Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1832 - Alexander Burnes
In Buchara / Buxoro
Usbekistan

Mein gewöhnlicher Besuchsort des Abends war der Registan von Buchara, eine Benennung, die einem geräumigen freien Platze vor dem königlichen Palaste beigelegt wird. Auf zwei anderen Seiten des Platzes befinden sich massive Gebäude für gelehrte Schulen, und auf der vierten ist ein von hohen Bäumen beschatteter Springbrunnen, wo sich Müßiggänger und Neuigkeitskrämer um die hier zum Verkauf ausgestellten Waren aus Asien und Europa versammeln. Ein Fremder braucht sich nur auf einer Bank des Registan niederzusetzen, um die Usbeken und die Bewohner Bucharas kennen zu lernen. Er kann sich hier mit Eingeborenen aus Persien, der Türkei, Rußland, der Tatarei, China, Indien und Kabul unterhalten, und wird mit Turkmanen, Kalmücken und Kuzzaks (Kosaken) aus den benachbarten Wüsten wie mit Eingeborenen aus gesegneten Ländern zusammentreffen. Er kann die feinen Manieren der Untertanen des „großen Königs" mit den rohen Sitten eines nomadisierenden Tatars vergleichen. Er kann die Usbeken aus allen Staaten des Mawur-ul-nur sehen.
    Ein roter Bart, graue Augen und eine weiße Haut werden dann und wann die Aufmerksamkeit eines Fremden auf sich lenken, und seine Blicke wird ein armer Russe fesseln, der sein Vaterland und seine Freiheit verloren hat und hier ein elendes Sklavenleben dahinschleppt. Hin und wieder kann man auch einen Eingeborenen aus China in derselben einsam und abgesonderten Lage gewahren, wie ihm sein langer Haarzopf abgeschoren worden ist und er seine Glatze unter einem Turban verdeckt trägt, da sowohl er wie der Russe als Mohammedaner auftreten. Dann folgt ein Hindu in einer ihm selbst und seinem Vaterlande fremden Tracht. Eine kleine viereckige Mütze und eine Schnur statt eines Gürtels unterscheiden ihn von den Mohammedanern und verhindern diese, wie die Moslems selbst sagen, die vorschriftsmäßiger Begrüßungen in ihrer Sprache dadurch zu profanieren, daß sie dieselben an einen Götzenanbeter richten. Auch ohne diese äußeren Abzeichen ist der Eingeborene aus Indien an seinem ernsten Blick und der Sorgfalt zu erkennen, mit der er alle Gemeinschaft mit der Menge vermeidet. Der Jude ist ein ebenso scharf bezeichnetes Wesen wie der Hindu, nur daß er eine etwas abweichende Kleidung und eine kegelförmige Mütze trägt. Jedoch ist kein Merkmal so unterscheidend wie die wohlbekannten Gesichtszüge des hebräischen Volkes. In Bochara bildet dieses Volk eine auffallend schöne Menschenrasse, und ich erblicke auf meinen Wanderungen mehr als eine Rebekka. Die Gesichtszüge werden gehoben durch Ringellocken von schönem Haar, die an den Wangen und über den Nacken herabhängen. Es befinden sich in Bochara etwa 4000 Juden, Auswanderer von Meschid in Persien und hauptsächlich mit Tuchfärberei sich beschäftigend. Sie werden auf dieselbe Weise wie die Hindus behandelt. Ein verlaufener oder verirrter Armenier in einer noch abweichenderen Tracht repräsentiert diese herumwandernde Nation, von der jedoch nur wenige in Bochara sich befinden. Diese Ausnahmen abgerechnet, erblickt der Fremde in den Basars eine stattliche, schöne und wohlgekleidete Volksmenge, aus Mohammedanern von Turkistan bestehend. Ein großer weißer Turban und ein „Chogha“ oder Pelz von etwas dunkler Farbe, der über drei bis vier andere von der nämlichen Art gezogen ist, machen die allgemeine Tracht aus; der Registan führt zum Palaste, und die Usbeken finden ihre Freude daran, vor ihrem Könige in einem buntscheckigen seidenen Gewande, „Udrus“ genannt, zu erscheinen — ein Gewand von den lebhaftesten Farben, welches jedem andern als einem Usbeken unerträglich sein würde. Einige der vornehmeren Personen sind in Brokat gekleidet, und man kann die verschiedenen Grade der Staatsbeamten dadurch unterscheiden, daß die begünstigsten in die Burg reiten, während andere vor dem Torwege absteigen. Fast ein jeder, der dem Könige seine Aufwartung macht, ist von seinem Sklaven begleitet; und obgleich diese letztere Klasse von Leuten großenteils aus Persern oder deren Nachkommen besteht, so besitzt sie doch ein eigentümliches Äußeres. Es wird in der Tat