Um 1900 - Kurt Boeck
Die heiligen Affen von Swayambunath
Kathmandu
Der Aufstieg zum Gipfel des Swajambunathberges wird durch eine absichtlich aus sehr ungleich hohen Stufen hergestellte Treppe aus Steinen und Felsblöcken außerordentlich erschwert, um den Wallfahrer in eine möglichst bußfertige Stimmung zu versetzen. Ist der Pilgrim dann auf der Höhe der steilen Stiege angelangt, so versperrt ihm ein stattlicher Steinsockel das Weiterschreiten, der einem fast zwei Meter langen vergoldeten „Vajra“ aus Bronze zum Lager dient. Dies sinnbildliche, in Tibet Tortsch, in Sikhim Dordsch genannte Zeichen des Buddhismus und der Allgewalt der Lamas soll ein Bündel Blitze darstellen, das Buddha bei einem Streite mit dem Himmelsgott Indra diesem aus der Hand gerissen haben soll. Als winziges Bronzegerät wird der Tortsch von den Lamas fast beständig, jedenfalls aber bei Opfern, Beschwörungen, Gottesurteilen, Eheschließungen und anderen Kultushandlungen in der geballten linken Hand getragen, während die rechte eine Glocke oder den zum Vertreiben der Geister dienenden Donnerkeildolch regiert. In bildlichen Darstellungen wird er häufig nur durch ein Zeichen in Form einer liegenden Acht angedeutet.
Rechts und links von diesem Dharm-Datu-Mandal genannten Wahrzeichen des Lamaismus halten zwei steinerne Leogryphen die Wacht vor den in den Nischen eines ungeheuren Granitfelsens untergebrachten Heiligtümern; dieser Felsklotz bildet den eigentlichen Berggipfel, der durch Weißtünchen und durch den Aufsatz eines mit den üblichen Augenpaaren bemalten Thoran zum Schait gestempelt wurde, und über diesem Thoran erhebt sich der stets die Schlußspitze buddhistischer Kultusstätten bildende Sonnenschirm als Endpunkt einer Pyramide, die aus elf die buddhistischen Himmel darstellenden Holzscheiben zusammengefügt ist. Dieser Felsbau ist auf allen drei Seiten von Tempeln, Priesterwohnungen und kleinen Schaityas umgeben, so daß er als Mittelpunkt der ganzen Anlage erscheint, aber nur der Thoran ragt über die Umfassungsmauer hinaus, und dieser Aufsatz mit den allsehenden Augen ist das einzige, was man aus der Ferne von den Geheimnissen sehen kann, die dieser Gipfel umschließt.
Die in den Felsblock gehauenen Nischen sind nun sowohl durch die darin sitzend dargestellten Bronzefiguren, wie durch die davor heruntergelassenen Vorhänge aus eisernen Ketten, die äußere Umrahmung und den sonstigen Ausputz gleich interessant. Während aber die Heiligenbilder die verschiedenen auf Erden erschienenen Buddhas darstellen, sind als plastische Verzierung der äußeren Nischenränder Figuren aus dem brahminischen Legendkreis angebracht, vorwiegend der elefantenköpfige Weisheitsgott Ganesh, die Inkarnationsform Schiwas, der Göttervogel Garuda und geringelte Schlangen. Diese sind als Reliefs auf den Nischenumrahmungen in Goldblech getrieben oder in Stein gehauen und zeigen bereits deutlich die an dieser Stätte gleichzeitig stattfindende Gottesverehrung in den Kultusformen sowohl des Buddhismus wie des Brahminentums.
Auf meinem Bilde des vor dem Gipfelfelsen liegenden Tortsch streut gerade ein Newari eine Portion Reis als Opfergabe in eine der darin angebrachten Nischen, indem er dabei den Kettenvorhang ein wenig in die Höhe hebt und das Opfer hineinschiebt, und so machte es dieser Mann bei sämtlichen Nischen …Nachdem der Newari den Buddhastatuen seine Spende an Reis, Erbsen und Nüssen in den Schoß gelegt hatte, die dann von den Tempelpriestern heimlich eingesammelt und als Nahrungsmittel verwendet werden sollte, geschah, als er kaum den Rücken gewendet hatte, etwas höchst Überraschendes, das aber völlig zu dem märchenhaften Charakter des ganzen Landes und besonders dieses Ortes paßte.
