Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1821 - George Finlayson
In Hué

Wir hatten noch ziemlich weit bis zur Stadt, ob man uns gleich gesagt hatte, daß wir dicht bei derselben wohnten. Der Fluß ist hier durch Inseln von der Größe so getheilt, und nach allen Richtungen hin durchschnitten, so daß es fast unmöglich war, von seinem Lauf mehr anzugeben als die allgemeine Richtung, welche er nimmt, und diese geht meistens von West nach Ost. Indem wir nun auf unserm Weg zur Wohnung des Mandarins den Fluß hinauffuhren, verließen wir bald den Arm, den wir zuerst eingeschlagen hatten und, uns rechts wendend, lenkten wir in einem schönen Canal ein, der theils natürlich, theils künstlich war. Dieser Canal umgiebt die Hauptstadt von drei Seiten und steht an seinen beiden Hauptenden mit dem Hauptstrom in Verbindung, welcher an der vierten Seite der Stadt hinfließt. An seinem untersten Ende, da wo wir in denselben einfuhren, ist dieser Kanal vierzig bis fünfzig Ellen breit; aber je weiter hinauf, desto enger wird er, und an seinem obersten Ende ist er nur achtzehn bis zwanzig Ellen breit. Er ist in einem sehr guten Zustande erhalten; die Seiten sind regelmäßig schräg ausgeschnitten, und wo es nöthig ist, durch Dämme unterstützt. Die Tiefe scheint größtentheils acht Fuß zu betragen. Er gewährt einen doppelten Nutzen. Denn erstlich dient er zur äußeren Befestigung der Stadt, da er überall an das Glacis anstößt (ohne Zweifel war dieß auch ursprünglich sein Hauptzweck) und zweitens ist er eine vortreffliche Wasserstraße zwischen den verschiedenen Theilen dieser großen Stadt.
   Seit unserer Ankunft hatten wir bis jetzt nichts als die bloßen Wände unserer Wohnung gesehen; jetzt aber bot sich unsern Blicken plötzlich der schönste und üppigste Anblick dar, und wir überzeugten uns bald, daß die Ufer des Flusses Hué das herrlichste und interessanteste Schauspiel sind, wie wir es in Asien noch nirgends gesehen hatten. Ihre Schönheiten sind jedoch mehr Werke der Natur als der Kunst. Eine ungeheure Wassermasse, die ein prächtiger Strom in durch ein fruchtbares Thal ergießt, und die das Auge doch in ihren einzelnen Parthien übersehen kann, in der Entfernung hohe und steile Bergreihen, Cocusnußbäume, Arecanußbäume, Bananen, Zuckerrohr, Hecken von Bambus, deren prächtige Wipfel in den Lüften wehen, ganze Reihen von jenem schönen Gewächse des Hibiscus, das sind die Hauptgegenstände, welche in ihren verschiedenartigen Gruppirungen das Auge des Zuschauers entzücken. Dazu rechne man nun noch den nicht weniger interessanten Anblick zahlreicher und dem Anschein nach hübscher Dörfer, die sich besonders durch die Nettigkeit und Reinlichkeit der Häuser der Eingeborenen auszeichnen, wozu noch die fröhliche, zufriedene und lebhafte Natur des Volkes kommt. Die Häuser der Wohlhabenderen sind dauerhaft, geräumig, und mit Ziegeln gedeckt; die Mauern sind theils aus Backsteinen und Mörtel, theils aus Holz aufgebaut. Außerdem zeigt sich auch viel Geschmack darin, daß die Ländereien und kleinen Gärten mit Blumen und Zierbäumen geschmückt sind.  
