1788 - Anonymus
Die Ankunft der ersten Sträflinge
Nach der Einnahme von Wasser und frischem Gemüse segelten die Schiffe nach Port Jackson, wo sie am 19. März in gutem Zustand ankamen. Die Besatzungen wurden von ihren Kameraden freundlich in Empfang genommen, und nun waren alle in Freundschaft vereint, um dieses national bedeutsame Unternehmen, mit dem sie betraut worden waren, durchzuführen.
Der Grund war bereits vermessen und abgesteckt, und nun wurden ein bewegliches Wohnhaus für den Gouverneur und eine Krankenstation, die beide in England vorgefertigt worden waren, aufgebaut; dazu Zelte zur Unterbringung der Offiziere und Handwerker und Hütten für die Werkstätten.
Der Bau von Lagergebäuden und Wohnungen wurde sofort in Angriff genommen, aber es stellte sich heraus, daß alle Bemühungen bei den Vorbereitungen in England bei weitem nicht ausgereicht hatten, um die junge Kolonie mit allem, was sie unbedingt brauchte, auszustatten.
Sobald alle Seesoldaten an Land waren und einige Begrenzungs- und Markierungslinien gezogen waren, wurden die Sträflinge nach und nach in kleinen Gruppen an Land gebracht. Zuerst kamen die Handwerker mit den Schiffshandwerkern; sie fällten Bäume, um Wohnhütten zu bauen. Diese Arbeit dauerte einige Zeit; abends kamen Schiffshandwerker und Sträflinge zurück an Bord; an Land blieben nur eine Abteilung Marinesoldaten und eine Gruppe Seeleute zur Bewachung der Baustellen.
Es war schon interessant, all die verschiedenen Tätigkeiten zu beobachten; jeder war eifrig am Werk, und einem unbeteiligten Zuschauer wäre es sehr malerisch und fröhlich vorgekommen. An einer Stelle wurde Holz gefällt; an einer anderen wurde eine Schmiede aufgebaut; an einer dritten wurden schwere Steinlasten und Vorräte geschleppt. Hier baute ein Offizier sein Zelt auf, dort brannte ein helles Küchenfeuer, und in der Nähe paradierte eine Abteilung Soldaten.
Als die Eingeborenen merkten, daß ihre Besucher wohl bleiben würden, zeigten sie deutliche Zeichen der Unzufriedenheit und schienen nicht abgeneigt, weitere Verrichtungen der Weißen zu verhindern, wenn sie nur genügend Leute zusammenbrächten; und wer kann ihnen das verdenken? Hätten sie gewußt, welch blutige Zerstörung und welches Elend Christen in andere arglose Teile der Welt gebracht haben, wären sie sicherlich lieber in ihrem Naturzustand geblieben, ungeschliffen und unzivilisiert, als von solch herrschsüchtigen und gerissenen Herren versklavt zu werden.
In Anbetracht der Länge der Überfahrt, die 36 Wochen betrug, und der Anzahl Menschen auf den Schiffen der Flotte sowie des Mangels an einigen lebensnotwendigen Dingen, für die die Regierung nicht hatte sorgen können, da es bisher kein vergleichbares Unternehmen gegeben hatte, überrascht nicht wenig, daß von 212 Seesoldaten nur einer ums Leben kam; von 725 Sträflingen, die an Bord gegangen waren, starben 24 (nach den offiziellen Berichten 40, aber das ist nicht richtig); 40 Kinder wurden während der Überfahrt geboren - das zeigt, daß Korbbettchen nicht nur auf dem festen Land gemacht werden, sondern auch in Neptuns Reich.
Da Jackson Bay am besten geeignet war, hatte Commodore Phillip diesen Platz für die Ansiedlung der Kolonie bestimmt. Als nun die Arbeiten an Land eine Pause erlaubten, befahl er, alle Sträflinge auszuschiffen; er befahl auch, seine Einsetzung zum Gouverneur sowie eine gekürzte Fassung der gesetzlichen Regeln zu verkünden, nach denen die Kolonie geleitet werden sollte. Damit wurde den Siedlern bekanntgegeben, daß von Zeit zu Zeit vier Gerichte tagen würden, die alle Vorfälle, gleich welcher Art, behandeln würden und deren Entscheidungen nicht anfechtbar seien. Die Gerichte wurden bezeichnet als Zivilgericht, Strafgericht, Militärgericht und Seegericht.
Vor den versammelten Leuten sprach der Gouverneur mit leisem Tadel, aber freundlich im Ton über die Verfehlungen, die sie hierher gebracht hätten, und bemerkte, daß die Menschenfreundlichkeit der englischen Gesetze ihnen Gelegenheit gäbe, ihre Vergehen zu sühnen. Es sei zu ihrem Vorteil, daß sie nun nicht mehr in Versuchung geführt werden könnten und sie hier auch Gelegenheit hätten, sich zu bessern und sogar reich zu werden, denn viele der ersten Siedler in den Ländern des Westens wären auch Sträflinge gewesen. Geläuterte und nützliche Mitglieder der Gesellschaft müßten keine Schande mehr tragen, da sie ihre Vergehen gutgemacht hätten.
