht eine einzige Frau hier. Der Sonnenuntergang nach einem schönen Tag wirft gewöhnlich einen Schein von glücklicher Zufriedenheit auf jede ländliche Szene. Aber hier in diesem einsamen Farmhaus ließen die glänzendsten Farbtöne auf den umgebenden Waldungen mich nicht vergessen, daß vierzig abgehärtete, verworfene Männer ihre tägliche Arbeit, wie die Sklaven in Afrika, beendeten, ohne jedoch das heilige Gefühl des Mitleids mit ihnen wachzurufen.
Zeitig am nächsten Morgen hatte Mr. Archer, der Mitvorsteher der Farm, die Freundlichkeit, mich auf eine Känguruh-Jagd mitzunehmen. Wir ritten den größeren Teil des Tags in einem fort, hatten aber eine sehr schlechte Jagd, da wir nicht ein einziges Känguruh und nicht einmal einen wilden Hund sahen. Die Windspiele verfolgten eine Känguruh-Ratte in einen hohlen Baum, aus welchem wir sie herauszogen. Sie ist so groß wie ein Kaninchen, aber mit der Figur des Känguruh. Noch vor wenigen Jahren schwärmten in diesem Teil des Landes wilde Tiere; jetzt aber ist der Emu bis auf eine weite Entfernung hin zurückgetrieben, und das Känguruh ist selten geworden. Für beide ist das englische Windspiel sehr verderblich. Es mag vielleicht noch lange dauern, ehe diese Tiere vollständig ausgerottet sind, aber ihr Schicksal ist bestimmt. Die Eingeborenen sind stets begierig, sich Hunde von den Farmhäusern zu borgen. Der Gebrauch derselben, der Abfall, wenn ein Tier getötet wird, und etwas Milch von den Kühen sind die Friedensgaben der Ansiedler, welche sich immer weiter und weiter in das Innere hineinverbreiten. Der gedankenlose Eingeborene, durch diese nichts bedeutenden Vorteile geblendet, ist von der Annäherung des weißen Mannes entzückt, welcher dazu bestimmt zu sein scheint, das Land seiner Kinder zu erben.
Wenn wir auch eine armselige Jagdausbeute hatten, so erfreuten wir uns doch an dem angenehmen Ritte. Das Waldland ist meist so offen, daß ein Reiter bequem durch dasselbe galoppieren kann. Es wird von einigen wenigen Tälern mit ebenen Sohlen durchschnitten, welche grün und von Bäumen frei sind; an solchen Stellen war die Szenerie sehr hübsch, wie die eines Parks. In dem ganzen Lande sah ich kaum einen einzigen Fleck ohne die Zeichen eines Feuers; ob dieselben vor mehr oder weniger kurzer Zeit gewesen waren, ob die Baumstümpfe mehr oder weniger schwarz waren, das waren die größten Abwechslungen, welche die für das Auge des Reisenden so langweilige Gleichförmigkeit unterbrachen. In diesen Wäldern finden sich nicht viele Vögel; indes sah ich einige große Herden des weißen Kakadu in einem Kornfeld fressend und einige wenige sehr schöne Papageien; Krähen, unsern Dohlen ähnlich, waren nicht selten, ebenso ein anderer Vogel, der der Elster glich. In der Abenddämmerung ging ich ein wenig einer Reihe von Teichen entlang spazieren, welche in diesem trockenen Land den Lauf eines Flusses darstellten, und hatte das Glück, mehrere Exemplare des berühmten Ornithorhynchus paradoxus [Schnabeltier] zu sehen. Sie tauchten und spielten an der Oberfläche des Wassers, ließen aber so wenig von ihrem Körper sehen, daß man sie sehr leicht für Wasserratten hätte halten können. Mr. Bowne schoß eines; sicherlich ist es ein äußerst merkwürdiges Tier; ein ausgestopftes Exemplar gibt durchaus keine gute Idee von dem Aussehen des Kopfes und des Schnabels, wenn die Teile frisch sind: Der letztere wird hart und zusammengeschrumpft.
