1770 - James Cook
Hinter dem Great Barrier Reef
Herr Banks ruderte mit dem Leutnant, Herrn Gore, und mit drei Matrosen in einem kleinen Boot den Fluß hinauf; er hatte sich vorgenommen, zwei oder drei Tage auszubleiben und in dieser Zeit das Land zu durchstreifen, zu untersuchen und womöglich eines der Tiere zu schießen, die man schon so oft, aber immer nur von weitem gesehen hatte. Am siebten [Juli] schickte ich den Schiffer nochmals aus, um die Untiefen sondieren zu lassen, denn der Bericht, den er vor einigen Tagen von der gen Norden hin befindlichen Durchfahrt mitgebracht hatte, war mir bei weitem noch nicht genügend; wir anderen brachten unterdessen den Überrest dieses und den Morgen des folgenden Tages mit Fischfang und anderen nötigen Geschäften zu.
Um vier Uhr nachmittags kam Herr Banks mit seiner Gruppe zurück und erzählte uns, was er unterdessen gesehen und gefunden hatte. Auf beiden Seiten des Flusses, sagte er, war das Land sumpfig und mit Mangroven bewachsen. Nachdem sie ungefähr drei Seemeilen weit den Fluß hinaufgefahren waren, stiegen sie aus und gingen ins Land hinein, da sie aber fanden, daß es hier fast ebenso aussah, wie sie es bisher überall angetroffen hatten, so ruderten sie weiter und gelangten endlich an einen Ort, wo der Fluß sich zu einem schmalen Bach verringerte und nicht mehr von Sümpfen und Mangrovengehölz, sondern von steilen Ufern eingeschlossen wurde, die mit ungemein schönen und angenehm grünenden Bäumen bewachsen waren; unter diesen befand sich auch der in Westindien sogenannte Mohoe- oder Rindenbaum, welcher eigentlich ein Hibiscus tiliaceus ist. Tiefer ins Land hinein war der Boden größtenteils niedrig und mit langem Gras dick bewachsen. Das Erdreich hatte alle Anzeichen von Fruchtbarkeit und schien seinen künftigen Bearbeitern reiche Ernte zu versprechen. An demselben Tage sah Tupia ein Tier, welches Herr Banks, nach der Beschreibung, die ihm davon gemacht wurde, für einen Wolf hielt. Sie sahen auch drei andere Tiere, konnten aber keines derselben fangen oder schießen; desgleichen stellten sie einer Art von Fledermaus nach, die so groß war wie ein Rebhuhn [Flughund]; aber auch diese entkam ihnen trotz aller angewandten Mühe und Geschicklichkeit.
Als es finster wurde, schlugen sie ihr Nachtquartier hart an dem Ufer des Flusses auf und zündeten ein Feuer an; allein die Moskitos schwärmten hier in solcher Menge um sie her, daß es fast nicht auszuhalten war. Sie konnten sich ihrer nicht einmal durch den Rauch erwehren (deswegen hatten sie ein Feuer als das bewährteste Hilfsmittel angezündet), denn dies Geschmeiß verfolgte sie überall und scheute fast die Flammen selbst nicht. So heiß es in diesem Himmelsstriche auch ist, so fanden sie es doch noch leidlicher, dicht am Feuer zu sitzen, als sich den unerträglich schmerzhaften Stichen dieser Insekten preiszugeben. Das Feuer, die Fliegen und der Mangel eines besseren Bettes als die bloße Erde machten ihnen die Nacht so lang, daß sie solche nicht mit Schlafen, sondern in rastloser Sehnsucht nach der Rückkehr des Tages zubrachten.
