1844 - August Kavel
Die ersten deutschen Siedler
Adelaide
Der Verfasser würde es für eine Sünde halten, den geringsten seiner Mitmenschen, geschweige alle diejenigen, denen dieser Aufsatz zu Gesicht kommt, zu belügen. Sein Vorsatz ist daher, die folgende Darstellung nicht zu übertreiben, sondern der Wahrheit gemäß zu berichten. Dies um so mehr, damit, wenn auch nur ein Einziger in Folge dieses Aufsatzes bewegt werden sollte, Süd-Australien zu seinem adoptierten Vaterland zu machen, er demselben ohne Erröten sowohl bei seiner Ankunft als nach einem längeren Aufenthalt unter die Augen treten könnte. Auch ist er sich nicht bewußt, irgendein selbstsüchtiges, am wenigsten ein Handelsinteresse dabei zu haben, jemanden hierher zu locken, obwohl er sich freuen würde, wenn der Erbherr aller Länder noch viele seiner Landsleute hierher führte, um Ihnen ein lieblicheres Los hierselbst zu bereiten. Da der Schreiber diesen nun schon sechs Jahre in dieser erst neun Jahre alten Kolonie gelebt hat, so wird man ihm zutrauen, daß sein Bericht mehr auf wiederholter Anschauung und gemachter Erfahrung beruht als der eines bloß Durchreisenden.
Süd-Australien ist derjenige Teil des Festlandes von Neu-Holland, der sich vom 9. bis 38. Grade südlicher Breite von Süden nach Norden, und vom 112. bis zum 253. Grade östlicher Breite vom Meridian von Greenwich von Westen nach Osten erstreckt. Den südlichen Zugang bilden zwei Straßen zwischen dem Festlande und der Insel Kangaroo, welche in einem großen Meerbusen, Golf Vincent genannt, führen. Blickt man vom Hafen Port Adelaide nach Osten, so eröffnet sich dem Auge eine Ebene, die sich etwa 14 englische oder 3 deutsche Meilen weit erstreckt, bis zum Fuß einer Bergkette, so weit das Auge reicht, in einer nordöstlichen Richtung ausdehnt, und den weitern Blick in das Innere des Landes begrenzt. Dieses Gebirge erhebt sich an seinen höchsten Punkten ungefähr 2.000 Fuß über die Meeresfläche, und bietet dem Beobachter, wenn er es, von der Ebene aus in der Nähe betrachtet, den Anblick einer an vielen Stellen reich mit Holz bewachsenen, im Winter und Frühling - d.h. von Juni bis November – mit einem schönen Gras- und Blumenteppich bedeckten, zusammenhängenden Bergkette dar, die an vielen Stellen von gleichartig geschmückten Schluchten eingeschnitten ist, und nicht in nackten, in unfruchtbarer Höhe zugespitzten Felsen, sondern in abgerundeten Berghöhen endigt. Zu gleicher Zeit, besonders von Juni bis Mitte Oktober, ist die ganze zwischen dem Meerbusen und den Bergen liegende Ebene mit Gras und Blumen geziert und hin und wieder mit größeren und kleineren Wäldern, an vielen Stellen nur mit Baumgruppen bedeckt, so daß eine Reise über dieselben zu dieser Jahreszeit einem Spaziergang durch einen großen, schönen Park gleicht. Dasselbe muß von den Reisen im Gebirge selbst gesagt werden, welche, mit Ausnahme einiger kleiner Strecken, aus einer ununterbrochenen, viele Meilen in die Länge und Breite sich erstreckenden Reihe aneinandergeschichteten kuppenförmiger Hügel, die durch bald engere, bald weitere Täler oder Hochebenen miteinander in Verbindung stehen, zusammengesetzt sind. Von dieser Art sind alle die verschiedenen Bergketten des Landes, z.B. die Victoria oder Alexandrinen-Bergkette, die Borussa-Bergkette und die Harzinische, nebst den übrigen. Sie gewähren das ganze Jahr hindurch wie die Ebene den immer bedeutender werdenden Rinder-, Schaf- und Ziegenherden eine reichliche und gesunde Nahrung, so daß besonders in der oben genannten Jahreszeit bis zu Weihnachten hin selbst die Arbeitsochsen so fett aussehen und in der Tat sind, als an vielen Orten Deutschlands das Mastvieh. Es ist daher hier allgemein zugestanden, daß das hiesige Rind- und Hammelfleisch dem besten in London, Hamburg und Bremen nicht nachsteht.