20. Januar. - Ich hatte einen langen Tagesritt nach Bathurst. Ehe wir auf die große Landstraße kamen, verfolgten wir einen einfachen Fußpfad durch den Wald, und das Land war mit Ausnahme weniger Ansiedlerhütten sehr einsam. Wir empfanden an diesem Tag den Schirokko-ähnlichen Wind von Australien, welcher von den Wüsten des Innern herkommt. Staubwolken wurden in allen Richtungen hergetrieben, und der Wind fühlte sich an, als käme er über Feuer her. Ich hörte später, daß das Thermometer im Freien auf 48° C und im geschlossenen Zimmer auf 36° C gestanden hatte. Am Nachmittag kamen wir in Sicht der Niederungen von Bathurst. Diese wellenförmigen, aber beinahe ganz platten Ebenen sind in diesem Lande sehr merkwürdig, da ihnen absolut jeder Baum fehlt. Sie tragen nur eine dünne braune Weide. Wir ritten einige Meilen über diese Landschaft und erreichten dann die Stadt Bathurst, die in der Mitte einer Vertiefung lag, die man entweder ein sehr breites Tal oder eine schmale Ebene nennen könnte. Man hatte mir in Sydney gesagt, mir keine zu schlechte Meinung von Australien zu bilden, wenn ich es nur von der Straße aus beurteilte, und auch keine zu gute nach dem Urteil von Bathurst; was diese letztere Beziehung betrifft, so fühlte ich mich auch nicht im mindesten versucht, hier in meinem Urteil befangen zu werden. Es muß allerdings zugegeben werden, daß das Jahr ein außerordentlich trockenes gewesen war, und die Landschaft bot kein günstiges Aussehen, obschon ich wohl versichern kann, daß es vor zwei oder drei Monaten unvergleichlich schlechter gewesen sein mag. Das Geheimnis, weshalb der Wohlstand von Bathurst so reißend zunimmt, liegt darin, daß das braune Weideland, welches dem Auge des Fremden so elend vorkommt, ausgezeichnete Weide für Schafe ist. Die Stadt liegt in einer Höhe von 2.200 Fuß über dem Meeresspiegel an dem Ufer des Macquarie. Dies ist einer der in das ungeheuer große und kaum bekannte Innere fließenden Flüsse. Die Linie der Wasserscheide, welche die Inlandflüsse von denen, die nach der Küste abfallen, trennt, hat eine Höhe von ungefähr 3.000 Fuß und läuft in einer nordsüdlichen Richtung in einer Entfernung von 80 bis 100 Meilen von der Küste. Der Macquarie erscheint auf der Landkarte als ein ganz respektabler Fluß, und er ist der größte von denen, welche diesen Teil der Wasserscheide dränieren; und doch fand ich zu meiner großen Überraschung, daß er aus einer bloßen Reihe von Teichen bestand, die durch beinahe ganz trockene Stellen voneinander getrennt waren. Meist fließt ein kleiner Bach zwischen ihnen, und zuweilen treten sehr hohe und stürmische Überschwemmungen ein. So dürftig dieser Bezirk in seiner ganzen Ausdehnung mit Wasser versorgt ist, so wird es doch noch weiter landeinwärts immer dürftiger.
22. Januar. - Ich trat meine Rückreise an und schlug eine neue, »Lockyer's Line« genannte Straße ein, welche durch ein im ganzen bergigeres und malerischeres Land führt. Dies war ein langer Tagesritt, und das Haus, wo ich zu übernachten wünschte, lag eine Strecke weit von der Straße ab und war nicht leicht zu finden. Ich erfuhr bei dieser Gelegenheit und in der Tat bei allen anderen eine sehr allgemein verbreitete und bereitwillige Höflichkeit unter den niederen Klassen, die man in Anbetracht dessen, was sie sind und was sie gewesen sind, kaum hätte erwarten können. Die Farm, wo ich die Nacht zugebracht, war im Besitz zweier junger Männer, die erst vor kurzem herausgekommen waren und nun das Leben von Ansiedlern begannen. Der gänzliche Mangel von beinahe jedem Komfort war nicht sehr anziehend; aber künftiger und sicherer Wohlstand lag vor ihren Blicken und nicht einmal sehr weit entfernt.
Am nächsten Tag kamen wir durch große Striche Landes, welche in Flammen standen. Noch vor Mittag kamen wir auf unsere frühere Straße und bestiegen den Victoria-Berg. Ich schlief im Weatherboard und machte vor Dunkelwerden noch einen zweiten Spaziergang nach dem Amphitheater. Auf der Straße nach Sydney brachte ich einen sehr angenehmen Abend mit Kapitän King in Dunheved zu; und in dieser Weise beschloß ich meinen kleinen Ausflug in die Kolonie von Neu-Süd-Wales.