Zwischen einer hinter dem Felsentempel stehenden Gruppe Schaityas wuchs ein Bo-Baum empor, dessen Samenkorn zwischen das Gemäuer einer solchen gefallen sein mochte, da seine Wurzeln dasselbe gewaltsam auseinander gesprengt hatten. In dem Geäst dieses Bo-Baumes hatte lautlos eine Affenherde gesessen, die, wohl von einigen neugierigen Spießgesellen herbeigelockt, in behutsamen Sprüngen herbeikam, als die Spender der Opfergaben außer Sicht waren. Unbekümmert um mich und meine vor den Nischen stehende Maschine [Kamera] machten sich die Tiere, unter denen sehr stattliche Burschen waren, mit bemerkbarer Energie daran, den Rand der Nischen zu erklettern und die Kettenvorhänge beiseite zu schieben. Mit ihren langen Armen holten sie dann durch die aufgezerrte Öffnung von den Opfergaben soviel wie möglich heraus und hoben hierauf mit vereinten Anstrengungen den schweren, klirrenden Vorhang noch weiter empor, bis ein kleines Äffchen, das bisher auf dem Rücken seiner Mutter gekauert hatte, hindurchschlüpfen und den Rest der in die Nische hineingeopferten Nüsse und Hülsenfrüchte wieder herauswerfen konnte; wohlweislich ließ der kleine Affe einige verkümmerte und nicht ganz reife Stücke an der Opferstätte zurück und zwängte sich dann wieder auf dem gleichen Weg ins Freie.
Ich beging nun die Torheit, dem Affenrudel ein paar Brosamen zuzuwerfen, die ich in der Tasche fand, und die ihnen zu munden schienen; dann schritt ich, nichts ahnend, um die Schaitys herum, um die hinter ihr stehenden Tempel, Glockenstühle und Steinsäulen aufzunehmen. Auf der höchsten dieser Säulen stand ein radschlagender Bronzepfau als Abbild des brahminischen Kriegsgottes Kartikeja, und ebenso fielen mir in und vor den Tempeln Lampen von ein bis zwei Meter Höhe auf, in deren Ölschale beständig ein Baumwolldocht brannte und an deren hinterem Rande sich ein Ganeschbild befand. Die Affen folgten mir jedoch auf Schritt und Tritt und hinderten mich an jeder weiteren Aufnahme, denn als ich unter das Dunkeltuch und auf die Einstellscheibe sehen wollte, blickte von außen ein neugieriger Affe durch das Objektivglas in den Apparat, an dessen Stativbeinen er in die Höhe geturnt war, und wo immer ich die Kamera auch aufstellt, diente sie sofort einigen Vierhändern als willkommenes Klettergerüst.
Natürlich war es mit auch nicht möglich, in dieser gefräßigen Gesellschaft mein Frühstück einzunehmen. Ich lief deshalb mit meinem Proviantkorb aus dem Tempelbezirk auf einen anstoßenden Bergrücken, und erst als ich glaubte, mich genügend weit von der gierigen Bande weggeflüchtet zu haben, und als ich keinen einzigen Affen mehr erblickte, entnahm ich meinem Korbe ein hartgesottenes Ei, das ich auseinanderschnitt, um es mit zu Gemüte zu führen, doch noch ehe ich die eine Hälfte aus der Schale gehoben hatte, nahm ein kleines schwarzes Händchen, das an einem langen, dünnen, behaarten Arm über meine Schulter in das Ei langte, das harte Eigelb aus dem Eiweiß heraus, während gleichzeitig ein anderer Affe die zweite Eihälfte, die ich neben mich gelegt hatte, ergriff und mit ihr davonrannte. Weniger belustigt als ergrimmt wollte ich dem listigen Affen, trotz seiner Heiligkeit, mit einem Knüppel ein paar wuchtige Hiebe verabreichen, doch war er bereits mit seiner Beute in den Tempelhof zurückgeeilt; nie bin ich verdrießlicher über Darwins Lehren gewesen, und nie habe ich sie für anfechtbarer gehalten als angesichts der sozialistischen Begierden dieser Vierhänder.
Es war für diesen Tag tatsächlich weder an ein ruhiges Frühstück noch an Photographieren zu denken, und so zog ich es vor, meine sieben Sachen zusammenzupacken, wobei es nicht ohne einen lebhaften Ziehkampf um das schwarzsamtne Einstelltuch abging, das einem der größten Affen ganz besonders zu gefallen schien, da er es bereits als Schurz um seinen Körper gewickelt hatte.
Boeck, Kurt
Durch Indien ins verschlossene Land Nepal
Leipzig 1903