1866 - Karl Listner
Enttäuschung in Adelaide
Am Morgen erschien der erwünschte Lotse, ein Dampfschiff nahm uns ins Schlepptau und brachte uns in wenigen Stunden sicher in den Hafen Port Adelaide.
Somit war die lange und gefährliche Reise unter Gottes Schutz und Beistand glücklich beendigt.
Englische Beamte erschienen an Bord, um die mitgebrachten Waren zu untersuchen. Sie erkundigten sich nach dem Hergang der Reise und dem gegenseitigen Betragen zwischen uns und dem Kapitän, und als schließlich der Arzt unseren Gesundheitszustand untersucht und für befriedigend erklärt hatte, konnte jeder gehen, wohin es ihm beliebte.
Eine Menge Neugieriger und Müßiggänger hatte sich versammelt, um unseren Ausgang aus dem Schiff zu begaffen; mit gewissem Hochmut blickten sie auf uns Neulinge, wohl wissend, was uns bevorstand.
Nachdem mich mit einigen meiner Reisegefährten an einem kräftigen englischen Frühstück aus Tee, Beefsteak und Weizenbrot gelabt hatte, fuhren wir auf der Eisenbahn nach der acht Meilen entfernten Hauptstadt im Gouvernement Südaustraliens, Adelaide.
Aber wie sehr, wie bitter sahen wir uns getäuscht, als wir statt grüner lachender Fluren eine von der Sonne verbrannte Wüste erblickten! Wie fielen alle Luftschlösser, die wir während der Reise gebaut, jäh zusammen, als uns in der Stadt mitgeteilt wurde, dass die Goldfelder zum größten Teil abgebaut, dass jetzt, nach beendigter Ernte, schwer Beschäftigung zu finden sei und dass sich bereits eine überreiche Menge arbeitsloser Leute in der Stadt herumtreibe! Und die Wahrheit dieser Mitteilungen mussten wir trotz inneren Widerstrebens bald genug erkennen, denn an allen Hauptstraßen der Stadt sahen wir Arbeitssuchende truppweise stehen.
Ich wusste damals noch nicht, dass, während die Stadt häufig mit Arbeitskräften überfüllt ist, weiter im Inneren des Landes fortwährend Arbeiter gesucht werden, dass aber die meisten, und wenn auch unter noch so beschränkten Verhältnissen, den bequemeren Stadtaufenthalt dem zwar entbehrungsvollen, aber sicher bei Weitem glücklicheren Landleben vorziehen.
Entmutigend wirkten die Erfahrungen, die der Neuankömmling in Australien gleich in den ersten Tagen zu machen hat. Er wird in jeder Weise übervorteilt und betrogen, und nicht etwa nur von Fremden, deren Sprache er nicht versteht, nein, auch von den eigenen Landsleuten, die sich ihm leider nur zu oft nähern, ihm Rat erteilend, Freundschaft heuchelnd, bis es ihnen gelungen ist, ihm seine Habe abzuschwindeln. Diese Gauner, die eine traurige Berühmtheit erlangt haben, sind die gefährlichsten Feinde des Neulings, und wo sollte es auch ein besseres Feld der Tätigkeit für dieses Raubgesindel geben als in einem Goldlande! Bei der größten Vorsicht wird man überlistet und kann oft froh sein, mit heiler Haut davonzukommen.
Mannigfaltigster Art sind die Bemühungen, die der Anfänger aufwendet, um das zu erreichen, was der Engländer »ein Leben machen« nennt. Hunderterlei wird versucht, aber immer und immer wieder scheitern diese Versuche an der alten, schlimmen Frage, die schon manchem den Kopf warm machte: »Can you speak English? Nein? Dann gehe und lerne es, und wenn du sprechen kannst, frage wieder nach!«
Auch die klimatischen Verhältnisse machen ihren Einfluss auf den Neuangekommenen in ungünstiger Weise geltend. Eine ungewohnte Sonne glüht auf ihn hernieder und die die heißen, aus dem Inneren des Landes kommenden Winde, die Samums, belästigen durch den feinen Staub, den sie mit sich führen und die die Temperatur oft bis zu 40° Reaumur [50 °C] steigern, einer fast unerträglichen Wärme. Dazu gesellen sich noch die Schwärme der Fliegen und Moskitos, die eine wahre Landplage bilden. Und merkwürdigerweise hat gerade der Neuling das meiste unter diesem zudringlichen Ungeziefer zu leiden. Die fruchtlosen Bemühungen, sie abzuwehren, dazu der endlose Schweiß, der aus allen Poren bricht, versetzen den Ärmsten in verzweiflungsvollen Zustand, und oft möchte er meinen, es habe alles Missgeschick sich vereinigt, ihm den Aufenthalt in dem neuen Lande so peinlich wie möglich zu machen.
Und bei diesem Druck von innen und außen, bei diesen trüben Aussichten, im fortwährenden Ringen und Kämpfen um die Erhaltung des Lebens, siehst du den letzten Groschen schwinden und findest dich zuletzt in einem fremden Lande, Tausende von Meilen entfernt von der Heimat, ohne Geld, ohne Freund, ohne Aussicht auf Verdienst und unter Leuten, deren Sprache du nicht verstehst!
So war mein Eintritt in das gepriesene, ersehnte Goldland Australien. Der Zauber der Romantik und des Abenteuerlichen, der sich in der Jugend so gern an die Vorstellung fremder Länder knüpft, wurde durch diese ersten Erlebnisse gar bald hinweggeweht und die nackte, nüchterne Wahrheit, der Ernst des Lebens trat an seine Stelle.
Mit zäher Geduld und Ausdauer hält man an der Scholle fest, auf der man zuerst gelandet, bis der Zeitpunkt kommt, wo man den Boden unter den Füßen brennen fühlt und mechanisch nach dem Wanderbündel greift, um den Fuß weiter zu setzen. Auch bei mir kam dieser Moment und ich hatte die Wahl, mich nach den Goldfeldern oder den Kupferminen zu wenden oder auch mein Heil in den großen Schäfereien des Inneren zu suchen.
Wir, die wir in zivilisierten Gegenden wohnen, die wir an den Luxus, an die Bequemlichkeiten europäischen Lebens gewöhnt sind, haben keinen Begriff von den Strapazen, Entbehrungen und Gefahren, mit denen eine Wanderung in die Wildnisse Australiens verknüpft ist. Alles, was man hat, Eigentum Gesundheit, ja oft das Leben wird dabei aufs Spiel gesetzt, bis man endlich gleichgültig gegen die ernstesten Vorkommnisse wird und der Gefahr selbst einen gewissen Reiz abzugewinnen lernt.
»Experience is better than money! Erfahrung ist besser als Geld!«, sagt der Engländer. Hat man einmal Kenntnisse, Erfahrungen gesammelt, ist man heimischer und vor allem der Sprache mächtig geworden, dann treten die Vorteile, die ein freies Land zu bieten vermag, deutlich zu Tage. Und ein freies, schönes Land ist Australien, ein Land, das schone Tausenden zur Heimat wurde und kommenden Geschlechtern ein reiches Feld der Tätigkeit bieten wird, ein Land, das sich einer vernünftigen Regierung erfreut, in dem sich der Jüngling nicht dem Joch der Militärherrschaft zu beugen braucht, wo der Mann die Früchte seines Fleißes ungeschmälert mit den Seinigen genießt und der Greis am Abend seines Lebens, umgeben von ewigem Sommer, ausruhen kann von des Daseins Mühen und Sorgen!
Listner, Karl
Erlebnisse in Australien
Zwickau 1871