Bei der ersten Morgendämmerung machten sie sich wieder auf und gingen auf die Jagd. Sie gingen viele Meilen weit herum, und es fielen ihnen unterwegs nach und nach vier Tiere von einerlei Art auf. Herrn Banks' Windhund jagte zwei derselben sehr ordentlich und schön, er mußte aber bald zurückbleiben, denn das Gras stand hier so hoch und so dick, daß er nicht hindurch konnte; die Tiere hingegen liefen nicht auf vier Füßen, sondern hüpften beständig auf zwei Füßen fort und immer über das Gras hinweg. Am Mittag kehrte die Gesellschaft nach dem Boot zurück und ruderte noch weiter den Fluß hinauf; dieser wurde immer schmäler, bis zuletzt gar nur ein Bach frischen Wassers übrig blieb, in dem jedoch die Flut noch ziemlich hoch stieg.
Als der Abend herannahte, stellte sich die Ebbe ein, und dadurch wurde der Bach so seicht, daß sie aus dem Boot steigen und es so lange an einem Strick nachschleppen mußten, bis sie einen Platz finden konnten, an dem sie hoffen durften, die Nacht über Ruhe zu genießen. Endlich trafen sie einen solchen Ort an, und als sie eben ihre Sachen aus dem Boot nahmen, um sich ein Nachtlager zu bereiten, sahen sie Rauch aufsteigen. Da sie nicht zweifelten, daß dort einige von den Eingeborenen bei einem Feuer sein würden, und sie schon so lange und so sehnlich gewünscht hatten, persönlich mit denselben bekannt zu werden, so gingen einige, jedoch nicht mehr als drei Personen auf einmal, nach der Gegend hin, damit sich die Wilden weniger vor ihnen fürchten sollten: Als sie aber an den Ort gelangten, war niemand mehr da, und folglich mußten die Indianer sie vermutlich eher erblickt haben als sie die Indianer. In dem hohlen Stamme eines alten Baumes, der ganz zu Zunderholz geworden war, brannte das Feuer noch, und verschiedene frisch abgebrochene Baumzweige, mit welchen Kinder gespielt zu haben schienen, lagen daneben; auch waren an den Orten, wo das Wasser jetzt zur Ebbezeit zurückgetreten war, viele Fußstapfen im Sande zu sehen; lauter unfehlbare Anzeichen, daß die Indianer vor ganz kurzem noch hier gewesen sein mußten. Nicht weit davon fanden sie verschiedene Häuser und einige nach der Art von Tahiti in die Erde gegrabene Öfen, worin dem Anschein nach noch an diesem Morgen Lebensmittel zubereitet worden waren. Neben den Öfen lagen etliche Schalen von einer Art Muscheln und einige weggeworfene Stücke von Wurzeln als Überbleibsel oder vielmehr als die Reste einer Mahlzeit.
Ganz unzufrieden, daß ihnen die Hoffnung fehlgeschlagen war, hier mit den Eingeborenen Bekanntschaft zu machen, kehrten sie nunmehr nach ihrem Nachtquartier zurück, das diesmal eine breite, von Gebüsch beschattete Sandbank war. Ihre Betten bestanden aus Plantanen-Blättern [Bananenblättern], die, auf den Sand ausgebreitet, ihnen so weich wie eine Matratze dünkten. Ihre Oberröcke dienten ihnen statt der Decken und einige Bündel Gras als Kopfkissen. Mit diesen Bequemlichkeiten versehen, hofften sie, diese Nacht ruhiger als die vergangene hinzubringen, insbesondere, da zu ihrem großen Trost nicht ein Moskito zum Vorschein kam. Hier legten sie sich also nieder und (so viel tut die Gewohnheit) überließen sich dem Schlaf, ohne nur im geringsten an die Möglichkeit und Größe der Gefahr zu denken, falls die Indianer sie in diesem Zustand überraschen sollten. Kommt diese Sorglosigkeit einem oder dem anderen meiner Leser befremdlich vor, so denke der nur ein wenig nach, ob man nicht mit jeder Gefahr und mit jedem Unglück, die eine Zeitlang fortwähren, endlich bekannt wird und derselben zuletzt nicht mehr achtet?