behauptet, daß drei Viertel der Bewohner Bocharas von Sklaven abstammen; denn von den aus Persien nach Turkistan gebrachten Gefangenen erhalten wenige die Erlaubnis zur Rückkehr, und es haben auch, wie einstimmig versichert wird, viele dazu gar keine Neigung. Ein großer Teil der Bewohner Bocharas erscheint zu Pferde; es mögen nun aber die Leute beritten sein oder zu Fuß gehen, so sind sie dennoch mit Stiefeln bekleidet, und die Fußgänger stolzieren mit hohen und schmalen Absätzen einher, mit denen es mir schwer würde, zu gehen oder selbst nur aufrecht zu stehen. Die Absätze sind etwa anderthalb Zoll hoch und die untere Spitze hält nicht den dritten Teil im Durchmesser. Dies ist die Nationaltracht der Usbeken. Einige Personen von Rang tragen über die Stiefel Schuhe, welche sie ablegen, sobald sie ein Zimmer betreten. Bei meiner Schilderung der Einwohner darf ich die Frauen nicht vergessen. Diese lassen sich in der Regel zu Pferde blicken und reiten nach Art der Männer; nur wenige gehen zu Fuß, und alle tragen ein schwarzes Haartuch als Schleier. Die Schwierigkeit, durch dasselbe gut zu sehen, ist die Veranlassung, daß die Schöne jedermann anstarrt wie auf einer Maskerade. Hier aber darf man keine anreden, und wenn Frauen aus dem königlichen Harem vorüberkommen, so wird man ermahnt, nach einer anderen Richtung zu blicken, und an den Kopf geschlagen, wenn man der Aufforderung nicht Folge leistet. So heilig sind die Schönen des „heiligen Bochara". Die Leser werden sich jetzt vielleicht einen Begriff von der äußeren Erscheinung der Bewohner Bucharas machen können. Vom Morgen bis zum Abend macht die versammelte Menge ein murmelndes Getöse, und man ist ganz erstaunt über die sich bewegende Masse menschlicher Wesen. In der Mitte des oben erwähnten freien Platzes werden die Früchte der Jahreszeit unter dem Schatten einer viereckigen Matte, die nur von einem einzigen Pfahl schwebend erhalten wird, verkauft. Man muß sich wundern über die nimmer ruhende Beschäftigung der Fruchthändler im Verkauf ihrer Trauben, Melonen, Aprikosen, Äpfel, Pfirsiche, Birnen und Pflaumen, zu denen sich fortwährend Käufer einfinden. Nur mit Mühe kann man sich durch die Straßen den Weg bahnen, und es kann nur mit der jeden Augenblick sich erneuernden Gefahr geschehen, von irgend jemand überritten zu werden, der auf einem Pferde oder Esel sitzt. Diese letzteren Tiere sind ausnehmend schön und traben mit ihren Reitern und Bürden rasch einher. Auch Karren von leichter Bauart bewegen sich vorüber, da die Straßen die Passage von Räderwagen gestatten. In allen Teilen des Basars sind die Leute mit dem Bereiten des Tees beschäftigt, wozu man sich großer europäischer Teemaschinen (Urns) statt der Teetöpfe, bedient und den Tee mittels einer Metallröhre warm erhält. Die Vorliebe der Bocharen für Tee ist, wie ich glaube, beispiellos; denn diese Leute trinken ihn zu allen Zeiten und an allen Orten und auf ein halb Dutzend Arten: mit und ohne Zucker, mit und ohne Milch, mit Fett, mit Salz usw. Zunächst bei den Verkäufern dieses heißen Getränks kann man „Rahut i jau" oder die Wonne des Lebens - Traubengallerte oder -sirup mit zerhacktem Eise vermengt - kaufen. Diese Fülle von Eis gehört zum größten Luxus in Bochara. Es wird im Winter in Gruben gesammelt und zu einem Preise verkauft, der es auch dem Ärmsten zugänglich macht. Es fällt in Bochara niemandem ein, Wasser zu trinken, ohne es mit Eis vermischt zu haben, und so kann man einen Bettler in demselben Augenblicke kaufen sehen, wo er seine Armut zu erkennen gibt und die Mildtätigkeit des Vorübergehenden in Anspruch nimmt. Es gewährt einen erfrischenden Anblick, wenn man bei 90 Grad Fahrenheit Hitze [33 °C] die ungeheuren, farbigen, geschabten und wie Schnee in Haufen aufgestapelten Eismassen sieht. Es würde ins unendliche führen, wollte man den ganzen Kaufmannsverein beschreiben; es genüge daher die Bemerkung, daß in dem Registan fast alles zu haben ist: Juwelier- und Schwertfegerarbeiten aus Europa (freilich grob genug gearbeitet), Tee aus China, Zucker aus Indien, Gewürze aus Manila usw. Auch kann man seine Weisheit durch das Türkische sowohl wie das Persische in den Bücherläden vermehren, wo