Süd-Australien hat keinen Mangel an Flüssen und Wasser, wie man wegen seiner südlichen Lage und seines heißen Klimas vermuten möchte; denn außer dem Murray, der, so breit wie die Elbe bei Hamburg und an manchen Stellen 40 Fuß tief, dem Lande eine Ehre macht, dem Torrens, Onkayaringa, Gawler, Para, Rhein und anderen Flüssen – die während und noch einige Monate nach der Regenzeit fließen und den übrigen Teil des Jahres in ihren langen und tiefen Teichen (manche dieser Teiche sind 500 bis 1.000 Fuß lang), von denen sich von den Quellen bis zum Ablauf ins Meer einer an den anderen reiht, hinreichendes und gutes Wasser enthalten – enthält das Land eine bedeutende Anzahl von Wasserläufen (Creeks), welche in den verschiedenen Gebirgen entspringen und teils in die größeren Flüsse, teils ins Meer münden, und kurz nach der Regenzeit meistens fließen. Quellwasser wird aber überall beim Nachgraben, und zwar meistens ziemlich nahe an der Oberfläche in einer Tiefe von 5 bis 10 Fuß, gefunden, und selten ist man genötigt gewesen, 100 Fuß und tiefer zu graben. Da teils wegen des Ackerbaus, besonders aber zur Anlegung von Viehstationen die Kolonisten sich über einen großen Teil der Kolonie in die Gebirge und auf die Ebenen haben zerstreuen und daselbst Niederlassungen gründen müssen, so sind diese Tatsachen über das reichliche Vorhandensein des Quellwassers praktisch und faktisch ermittelt worden, und artesische Brunnen zu bohren hält man für überflüssig. Auch bedürfen wir nicht der Riesenarbeit eines Osiris, einen See Moëris oder mehrere nebst einem Netz von Kanälen anzulegen, um unsere Ebenen fruchtbar zu machen. Wir haben, Gott sei Dank! jährlich Regenwasser genug, sei es nun, daß die Regenzeit schon im April oder erst Anfang Juni eintrete, um solchen Weizen im Überfluß zu gewinnen, der am Markt in London den Preis davon trägt, und solche Gerste zu produzieren, aus der ein Ale, das dem in England gebrauten wenig nachgibt, gebraut wird.
Was die Masse des Regens betrifft, die im Durchschnitt von Mitte Mai bis Anfang Oktober jährlich hier fällt (außerdem vergeht aber auch selten einer von den übrigen Monaten ganz ohne Regen), so hat eine mehrjährige Beobachtung gezeigt, daß sie der in den nebligen und regnerischen Landen gleichkommt, und daß die australischen Schauer, die nicht so gleichmäßig wie in England und Deutschland, sondern mehr auf die obengenannte Regenzeit verteilt sind, viel dichter fallen, daher sie auch den Ehrennamen australisch führen. Diese machen das Land, sowohl die Berggegenden als auch die Ebenen, sehr fruchtbar. Sollte aber denselben noch durch Anlegung künstlicher Seen, Teiche, Kanäle und dergleichen, in denen man die ungeheure Masse Regenwasser, die jährlich ins Meer läuft, sammelte und aufbewahrte, nachgeholfen werden, so daß man die Felder und Gärten im hohen Sommer noch künstlich bewässern könnte, wiewohl das zu gewöhnlichen Fruchtbarkeit nicht nötig ist, so würde die Fruchtbarkeit das Landes fast beispiellos sein, wie das die Folgen eines bedeutenden Gewitterregens im Februar 1840 bewiesen haben, wo in einigen Teilen der Kolonie eine außerordentliche Kartoffel- und Maisernte war und die Gartengewächse zu einer seltenen Größe und Vollkommenheit gediehen. Solche künstliche Bewässerung ist aber nicht nötig und scheint um so weniger ein Bedürfnis, da die Kolonie unter den neuen Jahren ihres Bestehens noch kein dürres und unfruchtbares, sondern lauter fruchtbare Jahre gehabt hat.
Der Boden, das Acker- und Gartenland ist außerdem von einer solchen Beschaffenheit, daß es von der Hitze nicht so leicht wie in Deutschland durchdrungen werden zu können scheint und die Wurzeln der Gewächse daher nicht so leicht absterben. Wenn es auch einmal, wie im Jahr 1840, in 8 bis 10 Woche nicht regnet, so hindert das den Weizen und die Gerste keineswegs, zu blühen und vollkörnig zu werden. Solche anhaltende Trockenheit vor und bis zur Ernte ist aber in neuen Jahren nur einmal gewesen, und hat sich, wie die Erfahrung zeigte, als unschädlich erwiesen: kein Baum ist vertrocknet, kein Morgen Getreide ausgedorrt, und wiewohl Kartoffeln und andere Gartengewächse zu treiben aufhörten, waren sie doch nicht erstorben, sondern schlugen nach Eintritt des Regens wieder aus. Diese lebenserhaltende Kraft bei anhaltender Trockenheit ist freilich wohl nicht einzig der Beschaffenheit des lehmigen oder tonigen Bodens, sondern auch der Temperatur der Luft zuzuschreiben.