   Obgleich wir uns jetzt in der unmittelbaren Nähe einer großen Stadt befanden, so sahen wir doch nur wenig Menschen; diese arbeiteten auf den Feldern, indem sie Moos aus dem Canal einsammelten, oder gingen auf den öffentlichen Straßen …
   Sobald wir in den Canal eingefahren waren, befanden wir uns im Angesichte der einen Seite des Fort. Wenn man diesem Platze den Namen Fort giebt, so können leicht irrige Begriffe entstehen; ob er gleich so sehr ein Fort ist, als nur ein Ort von solcher ungeheuern Ausdehnung seyn kann. Denn es ist in der That eine befestigte Stadt, und wenn es die Franzosen, anstatt mit dem Fort William, mit Orten wie Delhi und Agra vergleichen, so haben sie offenbar mehr Recht dazu. Die Befestigungen dieses Ortes sind, ohne allen Zweifel, von der außerordentlichsten Art, sowohl wenn man ihre weite Ausdehnung, die Kühnheit des Plans, die Beharrlichkeit der Ausführung, als auch ihre Festigkeit und Stärke betrachtet. Das Fort scheint mit der größten Regelmäßigkeit und nach Europäischen Befestigungsgrundsätzen erbaut zu seyn. Es ist viereckig und jede Seite schien uns wenigstens anderthalb Meilen lang zu seyn. Der Wall ist ungefähr dreißig Fuß hoch und mit Backsteinen und Mörtel überzogen. Die Bastionen springen nur wenig hervor, enthalten fünf bis acht Schießscharten und sind von einander weit entfernt. Die Mauern sind sehr gut erhalten. Wir konnten es nicht deutlich sehen, ob am Fuß der Festung noch ein Graben war, man sagte uns aber, daß dieß der Fall sey. Das Glacis erstreckt sich bis zum Canal und ist ungefähr 200 Ellen breit …
   Die Thore sind im chinesischen Styl verziert, aber der Zugang zu denselben kann vertheidigt werden. Innerhalb der Stadt befindet sich ein viereckiges Gebäude, welches von hohen Mauern umgeben und offenbar sehr fest ist. Diese ist wahrscheinlich die Citadelle. Wir konnten es übrigens nur sehr unvollkommen sehen.
   Wir hatten ziemlichen Grund zu glauben, daß wir diesen großen Umweg machen mußten, um die Größe und Ausdehnung der Befestigung zu sehen ...
   Als wir den Canal verließen, lenkten wir wieder in den großen Fluß ein. Da wo sich beide vereinigen, ist die Aussicht außerordentlich schön; die Wassermasse ist sehr groß, die gegenüberliegende Landschaft schön und abwechselnd. Der Boden schien hier hauptsächlich für den Anbau von Zuckerrohr, Indianischem Korn, und solchen Pflanzen und Sämereien geeignet zu sein, die einen trockenen Boden verlangen. Die Straßen davor waren in gutem Zustande ...
   Auf dem Fluß hinfahrend, passirten wir denjenigen Theil der Festung, den wir gestern wegen der Dunkelheit nicht hatten sehen können. Dieser Theil der Befestigungen war erst dieses Jahr vollendet worden, und zwar sehr gut und vortrefflich. Der jetzige König aber ist nicht so, wie sein Vorfahr, mit den Grundsätzen des Vauban zufrieden; er hat deßwegen die Schießscharten nach seiner eigenen Erfindung eingerichtet. Sie sind nämlich ganz umgekehrt, d.h. eng nach dem Graben, und weit gegen die Brustwehr zu! So sind alle Schießscharten auf dieser Seite des Forts eingerichtet, und man möchte dieses für den einzigen Vorwurf des Werkes halten. Wir erstaunten immer mehr über die Schönheit, Größe, Regelmäßigkeit und Stärke dieses außerordentlichen Werks; denn als solches stellt es sich auf allen Puncten dar. Nichts kann schöner und regelmäßiger seyn, als alle diese Werke, das Glacis, der bedeckte Gang, der Graben, die Wälle und Brustwehr. Einige der Brücken bestehen aus Mauerwerk, andere aus Holz, aber auf gemauerten Pfeilern ruhend; alle sind außerordentlich hübsch und nett.
   Als wir ungefähr die Mitte dieser ganzen Seite passirt hatten, so fuhren wir durch eines der Hauptthore welches in europäischen Stile hübsch und fest gebauet, und mit einfachen aber wenigen Zierathen versehen war. Das Glacis ist mit kurzem Gras bedeckt und ungefähr 200 Ellen breit. Der nasse Graben ist ungefähr dreißig Fuß breit, auf beiden Seiten mit Mauerwerk eingefaßt, und hat, da er gleiches Niveau mit dem Flusse hat, immer Wasser. Meiner Berechnung nach ist der Wall zwanzig bis dreißig Fuß hoch. Die Franzosen sagten uns, daß die Länge jeder Seite 1,187 Toisen (à 6 Fuß) betrage, und daß die Wälle im ganzen 800 Stück Kanonen enthielten. Als wir das Thor passirt hatten, wendeten wir uns rechts und fuhren längs der Brustwehr hin. Die ganze innere Einrichtung ist eben so sorgfältig ausgeführt, wie die äußere. Das Ganze ist in Vierecke getheilt, die Straßen sind breit und bequem und ein schiffbarer Canal, welcher zu den Kornhäusern und Magazinen führt, geht durch den ganzen Platz. Die Stadt selbst, wenn man sie so nennen will, ist ziemlich armselig; der größere Theil des Bodens scheint aus schlecht angebauten Gärten zu bestehen, welche sich an elenden, vielleicht nur temporären Hütten befinden. Die Bazars sehen sehr ärmlich aus; aber dennoch giebt die Regelmäßigkeit der Straßen dem Ganzen ein Ansehn von großer Nettigkeit und die Aussicht von dem Walle auf Stadt und Landschaft kann man ausnehmend schön nennen. Nachdem wir länger als eine Meile längs des Walles hingefahren waren, so führte man uns zu den öffentlichen Kornhäusern, die aus einer ungeheuren Anzahl gut gebauter, dauerhafter Vorrathshäuser bestehen. Alles ist mit der größten Sorgfalt eingerichtet; so sind z.B. Die Pulvermagazine mitten in Teichen aufgerichtet ...
