Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1872 - Nikolai Michailowitsch Prschewalski
Endlich am Kuku-nor
See Qinghai

Hinter dem nicht hohen Rücken, welcher die Wasserscheide zwischen diesem Flusse [Tetung-gol] und dem Bassin des Kuku-nor bildet, ändert sich der Charakter der Berge; ihr Umfang, mit Ausnahme des Hauptrückens, verringert sich, man sieht weniger Felsen, die Abhänge werden milder und sind häufig mit buschigen Sümpfen bedeckt, welche übrigens in allen Tälern vorherrschen. Die Sträucher verschwinden gänzlich, und hiervon macht nur der gelbe kurilische Teestrauch eine Ausnahme, welcher größere Flächen dicht bedeckt. Mit einem Wort, alles verkündet die Nähe der Steppe von Kuku-nor, in dessen Ebene wir am 12. Oktober gelangten. Einen Tag später schlugen wir unser Zelt am Ufer des Sees selbst auf.
    Traum meines Lebens - du bist in Erfüllung gegangen! Das ersehnte Ziel der Expedition war erreicht! Das, wovon ich vor kurzem nur noch träumte, war nun zur Wirklichkeit geworden! Es ist wahr, dieser Erfolg war um den Preis vieler schwerer Prüfungen erkauft, aber jetzt waren alle durchlebten Leiden vergessen und voller Freude stand ich mit meinem Begleiter am Ufer des großen Sees und labten uns an seinen wundervollen, tiefblauen Wogen! ...
    Der See Kuku-nor, von den Tanguten Zock-gumbum und von den Chinesen Zin-chai genannt, liegt westlich von der Stadt Sining in einer absoluten Höhe von 3.315 Meter. Die mongolische Benennung bedeutet »Blauer See«, die chinesische »Hellblaues Meer«; die Bedeutung der tangutischen Bezeichnung konnten wir nicht erfahren. Die Mongolen der Umgegend, wie überhaupt die südlichen Mongolen, nennen diese See Chuchu-nor, d.h. bei ihnen wird das harte »K« durch da etwas weichere »Ch« ersetzt. Die Form des Sees ist eine gestreckte Ellipse, deren Längenachse von West nach Ost streicht. Der Umfang des Sees beträgt dreihundert bis vierhundert Kilometer; eine genauere Messung war unmöglich, aber die Bewohner der Umgegend sagen, dass man vierzehn Tage brauche, um zu Fuß um den See zu kommen, während man ihn in sieben bis acht Tagen zu Pferde umreiten kann.
    Die Ufer des Sees sind nicht gebuchtet und sind sehr flach, das Wasser salzig und zum Trinken unbrauchbar. Aber dieser Salzgehalt teilt der Oberfläche dieses Sees eine ausgezeichnete schöne, tief dunkelblaue Farbe mit, welche selbst die Aufmerksamkeit der Mongolen auf sich lenkt, sodass sie ihn sehr glücklich mit einem Stücke blauen Seidenzeuges vergleichen. Im Allgemeinen ist der Anblick des Sees ungemein angenehm; besondern ist dies der Fall, wenn man ihn in der Zeit, in welche wir an ihn anlangten, im Spätherbste, betrachtet, wenn die benachbarten Gebirge schon mit Schnee bedeckt sind und gleichsam einen weißen Rahmen um den breiten sammetblauen Wasserspiegel bilden, welcher im fernen Osten, weit von unserm Lagerplatze, verschwand.

Prschewalski, Nikolai Michailowitsch
Reisen in der Mongolei, im Gebiet der Tanguten und den Wüsten Nordtibets in den Jahren 1870 bis 1873
Jena 1877; Nachdruck Lenningen 2004

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