Das Klima des Landes ist zwar ein warmes, aber die Wärme doch im Durchschnitt gemäßigt. Im Winter ist die Temperatur in den Ebenen, wo es am wärmsten ist, durchschnittlich mittags 12 - 15° C, in den Gebirgen noch niedriger; im Sommer hält sie sich zwischen 27 und 30, und nur selten steigt sie bis 37 oder 40 Grad. Leichte Nachtfröste kommen nur in den höheren Gegenden vor einige Male im Jahr vor, in den Ebenen und in der Nähe der See fast gar nicht; ihre Spuren sind längstens eine Stunde nach Sonnenaufgang verschwunden. Die Luft ist bei heiterem Wetter äußerst rein, dünn und dunstleer; daher scheinen Sonne, Mond und Sterne heller als in Deutschland und England. Sie ist, selbst bei Gewittern, die jedoch selten sind, fast nie schwül und drückend, und durch die vorherrschenden Südseewinde im höchsten Sommer mit einer angenehmen Kühle temperiert, so daß dem verhältnismäßig heißen Tage häufig eine kühle Nacht folgt, ausgenommen, wenn der Wind aus Norden weht, was jedoch nie lange anhaltend der Fall ist.
Um Erkältungen zu vermeiden, tut man besser, des Abends wie in Italien wärmere Kleidung anzulegen, namentlich in den Bergen. Der Schreiber dieses ist zwar nicht in Sizilien oder Griechenland gewesen, setzt aber voraus, daß jene Länder sowie auch Palästina dasselbe Klima haben wie Süd-Australien. Und ob er wohl nicht sagen kann, daß er das Land kennt, wo die Zitronen blühen, muß er doch gestehen, ein solches zu kennen, und das ist eben dieses. Um sich von der Vortrefflichkeit des hiesigen Klimas einen Begriff zu machen, wolle man bedenken, daß der Verfasser mit seinen im Jahre 1838/39 hier angekommenen 500 Gefährten sich durchschnittlich sehr wohl befunden haben, daß nur wenige Todesfälle vorgekommen, Kinderkrankheiten fast gar nicht bekannt und die Kirchhöfe leer geblieben sind. Die reine Atmosphäre dieses Landes erleichtert lungenschwachen und kranken Personen das Atmen ungemein, so daß die, die in Deutschland keuchten, wenn sie eine Treppe oder einen kleinen Hügel erstiegen, hier mit Leichtigkeit Berge erklimmen. Husten wird sehr selten gehört, von Fiebern ist nur wie von einer außerordentlichen Erscheinung die Rede. Daß übrigens Personen, die sich vor Erkältungen gar nicht in Acht nehmen oder ein unmäßiges Leben führen, sich in der heißen Jahreszeit durch übermäßiges Trinken bedenkliche Unterleibskrankheiten zuziehen, ist kein Wunder. Sonst dürfte aber für die Gesundheit des Klimas schon die einzige Tatsache sprechen, daß in einer Gemeinde deutscher Landsleute von etwa 130 Seelen in 32 Monaten nur ein Kind gestorben und in einer anderen von 150 Seelen in derselben Zeit nur zwei bejahrte Männer und 3 oder 4 Kinder. Sollte der Gesundheitszustand so fortdauern, woran zu zweifeln durchaus keine Ursache vorhanden ist, so dürften die gegenwärtig hier lebenden, seit Februar 1839 schon um 100 Kinder vermehrten Deutschen bald zu einem Völkchen werden.