   Der Palast des Königs ist auf jeder Seite von Reihen schöner, gut gebauter Barracken umgeben. Die Waffenbehältnisse, die Waffen selbst, die Schlafstellen, die Gemächer für die Officiere, alles war mit der größten Nettigkeit und Regelmäßigkeit eingerichtet. Obgleich die Mannschaft nicht bewaffnet war, so war sie doch regelmäßig in ihre Hallen vertheilt; übrigens waren alle uniformirt. Die Uniformen einiger Regimenter ist blau mit roten Ärmeln, andere haben weiß mit rot u.s.w. Die Officiere zeichnen sich vorne auf jeder Schulter durch ein cirkelförmiges Fleckchen Stickerei aus. Diese Barracken würden wenig verlieren, wenn man sie mit den besten, die wir in England haben vergleichen wollte ...
   Wir hatten bis jetzt auf den Wällen des Forts noch keine Kanonen gesehen, hier aber zeigte sich ein Reichthum, der unser Erstaunen erregte. Es wäre eine endlose Mühe, alle die verschiedenen arten von eisernen und ehernen Kanonen, ihre verschiedene Größe und andere Merkwürdigkeiten derselben aufzuzählen. Vier sehr große Gebäude oder Schoppen waren ganz mit Kanonen aller Arten, mit und ohne Lafetten, angefüllt. Auch eine beträchtliche Anzahl von Mörsern, nebst einem großen Vorrath von Kugeln und Bomben, befand sich hier. Man zeigte uns eine große Anzahl sehr schöner ehernen Kanonen, die der verstorbene König hatte gießen lassen und unter ihnen neun von ungeheurer Größe. Der Officier bemerkte, daß die letzteren zu groß wären, um im Kriege gebraucht werden zu können, aber der König habe sie zu Denkmalen sowohl seiner selbst als auch der Unternehmungen seiner Regierung bestimmt. ...
   Der Palast des Königs ist so sehr mit Barracken umgeben, daß wir, einige Thore desselben ausgenommen, gar nichts von dem Gebäude wahrnehmen konnten. Die Citadelle ist ein kleines viereckiges Gebäude mit starken und hohen Mauern; sie ist ganz nahe am königlichen Palast, kann übrigens kein besonderes Interesse erregen ...
   3. October ...besuchten wir den Hauptbazar. Er besteht aus einer geräumigen Straße, die ungefähr eine Meile lang, und in ihrer ganzen Länge auf beiden Seiten mit Kaufläden versehen ist. Viele von den Kaufläden sind nur elende aus Palmblättern gemachte Hütten; die übrigen sind dauerhaftere Häuser, die meistens von Holz gebaut sind, und entweder Ziegel- oder Strohdächer haben. Auch hier war die Armuth der Kaufläden höchst auffallend; ein großer Theil enthielt nichts als Schnitzel buntes und Goldpapier, welche bei religiösen Ceremonien und bei Leichenbegängnissen gebraucht werden. Chinesisches Porzellan, von grober Art, Feuerschirme, lackirte Kästchen, chinesische Feuerschirme, Seide und Krepp, die beiden letztern Artikel nur in geringer Qualität; unzählige Arzneimittel, grobe Tücher, große Hüte von Palmblättern, und eine Art von Jacke, aus dem nämlichen Material verfertigt, Reis, Gemüse und Früchte, Sago aus den Samenkörnern einer Species von Nymphaea gemacht, waren die hauptsächlichsten Artikel, die zum Verkauf ausgestellt waren. Von Eisenwaren gab es nur sehr wenige und zwar nur grobe, als Nägel, Beile, und Meißel, und diese waren sehr theuer.

Finlayson, George
Die Gesandtschaftsreise nach Siam und Hué, der Hauptstadt von Cochinchina, in den Jahren 1821 und 1822
Weimar 1827

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