Er wies auch darauf hin, daß es vollständig in ihrer eigenen Macht läge, die Missetaten von daheim gutzumachen. Nur die Wiederholung ihrer Vergehen würde sie die Härte des Gesetzes spüren lassen, das er vertrete, and er hoffe, daß keine anderen Ermahnungen nötig seien, als sie sich selbst geben könnten, um Veränderung zum Guten und Glück und Wohlstand in diesem neuen Land zu erreichen.
Aber so lasterhaft ist nun einmal die Natur des Menschen, daß weder milde Strafen noch Schläge, Einkerkerung und Degradierung auf die gefühllosen Herzen einiger Schufte so einwirken, daß Diebereien unterbleiben. Deshalb wurden strengere Maßnahmen ergriffen, und nach einem ordentlichen Verfahren vor dem Strafgericht wurden an einem Tag zwei Verurteilte am Galgen aufgehängt; bald darauf erlitten zwei weitere das gleiche schändliche Ende. Das bestätigte das alte Sprichwort, daß vom Galgen so schnell keiner loskommt.
Drei Sträflinge reizte das offene Land so sehr, daß sie sich zu einem Ausflug aufmachten. Sie wurden aber nicht gerade willkommen geheißen; zwei wurden von den Eingeborenen getötet, der dritte lebte eine Zeitlang von den Wurzeln des Waldes und kehrte halbverhungert in die Siedlung zurück. Trotz der Mühsale, die er hatte erdulden müssen, verurteilte ihn der Gouverneur zu einem Monat Gefängnis mit einer harten Prügelstrafe am Ende seiner Haft, damit andere von solchem Vergehen abgeschreckt würden.
Der Gouverneur hatte neben Port Jackson noch eine Kolonie auf Norfolk Island gegründet. Er hatte Leutnant King und zwei Unteroffiziere dort gelassen mit Vorräten für sechs Monate. Die Siedler, die mit ihm gingen, nur neun Männer und sechs Frauen, wurden für am besten geeignet gehalten; und als die Prince of Wales sie wieder aufsuchte, ging es ihnen besser als den anderen [in Sydney].
Während die Flotte [der Sträflingsschiffe] unterwegs war zu ihrem endgültigen Bestimmungsort, erschienen zwei fremde Segel am Horizont; kurz darauf wurde der Gouverneur von einer Gruppe Franzosen aufgesucht. Es stellte sich heraus, daß sie zu zwei französischen Fregatten gehörten, die Europa im August 1785 zu einer Entdeckungsreise in die Südsee verlassen hatten. Sie waren knapp an Vorräten und hatten zwei Boote mit Mannschaft verloren. Sie blieben fünf Wochen in Botany Bay. Während dieser Zeit besuchten sie den Gouverneur häufig, und viele Höflichkeiten wurden ausgetauscht, denn sie waren nur zehn Meilen über Land entfernt. [Die Schiffe standen unter dem Kommando von La Pérouse und gingen später in der Südsee verloren. Es gab keine Überlebenden. Überreste der Expedition wurden um 1830 gefunden.]
Während dieser Zeit wurden die Sträflinge mit Arbeiten beschäftigt, wie es gerade erforderlich war: Die einen schlugen Holz für Zäune, andere sägten Dachschindeln, und wieder andere waren unterwegs in der Umgebung, um Grünzeug für das Vieh einzusammeln. Die Weide war nicht gut, obwohl es Hochsommer war. Abneigung gegen die Arbeit verführte einige der neuen Siedler jedoch dazu, mit den Franzosen Kontakt aufzunehmen, damit die sie mitnähmen nach Europa. Zur Ehre der Franzosen muß gesagt werden, daß sie nicht darauf eingingen, so daß derartige Absichten nicht verwirklicht werden konnten. Zwei Ladendiebe jedoch überredeten die Franzosen; sie wurden zwei Tage nach der Abreise der Franzosen vermißt.
Die Planung für die Siedlung sieht vor, mit dem aus England mitgebrachten Material und mit dem Material, das das Land hergibt, eine große Stadt zu bauen. Aber bisher ist keine Baumart entdeckt worden, die als Bauholz geeignet ist. Versuchsgrabungen förderten eine Erde zutage, aus der so gute Ziegel gemacht werden konnten, daß bereits mehrere Häuser fertiggestellt sind. Es wurde auch ein Marmor oder Kalkstein gefunden, aus dem Kalk gebrannt werden kann.
Die Hauptstraße der neuen Stadt soll 200 Fuß breit werden und alles andere in der entsprechenden Größe gebaut werden. Aber das allerwichtigste ist zur Zeit der Aufbau von Befestigungen zur Verteidigung.
