1883 - Ernst Haffter
Die Wasser- und die Mistuhr
Kanton / Guangzhou
Als interessantes Beispiel für die Zähigkeit, mit der die Chinesen am Alten - und wenn es noch so unvollkommen ist - festhalten, notiere ich hier ein Wasseruhrwerk, dem wir auch einen Besuch abstatten. Im oberen Stockwerk eines steinalten Turms tröpfelt jetzt noch, wie schon vor 3.000 Jahren, Wasser aus einem Reservoir in eine Reihe terrassenmäßig eingemauerter Gefäße; das Steigen des Wasserspiegels bis zu bestimmten, durch Gravuren bezeichneten Stellen entspricht im obersten Gefäß genau einer Stunde und wird durch einen Wächter an einer allen Observationstürmen der Stadt sichtbaren Tafel markiert. Nicht weniger primitiv und originell ist die daneben funktionierende Kontrolluhr; sie besteht aus langen Zylindern von getrocknetem Büffelmist, denen in Entfernungen von zirka einem Fuß je ein schwarzer Querring aufgemalt ist. Ein solcher Mistzylinder glüht - einmal in Brand gesteckt - gleichmäßig weiter, und zwar braucht es zur Veraschung eines der bezeichneten Abschnitte gerade eine Stunde. So kontrollieren sich Wasser und Feuer gegenseitig, aber wie unexakt das Verfahren ist, sieht jedermann ein. Und doch halten sich die Chinesen seit Jahrtausenden an diesen Zeitmesser und geschehen z.B. in Kanton auch jetzt noch die öffentlichen Zeitbestimmungen danach.
Haffter, Ernst
Briefe aus dem Fernen Osten
5. Auflage, Frauenfeld 1898