Nachdem unsere Reisenden, ohne auch nur einmal zu erwachen, bis in den hellen lichten Morgen geschlafen hatten, so untersuchten sie, wie es jetzt mit dem Wasser im Fluß aussah, und weil sie fanden, daß die Ebbe eben eingetreten war, mit deren Strömung sie bequem wieder zum Schiff zurückkehren konnten, so entschlossen sie sich, den Rückweg anzutreten, und zwar umso mehr, als das Land dem Ansehen nach nicht viel versprach, das einer weiteren Nachforschung wert gewesen wäre; sie gingen folglich in ihr Boot und kamen hierauf wieder zu uns an Bord.
Bald nach Ankunft dieser Gesellschaft langte auch der Schiffer an; er war sieben Seemeilen weit in die See hinaus gewesen und war nach dieser neuen Untersuchung ganz anderer Meinung als zuvor, denn er versicherte, daß man an dem Orte, wo er zuvor einen Kanal gefunden zu haben glaubte, nicht durchkommen könne. Indessen war seine Reise doch in einer anderen Absicht keineswegs fruchtlos gewesen; als er nämlich gestern wieder auf dem Felsen ausstieg, auf welchem er das vorige Mal die großen Meerschnecken gefunden hatte, traf er dort eine Menge Schildkröten an und fing, obwohl er kein besseres Werkzeug als einen Bootshaken bei sich hatte, doch drei derselben, die ganz ansehnlich waren und zusammen siebenhunderteinundneunzig Pfund wogen.
Am folgenden Morgen schickte ich ihn demnach, mit besseren Werkzeugen versehen, wiederum auf Schildkrötenfang aus, und Herr Banks ging mit ihm; allein der Erfolg entsprach unseren Erwartungen nicht im geringsten; denn der Schiffer führte sich, als kommandierender Offizier, so sonderbar bei der Sache auf, daß nicht ein Stück gefangen wurde; und er ließ sich auch am Ende nicht bewegen, wieder nach dem Schiff zurückzukehren. Herr Banks indessen landete auf dem Riff und sah daselbst verschiedene große Meerschnecken. Er machte sich diese Gelegenheit auch zunutze, um allerhand Muschelschalen und Seegewächse einzusammeln, und kehrte um elf Uhr nachts in seinem eigenen kleinen Boot zurück; der Schiffer hingegen blieb mit dem großen Boot weiter auf dem Felsen.
Am Nachmittag dieses Tages waren sieben von den Eingeborenen an der Südseite des Flusses zum Vorschein gekommen, und zwei hatten sich bis an die sandige Spitze herabgewagt, die dem Schiff gerade gegenüber lag. Da ich nun gerne mit ihnen gesprochen hätte, so ruderte ich in einem Boot nach der Stelle hin; sobald sie mich aber näherkommen sahen, liefen sie alle in größter Eile davon.
