Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1832 - Carl Gützlaff
Das Geschäft mit den Kulis
Provinz Guangdong

Wir segelten an den Küsten hin und gelangten am 22. März nach Kang-lä. Das Ufer dort ist eine große Sandebene, die allen Pflanzenlebens ermangelt, und auf der nur wilde Ananas zu finden sind; sie erinnerte mich lebhaft an die arabische Wüste. Jenseits dieser Sandebene liegt das Dorf Kang-lä, wo wir von den Einwohnern begierig erwartet wurden. Ihre Freude bei unserer Ankunft war ausnehmend groß, Neugierde und Gewinnsucht rief das ganze Volk zusammen. Allein der Geruch des umher liegenden Unrates war so unerträglich, dass wir bald das Freie suchen mussten.
   Zuckerfabrikation beschäftigt hier alle Hände. Nach allen Richtungen wimmelt das Land von Menschen, und es wäre eine menschenfreundliche Handlung der Regierung, würde sie den Überfluss der Bevölkerung nach den Inseln des Indischen Meeres schicken, wo ihnen ungeheure Flächen fruchtbaren Bodens zum Anbau angewiesen werden könnten. Zwar verhindert der Kaiser die Auswanderungen von Personen männlichen Geschlechtes aus den Provinzen Kanton [Guangdong] und Fukien [Fujian] nicht, aber Personen des weiblichen Geschlechtes dürfen das Land nicht verlassen. Die Folge davon ist, dass sich die chinesischen Auswanderer mit den Töchtern der Einwohner verehelichen, in deren Land sie sich niederlassen. Ihre Nachkommen ererben so ein zweifaches Maß von Lasterhaftigkeit, während die Nationaltugenden keine Rolle spielen. Indes leben die meisten Auswanderer im ehelosen Zustand zügellos dahin, und haben sie im Ausland ein kleines Vermögen errungen, so eilen sie so schnell wie möglich in ihre alte Heimat zurück. Auf diese Weise ist es kaum möglich, dass chinesische Kolonien im Auslande den Wohlstand und die Kraft gewinnen können, der sich von ihrem Gewerbsfleiß erwarten ließe.
   Ein günstiger Wind brachte uns an Tinghä [Dinghai] vorüber in die Nähe der Stadt Na-moh [Nan'ao]. Auf dieser Küste wird ein lebhafter Handel getrieben, indem die Regierung gegen ihre gewohnten Grundsätze sich genötigt sieht, die mächtige Bevölkerung dieser Gegend zu begünstigen, die jeden Augenblick mit Empörung droht, wenn der Handel stockt oder das Auswandern nach fremden Ländern gehindert werden soll. Von diesen Distrikten aus, die zu Fuh-hseu-fu [Fuzhou] gehören, ziehen die Leute scharenweise ins Ausland und sparen keine Mühe, um ihren spärlichen Lebensunterhalt zu gewinnen. Einen Teil der kümmerlichen Sparpfennige schicken sie Jahr für Jahr ihren Familien zu, die in der Heimat zurückgeblieben sind. Nicht ohne Bewunderung sieht man sie die gefahrvollsten Unternehmungen wagen, um durch einen kleinen Gewinn die Ihrigen vom Hungertode zu erretten. Ein ehrlicher Mann wird gesucht, um die Beiträge der einzelnen Auswanderer einzusammeln und in die Heimat zu bringen. Nach einem fröhlichen Mahle, das ihm seine Committenten geben, segelt er mit tausend Wünschen für seine glückliche Fahrt ins Vaterland, und dort wird er von großen Scharen willkommen geheißen, die sehnlich auf seine Hilfe warten. Der Betrag dieser Sendungen ist oft groß, er beläuft sich nicht selten auf mehr denn 60.000 Taler. Bei aller Sorgfalt, die man bei der Wahl des Beauftragten anwendet, so läuft indes derselbe doch häufig mit dem anvertrauten Geld in die weite Welt hinaus, und den armen Familien droht jetzt der Hungertod. Treu und Glauben gehören eben nicht gerade zu den Nationaltugenden der Chinesen, obgleich es auch ehrenvolle Ausnahmen unter ihnen gibt; dabei muss man zugleich zu ihrem Lobe bemerken, dass ihre Liebe zu den Ihrigen gewöhnlich so stark ist, dass weder Zeit noch Entfernung ihre freundliche Fürsorge für die Geliebten vernichten kann, die sie in der Heimat zurückgelassen haben. Kann ein Auswanderer auch nur einen Taler senden, so tut er es; lieber fastet er, um etwas für die Seinigen zu erübrigen, und so oft er Nachricht von sich gibt, so muss sie von einem kleinen Geschenk begleitet sein.
   Die Lage der chinesischen Auswanderer im Ausland ist meist sehr kläglich, und es mangelt ihnen geradezu an allem, was das Leben fordert. Nicht selten können sie schon ihre Überfahrtkosten nicht bezahlen und fallen dem Eigentümer des Schiffes anheim.
   Die Emigrantenschiffe erinnern lebhaft an die afrikanischen Sklavenhändlerschiffe. Das Verdeck ist mit Auswanderern überfüllt, die hier jeder Witterung preisgegeben sind. Ihre Nahrung besteht aus trockenem Reis und etwas Wasser; und dauert die Fahrt länger als erwartet, so droht ihnen der unausbleibliche Hungertod.
   Kaum werden sie am Lande ausgesetzt, so fallen sie mit gieriger Esslust über die indischen Früchte her, und viele werden durch die Ruhr ein Raub des Todes. Auch das Klima äußert seinen entnervenden Einfluss auf sie, jedoch raffen sie sich bald wieder auf und machen sich an die Arbeit; allein getäuschte Hoffnung macht sie bald müde und mutlos. Sie wollten große Reichtümer zusammenraffen, vermögen nun aber kaum ihren kärglichen Unterhalt zu gewinnen.

Gützlaff, Karl F.
Dreijähriger Aufenthalt im Königreich Siam nebst einer kurzen Beschreibung seiner drei Reisen in die Seeprovinzen Chinas in den Jahren 1831-1833

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in China seit 630
Wien 2006

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