Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

August 1842 - Edward H. Cree, Schiffsarzt
Der Abschluss der »Ungleichen Verträge«
Nanjing

Sonntag, 14. – Ein gewaltiger Artilleriepark mit verschiedenen Typen und Kalibern wurde gestern für den Fall angelandet, dass die chinesischen Unterhändler auf unsere Bedingungen nicht eingehen. Eine Abteilung reitender Artillerie aus Madras ist auch von einem der Transporte an Land gekommen, ziemlich in der Nähe der Söhne des Himmels [der chinesischen Truppen]. Reichlich Futter wurde in Makin Keow [im Norden von Nanjing] für die Pferde beschafft; sie sind in ausgezeichneter Verfassung angesichts des langen Aufenthaltes an Bord der Schiffe.
   All diese kriegsähnlichen Vorbereitungen haben die Bewegungen der Chinesen zur Ruhe gebracht. Abends kam ein Mandarin an das Flussufer bei dem Dampfer Queen, man hörte ihn ganz aufgeregt rufen. Ein Boot wurde ausgeschickt und brachte ihn an Bord. Es stellte sich heraus, dass er die Herren Offiziere dringend bat, jeden Angriff auf Nanking zu unterlassen, da die Unterhändler des Kaisers auf dem Weg seien und Friedensangebote brächten.

Montag, 15. – Die Verhandlungen zwischen Sir Herny Pottinger und den chinesischen Unterhändlern, Ilipu (Vizekönig von Chekiang/Zhejiang) und Ch'iying, gehen weiter. Sie haben sich in einem Gebäude außerhalb der Mauern von Nanking getroffen. Es gibt einen weiteren Unterhändler, Niew-kien, von dem es heißt, er sei ein naher Verwandter des Kaisers; sein Name bedeutet Ochse; er ist ein Schwergewicht und sieht diesem Tier auch ein bisschen ähnlich.  

Donnerstag, 18. – In den nördlichen Gebieten Chinas soll es große Probleme geben, weil wir alle Versorgungstransporte auf dem Großen Kanal gestoppt haben. Es soll große Erbitterung gegen die Mandarine herrschen.

Freitag, 19. –  Der kaiserliche Sekretär heißt Yang und ist ein kluger Chinese. Es wurde vom Plenipotentiary [dem britischen Bevollmächtigen und Oberbefehlshaber Sir Henry Pottinger, im Folgenden meistens als »Plenipo« bezeichnet] Befehl gegeben, die Chinesen freundlich zu behandeln, da nun die Friedensverhandlungen in Gang seien.

Samstag, 20. – Großer Tag an Bord des Flaggschiffes, wo es ein Treffen des Plenipo, des Admirals und des Generals mit den kaiserlich chinesischen Unterhändlern und deren Gefolge gab. Als erstes wurde Sir Henry Pottinger mit einem Salut von 15 Schuss empfangen. Bald danach kam eine Reihe Boote vom Stadttor den Kanal hinunter; eins führte die kaiserliche Fahne, gelb mit schwarzen Schriftzeichen und einem roten Rand. Die anderen Boote – außer den militärischen – führten weiße Parlamentärsflaggen. Der Dampfer Medusa wartete schon darauf, die Leute aufzunehmen. Sie wurden an Bord des Flaggschiffes mit einem Salut von 3 Kanonen begrüßt, dem üblichen chinesischen Salut für hochrangige Personen. Ilipu, der ein alter, kränklicher Mann zu sein scheint, brauchte Hilfe, um die Treppe herauf zu kommen. Auf dem Achterdeck wurden sie von Admiral, General und den höheren Offizieren in Galauniform begrüßt.
   Ein Ehrenspalier von Seesoldaten präsentierte das Gewehr, als Ilipu das Deck betrat. Der Plenipo trug seine offizielle Uniform in blau, mit Gold bestickt, und ging den hohen Kommissaren über das halbe Deck entgegen. Es gab ein großes Gefolge an Mandarinen und auch eine Menge von Marine- und Armeeoffizieren in Galafuniform auf der Poop [höchster Teil des Achterdecks]. Ilipo trug ein blaues Gewand, eine rote Schärpe und einen Korallenknopf auf seinem kegelförmigen Strohhut. Der Verwandte des Kaisers trug eine blaues Gewand aus Krepp mit einer gelben Schärpe und einen Korallenknopf. Der General der tatarischen Armee trug einen gelben Kreppmantel und eine Pfauenfeder. Dann gab es noch Mandarine aller Klassen mit roten, blauen und weißen Knöpfen.
   Der Leiter der Delegation ging in die Admiralkajüte zu Verhandlungen und Erfrischungen; Mr. Morrison war der Dolmetscher. Die anderen Mandarine wurden –  zum Teil in der Offiziersmesse, zum Teil in der Kadettenmesse – mit Cherry Brandy, Wein und Rum mit braunem Zucker traktiert, bis einige von ihnen nicht mehr allzu sicher auf den Beinen waren. Sie wurden durch die Haupt- und unteren Decks geführt und waren überrascht von Anzahl und Größe der Geschütze. Ilipo wollte einen der Offiziersdegen näher betrachten, und so überreichte ihm Leutnant Fitzjames den seinen; Ilipo bog ihn, um den Stahl zu testen, und der Degen brach; von englischen Degen wird er nicht mehr viel halten.
   Nach einem Aufenthalt von etwa zwei Stunden bestiegen die Chinesen wieder die Admiralsbarkasse und die übrigen Boote und wurden an die Mündung des Kanals zurückgerudert, wo sie wieder in ihre eigenen Boote und Dschunken umstiegen und wir sie aus den Augen verloren. Ich habe keine Zweifel, dass sie froh waren, dass alles vorbei war, denn nachdem sie zu uns an Bord gekommen waren, wirkten sie zunächst recht nervös. Während ihrer Zeit an Bord war die Stadtmauer dicht besetzt mit ihren Leuten. Es war ihr eigener Vorschlag gewesen, unseren Plenipo an Bord aufzusuchen.