Der Schiffer hatte indessen für gut befunden, die ganze Nacht über auszubleiben, und da er heute früh noch nicht wieder da war, so war ich genötigt, den zweiten Leutnant nunmehr in der Jolle abzuschicken, um ihn abholen zu lassen; bald nachdem diese abgefertigt war, ließen sich vier von den Eingeborenen auf der sandigen Landspitze sehen, die an der nördlichen Küste des Flusses hervorragte. Sie hatten einen kleinen Kahn bei sich, der nicht aus Baumrinde, sondern ordentlich von Holz gemacht und mit Seitenrahmen versehen war. Eine ganze Weile ließen sie es sich sehr angelegen sein, mit der Fischgabel zu fischen. Einige von unseren Leuten hatten große Lust, in einem Boot zu ihnen hinüber zu rudern; dies gestattete ich aber keineswegs, denn ich wußte jetzt schon aus Erfahrung, daß man es gar nicht so anfangen dürfe, um sie zu einer Unterredung zu bewegen; zu ihnen hin zu gehen war gerade der Weg, sie zu verscheuchen. Ich wollte daher einmal ein ganz entgegengesetztes Mittel versuchen und ließ sie weiter fischen, ohne mich, dem Anschein nach, im geringsten um sie zu kümmern. Dieser Einfall erfüllte seinen Zweck nach Wunsch, denn zwei kamen endlich ganz von selbst in ihrem Kahn bis innerhalb eines Musketenschusses zu uns an das Schiff und sprachen daselbst sehr lange und sehr laut. Wir verstanden zwar nicht ein Wort von dem, was sie sagten, und konnten ihnen daher auch nicht anders als mit einem lauten, fröhlichen Zuruf antworten, doch wendeten wir zugleich alle erdenklichen Zeichen an, um sie zu uns einzuladen und ihnen zu verstehen zu geben, daß sie nichts von uns zu befürchten hätten. Während dieser mangelhaften Unterredung kamen sie unvermerkt immer näher heran und hielten dabei ihre Lanzen empor; jedoch nicht auf eine drohende Art, sondern um uns gleichsam zu verstehen zu geben, daß, wenn wir ihnen etwas zuleide tun sollten, sie Waffen hätten, sich zu rächen. Als sie auf solche Art fast ganz dicht an das Schiff herangekommen waren, warfen wir ihnen kleine Stückchen Tuch, Nägel, Glaskorallen, Papier und andere Kleinigkeiten zu; alles dieses nahmen sie zwar an, ließen aber nicht die geringste Freude darüber erkennen; endlich warf ihnen einer von unseren Leuten einen kleinen Fisch zu, und dieses Geschenk schien ihrer Beurteilungskraft oder ihren Bedürfnissen angemessener zu sein, denn sie äußerten nicht nur die lebhafteste Freude darüber, sondern gaben uns auch durch Zeichen zu verstehen, daß sie ihre Mitgefährten ebenfalls herbeiholen wollten, und ruderten unverzüglich nach dem Strande hin.
Mittlerweile gingen einige von unseren Leuten, darunter auch Tupia, auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses an Land. Unsere Indianer fanden sich bald wieder bei dem Schiffe ein und hatten ihre Kameraden mitgebracht, so daß nunmehr ihrer vier im Kahn waren, und sie wagten sich jetzt, ohne im geringsten Furcht oder Mißtrauen zu äußern, ganz dicht an uns heran. Wir teilten noch einige Geschenke an sie aus, und nicht lange danach ruderten sie wieder weg und landeten auf eben der Seite des Flusses, auf der unsere Leute vorher gleichfalls ausgestiegen waren. Ein jeder von ihnen trug zwei Lanzen und einen Stock, vermittelst dessen sie geworfen werden, in der Hand, und in dieser Rüstung näherten sie sich dem Ort, wo Tupia und die übrigen von unseren Leuten sich niedergesetzt hatten. Tupia brachte es bald dahin, daß sie ihre Waffen niederlegten und ohne dieselben näher herankamen. Alsdann lud er sie durch Zeichen ein, daß sie sich zu ihm hinsetzen möchten; sie taten es auch wirklich, und zwar dem Anschein nach ganz unbesorgt und ohne Mißtrauen. Um diese Zeit gingen von uns noch verschiedene mehr an Land; als die Indianer sahen, daß wir dem Ufer näher kamen, äußerten sie einige Besorgnis, daß wir etwa im Sinn haben möchten, ihnen den Weg zu ihren Waffen abzuschneiden: Allein wir ließen es uns sehr angelegen sein, sie zu überzeugen, daß dies unsre Absicht gar nicht sei; und sobald wir an sie herankamen, machten wir ihnen von neuem wieder Geschenke, damit sie sehen sollten, wie gut wir es mit ihnen meinten und wie sehr wir wünschten, daß sie es auch mit uns wohlmeinen möchten.
