1806 - Adam Johann von Krusenstern
Über den Handel von Canton
Guangzhou
Der Zustand des europäischen Handels in China hat seit den letzten zwanzig Jahren manche große Veränderung erlitten. Vor dem Französischen Revolutionskriege nahmen alle europäischen Nationen, mit Ausnahme von Russland und Deutschland, Teil an dem so großen Gewinn bringenden Handel nach Canton; doch betrug die Ausfuhr von China nach England seit der Commutations-Taxe in 1784 mehr, als die Ausfuhr aller übrigen Länder Europas zusammengenommen. Schon damals fingen die seit wenigen Jahren unabhängig gewordenen Amerikaner ihren Handel nach Canton an (im Jahre 1789 hatten die Amerikaner schon 15 Schiffe in Canton), der seit dieser Zeit in dem nämlichen Verhältnis zugenommen hat, wie der Handel der anderen Nationen, England ausgenommen, abnahm. Indes kann, wie man anfänglich geglaubt hat, der Handel Englands durch die gefährlich scheinende Konkurrenz der Amerikaner keinen Stoss erhalten, da die aus Canton auf englischen Schiffen ausgeführten chinesischen Waren alle entweder in England selbst, wo bekanntlich die Konsumption von Tee ungeheuer groß ist, oder in dessen ausgedehnten Kolonien in Ost- und West-Indien, in Amerika und Neu-Holland [Australien], abgesetzt werden.
In Betreff des Handels der übrigen europäischen Nationen nach China waren es die Holländer, welche in alten Zeiten nach den Engländern die meisten Schiffe nach Canton sandten; obgleich nie über fünf Schiffe jährlich dort von ihnen anlangten, so sehr auch die Nähe einer so reichen Kolonie, wie die von Java ist (die übrigen Besitzungen auf Malacca, Banca, Sumatra und Borneo, welche Zinn, Pfeffer, Vogelnester und andere Artikel für den chinesischen Handel liefern könnten, nicht zu rechnen), den holländischen Handel nach Canton wohl hätte beträchtlicher machen müssen. Seit 1795 ist kein holländisches Schiff in Canton angekommen. Die Faktorei wird indes in Erwartung besserer Zeiten noch erhalten, und den Mitgliedern derselben, deren sechs sind, jährlich ihre Besoldung ausgezahlt. Obgleich sie gar keine Geschäfte machen, kommen sie dennoch des alten Gebrauchs wegen im Oktober nach Canton und kehren in Februar nach Macao zurück.
Die Franzosen haben nie mit Nachdruck nach China gehandelt, und ihre Geschäfte dahin haben seit der Revolution ganz aufgehört. Auch der spanische Handel nach China müsste, der Nähe der Philippinen wegen, sehr ansehnlich sein; die Spanier schicken aber jährlich selten mehr als ein oder zwei Schiffe dahin, und oft kommt gar keins von ihnen an. Seit dem Kriege mit England hat ihr Handel ohnehin aufgehört. Von Manila gehen indes einige kleine Fahrzeuge nach Emoy an der Südost-Küste von China.
Bei den großen Vorteilen, welche die Portugiesen durch den Besitz von Macao genießen, da sie dadurch aller Schikane der chinesischen Zoll- und Regierungsbeamten und der kostspieligen Ausgaben, welche die Schiffe der anderen Nationen, die nach Whampoa gehen, ausgesetzt sind, entgehen, müsste ihr Handel nach China sehr blühend sein. Er beschränkt sich indes nur auf zwei oder drei Schiffe, die jährlich nach Europa abgehen, und auf fünf bis sechs, welche sie nach Bengalen schicken. Von den Ladungen der letztern gehört ihnen nichts; denn sie werden ganz auf Kosten der Engländer in Bengalen beladen, und die Ware nur unter portugiesischer Flagge nach Macao geführt.
Der Handel der Schweden nach China ist seit der Commutations-Acte in England und dem Kriege von 1788 mit Russland, während dessen der König große Summen Geldes von der Gothenburger Compagnie genommen hat. sehr schwankend gewesen. Sie haben indes nie über drei Schiffe nach Canton, und seit dieser Acte nur zwei, oft auch nur eins, und in manchen Jahren gar keins geschickt. Auch in diesem Jahre war kein Schiff aus Schweden angekommen; und jetzt soll, wie ich seitdem gehört habe, die Compagnie in Gothenburg ganz aufgehört haben.
