1863 - Charles George Gordon
Gegen die Taiping-Rebellen
Im Hinterland von Shanghai
Wir hatten einen Besuch von den plündernden Taipings. In einzelnen Haufen kamen sie bis in die nächste Nähe des Stadtgebietes, steckten in Brand, was sie konnten, und trieben die Landleute zu Tausenden vor sich her. Wir zogen ihnen entgegen, aber ohne viel Erfolg. Gräben und Sümpfe hindern unser Fortkommen allerwärts, die Rebellen sind uns in dieser Hinsicht weit überlegen ...
Es ist unfasslich, was für Haufen flüchtigen Landvolkes nach Shanghai kommen, sobald die Taipings in der Nähe sind; mindestens 15.000 Flüchtlinge sind zurzeit hier, und keineswegs nur Weiber und Kinder, sondern stämmige Männer, die sich wohl wehren könnten; aber die Angst lähmt ihnen alle Tatkraft. Weiterhin im Lande haben die Leute Unglaubliches zu leiden, und viele sterben Hungers. Dieser Aufruhr ist eine entsetzliche Landplage, und unsere Regierung sollte allen Ernstes eingreifen, um ihn zu unterdrücken. Worte können das Elend nicht schildern, das überall herrscht, wo die Rebellen hinkommen. Eine reiche Provinz ist zur Wüste geworden. Es ist recht schön, von Nichteinmischen zu reden. Ich bin doch im Ganzen nicht besonders zart besaitet, und auch unseren Soldaten kann man das im allgemeinen nicht nachsagen. Und doch: wir sind alle aufs tiefste ergriffen von dem Elend und der erbärmlichen Lage dieser armen Menschen.
Die Rebellen haben diesmal tüchtige Schläge gekriegt; ich glaube nicht, dass sie sich noch lange zur Wehr setzen werden: denn wir sind durch unsere Dampfer viel stärker als sie. Quinsan [Kunshan] ist eine große Stadt und hat mehr als vier englische Meilen im Umkreis. Den Mittelpunkt der Stadt bildet ein 600 Fuß hoher Hügel, von dem man die Gegend 50 Meilen weit beherrscht. Es ist ein merkwürdiges Land, voll von Wasserstraßen und von großem Reichtum. Durch die Eroberung dieser Stadt ist es der kaiserlichen Regierung nun ermöglicht, die reichen Korndistrikte rund umher zu beschützen; die Landleute sind so dankbar, dass es eine Freude ist, sie zu sehen. Sie waren vorher in schlimmer Lage: in der Mitte zwischen den Rebellen und den Kaiserlichen; aber sie haben sich einigermaßen dadurch zu helfen gewusst, dass jedes Dorf zwei Bürgermeister besaß, einen kaiserlichen und einen, der vorgab, es mit den Rebellen zu halten. Auf diese Weise mussten sie freilich auf beiden Seiten Steuern entrichten.
Was ich nun weiter zu sagen habe, könnte wie Prahlerei klingen. Aber ich weiß, dass Ihr alles hören wollt. Der Gouverneur der Provinz, Prinz Kung, und alle Mandarine sind froh, dass ich die Führung übernommen habe. Ich bin Mandarin vom roten Knopf. Wie Ihr Euch aber wohl denken könnt, trage ich diese Kleidung nicht. Sie haben mir sehr schmeichelhafte Briefe geschrieben und sind äußerst charmant. Ich mag die Chinesen gern leiden. Aber viel Takt ist nötig im Umgang mit ihnen. Sich über ihr Phlegma aufzuregen, nützt gar nichts. Ich lasse es daher bleiben. Sollten Gerüchte von begangenen Grausamkeiten zu Euch gelangen, so schenkt ihnen keinen Glauben. Wir haben an die 800 Gefangene gemacht. Eine gute Anzahl von ihnen ist jetzt in meine Garde eingereiht und hat inzwischen schon gegen ihre alten Freunde, die Rebellen, im Felde gestanden. Wenn ich Zeit hätte, könnte ich lange Geschichten erzählen von Leuten aus weit entfernten Provinzen, die einander hier treffen; oder wie die Bauern unter meinen Soldaten Rebellen erkennen, die vor noch nicht langer Zeit ihre Dörfer geplündert haben. Aber ich habe keine Zeit!
Ich habe einen Mandarin gefangen genommen, der drei Jahre lang bei den Rebellen war. Er hat jetzt eine Kugel in der Wange, die er sich neulich im Gefecht gegen die Taipings geholt hat. Die Exrebellen, die ich in meine Garde aufgenommen habe, waren alle Schlangenträger oder Hauptleute. Sowohl bei den Rebellen wie bei den Kaiserlichen sind die Schlangenstandarten nämlich die Abzeichen der Anführer. Wo man eine sieht, ist immer ein Befehlshaber in der Nähe. Ihr Verschwinden bedeutet den Rückzug des Feindes. In Taitsan haben die Schlangen bis zuletzt ausgehalten. Das ist ein Beweis dafür, dass der Kampf sehr hartnäckig gewesen ist Die Wangs [Führer der Taipings] wussten schon nach der Einnahme von Fushan, dass ein »neuer Engländer« im Kommando sei, aber sie erwarteten ihn nicht in Taitsan.
Äußerst seltsame Gerüchte sind im Umlauf. So heißt es z. B., die Rebellen hätten mir 200 Pfund Sterling geschenkt, damit ich Quinsan in Ruhe lasse. Alle Mandarine hatten davon gehört. Sie müssen sich sehr gewundert haben, als ich trotzdem vor Quinsan erschien. Bu Wang und zehn andere Wangs sind auf dem Rückzug ertrunken. Bu Wang war Befehlshaber von Sutschou [Suzhou] und schrieb einen großtuenden Brief an General Staveley, wir wären nur ein Krämervolk und er habe Soldaten wie Sand am Meer. Ich meinesteils habe die Rebellen nie für so stark gehalten, wie allgemein angenommen wurde. Es sind nicht viele tüchtige Soldaten unter ihnen.
Chung Wang, der Getreue, ist anderwärts beschäftigt und kehrt, wie es heißt, nicht wieder nach Sutschou zurück. Die Einwohner von Sutschou haben ihre Weiber und all ihre Habe in die Wassergegend im Rücken der Stadt geflüchtet. Ich fürchte, die Wangs werden lange Gesichter machen, wenn sie dort auf unsere Dampfer stoßen, was ihnen leicht blühen kann.
Eine gründliche Kenntnis des Landes ist sehr viel wert, und ich habe die Gegend genau studiert. Chanza liegt etwa 40 Meilen von hier. Ich bin häufig dort gewesen; die Leute fühlen sich da jetzt, seit Quinsan gefallen ist, völlig sicher. Das Entsetzen der Rebellen über unsere Dampfer ist sehr groß, besonders wenn Signal gepfiffen wird. Das geht über ihren Verstand ... Wir haben mehrere ehemalige Diener des Bu Wang unter den Gefangenen. Ihre Berichte sind recht ergötzlich. Die Wangs hatten beschlossen, meinen Dampfer in die Luft zu sprengen, und erließen eine Proklamation, dass Pulver gelegt werden solle. Sie vergaßen nur die Hauptsache, wie es geschehen könnte – darüber scheint nach allen Berichten keinerlei Klarheit unter ihnen geherrscht zu haben.
Briefe und Tagebuchblätter des Generals Charles Gordon of Khartoum
Ausgewählt und übersetzt von Dr. Max Goos
Hamburg 1808
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in China seit 630
Wien 2006