1825 - Lancelot Threlkeld
Der Missionar und das Essen der Eingeborenen
Lake Macquarie bei Newcastle
Wir fragen uns oft, wie es kommt, daß Europäer, die im Busch verloren gehen, so schnell verhungern, wo es doch den Schwarzen niemals an Nahrung mangelt. Ich war einmal mit einem Schwarzen in einem sehr ungastlichen Gelände unterwegs, und mein Führer beklagte sich, weil er hungrig war. Ich mahnte zur Geduld bis zur Rückkehr nach Hause, weil ich glaubte, daß es in dieser wüsten Gegend nichts Essbares geben könnte. Nicht so der schwarze Sohn der Erde. Zu meinem Erstaunen ging er zu einem grasbewachsenen Baumstumpf, trat mit dem nackten Fuß dagegen, brach ihn in zwei Teile, nahm aus der Mitte der pflanzlichen Masse einige schöne große Maden, die gemeinhin Cobra genannt werden, und aß sie mit allem Vergnügen, das man an einer besonderen und seltenen Delikatesse haben kann. Als ich mich überrascht zeigte, daß er so scheußliche Nahrung zu sich nähme, sagte mein Führer: »Oh, das ist für mich wie eine Auster für Sie und genau so gut!«
Es ist erstaunlich, wie viele Dinge sie im Busch finden, die sie essen. Farnwurzeln werden geröstet und mit einem kleinen Stein auf einem größeren zerstoßen, wenn sie sie zu Brot machen wollen. Es gibt einen Zapfen, der wie eine Ananas aussieht und aus einem Stamm wächst und den ich zuerst für eine junge Kokospalme hielt. Die Zapfen sind größer als eine Walnuß, von gelblich-rötlicher Farbe, sehr hübsch anzusehen, aber roh sehr scharf. Um sie eßbar zu machen, weichen die Schwarzen die Samen für eine oder zwei Wochen in einem Sumpf ein und rösten dann die Kerne; dieses Nahrungsmittel könnte Pferden ganz gut statt Bohnen gegeben werden; für ein zivilisiertes Wesen sind sie bestenfalls eßbar, aber ganz bestimmt nicht schmackhaft.
Zu bestimmten Zeiten findet man im Busch eine Art von wilder Pflaume - ein hübscher Baum, in der Form wie ein englischer Pflaumenbaum; die Frucht enthält einen länglichen, etwa nierenförmigen Kern, und in der Farbe und der Form erinnert sie an eine Kastanie. Sobald diese Frucht reif ist, ist das Fleisch voller Maden, und für einen Engländer ist es keine kleine Enttäuschung, wenn er einen wunderschönen Baum mit diesen Früchten beladen findet; eine Freude für das Auge, von angenehmem Geruch und gut zu essen - aber mit dem ersten Biß krabbeln einem große eklige Maden im Mund herum! Der einzige Weg, dieses Übel zu vermeiden, ist, die Früchte auszuwählen, die noch nicht ganz reif sind.
Wenn man den Aborigines wegen ihres Geschmacks Vorhaltungen macht, so erwidern sie, sehr zu Recht: »Aber, Massa, Ihr eßt viele Maden im Käse!«
Wie recht unsere schwarzen Brüder doch hätten, wenn sie auf uns das Sprichwort anwendeten, weil wir sie überheblich als schmutzige Schwarze und wilde Barbaren bezeichnen:
Den Splitter im Auge des Nachbarn ich seh
doch der Balken im eigenen tut mir nicht weh.
Große Eidechsen sind ein besonderer Leckerbissen für die besseren Leute bei den Aborigines. Wenn sie gebraten werden, sieht das Fleisch aus - und schmeckt, so wird berichtet - wie Huhn. In Südamerika werden sie auf dem Markt verkauft und genauso geschätzt wie Geflügel. Ich habe gesehen, wie sie auf dem Markt in Rio de Janeiro angeboten wurden.