Der Handel der Dänen ist sehr regelmäßig und wird mit großer Ordnung und Ökonomie geführt. Doch haben sie nie mehr als jährlich zwei Schiffe nach Canton abgefertigt.
Das Schicksal der Österreichisch-Kaiserlichen Ostindischen Compagnie in Ostende ist bekannt. Man hat zwar auch seitdem in Canton Schiffe unter österreichischer Flagge, so wie auch unter ragusanischer, genuesischer, toscanischer, hamburger und bremer Flagge gesehen; sie sind aber immer nur auf Rechnung englischer Kaufleute nach Canton geschickt worden, da an diesem Handel in England, weil er ein Monopol der Englisch-Ostindischen Compagnie ist, Privat-Kaufleute keinen Anteil nehmen dürfen.
Aus dieser kurzen Übersicht wird man sich überzeugen, dass nur der Handel der Engländer und Amerikaner von einigem Belang ist, und dass besonders der Handel der Amerikaner nach China außerordentlich zugenommen hat. Sie binden sich an keine Jahreszeit, und es vergeht kein Monat im Jahre, wo man nicht amerikanische Schiffe in Canton ankommen und von dort abgehen sieht. Die meisten kommen von der Nordwest-Küste von Amerika und bringen Pelzwerk; eine Ware. welche zwar in neueren Zeiten sehr im Preise gefallen ist (es lässt sich indes vermuten, dass der Preis eines Seeotterfells nie unter 18 bis 20 Piaster fallen wird), die aber doch immer einen so gewissen Absatz findet wie Baumwolle, Zinn und Opium. Sehr viele Amerikaner kommen jedoch auch aus Amerika und Europa. Die Ladungen dieser letztern bestehen aus barem Geld und europäischen, amerikanischen und ostindischen Produkten, wie Franzbranntwein, Rum, Weine, und Schiffsmaterialien wie Teer, Masten, Eisen, Tauwerk u.s.w. Einige laufen in Batavia und dem Vorgebirge der Guten Hoffnung ein und bringen ganze Schiffsladungen von Arrak und Wein von dort, zum Gebrauch der in Canton liegenden europäischen Schiffe. Sie laden dagegen Nankin, Porzellan und Seide, vorzüglich aber Tee. Eine Ladung Tee in Canton einzunehmen, ist nie mit Schwierigkeiten verbunden. Da die Magazine der chinesischen Kaufleute mit dieser Ware zum Überfluss angefüllt sind, so verhandeln sie den Tee nicht nur zu einem billigen Preise, sondern nehmen auch die Ware des Verkäufers dagegen zu einem viel höhern Preise an. Nankin und Seide sieht man in Canton nicht als Ware, sondern als bares Geld an, und für bares Geld kauft der Kaufmann nicht gern. Wenn nicht zu große Ursache zum Misstrauen da ist, so gibt der chinesische Kaufmann sogar gern eine Ladung Tee auf Kredit, um ihn nur loszuwerden. Aus diesen Grunde nehmen die Amerikaner diese Ware vorzüglich; denn sie haben den Vorteil, dass sie ihre eingeführte Ladung besser verkaufen und auch schneller abgefertigt werden; und das letztere ist in Canton besonders wichtig, da der dortige Aufenthalt mit großen Kosten verknüpft ist und die Gesundheit der Mannschaft während desselben sehr leidet. In Amerika ist der Geschmack an Tee so allgemein verbreitet wie in England, denn die Amerikaner haben diesen Geschmack von den Engländern geerbt, und aus diesem Grunde ist die Konsumption desselben dort sehr stark; die Kaufleute finden daher immer einen gewissen Absatz dieser Ware in Amerika. Das, was sie dort nicht zu verkaufen hoffen, bringen sie nach Frankreich, Holland und den Häfen des nördlichen Deutschland.
Die Amerikaner möchten wohl im Handelsgeiste von keiner Nation übertroffen werden. Als geschickte Seefahrer bemannen sie ihre Schiffe mit einer geringern Anzahl von Matrosen als andere, und es scheint nicht möglich zu sein, ihnen hierin etwas zuvor zu tun. Dabei segeln ihre vortrefflich gebauten Schiffe schneller als manche Kriegsschiffe. Ich habe Kapitäne in Canton gekannt, die ihre Reise von dort nach Amerika und von da wieder zurück nach Canton in zehn Monaten gemacht haben.
Krusenstern, Adam Johann von
Reise um die Welt in den Jahren 1803, 1804, 1805 und 1806
2. Band, St. Petersburg 1811