Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1831 - Alexander Burnes
Im Goldenen Tempel
Amritsar, Pakistan

Wir verweilten einen Tag in Amritsar, um die Gebräuche der Andacht der Sikhs zu sehen, und unsere Neugierde wurde in hohem Grade befriedigt. Wir wurden abends von den angesehensten Leuten der Stadt in den Nationaltempel geführt, der in der Mitte eines Sees steht und ein mit poliertem Gold bedecktes, schönes Gebäude ist. Nachdem wir darum herumgegangen waren, traten wir ein und brachten dem »Guru Granth Sahib« oder heiligen Buch ein Opfer dar; es lag aufgeschlagen vor einem Priester, der ihm mit dem Schweif einer tibetanischen Kuh Luft zufächelte, um Unreinheit fernzuhalten und sein Ansehen zu erhöhen. Sobald wir uns niedergesetzt hatten, erhob sich ein Sikh und redete die versammelte Menge an. Er rief Guru Govind Singh an, und jedermann faltete die Hände. Er sagte, dass alles, was die Sikhs auf Erden besäßen, von der Güte des Gurus herrühre; und dass die jetzt anwesenden Fremdlinge aus weiter Ferne gekommen wären und Geschenke vom König von England zur Befestigung der Freundschaft überbracht hätten und im Tempel mit einem Opfer von 250 Rupien erschienen wären. Das Geld wurde hierauf auf dem Buch niedergelegt und ein allgemeiner Anruf schloss die Rede. Wir wurden hierauf mit Kaschmir-Schals bekleidet, und da ich, bevor wir uns fortbegaben, den Redner bat, unseren Besuch als Zeichen der fortdauernden Freundschaft mit der Nation der Sikhs zu erkennen zu geben, so veranlasste dies einen zweiten Anruf.
   Wir wurden von dem großen Tempel nach dem Acali-Boonga [Akal Takht] oder Haus der Unsterblichen geführt, wo wir ein ähnliches Opfer darbrachten. Es wurde uns nicht gestattet, diese Stätte zu betreten, denn die Acalis oder Nihungs sind ein querköpfiger Schlag von Fanatikern, denen nicht zu trauen ist. In Erwiderung des dargebrachten Opfers sandte uns der Priester einigen Zucker. Die Acalis tragen Turbane von blauem Tuch, die spitz zulaufen, und oben tragen sie verschiedene runde Stücke Eisen, Verteidigungswaffen, die wie eine Wurfscheibe gebracht werden. Inzwischen unterdrückt Ranjit ihre Exzesse mit fester und entschlossener Hand, obwohl sie eine Sekte der Religion bilden, deren Vorschriften er selbst streng beobachtet. Er hat einige der größten Übeltäter in seine Bataillone gesteckt und andere verbannt.
   Unser Führer war wegen unserer Sicherheit sehr besorgt und führte mich an der Hand, die er fest ergriffen hatte, durch die versammelte Menge.
   Vom Tempel aus machten wir die Runde in Amritsar, das größer ist als Lahore. Dieser Ort ist die große Handelshauptstadt zwischen Indien und Kabul. Die Handelsleute sind hauptsächlich Hindus, vor deren Haustüren man große Blöcke von rotem Steinsalz erblickt, deren Zweck ein Rätsel ist, bis man erfährt, dass sie für die heiligen Stadtkühe bestimmt sind, die begierig daran lecken. Auf unserem Heimweg besahen wir den Lieblingssitz des Maharaja während seines Aufenthaltes in Amritsar. Ranjits Vorliebe für militärische Werke zeigt sich auch hier, und er hat einen Lustgarten mit einem mächtigen Erdwall, den er jetzt noch durch einen Graben verstärkt, umgeben lassen.

Burnes, Alexander
Reise nach und in Bokhara … 1831-33
Band 2, Weimar 1835

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Indien seit 326 v. Chr.
Wien 2007

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