Hierauf blieben wir bis an den Mittag ganz vertraut und freundschaftlich beieinander; und als wir um diese Zeit zum Essen gehen wollten, gaben wir ihnen zu verstehen, daß sie mit uns kommen möchten; sie nahmen aber die Einladung nicht an, sondern ruderten, sobald wir fort waren, in ihrem Kahn ebenfalls weg.
Der eine von diesen Männern war schon über das mittlere Alter hinaus, die drei anderen hingegen waren noch jung und alle von gewöhnlicher Statur, hatten aber besonders kleine Gliedmaßen. Die Farbe ihrer Haut war so schwarz wie Ruß oder wenigstens so dunkelbraun wie eine ganz dunkle Schokoladenfarbe; ihr Haar war schwarz, aber nicht wollig, dabei kurz geschnitten und bei einigen gerade, bei anderen hingegen kraus. Dampier sagt, daß den Leuten, welche er auf der Westseite dieses Landes gesehen, zwei Vorderzähne gefehlt hätten; diese Leute aber hatten die ihrigen ganz vollzählig und vollständig. Sie hatten sich den Leib an manchen Stellen mit einer roten Farbe angestrichen, und einer unter ihnen hatte sich die Oberlippe und die Brust mit weißen Streifen, die er Carbanda nannte, bemalt. Ihre Gesichtszüge waren sehr angenehm, ihre Augen lebhaft, ihre Zähne weiß und wohl gesetzt und ihre Stimmen wohlklingend und biegsam, so daß sie uns ohne die geringste Mühe allerlei Worte nachsprechen konnten.
Am Abend kehrten Herr Gore und auch der Schiffer endlich mit dem langen Boot zurück und brachten nun eine Schildkröte nebst einigen wenigen Schalentieren mit. Die Jolle hatten sie aber mit sechs Mann auf der Klippe zurückgelassen, um den Fang noch fortzusetzen.
Am folgenden Morgen hatten wir wiederum von vier Indianern Besuch. Drei von ihnen waren schon gestern bei uns gewesen; der vierte hingegen war ein Fremder und wurde uns von seinen Mitgefährten unter Anzeige seines Namens, der Yaparico war, ordentlich vorgestellt. Dieser Herr zeichnete sich durch einen sehr in die Augen fallenden Putz aus. Er hatte sich nämlich den Nasenknorpel durchbohrt und in das Loch einen Knochen von einem Vogel gesteckt, der ungefähr einen starken Finger dick und fünf bis sechs Zoll [12,5 bis 15 cm] lang war. Von einem solchen Staate hatten wir bisher nur erst ein einziges Beispiel, und zwar in Neuseeland, gefunden; als wir aber genauer nachsahen, wurden wir bald gewahr, daß unter diesem Volke hier der erwähnte Teil der Nase durchgängig durchbohrt und folglich zu einem solchen Zierrat ordentlich zubereitet war. Sie hatten auch Ohrenlöcher, trugen aber, als wir sie sahen, kein Gehänge darin; dagegen schmückten sie den Oberteil des Armes mit einem Band von geflochtenem Haar. Und obwohl sie wie die Einwohner von Feuerland völlig unbekleidet gingen, so schienen sie doch nicht weniger als jene auf ihren Putz zu halten. Einer von ihnen, dem ich ein Stück von einem alten Hemd geschenkt hatte, band es, anstatt einen Teil des Leibes damit zu bedecken, wie einen Turban um den Kopf.
Sie hatten einen Fisch mitgebracht und machten uns ein Geschenk damit, wahrscheinlich als Vergeltung desjenigen, das sie gestern von uns empfangen hatten. Sie schienen überhaupt sehr vergnügt und gar nicht gesonnen zu sein, uns so bald zu verlassen. Als sie aber sahen, daß einer von unseren Herren Reisenden ihren Kahn sehr aufmerksam und neugierig betrachtete, so erschraken sie dermaßen, daß sie augenblicklich in denselben hinabsprangen und eiligst fortruderten, ohne ein Wort zu sagen.
