Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Um 1907 - Fritz Kummer
In Colombo
Ceylon / Sri Lanka

Die Tipsqueeze steuerte mit Volldampf auf Ceylon zu. Noch früher als uns verheißen, warf sie Anker im Hafen von Colombo. Schon vor der Hafenmauer wurde das Schiff von eigenartigen, sogenannten Auslegerbooten umschwärmt. Diese Fahrzeuge sehen aus wie lange, schmale Kisten, etwa 3 Meter lang und so schmal, daß ein Mann gerade darin sitzen kann. Mit jedem Wellenschlag glaubten wir ein paar umkippen zu sehen. Glücklicherweise traf das nicht zu. Aus jedem Wellental kamen sie wohlbehalten hervorgeplätschert. Der Ausleger, zwei vom Bootsrumpf hinausstehende Balken, die an ihren Enden durch einen dritten verbunden sind, hält das Gleichgewicht.
   Zehn Stunden hatten wir Zeit, die Insel Ceylon zu betrachten, deren Naturschönheiten alle Besucher nicht hoch genug preisen können. Am Hafendamm kamen Rikschaleute dutzendweis angerannt, die alle bereit waren, mich hinzukarren, wohin ich wollte. Die Wahl machte Qual. Schließlich nahm ich einen dunkelbraunen Gesellen mit langem Christushaar, weil er leidlich englisch verstand und sich über seine Zuverlässigkeit durch viele Empfehlungen auswies, die Reisende aller Länder in ein schmieriges Büchlein gekritzelt hatten. Daß das Papier auch in Ceylon sehr geduldig ist, sollte ich am Ende der Fahrt gewahr werden. Dieser singhalesische Rikschamann war genauso geschäftsschlau und in der Beutelschneiderei erfahren wie sein japanischer Kollege.
   Gleich hinter Colombo, einer Stadt mit 160.000 Seelen, beginnen die Palmenhaine. Dorthin zog mich mein Sehnen. Unterwegs bekam ich Gelegenheit, die Eingeborenen in ihren Heimen beisammen zu sehen. Sie standen zahlreich vor ihren Behausungen und schienen es nicht ungern zu haben, betrachtet zu werden. Frauen wie Männer verhüllen ihre Reize bloß mit einem Lendentuch. Der Europäer mag diese Kleidung dürftig nennen, jedenfalls ist sie sehr vorteilhaft und billig. Die Hitze ließ mich oft wünschen, ich könnte ebenfalls in einer derartig einfachen Uniform herumlaufen. Die Singhalesen fielen mir auf durch ihren schlanken, fast zarten Wuchs; besonders die Frauen und Kinder sind prächtig gewachsen und sehr anmutig in Gebärde und Gang. Die Mütter tragen ihre Kleinen nicht in den Armen wie in Europa, auch nicht auf den Rücken gebunden wie in Japan, sondern rittlings auf der Hüfte. Die schon etwas herangewachsenen Kinder laufen splitternackt herum. Um die Lenden tragen sie ein dünnes Kettchen, das ein unter dem Nabel baumelndes Metallplättchen hält. Beim Laufen fliegt das blecherne Feigenblatt auf und nieder, was sich sehr drollig macht.
   Nach halbstündiger Fahrt umfing uns der kühle Schatten des Palmenhaines. Welch ein neues, eigenartiges, überwältigendes Bild! Der Reiz dieses Tropenwaldes ist viel eindrucksvoller, als die Schilderungen erwarten lassen. Auf beiden Seiten des Weges schießen Palmenbäume mächtig weit zum Himmel empor. Hoch oben schaukeln die vollen, dunklen Kronen. Das Schattendunkel wird erhellt, belebt durch grelle Lichtstrahlen, die flüchtig zwischen den Stämmen hin und her huschen. Unter dem Palmendach tauchen Eingeborenenhütten auf. Ihre Bauart läßt die Nähe der europäischen Stadt erkennen. Vor den Hütten saßen Frauen beim Mattenflechten. Als sie des Fremdlings ansichtig wurden, hielten sie mit der Arbeit inne und lächelten freundlich. Aus einem Dorf kam ein Dutzend Kinder angelaufen. Laut schreiend