1802 - Matthew Flinders
Auf dem Großen Barriereriff
Am 9. Oktober 1802 ankerten wir zwischen den Riffen unter 151°3' ö. L. und 20°53'15" s. Br. Nachmittags begab ich mich mit einem Teile unserer Gelehrten auf das Riff, und da das Wasser rund um dessen Ränder sehr helle war, zeigte sich eine für uns neue, doch die alte nachahmende Schöpfung. Wir erblickten unter dem Wasser Weizengarben, Pilze, Hirschgeweihe, Kohlblätter und verschiedene andere Formen in lebhaften Farben von jeder Schattierung zwischen purpur, grün, weiß und braun hervorglänzen, die dem Lieblingsbeete des wißbegierigen Gärtners an Schönheit glichen und es an Großartigkeit übertrafen. Es waren Korallen und Tangarten, die aus dem festen Felsen hervorwuchsen und von denen jede ihre eigene Form und Farbe hatte. Während wir aber diesen reichen Anblick genossen, konnten wir nicht lange vergessen, welche Bedrohung dies alles für uns bedeutete.
Verschiedene abgestorbene Korallen, die zu einer schmutzigweißen festen Masse zusammengewachsen waren, bildeten die Steinart des Riffs. Die mohrenkopfähnlichen Erhöhungen über dem Wasser waren von der Witterung geschwärzt. Doch auch an ihnen konnte man die Formen verschiedener Korallen und Muscheln erkennen. Die Ränder des Riffs waren vorzüglich da, wo sich das Meer daran brach, die höchsten Teile desselben. Innerhalb derselben fand man Tümpel und Höhlen mit lebenden Korallen, Seeschwämmen, See-Eiern und Seegurken, und mehrere Riesenmuscheln waren an verschiedenen Orten des Riffs verstreut. Bei niedrigem Wasser scheint diese Muschel gewöhnlich halb offen zu stehen. Oft aber schließt sie sich mit starkem Getöse und wirft das in ihren Schalen enthaltene Wasser in einem drei bis vier Fuß hoch springenden Schwall aus. Durch dieses Getöse und diese Fontänen entdeckten wir sie, da sie sonst schwer von den Korallenfelsen zu unterscheiden gewesen wären. Wir brachten eine Zahl dieser Muscheln an Bord und kochten sie in den Kesseln. Aber sie hatten einen zu üblen Geruch und wurden nur von wenigen gegessen. Eine derselben wog 47 1/2 Pfund und enthielt drei Pfund und zwei Unzen Fleisch. Aber diese Größe reicht gar nicht an die, welche die Kapitäne Cook und Bligh auf den Riffen an der nördlichen Küste fanden, oder an die mancher Exemplare im Britischen Museum. Später habe ich auch einzelne solcher Muscheln gesehen, die viermal das Gewicht der oben erwähnten mit Schale und Fleisch hatten.
Da beide Schiffe mehrere Anker verloren hatten, so entschloß ich mich, die Erforschung der schmalen Durchfahrten durch das Barriereriff aufzugeben. In dieses strömt die Flut mit außerordentlicher Gewalt; der Boden ist Korallenfelsen, und keine Stelle kann mit oder ohne Wind gefährlicher sein. Mein heißer Wunsch, in die offene See zu gelangen und die Nordküste zu erreichen, bevor der ungünstige Passatwind einträte, hatte mich veranlaßt, in diesen schwierigen Durchfahrten länger zu verweilen, als die Vorsicht zu erfordern schien. Wäre der Wind heftig gegangen, so würden keine Anker in solchem tiefen Wasser und auf losem Sande das Schiff festgehalten haben. Die Ankertaue wären durch einen felsigen Grund abgeschnitten worden. Nachts unter Segel zu sein, bewirkte sichere Vernichtung. Ich entschloß mich daher, für künftige Erforschung einer Durchfahrt alle engen Kanäle zu vermeiden und längs der größeren Riffe hinzufahren, bis sich eine gute und sichere Öffnung von selbst darböte. Dieser Plan, den die allgemeine Sicherheit gebot, konnte uns weit nach NW führen und unsere Ankunft im Carpentariagolf verzögern. Doch hoffte ich dies nicht; denn Kapitän Cook hatte gefunden, daß die Flut, nachdem er bei den Cumberlandinseln vorbeigekommen war, von SO kam, nicht wie zuvor von N, ein Umstand, der ein Ende der Riffe anzudeuten schien oder eine weite Öffnung in ihnen, nördlich oder nordwestlich von diesen Inseln. Am 15. Oktober langten wir an einer dieser Inseln an, deren 15 entdeckt wurden. Ihr Grundgestein war Porphyr, und sie war mit Bäumen und Gesträuch dicht bedeckt. Unser Ankerplatz lag unter 149°34'1 2" ö. L. und 20°45'28" s. Br.
Flinders, Matthew
Die erste Umsegelung Australiens
Nach der 1. dt. Ausgabe von Ferdinand Götze neu herausgegeben von Wolf-Dieter Grün
Stuttgart 1984