Am folgenden Morgen um zwei Uhr kam die Jolle, welche die Nacht über auf der Klippe geblieben war, mit drei Schildkröten und einem großen glatten Rochen zurück. Da es sich nun allerdings so anließ, als ob diese Fischerei mit Vorteil fortgesetzt werden könnte, so säumte ich nicht lange und schickte sie gleich nach dem Frühstück wiederum fort, um womöglich noch mehr zu holen. Nicht lange nachher wagten sich drei Indianer bis an Tupias Zelt, und sie waren mit der guten Aufnahme, die ihnen dort widerfuhr, so zufrieden, daß einer von ihnen in dem Kahn fortruderte, um zwei andere zu holen, die wir noch nicht gesehen hatten. Als er mit diesen beiden Landsleuten ankam, stellte er sie uns mit Namen vor, eine Zeremonie, die bei dergleichen Gelegenheiten sehr sorgfältig beobachtet und nie unterlassen wurde. Da sie über den Fisch, der ihnen bei ihrer ersten Annäherung gegen das Schiff zugeworfen worden war, dem Ansehen nach so viel Vergnügen gezeigt hatten, so boten wir ihnen heute von neuem welchen an; allein zu unserer Verwunderung taten sie jetzt ganz gleichgültig; doch winkten sie einigen von unseren Leuten zu, daß sie ihnen solchen zubereiten möchten; dies geschah augenblicklich, nachdem sie aber ein wenig davon gegessen hatten, warfen sie das übrige Herrn Banks' Windspiel vor.
Sie blieben den ganzen Vormittag bei uns, wollten sich aber niemals über sechzig Fuß [etwa 20 m] weit von ihrem Kahn wagen. Wir wurden nun gewahr, daß die Farbe ihrer Haut nicht wirklich so schwarz war, wie sie zu sein schien, und fanden, daß das, was wir bisher für ihre natürliche Farbe angesehen hatten, nur von Kot und Rauch herrührte; denn so heiß es auch hierzulande ist, so sind sie doch gleichsam gezwungen, ihre Zuflucht zum Feuer zu nehmen, um wenigstens des Nachts vor den Moskitos Ruhe zu haben. Unter anderen Sachen, die wir ihnen bei unserer ersten Zusammenkunft geschenkt hatten, befanden sich auch einige Rechenpfennige, die wir ihnen an einem Bande um den Hals gehängt hatten; diese Bänder aber waren durch den Rauch so zugerichtet, daß wir Mühe hatten zu unterscheiden, von welcher Farbe sie ehemals gewesen waren. Und ebendieser Umstand veranlaßte uns, die Farbe ihrer Haut ein wenig genauer zu untersuchen.
Während diese Leute bei uns waren, sahen wir auf der jenseitigen Landspitze des Flusses zwei andere, ungefähr 600 Fuß weit von uns, und entdeckten vermittelst unserer Ferngläser, daß es eine Frau nebst einem Knaben war und daß die Frau gleich allen übrigen Leuten splitternackt ging. Wir beobachteten, daß dieses Volk durchgängig sehr zart von Gliedmaßen und bei allem, was es vornahm, ungemein tätig und hurtig war. Einer der beiden Fremden, die wir erst heute kennengelernt hatten, trug ein sehr artig gemachtes Halsband von Muscheln und ein Armband, das aus verschiedenen Schnüren zusammengeflochten war und ungefähr so wie unsere seidenen Kordon-Schnüre aussah. Sie trugen beide ein Stück Baumrinde vor die Stirn gebunden, allein der Knochen, den sie in dem Nasenknorpel stecken hatten, verunstaltete sie ungemein. Ihre Sprache ist rauher als jene, welche die Einwohner der Südseeinseln reden; diese hier wiederholten sehr oft das Wort Cercau, und der Art nach zu urteilen, wie sie dasselbe aussprachen, sollte es wohl eine Verwunderung andeuten; auch pflegten sie, so oft ihnen etwas Neues in die Augen