1831 - Alexander Burnes
Treffen mit Ranjit Singh
Lahore, Pakistan
Als wir in den ersten Schlosshof kamen, wurden wir von Raja Dihan Singh empfangen, einem schönen Mann von kriegerischen Aussehen und bepanzert, der uns zur Pforte des Palastes führte. Während ich mich an der Schwelle bückte, um meine Schuhe dort abzulegen, fand ich mich plötzlich in einer engen Umarmung eines winzig kleinen, ältlich aussehenden Mannes, des großen Maharaja Ranjit Singh. Er war von zwei seiner Söhne begleitet, die mich ebenfalls umarmten, worauf der Maharaja mich bei der Hand in das Innere seines Hofes führte. Unser Empfang war von der ausgezeichnesten Art, und der Maharaja war, um uns eine besondere Ehre zu erzeigen, so weit entgegen gekommen. Wir erhielten unsere Plätze auf silbernen Stühlen vor Seiner Hoheit. Der Maharaja machte verschiedene komplimentartige Bemerkungen, fragte insbesondere nach dem Befinden Seiner Majestät des Königs von Großbritannien. Nachdem wir eine kleine Weile da gesessen hatten, zeigte ich Seiner Hoheit an, dass ich nach Lahore wohlbehalten fünf Pferde mitgebracht habe, die Seine Allergnädigste Majestät der König von England in Anbetracht der zwischen den beiden Staaten bestehenden freundschaftlichen und einträchtigen Verhältnisse für ihn bestimmt habe, und außerdem einen Wagen von Seiner Hochgeboren dem Generalgouverneur von Indien als ein Zeichen der Hochachtung Seiner Herrlichkeit. Ich setzte sodann hinzu, dass die Pferde von einem höchst freundschaftlichen Schreiben vonseiten des Ministers Seiner Majestät für die Indischen Angelegenheiten - das ich in einem mit dem Wappen von England versiegelten Beutel aus Goldstoff in der Hand hielt - begleitet seien. Auf diese Erklärung standen der Maharaja und sein Hof und wir selbst auf und seine Hoheit nahm den Brief entgegen und berührte seine Stirn mit dem Siegel.
Als der Inhalt des Dokuments enthüllt war, gab der Maharaja augenscheinliche Zeichen der Zufriedenheit; und als das Schreiben zur Hälfte vorgelesen war, sagte er, er wolle dessen Ankunft durch eine Salve begrüßen, und ein Artillerie-Park von 60 Kanonen, von denen jede 21 mal feuerte, verkündete den Bewohnern von Lahore die Freude ihres Königs. Seine Hoheit gab hierauf den Wunsch zu erkennen, die Geschenke in Augenschein zu nehmen, und wir begleiteten ihn. Der Anblick der Pferde erregte sein höchstes Erstaunen und seine Verwunderung, und ihre Größe und Farbe gefielen ihm; er sagte, es seien kleine Elefanten, und als sie einzeln an ihm vorüber geführt wurden, rief er seine verschiedenen Sirdars und Offiziere herbei, die seine Bewunderung teilten. Nichts konnte die Leutseligkeit des Maharaja übertreffen: er führte ein Gespräch während der anderthalbstündigen Audienz; er erkundigte sich insbesondere nach der Tiefe des Wassers im Indus und der Möglichkeit, ihn zu befahren, und warf verschiedene Fragen hinsichtlich der die Ufer des Flusses bewohnenden Völker und deren politischer und militärischer Macht auf. Ich wies auf die Reichtümer Sinds hin, die seine Begierde im höchsten Grad zu reizen schienen. Er stellte mich sämtlichen Repräsentanten der benachbarten Staaten vor und fragte schließlich, ob wir seinen eigenen Marstall zu sehen wünschten. Es wurden sogleich gegen dreißig Pferde vor- und in Parade an uns vorüber geführt. Sie waren auf die reichste und prächtigste Weise aufgezäumt und einige mit sehr kostbaren Juwelen geschmückt. Der Maharaja nannte jedes Pferd, so wie es vorgeführt wurde, mit Namen und beschrieb dessen Stammbaum und Eigentümlichkeiten. Sie waren aus allen Ländern und nahmen sich, da bei jedem der Hals sauber aufgezäumt war, in der Tat gut aus. Jedoch bildeten sie nicht den Marstall, den man in Lahore hätte erwarten sollen, denn sämtliche Pferde schienen untergliedrig zu sein.
Die Anstrengungen, denen sich Seine Hoheit unterzogen hatte, schienen ihn zu erschöpfen, und so beurlaubten wir uns. Die Natur ist in der Tat gegen diesen Mann mit ihren Gaben sparsam gewesen, und es muss ein gewaltiger Kontrast zwischen seinem geistigen Inneren und seinem Körper herrschen. Er hat ein Auge verloren, sein Gesicht ist pockennarbig und seine Größe beträgt gewiss nicht mehr als fünf Fuß drei Zoll [1,60 m]. Er ist völlig frei von Pomp und Gepränge und doch ist die Ehrerbietung seines Hofes bemerkenswert, so dass nicht ein Einziger sprach, ohne sie zu zeigen, obgleich das Gedränge eher dem in einem Basar als dem am Hofe des ersten eingeborenen Fürsten neuerer Zeit ähnlich war.
Der Audienzsaal, in dem die Unterredung stattgefunden hatte, war durchgehend aus Marmor erbaut und ist das Werk der Mogul-Kaiser, ein Teil der Decke war durch ein Zeltdach von Seidenstoff, mit Juwelen besetzt, prachtvoll ausgeschmückt. Der Maharaja selbst trug ein Halsband, Armringe und Armbänder von Smaragden, von denen einige sehr groß waren. Sein Säbel war mit kostbaren Steinen besetzt. Der Adel hatte sich bei dieser Gelegenheit gleichfalls mit Juwelen geschmückt, und der ganze Hof war in Gelb gekleidet, das die Lieblingsfarbe der Nation ist und einen schimmernden, auffallenden Effekt macht.
Ranjit Singh ist in jeder Beziehung ein außerordentlicher Charakter. Ich habe seine französischen Offiziere äußern hören, er habe seinesgleichen nicht von Konstantinopel bis Indien, und sie alle haben die dazwischen liegenden Staaten gesehen.
Wir verweilten in Lahore als des Maharajas Gäste und hatten manche Gelegenheit, mit ihm zusammen zu sein.
Der ehrenvollste Zug in Ranjits Charakter ist seine Menschlichkeit; man weiß nicht ein einziges Beispiel anzuführen, dass er, seit er an die Macht gelangt ist, einen Verbrecher mit dem Tode hätte bestrafen lassen; er nimmt zwar keinen Anstand, einen Übeltäter verstümmeln zu lassen, aber gewöhnlich verbannt er ihn in die Berge. List und Konziliation sind die beiden Hauptwaffen seiner Diplomatie gewesen. Es ist nur zu wahrscheinlich, dass die Laufbahn dieses Führers ihrem Ende nahe ist; seine Brust ist eingesunken, sein Rücken ist gekrümmt, seine Gliedmaßen sind welk geworden, und es ist nicht wahrscheinlich, dass er eine nächtliche Gabe von geistigen Getränken, die hitziger sind als der stärkste Branntwein, noch lange wird ertragen können.
Burnes, Alexander
Reise nach und in Bokhara … 1831-33
Band 2, Weimar 1835
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Indien seit 326 v. Chr.
Wien 2007