Montag, 22. –  Ilipo und die anderen Mandarine hätten heute den Plenipo und die britischen Offizier an Land empfangen sollen, aber das Wetter wurde so schlecht, dass der Besuch abgesagt wurde. Ich musste auf das Flaggschiff wegen der wieder aufgetretenen Krankheitsfälle; seit wir auf dem Yangtze sind, ist es fürchterlich. Ich traf Dr. King im Lazarett an, er steckte bis zum Hals in Arbeit, denn sein Assistent Stanley ist auch krank und der zweite Assistent ist an ein anderes Schiff ausgeliehen.

Mittwoch, 24. – Gegen acht Uhr morgens wurde eine Ehrenwache der Infanterie des 18. Regiments und von Offizieren unter dem Kommando von Hauptmann Wigston an den Ort des formellen Gegenbesuchs zum Treffen der kaiserlichen und britischen Offiziere in Marsch gesetzt. Ich begab mich mit den Offizieren des 18. zunächst auf die Fregatte Blonde, wo wir uns alle versammelten, und von dort zu dem Flussarm, der zum Stadttor führt. Es war nicht einfach, die Boote über eine Anzahl von gesunkenen Dschunken hinweg zu bringen, über die der Fluss reißend dahin strömte, obwohl die Matrosen in der voran gegangenen Woche schon eine Durchfahrt geschaffen hatten.
   Wir landeten an einer Anlegestelle unter einer Art von hölzernem, reich verzierten Tor und marschierten hinter unseren Führern eine schmutzige Vorstadtstraße hinauf bis zu einem großen Götzentempel auf der der Stadt abgewandten Seite des Kanals. Hier trafen wir auf eine Anzahl von Mandarinen niedrigen Ranges und wurden in einen großen Hof geführt, in dem eine tatarische Wache in zwei schräg verlaufenden Linien stand. Sie waren unbewaffnet. Es waren gut gebaute, dunkle, vom Wetter gegerbte Männer mit Fuchs- oder Eichhörnchenschwänzen an ihren Kopfbedeckungen; jeder fünfte war ein Offizier mit einer Standarte. Dann ging es durch einen weiteren Torbogen, in dem riesige Figuren chinesischer Götter standen, in einen zweiten Hof, in dem sich die Grenadiere des 18. Regiments auf beiden Seiten des Weges aufgestellt hatten; ihre blanken Waffen und Bajonette blinkten in der Sonne. Durch den Dienst im Feld waren die Leute sehr kräftig; ihre Kapelle, ganz in weiß gekleidet, spielte »St. Patrick's Day«.
   Auf chinesischer Seite gab es zwei oder drei Kapellen, die nicht eben musikalisch klangen, sondern eher wie asthmatische Dudelsäcke. Am Ende des zweiten Hofes stiegen wir zwei oder drei Stufen hinauf und betraten eine große Halle, an deren Ende der Empfangssaal lag. Der war voller Offiziere der Marine und der Armee in Galauniform. In der Mitte stand ein Tisch, bedeckt mit frischen und eingemachten Früchten, Wein, Tee und ähnlichem; diese Dinge wurden von den untergeordneten Mandarinen herumgereicht. Am Ende des Raumes saß in einem Lehnstuhl der Plenipo, Sir Henry Pottinger, zu seiner Rechten General Sir Hugh Gough und zu seiner Linken Admiral Sir William Parker. Zur Rechten des Generals saß Ilipo, der Oberbevollmächtigte, und zur Linken des Admirals Ch'i Kwang, Onkel des Kaisers, und daneben Niew-kien, der Gouverneur der Provinz. Mit Stoff verkleidete Stühle standen überall im Raum, der Fußboden war mit rotem Stoff bedeckt. Es war eine prächtige Szene.
   Unsere Seite glänzte in Scharlach, Blau und Gold; wir stellten sogar die Mandarine in den Schatten, die ihre leichten Sommergewänder trugen. Im Vorraum wurde ein Bankett serviert und die Ehrenwachen bekamen Erfrischungen in einem anderen Gebäude, wahrend Wachposten die zusammenstellten Waffen bewachten, die die Tataren mit Interesse beäugten.
   Alles war gedrängt voll mit Mandarinen aller Ränge und Hutknöpfe; sie waren sehr höflich. Vier Dolmetscher hatten wir dabei, Morrison, Gützlaff, Thorn und Davies.
   In dieser Halle standen ein großes Modell der Porzellanpagode und einige merkwürdige Götterbilder. Kuchen und Süßigkeiten sowie Gerichte unbekannter Komposition, Weine und einheimische Getränke wurden herumgereicht, von denen manche gut schmeckten, außerdem gab es kleine Tassen mit schwachem Tee. Es gab viel Zuprosterei und nach ein paar Stunden war der Besuch zu Ende. Die Band stimmte »The British Grenadiers« an, die Ehrenwache marschierte durch eine Doppelreihe tatarischer Soldaten und spielte zum Schluss »God Save the Queen«. Wir marschierten hinterher; die Mandarine begleiten uns den halben Weg durch den Hof und verabschiedeten sich dann.
   Wir bestiegen unsere Boote und fuhren hintereinander zum Fluss und dann zu unserem jeweiligen Schiff. Dschunken mit vielen Einheimischen an Bord lagen am Ufer, als wir vorbei fuhren. Es gibt auch schöne Bäume auf beiden Ufern, verteilt zwischen den Häusern. Ich sah nur ein einziges weibliches Wesen: Sie sah aus einer der großen Dschunken heraus und war jung und ganz hübsch.

