Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1521 - Antonio Pigafetta
Die Sitten von Mactan
    
Diese Leute machen viele Zeremonien wenn sie ein Schwein schlachten. Erst machen sie ein Geklinge mit gewissen großen Glocken, dann werden drei große Schüsseln aufgetragen. In zwei von diesen sind gewisse Speisen oder Kuchen von Reis und gekochtem Honig; diese sind mit einigen gebratenen Fischen in gewisse Blätter eingewickelt, in der dritten ist ein leinenes Tuch von der Art, die von Cambaia kommt, und zwei Binden von Palmrinde. Das Tuch wird auf der Erde ausgebreitet und jetzt kommen zwei sehr alte Weiber, die jede eine Trompete aus Rohr in der Hand haben, treten auf das Tuch, machen der Sonne eine Verbeugung und wickeln sich in das Tuch, dann bindet die eine Alte eine Binde mit zwei Hörnern um die Stirn und hält die andere Binde in der Hand, fängt an zu tanzen und auf der Trompete zu blasen und ruft dabei die Sonne an. Die andere Alte nimmt dann die andere Binde, tanzt und bläst dabei und ruft die Sonne an, die Binde von ihr anzunehmen. Dann blasen beide eine zeitlang und tanzen und springen um ein Schwein herum, das an dem Ort angebunden ist. Diejenige Alte, die die Hörner hat, spricht indessen immer leise mit der Sonne und die andere antwortet ihr, dann wird der Gehörnten eine Schale mit Wein überreicht. Sie spricht beim Tanzen gewisse Worte, auf die die andere antwortet, und tut vier oder fünf Mal, als wollte sie den Wein trinken, gießt ihn aber über das Schwein und tanzt weiter. Dann reicht man ihr eine Lanze, mit der sie mehrere Male das Schwein zu durchstechen droht, dazwischen aber immer weiter tanzt, dann plötzlich das Schwein verwundet und durch und durch sticht. Sobald das Schwein getötet ist, nimmt sie eine brennende Fackel, die während der ganzen Zeremonie gebrannt hat, in den Mund und löscht sie aus. Die andere Alte taucht indessen die Spitze ihrer Trompete in das Blut des Schweines und bezeichnet dann mit ihrem blutigen Finger die Stirn des Mannes und der übrigen Anwesenden, uns aber bezeichnete sie nie damit. Dann entkleiden sich die beiden Alten und essen von den Speisen, die in den Schüsseln aufgetragen wurden, wozu sie bloß andere Weiber einladen. Hierauf ziehen sie die Haut des Schweines ab, und auf diese Art wird alles Schweinefleisch von diesen Alten geweiht, und sie würden es nicht essen, wenn man nicht alle Zeremonien damit vorgenommen hätte.
    Diese Nationen sind außer einer kleinen Bedeckung der Schamteile ganz nackend, beide, Große und Kleine, haben die Haut des männlichen Gliedes durchbohrt, und in dieses Loch hängen sie einen kleinen goldenen Ring von der Dicke eines Gänsekiels. Sie können so viele Weiber nehmen wie ihnen beliebt, eine ist aber immer die vornehmste.  
    So oft jemand von den Unsrigen an Land kam, es mochte Tag oder Nacht sein, wurde er zum Essen und Trinken genötigt. Ihre Speisen sind gewöhnlich nur halb gar gekocht und sehr gesalzen, daher trinken sie auch sehr oft mit ihren Röhren aus den Porzellangefäßen; bei Tische bringen sie gemeinhin fünf bis sechs Stunden zu.
    Wenn ein Mann von Ansehen stirbt, so werden allerlei Gebräuche beobachtet. Die vornehmsten Weiber der Gegend gehen zum Haus des Verstorbenen, wo die Leiche in einem Kasten in der Mitte steht. An diesen Kasten binden die Weiber Stricke wie an ein Zelt und darüber werden eine Menge Zweige befestigt, und dazwischen hängen baumwollene Tücher und geben dem Ganzen das Ansehen eines Zeltes. Darunter sitzen die vornehmsten Weiber, in große weiße baumwollene Tücher eingehüllt, und jede lässt sich von einem Kind mit einem Fächer von Palmblättern Luft zuwehen; die übrigen sitzen sehr niedergeschlagen verstreut in dem Gemach herum. Dann kommt eine andere Weibsperson und schneidet dem Toten nach und nach mit einem Messer die Haare ab, während seine vornehmste Frau auf ihm liegt, so daß ihr Mund seinen Mund, ihre Hände die seinigen und ihre Füße seine Füße bedecken. Solange die erstere ihm die Haare abschneidet, weint die andere, und sobald sie aufhört zu schneiden, fängt sie an zu singen. In dem Zimmer stehen viele Porzellangefäße mit Feuer, und auf die Feuer wird Myrrhe, Storax und Weihrauch geworfen, die in dem ganzen Gemach einen angenehmen Geruch verbreiten. Unter diesen Gebräuchen wird der Tote fünf bis sechs Tage im Hause behalten, dann wird er mit Kampfer eingerieben, der Kasten mit hölzernen Pflöcken vernagelt und in einen bedeckten hölzernen Verschlag gesetzt.
    So oft ein Vornehmer starb und jene Gebräuche beobachtet wurden, sagten uns die Einwohner, in der Mitte der Nacht käme ein großer schwarzer Vogel wie ein Rabe und stürze sich über das Haus, wo der Tote läge, und finge an zu schreien, worauf die Hunde sogleich mit einstimmten und aus allen Kräften heulten, und dieses dauerte vier bis fünf Stunden. Wenn wir sie aber nach der Ursache dieser Begebenheit fragten, konnten sie keine angeben.

Pigafetta, Antonio
Erste Reise um die Welt durch Ferdinand Magelhan
Übersetzt aus dem Italienischen
In: Beiträge zur Völker- und Länderkunde
Band 4, Leipzig 1784

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