die Gelehrten oder vermeintlich Gelehrten die zerrissenen Bücher durchblättern. Wenn man am Abend aus diesem lärmenden Gedränge in die entlegeneren Teile der Stadt sich fortbegibt, windet man sich durch gewölbte, um diese Zeit leere Basars und kommt an Moscheen vorbei, die mit schönen Kuppeln versehen und mit dem bei den Mohammedanern geduldeten Zierat ausgeschmückt sind. Nach den Basarstunden sind die Moscheen mit Menschen angefüllt, die ihr Abendgebet verrichten. An den Türen der in der Regel den Moscheen gegenüberliegenden Schulgebäude kann man die Studenten nach den Arbeiten des Tages sich ausruhen sehen, die übrigens nicht so fröhlich oder so jung wie die Schüler auf einer europäischen Universität sind, sondern unter denen sich viele ernste und ehrbare alte Leute befinden, welche scheinheiliger sind, aber keineswegs weniger Torheiten oder Ausschweifungen begehen als die Jünglinge in anderen Teilen der Welt. Mit eintretendem Zwielicht nimmt die Geschäftigkeit ein Ende, die königliche Trommel wird gerührt und findet Nachhall in allen übrigen Teilen der Stadt, und zu einer gewissen Stunde darf niemand ohne eine Laterne mehr ausgehen. In solchen Anordnungen ist die Polizei der Stadt vortrefflich, und in jeder Straße bleiben große Güterballen in den Buden während der Nacht in vollkommener Sicherheit liegen. Es herrscht nunmehr überall Ruhe und Stille bis zum Morgen, wo das Getöse in dem Registan aufs neue beginnt.
    Der Tag wird wie der vorhergehende mit Zechen und Teetrinken begonnen, und Hunderte von Knaben und Eseln eilen mit Milch beladen dem geschäftigen Gedränge zu. Die Milch wird, mit dem Rahm oben schwimmend, in kleinen Näpfen verkauft, von denen ein Knabe zwanzig bis dreißig auf Brettern, die durch einen auf seine Schulter gelegten Stock unterstützt und gehalten werden, nach dem Markte zu tragen imstande ist. Wie viel Milch auch herbeigeschafft werden mag, sie verschwindet schnell unter die teetrinkende Bevölkerung dieser Stadt. Nicht lange nach unserer Ankunft stattete ich unseren ehemaligen Reisegefährten, den Teehändlern, welche in einer Karawanserei ihren Wohnsitz aufgeschlagen hatten und mit dem Auspacken, Anpreisen und Verkauf ihres Tees beschäftigt waren, einen Besuch ab. Sie ließen Eis und Aprikosen aus dem Basar holen und wir setzten uns nieder und unterhielten uns miteinander. Einer der Käufer hielt mich für einen Teehändler, weil ich mich in der Gesellschaft solcher Leute befand, und fragte nach meinem Gewinn. Seine Frage belustigte sowohl die Kaufleute wie auch mich selbst; der Mann ließ sich jedoch hinsichtlich seiner Meinung, daß ich der handeltreibenden Klasse angehöre, dadurch nicht irre machen, und wir setzten das angeknüpfte Gespräch fort. Er sprach von den Tagesneuigkeiten, den neuesten Eroberungen des Königs in Schuhr Sabz und den Drohungen der Perser, Bochara anzugreifen, und dies alles, ohne im geringsten daran zu zweifeln, daß ich ein Asiate sei. Wir unsererseits erhielten Gegenbesuche von jenen Kaufleuten und wurden noch von vielen anderen Personen besucht, welche ihre Neugierde auf unsere Kosten zu befriedigen kamen. Wir durften uns mit dem Schreiben nicht beschäftigen, und so war dies eine angenehme Weise, die Zeit zu vertreiben, da die Leute sehr mitteilend waren. Die Usbeken sind ein einfaches Volk und man wird sehr leicht mit ihnen bekannt, obgleich sie sich in einem seltsamen Tone äußern, als wenn man von ihnen verachtet würde oder sie erzürnt hätte. Sie grüßten uns nie auf eine bei den Mohammedanern gebräuchliche Weise, sondern schienen eine andere Form sich auszudrücken zu haben, und die gewöhnlichsten dieser Ausdrücke waren: „Möge Euer Reichtum wachsen“ (doulut zyada) oder: „Möge Euer Leben von langer Dauer sein“ (oomr duraz). Nichtsdestoweniger sprachen sie stets das „Fatha“ oder Gebet aus dem Koran, wobei sie ihre Hände ausstreckten und ihre Barte abwärtsstrichen, worauf sie, nachdem wir dasselbe getan, mit uns sich niedersetzten.

Burnes, Alexander
Reise nach und in Bokhara von Indien aus durch CAbool, die Tartarey und Persien … in den Jahren 1831, 1832 und 1833
Band 1, Weimar 1835

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