1907 - Fritz Kummer
In Singapur
Als wir in Singapore das Land betreten hatten, ging ein heftiger Platzregen nieder. Leider hielt er nicht lange an. Noch ehe der Weg zur Stadt zurückgelegt war, brannte die Sonne wieder wie vorher.
Singapore bildet den südlichsten Punkt der nach Ostasien fahrenden Schiffe. Die Stadt beherrscht den Seeweg nach dem fernen Osten. Sie ist ein beredter Zeuge der Weitsicht und Großzügigkeit der britischen Kolonialpolitik. Der Platz ist stark befestigt. Eine nach dem Stillen Weltmeer strebende englandfeindliche Flotte wird sich, wenn nicht schon vorher, bei Singapore mit Großbritannien auseinanderzusetzen haben. Durch seine glückliche Lage am Meer sowie durch Klima und Bauart ist Singapore unbestreitbar eine der schönsten Städte im fernen Osten. In seinen Straßen wimmelt es von Europäern, Chinesen, Malaien, Indiern und Singhalesen; der Chinese überwiegt. Wo man auch hinblickt, sieht man Söhne des Reiches der Mitte eifrig tätig. Für die verschiedenen Rassen sind besondere Viertel angelegt. Vom Hafen kommend hat man das chinesische Viertel zu durchqueren, um ins europäische zu gelangen. Hier läßt das Straßenbild an Großzügigkeit und reizender Mannigfaltigkeit nichts zu wünschen übrig. In den breiten, sauberen Verkehrsadern reiht sich Schaufenster an Schaufenster, Kaffeehaus an Hotel; in den prächtigen Anlagen mit tropischem Pflanzenwuchs drängt sich an Nachmittagen die europäische Welt. Wie müssen die aus dem Hinterland kommenden Eingeborenen staunen, wenn sie zum ersten Male die reizende Stadt mit ihren Bogenlampen, „fahrenden Häusern“ (Straßenbahn) und Dampfschiffen sehen!
Unter den 210.000 Einwohnern Singapores befinden sich bloß 3.800 Weiße. Die im Verhältnis zur weißen Bevölkerung übergroße Zahl europäischer Geschäfte läßt vermuten, daß sie einen großen Kundenkreis in andern asiatischen Besitzungen haben. Die Absicht, in Singapore die Kamera zu gebrauchen, konnte nicht ausgeführt werden. Schon auf dem Schiff war bekanntgemacht worden, daß das Photographieren streng verboten sei; wer es dennoch tue, setze sich der Verhaftung aus.
Als wir wieder aufs Schiff kamen, war fast nicht mehr in die Kabine zu kommen. An den Schankstellen drängten sich viele Europäer, die höllisch darauf versessen waren, unser ganzes Kargo an Bier und Wein in ihren Eingeweiden davonzuschleppen. Auf dem Deck handelten Eingeborene mit Seide, Straußfedern, Muscheln, glitzerndem Tand und Gott weiß was sonst noch. Unten an der Bordwand stand noch eine hundertköpfige Händlerschar, die ebenfalls an Bord wollte. Die Matrosen versuchten, sie mit einer starken Wasserspritze von der Gangplanke fernzuhalten. Sie wußten sich zu helfen. Einer der ihren warf eine Leine von Bord hinunter, woran blitzschnell die Waren gebunden, hinaufgezogen und mit feilgeboten wurden.
Die Geschäftsgewandtheit der Chinesen ist aller Achtung wert. Die ersten, die nach Festmachen des Schiffes die Gangplanke heraufstürmten, waren chinesische Schneider. Sie warteten mit Stoffmustern und Preisliste auf. Ich bestellte zwei Tropenanzüge unter der Bedingung, daß ich sie um 4 Uhr an Bord haben müsse (damit ich noch meinen Bedarf in der Stadt decken konnte, wenn mich der Schneider je im Stich ließ). Die Befürchtung war überflüssig. Mit dem Glockenschlag fand sich der bezopfte Meister Zwirn in meiner Kabine ein, aber nicht mit zwei, sondern mit vier Anzügen. Er entschuldigte sich, sein Geselle habe zwei zuviel zugeschnitten usw.; wenn ich ihm die vier abnehme, solle ich sie billiger haben. Der arme Teufel brauchte sicherlich Geld. Ich zahlte für alle den ausgemachten Stückpreis; denn schon kurz nachdem ich die Bestellung gemacht hatte, reute es mich, den Rat Kundiger zu weit befolgt, zu viel heruntergefeilscht zu haben. Der Chinese verlangte für den Anzug bloß halb soviel wie sein Kollege in Japan.
Nach eintägiger Rast fingen die Schrauben der Tipsqueeze wieder zu surren an. Viel zu früh für den wissensdurstigen Reisenden, noch viel mehr zu früh für die Eingeborenen, die in kleinen Holzmulden das Schiff umschwammen und nach hinabgeworfenen Geldstücken ins Wasser tauchten. Der Dampfer schlängelte sich vorsichtig zwischen Felsen hindurch, bog dann in die Straße von Malakka ein.
Kummer, Fritz
Eines Arbeiters Weltreise
Erstausgabe Stuttgart 1913; Nachdruck Leipzig und Weimar 1986