Ehe ich hierher kam, waren die drei Dinge, die mich am meisten interessierten, einmal der Zustand der Gesellschaft unter den höheren Klassen, dann die Lage der Sträflinge und endlich der Grad von Anziehung, welcher hinreichte, Leute zum Auswandern zu bewegen. Natürlich ist nach einem so kurzen Besuch jemandes Ansicht kaum irgend etwas wert; es ist aber ebenso schwer, sich gar keine Ansicht zu bilden, wie sich ein richtiges Urteil zu machen. Nach dem, was ich hörte, und zwar mehr, als nach dem, was ich sah, war ich im ganzen über den Zustand der Gesellschaft enttäuscht. Die ganze Gemeinde ist beinahe über jeden Gegenstand in feindselige Parteien geteilt. Von denjenigen, welche ihrer Lebensstellung nach die besten sein sollten, leben viele in so offener Ausschweifung, daß anständige Leute nicht mit ihnen umgehen können. Zwischen den Kindern der Reichgewordenen, der Freigelassenen und der freien Ansiedler herrscht eine große Eifersucht; die ersteren betrachten gern anständige Menschen als Gefahr für ihre Stellung. Die ganze Bevölkerung, arm und reich, denkt nur daran, Reichtum zu erlangen: In den höheren Klassen bilden Wolle und Schafweide das beständige Thema der Konversation. Für das komfortable Leben einer Familie bieten sich viele ernstliche Hindernisse dar, von welchen vielleicht das hauptsächlichste das ist, daß man von Sträflingen als Dienstleuten umgeben ist. Wie durchaus widerwärtig für jedes Gefühl ist es, sich von einem Menschen bedienen lassen zu müssen, der vielleicht den Tag zuvor auf unsere eigene Anzeige hin wegen eines kleinen Vergehens gepeitscht worden ist. Die weiblichen Dienstleute sind natürlich viel schlechter, daher lernen Kinder die gemeinsten Ausdrücke, und man kann von Glück sagen, wenn sie sich nicht in gleicher Weise gemeine Ideen aneignen.
Andererseits bringt das Kapital, das jemand in der Hand hat, ohne irgendwelche Mühe seinerseits dreifach soviel Zinsen, als es in England tun würde, und mit einiger Sorgfalt wird er sicher reich. Die Luxusartikel des Lebens sind in Menge vorhanden und nur wenig teurer als in England, und die meisten Nahrungsgegenstände sind billiger. Das Klima ist prachtvoll und vollkommen gesund; aber nach meiner Ansicht gehen seine Reize durch das durchaus nicht einladende Ansehen des Landes verloren.
Die Ansiedler haben darin einen großen Vorteil, daß sie schon Nutzen von ihren Söhnen ziehen können, wenn sie sehr jung sind. Im Alter von sechzehn bis zwanzig übernehmen sie häufig die Obhut über entfernte Vorwerke. Indes muß dies geschehen um den Preis, daß die Jungen sich ganz und gar mit Sträflings-Dienstleuten vergesellschaften. Mir ist nicht bekannt, daß der Ton der Gesellschaft irgendeinen besonderen Charakter angenommen hätte. Aber bei derartigen Gewohnheiten und ohne irgendwelche intellektuellen Ziele kann es kaum anders sein, als daß er sich verschlechtert. Meine Meinung geht dahin, daß nichts als dringendste Notwendigkeit mich veranlassen könnte, dorthin auszuwandern.
Der reißend zunehmende Wohlstand und die künftigen Aussichten dieser Kolonie sind für mich, der ich diese Sachen nicht verstehe, sehr verwirrend. Die beiden wesentlichen Exportartikel sind Wolle und Walfischtran, und für beide Erzeugnisse gibt es doch eine Grenze. Das Land ist für Kanalisierung gänzlich unpassend; daher kann der Punkt nicht sehr weit entfernt sein, an dem die Kosten für den Landtransport der Wolle höher sein werden als die Erlöse für das Scheren und Pflegen der Schafe. Die Weide ist überall so dünn, daß die Ansiedler bereits weit in das Innere vorgedrungen sind; überdies wird das Land weiter landeinwärts äußerst arm. Ackerbau kann wegen der Zeiten der Dürre niemals in ausgedehntem Maßstab Erfolg haben. Soweit ich daher sehen kann, muß Australien an letzter Stelle sich darauf verlassen, daß es der Handels-mittelpunkt für die südliche Hemisphäre wird und vielleicht auch auf seine künftigen Fabriken. Da es Kohle besitzt, so hat es immer die bewegende Kraft in Händen. Da sich das bewohnbare Land der Küste entlang hinzieht und die Bewohner englischer Abstammung sind, wird es wohl sicher der Wohnort einer seefahrenden Nation. Ich bildete mir früher ein, daß Australien sich erheben und eine ebenso großartige und mächtige Nation werden würde wie Nordamerika. Jetzt scheint mir aber doch eine derartige künftige Größe sehr problematisch zu sein.