Geröstete Schlangen sind auch ein Leckerbissen für eine besondere Gruppe von Stammesältesten; und erst das Fleisch der wilden Hunde! Ein königliches Mahl! Keiner, der nicht zu den höheren Kreisen gehört, würde wagen, von den verbotenen Gerichten zu kosten - eine Strafe für die Verletzung dieses Privilegs wäre unvermeidlich.
Muscheln sind das tägliche Brot am See, nicht, weil sie so gut wären, sondern weil man sie zu allen Jahreszeiten am leichtesten bekommt. Sie werden geröstet, und man ißt sie, indem man sie zuerst mit der Hand ausdrückt, um den Überschuß an Flüssigkeit zu entfernen; etwas zäh sind sie schon. Zu einer bestimmten Jahreszeit ist der Mutton Bird hoch geschätzt; man findet ihn auf Nobby's Island, am Eingang zum Lake Macquarie, wo man fast auf die Nester dieser Vögel tritt. Sie nisten in kleinen Löchern, halb vergraben in einem Boden, der wie Schnupftabak aussieht; vielleicht ist es Vogelmist, bedeckt von einer besonderen Sorte von Seetang.
Ein auf den Strand gespülter Wal ist ein besonderes Ereignis; Boten werden an alle Nachbarstämme gesandt, damit sie sich einfinden und an dem Ungeheuer der Tiefe gütlich tun, bis nichts mehr da ist. Tümmler weist niemand jemals zurück. Wir haben mal einen oder zwei im See geschossen; die Schwarzen zogen den toten Fisch an Land. Da sogar Königin Elisabeth diesen Fisch auf ihrer königlichen Tafel hatte, dürfen wir nicht zu gering von den Aborgines von New South Wales denken, denn sie schätzen ähnliches wie die jungfräuliche Königin.
Die Schwarzen haben sich noch nicht zu dem hohen Luxusniveau aufgeschwungen, daß ihnen Frösche schmecken. Wenn sie einmal zu der großen Nation der Südhalbkugel geworden sind, werden sich ihr Geschmack und ihre Kochkunst verfeinern.
Die Eingeborenen lieben unser Essen in jeder Form, ob pflanzlich oder tierisch. Um Mehl zu bekommen, geben sie bereitwillig wilde Enten, Gänse, Schwäne, Tauben, Känguruhs und anderes Wild her; aus dem Mehl machen sie dann Kuchen. Sie kneten den Teig auf einem Stück Baumrinde, das vorher die Hunde sauber geleckt haben, und backen es ohne Treibmittel am heißen Feuer.
Sie lieben Fett, und das Nierenfett eines Känguruhs ist besonders geschätzt. Weiter drinnen im Land, wo die Aborigines häufig Rinder und Schafe erlegt haben, wurden tote Tiere gefunden, denen nur das Nierenfett entnommen worden war, der Rest blieb übrig für die wilden Hunde. Das allerbeste Nierenfett stammt vom Menschen und wird für magische Zwecke benutzt.
Der Craw-fish [eine Art Languste] ist ein Lieblingsessen, und die Eingeborenen haben sich oft in Gefahr begeben, um an einen heranzukommen. Üblicherweise gehen sie an einem ruhigen Tag in einem ihrer zerbrechlichen Kanus auf See, tauchen an den Felsen entlang und ziehen sie an den langen Antennen aus dem Loch. Manchmal taucht ein Hai auf; dann ist höchste Geschicklichkeit vonnöten, um dem Ungeheuer zu entkommen, das genauso gern die Beine des Zweifüßlers haben will wie der Zweifüßler den Schwanz des Krustentieres. Ab und zu verlieren Aborigines durch einen Hai ihr Leben, aber nicht annähernd so oft, wie man angesichts der Gefährlichkeit meinen sollte.
Gunson, Niel (Editor)
Australian Reminiscences and Papers of L.E. Threlkeld, Missionary to the Aborigines, 1824 – 1859
In: Australian Aboriginal Studies No 40, Ethnohistory Series No.2, 1974
Australian Institute of Aboriginal Studies, Canberra
Übersetzung: U. Keller
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000