Die Vortrefflichkeit des Klimas läßt wohl eine bedeutende Fruchtbarkeit des Landes erwarten im Fall, daß der Boden guter Art ist, und das ist er. Sand im strengen Sinn des Wortes gibt es nur an der Meeresküste und in einigen verhältnismäßig kleineren Stellen der bevölkertsten Teile der Kolonie. Der meiste Boden in der Ebene und an den Bergen ist entweder eine rötliche oder mit Ton vermischte weißgraue oder, wie namentlich am Fuß der Gebirge und in der Nähe der Flußbetten und Wasserläufe, eine schwarze, 12 und mehr Zoll hohe Dammerde. Alle drei Arten, besonders aber erstere und die letztere, haben sich als sehr fruchtbar erwiesen und alle Arten von Gemüse, vortrefflichen Weizen und Gerste (Roggen und Hafer wachsen auf dem fetten Boden zu sehr ins Stroh), Mais, Tabak, außerdem alle europäischen Obstarten, ferner Wein, Mandeln, Datteln, Zitronen und Apfelsinen, Feigen, Maulbeeren und dergleichen hervorgebracht. Der Weizen ist in den letzten Jahren so reichlich angebaut und geraten, daß besonders in den Jahren 1843 und 1844 bedeutende Quantitäten desselben wie auch Mehl nach Neuseeland, Neu-Süd-Wales, Mauritius, dem Kap der Guten Hoffnung und England verschifft worden sind. Da beim Schneiden besonders des Weizens der großen Hitze wegen gewöhnlich eine Quantität Korn unter der Sichel ausfällt, das von dem unbedeutenden Regen, der zwischen der Ernte- und der Saatzeit fällt, nicht zum Keimen gebracht wird, so kann man eine meist mittelmäßige, oft gute Ernte ohne Mühe haben, die noch den Vorzug hat, daß sie kein Brandkorn enthält. Ganze Saatfelder dieser Art, die eine reiche Ernte versprechen, kann man jetzt hier sehen, an die nichts als die bloße Egge gewandt ist.
Der Tabak kann, nachdem er im Herbst abgeblättert ist, auch stehen bleiben, und braucht nur dicht über der Erde abgeschnitten zu werden, um im zweiten, selbst im dritten Jahr noch eine gute Ernte zu liefern. Überhaupt ist die Fruchtbarkeit und Triebkraft dieses Landes ungemein, selbst wenn auch später etwas Regen ausbleiben oder kommen sollte. Der Berichterstatter hat Hunderte von Weizen-, Hafer- und Gerstenstöcken gesehen, wo aus den bei der Ernte anfallenden Körnern, und zwar aus jedem einzelnen, an 10, 20, 30-40 und noch mehr Stengel oder Ähren aufgewachsen waren, die eine freiwillige treffliche Ernte gaben. Einen andern Beweis der großen Triebkraft des süd-australischen Bodens liefern die Mandeln, die innerhalb von 4 Jahren aus Kernen zu Bäumen anwachsen, welche schon genießbare Früchte tragen. Verpflanzte Obstbäume, z.B. Mandel-, Aprikosen- und Feigenbäume, tragen in demselben Jahre wieder und noch dazu reichlich Früchte. Besonders aber verspricht diese Kolonie ein Weinland zu werden, so daß die Trauben teils als Rosinen, teils als Getränk - neben Oliven, Weizen, Gerste und Tabak – zu den Hauptausfuhrartikeln gehören werden. Zu diesen dürften dann noch die Korinthen nebst anderen Gewächsen Siziliens und Griechenlands, und, wenn erst Maulbeerbäume genug angestammt sind, die Seide kommen.
Wenn auch an Flachs und Hopfen als Ausfuhrartikel noch nicht gedacht wird, so gedeihen doch dieselben, besonders ersterer, hier sehr gut; nur Hanf hat nicht recht fortkommen wollen. Der Zweck dieses Aufsatzes und Mangel an Zeit gestatten es mir nicht, mich in Spezifizierung der Fruchtbarkeit dieses Landes noch weiter zu ergehen und den Leser in den hiesigen Gärten unter den jetzt blühenden Aprikosen- und Mandelbäumen, zu den lieblichen Akazien, den so nützlichen Kasterölbäumen (Palma ovisti bivinus) und Weinstöcken herumzuführen oder ihm die 3-4 Fuß hohen Levkojenstöcke nebst dem buschartig ausgebreiteten Goldlack, den Nelken- und Rosenstöcken zu zeigen, deren Duft mit dem lieblichen Geruch der einheimischen Blumen wetteifert. Sollte er aber hier sein und dies alles sehen, auch in der Hitze des Januar und Februar sich mit den erwähnten Früchten oder durch den Genuß einer Zucker- oder saftreichen Wassermelone erquicken: er würde sich hier bald ganz heimisch fühlen und nach seinem Vaterland so wenig zurückverlangen wie seine hiesigen Landsleute. Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist; ihm gehört auch Süd-Australien. Es ist ein sehr gesegnetes Land. Es hat Korn, und in wenigen Jahren wird es trefflichen Wein in Fülle haben.
Bericht Sr. Hochehrwürden des Herrn Pastor Kavel
in: Allgemeine Auswanderungs-Zeitung Nr 11, o.O. 1846
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000