Die armen Sträflinge waren in schlechtem Zustand, denn sie hatten kein Bettzeug - ein schlimmes Versäumnis der Behörden daheim. Einige der Vorarbeiter verhielten sich ausgezeichnet. Einer von vier Sträflingen, die gehenkt werden sollten, floh nach seiner Verurteilung in den Wald, wo er mehrere Tage blieb. Er kam aber schließlich zurück, fast verhungert, um sich seinem Schicksal zu stellen, und der Gouverneur befahl seine sofortige Hinrichtung. Auf einem Felsen nahe am Strand ist ein Gefängnis eingerichtet; dorthin werden Übeltäter geschickt, dem Wetter preisgegeben und nur mit Brot als Nahrung. Dadurch erreicht man in manchen Fällen Einkehr und Besserung.
Der Nachteil der neuen Siedlung ist die große Entfernung zum Mutterland, daß Hanf fehlt, wie es ihn auf Neuseeland gibt, daß es in diesem großen Land nicht auch große Ströme gibt und daß kein gutes Bauholz vorhanden ist. Dafür aber gibt es guten Boden, ein gutes Klima, vermutlich Bodenschätze - nach den Erzproben, die man gefunden hat - und lagebedingte Vorteile für Handel und Politik. So ist damit zu rechnen, daß die Regierung das Unternehmen mit Kraft und Entschlossenheit weiter verfolgt.
Da die öffentliche Neugier zu einem nicht unerheblichen Grad angefacht wurde, wäre es unverzeihlich, den Leser ohne die folgende Beschreibung der Kolonie zu lassen, da alles, was mit ihr zusammenhängt, allgemeines Interesse zu finden scheint.
Haustiere angelandet in Port Jackson, Neu-Holland:
1 Hengst, 3 Stuten, 3 Füllen;
1 Ochse, 3 Kühe, 1 Kalb; 4 Schafböcke, 40 Schafe;
2 Eber, 26 Sauen.
Fünf Schweine wurden vom Blitz .erschlagen, ebenso einige Schafe, die dem Gouverneur gehörten. Viele weitere Tiere kamen um wegen des Mangels an Futter; wo die Weide gut war, gab es zu wenig, und wo es viel Grün gab, war es zu grob und zu sauer, und die Tiere wollten es nicht fressen. Den Pferden geht es gut, weil man sich sehr um sie kümmert. Die einzige Kuh, die übrig geblieben war, wurde gehegt und gepflegt, denn sie war trächtig; sie ist dem Schicksal ihrer zwei Genossinnen entgangen, hat inzwischen gekalbt und erfüllt alle in sie gesetzten Erwartungen.
Das Stück Land, das zum Garten werden soll, sieht im Moment noch nicht sehr nach Garten aus. Rettich und Rüben sind noch am vielversprechendsten. Erbsen und Bohnen geht es mittelmäßig. Petersilie, Balm, ein dem Salbei ähnliches Kraut, und einige andere europäische Kräuter hat man wild gefunden.
Ungewöhnliche Büsche sind entdeckt worden, aber da noch nicht bekannt ist, welchen Nutzen sie bringen können, wäre es Papierverschwendung, sie hier zu beschreiben; zu ihrer Nützlichkeit wird man sich später äußern.
Blitze richten großen Schaden an in diesem Klima. Während des Sturms, in dem die Tiere umkamen, schlugen sie in jeden Hügel ein. Innerhalb der ersten sechs Monate Aufenthalt gab es drei Erdbeben, und die Berge sehen so aus, als ob man vulkanische Ausbrüche erwarten müßte.
So ist die allgemeine Beschaffenheit und der augenblickliche Zustand des Landes; um der Unglücklichen willen, die vielleicht dazu verurteilt sind, bis zum Ende ihrer Tage zu bleiben, wünschte ich, es wäre besser; aber wenn sie darüber nachdenken, haben sie den Trost, daß sie in der Hand der allmächtigen Vorsehung sind, denn von Gott unbemerkt fällt nicht einmal ein Sperling zur Erde.
Port Jackson liegt auf 33° 52' Breite und 151° östlicher Länge. Gouverneur Phillip hat es als Cumberland County benannt am 4. Juni, einem denkwürdigen Tag, der zu Ehren Seiner Majestät Geburtstag so heiter wie möglich begangen wurde.
Am Morgen hielt Reverend Mr. Charles Thompson eine Predigt vor der ganzen Versammlung; danach feuerten die Schiffe seiner Majestät Sirius und Supply drei königliche Salute; jeder Soldat bekam ein Pint Porterbier, hier verurteilte Sträflinge wurden amnestiert; jeder Mann bekam ein Pint Rum, jede Frau ein halbes; und da es reichlich Holz gab, machten sie am Abend Freudenfeuer, wie es in England seit langem der Brauch ist. Alle dienstfreien Offiziere aßen beim Gouverneur zu Abend, und der Tag ging in der allergrößten Harmonie zu Ende.
An Authentic and Interesting Narrative of the Late Expedition to Botany Bay …
Written by an Officer just Returned form the Prince of Wales Transport …
London 1789
Übersetzung: U. Keller
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Australien 1623-1990
Wien 2000