Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1805 - Adam Johann Krusenstern
Piraten vor Macao

Um 5 Uhr Abends sahen wir eine große Flotte von Booten, die aus 300 Segeln zu bestehen schien, unter der Insel Lantoo vor Anker liegen. Wir hielten sie für Fischerboote und segelten daher ruhig vorüber. Nachher erfuhren wir aber in Macao, dass dies eine Flotte von chinesischen Seeräubern gewesen war, welche an den südlichen Küsten von China schon seit 3 Jahren rauben, und jedes Schiff, das nicht auf seiner Hut ist und ihnen nicht stark bewaffnet zu sein scheint, angreifen. Sie hatten auf diese Art vor einiger Zeit ein amerikanisches Schiff und noch ganz kürzlich zwei portugiesische Fahrzeuge, das eine zwischen den Lema-Inseln, und das andere, welches aus Cochin-China kam, an der Küste von China in einer geringen Entfernung vom Lande genommen. Über das Schicksal des Amerikaners war man noch ungewiss. Man erfuhr aber, dass auf den portugiesischen Schiffen alle ermordet worden waren, welche nicht in die Dienste der Seeräuber treten wollten. Einige von der Mannschaft der portugiesischen Schiffe verstanden sich dazu, und es gelang ihnen nach einiger Zeit zu entwischen. Die Schiffe waren, nachdem sie sie geplündert hatten, von ihnen verbrannt worden.
    Diese Seeräuber haben in ihren Flotten Schiffe von 10 Tonnen, welche mit 150 bis 250 Mann bemannt, und mit 10 bis 20 Kanonen bewaffnet sind. Die geringsten ihrer Boote haben eine Besatzung von 40 und 50 Mann. Gelingt es ihnen ein Schiff zu entern, so sind sie, ihrer überlegenen Anzahl von Mannschaft wegen, ihrer Beute gewiss. Sie würden weit gefährlicher sein, wenn sie mehr Mut und mehr Geschicklichkeit in ihren Manövern besäßen und mit ihrer Artillerie umzugehen verständen. Auch jetzt war man selbst auf der Reede von Macao, und sogar in der Typa, vor ihren Angriffen nicht sicher. Die Fahrt zwischen Macao und Canton war besonders gefährlich. Die Mitglieder der englischen Faktorei mussten auf ihrer Fahrt von Macao nach Canton sich von bewaffneten Booten zweier in der Bocca Tigris liegenden englischen Fregatten convoyiren lassen, nachdem sie schon einmal in Gefahr gewesen waren, diesen Räubern in die Hände zu fallen. Die englische Brigg Harrier von 18 Kanonen, Kapitän Radsey, kreuzte hier schon seit 10 Wochen, so wie auch zwei bewaffnete portugiesische Fahrzeuge; das eine von diesen hatte kürzlich eine Bataille mit 80 Räuberbooten gehabt, war indes doch so glücklich gewesen, sich durchzuschlagen. Nur der starke Sturm konnte die von uns gesehene Flotte abgehalten haben, uns anzugreifen. Diese Räuber hätten um so gewisser ihres Erfolgs gegen uns sein können, da wir nicht den geringsten Argwohn hatten, und ihre Schiffe für Fischerboote hielten, die, wie bekannt, hier in großen Flotten auf den Fischfang ausgehen.
    Um 7 Uhr abends, den 20. November, ließen wir unseren Anker auf der Reede von Macao in 7 Faden fallen.
   
Krusenstern, Adam Johann von
Reise um die Welt in den Jahren 1803, 1804, 1805 und 1806
2. Band, St. Petersburg 1811

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