Was die Lage der Sträflinge betrifft, so hatte ich noch weniger als in bezug auf die anderen Punkte Gelegenheit, selbst zu urteilen. Die erste Frage ist die, ob ihre Lage überhaupt die einer Strafe ist; und da wird wohl niemand behaupten mögen, daß es eine sehr schwere Strafe ist. Ich vermute indes, daß dies von sehr geringer Bedeutung ist, solange der Transport hierher ein Gegenstand der Furcht für die Verbrecher zu Hause ist. Für die körperlichen Bedürfnisse der Sträflinge ist erträglich gut gesorgt. Ihre Aussicht auf künftige Freiheit ist nicht sehr entfernt und nach einer guten Aufführung ganz sicher. Ein Erlaubnisschein (ticket of leave), welcher, solange sich der Mann von Verdacht ebenso wie von Verbrechen freihält, ihn innerhalb eines bestimmten Distriktes frei macht, wird ihm nach gutem Betragen gegeben, und zwar nach Ablauf von soviel Jahren, als zur Länge seiner Strafzeit im Verhältnis stehen; und doch glaube ich, bei alledem und besonders, wenn man die vorhergehende Gefangenschaft und die elende Überfahrt mit in Betracht zieht, daß die Jahre der zugeteilten Arbeit nur mit Unzufriedenheit und unglücklichen Gefühlen vorübergehen. Wie ein intelligenter Mann bemerkte, kennen die Sträflinge kein Vergnügen über die bloße Sinnlichkeit hinaus, und mit dieser werden sie nicht befriedigt. Der enorme Einfluß, den die Regierung darin besitzt, daß sie vollständige Freiheit bietet, in Verbindung mit der tiefsitzenden Furcht vor den abgeschlossenen Verbrecher-Niederlassungen, zerstört das Vertrauen unter den Verbrechern selbst und verhindert dadurch Verbrechen. Was das Schamgefühl betrifft, so scheint eine derartige Empfindung unbekannt zu sein, und hiervon habe ich selbst mehrere eigentümliche Beweise miterlebt.
Obschon die Tatsache merkwürdig ist, so wurde mir doch ganz allgemein gesagt, daß der Charakter der Verbrecher-Bevölkerung ein durchaus feiger ist; nicht zu selten werden einige ganz verzweifelt und ganz gleichgültig gegen ihr Leben, und doch kommt ein kaltes Blut oder beständigen Mut erfordernder Plan nur selten zur Ausführung. Der schlimmste Zug in dem ganzen Fall ist der, daß, obschon etwas existiert, was man eine gesetzliche Reform nennen könnte, und obschon in gleicher Weise wenig begangen wird, was das Gesetz ergreifen könnte, doch davon gar keine Rede zu sein scheint, daß irgendwelche moralische Reform eintreten könnte.
Mir haben gut unterrichtete Leute versichert, daß ein Mensch, welcher etwa versuchte, besser zu werden, es nicht tun könnte, solange er mit anderen zugeteilten Dienstboten zusammenlebte. Sein Leben würde ein Leben unerträglichen Elends und beständiger Verfolgung sein. Auch darf die Ansteckungskraft der Verbrecherschiffe und der Gefängnisse sowohl hier als in England nicht vergessen werden. Im ganzen also ist, wenn man Australien als einen Bestrafungsort betrachtet, der Zweck kaum erreicht; betrachtet man die Deportation als ein wirkliches System der Reform, so hat dies fehlgeschlagen, wie vielleicht jeder andere Plan es auch tun würde. Aber als ein Mittel, die Menschen äußerlich anständig zu machen, Vagabunden, die in der einen Hemisphäre völlig nutzlos sind, in tätige Bürger in einer ändern umzuwandeln und dadurch ein neues, glänzendes Land entstehen zu lassen, einen großen Zivilisationsmittelpunkt - da hat es Erfolg gehabt.
Darwin, Charles
Reise eines Naturforschers um die Welt
Stuttgart 1875
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000