Samstag, 27. – Sir Henry Pottinger war auf Einladung der kaiserlichen Gesandten mit einer Abteilung berittener Artillerie in der Stadt. Die Araberpferde wurden von den Mandarinen sehr bewundert.

Montag, 20. – Der Friedensvertrag wurde an Bord der H.M.S. Cornwallis von den kaiserlichen Gesandten unterzeichnet. Sie kamen um elf Uhr morgens unter einem Salut von drei Schüssen an Bord. Der Kaiser hat eine Botschaft geschickt, dass er den Bedingungen zustimmt und sie auch in Kraft setzen wird. Eine einfarbige gelbe Flagge wurde am Großmast gehisst und erhielt einen Salut von 21 Schuss.
Folgende Artikel enthält der heute unterzeichnete Vertrag:
1. Es herrscht dauernder Friede und Freundschaft zwischen den beiden Nationen.
2. China zahlt 21 Millionen Dollars im Laufe dieses und der nächsten drei Jahre.
3. Die Häfen von Kanton, Amoy [Xiamen], Fuzhou, Ningpo [Ningbo] und Shanghai werden für britische Kaufleute geöffnet. Konsularbeamte werden ernannt, die in diesen Städten residieren; es werden für alle gültige und angemessene Zolltarife für Export und Import bestimmt und öffentlich bekannt gegeben.
4. Die Insel Hongkong wird auf ewig Ihrer Britannischen Majestät, ihren Erben und Nachfolgern übergeben.
5. Alle Untertanen Ihrer Majestät, ob aus Europa oder Indien stammend, die in irgendeinem Teil des chinesischen Reiches festgehalten werden, werden ohne Auflagen in Freiheit gesetzt.
6. Der Kaiser wird mit seiner eigenhändigen Unterschrift und seinem eigenen Siegel allen Seinen Untertanen kund tun, dass eine vollständige Amnestie für alle Chinesen in Kraft tritt, die wegen Umgangs mit oder Diensten für die Britische Regierung oder ihre Beamten verurteilt worden sind.
7. Korrespondenz zwischen den Beamten beider Regierungen findet nach dem Grundsatz absoluter Gleichberechtigung statt.
8. Nach des Kaisers Zustimmung zu diesem Vertrag und erfolgter Zahlung der ersten 6 Millionen ziehen sich die Truppen Ihrer Majestät aus Nanking, vom Großen Kanal und vom Militärstützpunkt Chinhai [Zhenjiang] zurück, aber die Inseln Ko-lung-soo [Gu-lang-yu bei Amoy/Xiamen] und Chusan [Zhoushan] werden gehalten, bis die Zahlungen vollständig geleistet und die Verfahren für die Öffnung der Häfen abgeschlossen sind.

So endet der chinesische Krieg. Über die dahinter stehende Politik und deren Rechtfertigung mögen kennntnisreichere Richter urteilen, aber eins zumindest missfällt mir: Das Problem mit dem Opium. Es hat das Leben vieler Tausender Menschen gekostet, viel Vermögen zerstört und viel Elend und Kummer verursacht.

Cree, Edward
The Cree Journals – The Voyages of Edwar H. Cree, Surgeon R.N., as Related in His Private Journals, 1837-1856
Exeter 1981
Übersetzung: U. Keller

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in China seit 630
Wien 2006

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