fiel, auszurufen: Tscher, tut, tut, tut, tut, welches ungefähr eben die Bedeutung haben mochte. Ihr Kahn war nicht über zehn Fuß lang, aber mit einem Seitenrahmen versehen, und von gleicher Bauart und Anordnung wie in der Südsee üblich, aber ungleich schlechter gemacht. In seichtem Wasser stießen sie ihn mit Stangen fort, und da, wo es tiefer war, gebrauchten sie Ruder, die ungefähr vier Fuß lang sein mochten. Das Fahrzeug war kaum für vier Personen groß genug, weshalb auch die Leute, welche uns jetzt besuchten, zweimal nach dem Lande ruderten. Ihre Lanzen waren von eben der Art wie jene, die wir in der Botany Bay gesehen hatten, doch hatten sie hier nur eine einzige Spitze; diese bestand manchmal aus dem Stachel eines Rochen und war mit zwei oder drei scharfen Gräten eben dieses Fisches als Widerhaken versehen. Auf solche Weise war es in der Tat eine sehr fürchterliche Waffe. Das Instrument, dessen sie sich zum Werfen dieser Lanzen bedienten, war kunstfertiger als irgend etwas, das wir je zuvor gesehen hatten. Am Mittag des folgenden Tages kam die Jolle mit noch einer Schildkröte und einem großen Stechrochen zurück und wurde am Abend wiederum ausgeschickt.
Am folgenden Morgen besuchten uns zwei von den Indianern an Bord des Schiffes, sie blieben aber nicht lange bei uns, sondern gingen bald wieder weg und die Küste entlang, wo sie sehr emsig waren, mit der Fischergabel etwas zu fangen. Herr Gore, der an diesem Tage mit seiner Kugelbüchse ausging, war so glücklich, eines von den Tieren zu schießen, die wir so lange schon näher zu betrachten gewünscht hatten. An Gestalt kommt es der Gerbua am nächsten, welcher es auch in der Art, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, am ähnlichsten ist; an Größe ist es von derselben sehr verschieden; die Gerbua ist nicht größer als eine gemeine Ratte, dieses Tier hingegen, wenn es ausgewachsen ist, so groß wie ein Schaf. Dasjenige, welches Herr Gore eben erlegt hatte, war noch jung, bei weitem nicht völlig erwachsen und wog daher nicht mehr als 38 Pfund. Der Kopf, der Hals und die Schultern sind im Verhältnis zu den anderen Teilen seines Leibes klein; der Schwanz ist ungefähr so lang wie der Leib, am Rumpf dick und gegen das Ende hin immer dünner. Die Vorderfüße waren bei diesem nur acht Zoll und die Hinterfüße 22 Zoll Lang. Wenn es sich von einem Ort nach dem anderen hin bewegen will, so springt oder hüpft es, anstatt zu laufen; die Sätze, die es dabei macht, sind sehr groß, dabei hält es sich immer aufrecht auf den Hinterbeinen, die Vorderfüße aber behält es hart an die Brust gebogen; sie scheinen ihm auch bloß zum Graben oder Scharren zu dienen. Die Haut ist mit einem dunkel mausfarbigen Haar bedeckt, nur der Kopf und die Ohren nicht, die fast wie bei einem Hasen aussehen. Bei den Eingeborenen heißt dieses Tier Känguruh.
Am folgenden Tage wurde unser Känguruh zum Mittagessen zurecht gemacht, und wir fanden das Fleisch von ungemein leckerem Geschmack.
Leutnant Cook’s Reise um die Welt in den Jahren 1768, 1769, 1770, 1771
In:
Hawkesworth, J. J.
Ausführliche und glaubwürdige Geschichte der neuesten Reisen um die Welt, welche auf Befehl und Kosten des jetzt regierenden Königs von England in den Jahren 1764 bis 1782 […] unternommen worden sind
Band 4, Berlin 1775
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000