trabten sie neben der Rikscha her. Sie wollten offenbar Geld haben. Schließlich wurde die unerwünschte Begleitung noch durch ein Ehepaar verstärkt. So sehr auch mein Kutscher ausgreifen mochte, die Bettelvögte waren halt doch noch flinker. An eine ruhige Betrachtung der Tropenpracht konnte unter diesen Umständen nicht gedacht werden. Ärgerlich sprang ich aus dem Wägelchen und ließ der Gesellschaft durch den Rikschamann sagen, sie sollten Geld erhalten, aber erst nachdem ich sie photographiert hätte. Sie hielten der Knipsmaschine mutig stand, verlangten dann aber gebieterisch ihren Lohn.
   Inmitten des Tropenwaldes liegt ein buddhistischer Tempel, von dessen Schönheit mir ein Missionar eine farbenprächtige Schilderung gegeben hatte. Leider war die Pforte geschlossen, so daß ich die berühmte Andachtsstätte bloß von der Umfriedigung aus bewundern konnte. Auf einer schnurgeraden Waldstraße ging's rückwärts. Die Sonne hatte sich schon herniedergesenkt, als Colombo wieder vor uns auftauchte. Auf einem sehr sauber gehaltenen Strandweg lustwandelten viele weißgekleidete Europäer mit ihren Frauen nach einem hart am Wasser stehenden Gebäude, von wo aus der Sonnenuntergang sowie das wunderbare Wasserspiel, das dort die sehr starke Meeresbrandung ununterbrochen bietet, vorzüglich beobachtet werden können.
   Am Schlusse des Ausflugs hatte ich ein garstiges Erlebnis mit dem Rikschamann. Als ich ihm den beim Anheuern ausgemachten Lohn, 1 Rupie (= 2,10 Mark) einhändigte, warf er mir das Geldstück vor die Füße und forderte viermal mehr. Ob die vereinbarte Summe nach den ortsüblichen Sätzen zu gering war oder nicht, konnte ich natürlich nicht beurteilen. Ich hatte ihm das zugesagt, was er verlangte. Da mir viermal mehr doch ein bißchen zu viel deuchte, rief ich einen Polizisten herbei, damit er den Streit nach Recht und Billigkeit schlichte. Er entschied zu meinem Schaden. Als wohlerzogener Bürger fügte ich mich, zahlte das Geforderte, ging dann spornstreichs zum Polizeihauptmann, um mich zu beschweren. Ich war ja in einem unter europäischer Verwaltung stehenden Gemeinwesen. Warum sollte man nicht die Gelegenheit wahrnehmen, sich selbst zu überzeugen, was es mit der so vielgepriesenen englischen Polizei auf sich hat? Vor der Polizeistube standen schon vier Weiße, die in gleicher Angelegenheit gekommen waren. Ein Eingeborener wurde nach dem Polizeidirektor gesandt. Bald erschien ein junger, neumodisch gekleideter Mann indoenglischer Rasse, der sich als der Verlangte vorstellte. Er hatte unsere Beschwerden noch nicht ganz vernommen, als er schon einen eingeborenen Beamten auf die Suche nach dem Rikschamann und dem Polizisten jagte. Zehn Minuten später waren beide zur Stelle. Vor dem Polizeioberhaupt nahmen sie eine sehr unterwürfige Haltung an. Übervorteilung von Reisenden schien hier sehr häufig zu sein, denn der Polizeivorsteher las ohne zu fragen erst seinem Beamten, dann dem Rikschamann gehörig die Leviten. Dieser zog die vier Rupien hervor, wovon der Polizeivorsteher ihm eine, mir drei einhändigte. Damit war meine Sache erledigt; die anderen Reisenden kamen dran. Obwohl der Fall zu meinen Gunsten entschieden worden war, konnte ich nicht darüber froh werden. Der arme Teufel brauchte die paar Groschen womöglich notwendiger als ich.

Kummer, Fritz
Eines Arbeiters Weltreise
Erstausgabe Stuttgart 1913; Nachdruck Leipzig und Weimar 1986

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!