1693 - Eberhard Isbrand Ides, Russischer Botschafter
Ankunft in China
Qiqihar
Nachdem wir nun so unter Gottes Schutz an den Grenzen Chinas angelangt waren, ließ ich alsobald meine Ankunft dem Mandarin, der aus Peking mich zu empfangen gesandt war, melden und begab mich darauf am 12. September morgens früh in einer guten, wohl gestellten Ordnung mit dem Gefolge, das ich bei mir hatte, auf den Weg, bekam auch bald darauf durch den, den ich abgeschickt hatte, Nachricht von dem Mandarin, dass er mit einem Gefolge von 80 Personen aus dem Flecken Xixigar (Qiqihar) mir entgegen reiten wollte und bereits auf dem Wege wäre.
Wir näherten uns einander mit langsamen Schritten und kamen eine Viertelmeile Weges vor dem oben genannten Flecken zusammen, wo ich vom Mandarin mit großer Höflichkeit bewillkommnet wurde. Nach abgelegten Komplimenten ritten wir miteinander ordentlich fort, was ein sehr gutes Ansehen machte, bis in den Flecken, wo ich ein sehr gutes Haus zu meiner Wohnung bekam; darüber hinaus wurden alle Personen meines Gefolges, ein jeder nach seinem Stand, auch die Kosaken, die ich bei mir hatte, in die besten Häuser des Fleckens gelegt.
Dieser Strich Landes liegt unter einem sehr veränderlichen, dabei aber nicht ungesunden Klima. Um den Mittag erhebt sich insgemein ein starker Wind, der nur zwei Stunden währt. Übrigens ist der Himmel selten mit Wolken bedeckt, so dass man fast allezeit einen immerwährenden Sonnenschein empfindet; durch ihn wie durch den täglichen Wind wird das Erdreich so sehr ausgetrocknet und aufgelockert, dass man den auffliegenden kleinen und sehr weißen Staub kaum vertragen kann. Die Veränderung dieses Klimas habe ich sehr eigentlich wahrgenommen, als ich aus dem Gebirge kam, denn ungefähr fünf deutsche Meilen [knapp 40 km] von dem Flecken Qiqihar sah man die Luft, so weit sich das Gebirge erstreckte, voll Wolken, aber nicht weiter; insbesondere wo die Berge endeten, war die Luft durch einen Windbogen von Westen nach Osten gegen das Gebirge [Da Hinggan Ling] voneinander deutlich abgesondert.
Was nun die Ehre, die mir da widerfahren ist, anlangt, so ließ mich der Mandarin, der ein wackerer, höflicher Mann war, den 14. des Monats mit großer Höflichkeit bei ihm zur Mahlzeit nötigen, was ich annahm. Als ich nun da erschien, wurde ich von ihm selbst sehr wohl empfangen und mit besonderer Freundlichkeit sehr verbindlich aufgenommen. Seine Traktamente bestanden in guten Suppen und gekochten Kräutern wie auch Gebratenem und Gebackenem, worauf zuletzt allerlei Konfekt und chinesische Früchte aufgesetzt wurden. Seine Mannschaften und Soldaten standen alle in guter Ordnung und ein jeder wusste seinen Platz mit so großer Ehrerbietung und so ordentlich zu bekleiden, wie es in Europa immer geschehen mag. Nur eins war mir dabei sehr verdrießlich, dass ich nämlich auf Matten und mit untergeschlagenen Beinen bei ihm sitzen musste, was mir sehr schwer fiel.
Den 15. diesen Monats genoss der Mandarin bei mir eine Ehre, zu der ich ihn den Tag vorher hatte nötigen lassen. Ich traktierte ihn auf europäische Weise und ließ ein Gläschen guten Sekt lustig herum gehen und dazu Pauken und Trompeten tapfer klingen; das vergnügte diesen lieben Herrn überaus, so dass er mit einem guten halben Rausch mit den Seinen nach Hause fuhr.
Am 25. hatte mich der Mandarin das zweite Mal zu Gaste und den darauf folgenden Tag war er wiederum bei mir zur Mittagsmahlzeit. Inzwischen hatte ich alles fertig machen lassen, was für mich und meine Leute für die Reise nach Peking einigermaßen nötig war. Ich lies den Mandarin darauf wissen, dass ich reisefertig wäre, worauf er mir alsobald in einer günstigen Antwort zu wissen tat, dass seine Fuhrleute, so viel ich deren bedürfte, nach Befehl seines Königs bereit wären mir aufzuwarten und dass ich mir möchte gefallen lassen, am 28. mit ihm die Reise fortzusetzen.
Ehe ich den geehrten Leser zu meiner Peking-Reise nötige, um sie mit mir zu betrachten, muss ich die Natur des Volkes, das in diesem Landstrich Qiqihar wohnt, mit wenig Worten beschreiben: Ungefähr eine Viertelmeile [etwa 2 km] von diesem Grenzflecken fließt der Fluss Naun (Nen-jiang), und an demselben liegt die Stadt Naunkaton (heute ein Teil von Qiqihar), die unlängst gebaut und mit Wällen, die von außen mit Holzwerk und guten Balken wohl versehen sind, umgeben ist. Die Einwohner dieser Stadt und die sechs großen Dörfer, die dazu gehören und gegen Mittag liegen, werden Daori oder nach der alten Sprache Dauri (Daurier oder Daghuren) genannt. Auch wird dieses Land bis in die heutige Zeit von den Tataren, die um den Fluss Nauna Gallo (Yalu) und in derselben Gegend bis Albazin (ein russisches Fort am Mittellauf des Amur) bewohnen, Dori genannt. Diese Menschen haben einen sehr guten Ackerbau und allerhand Gartenfrüchte, auch pflanzen sie viel Tabak; aber ihre Religion ist recht gottlos teuflisch, denn sie sind alle nach ihrer eigenen Aussage Schamanen, das sind solche Leute, die dem Teufel dienen und ihn anrufen. Ungefähr zu Mitternacht versammeln sich öfters verschiedene Nachbarn, sowohl Männer wie Weiber; da legt sich dann einer von ihnen ganz ausgestreckt auf die Erde nieder, und die Umstehenden machen mit einmütiger erhabener Stimme ein schreckliches Geschrei; andere schlagen auf gewisse Trommeln, und wenn die ein wenig aufhören, fangen jene ihr Geschrei wieder an, welches zuweilen zwei Stunden lang währt, bis derjenige, der auf der Erde liegt, ganz außer sich verrückt und verwirrt zu sein scheint, nach einem langen Geschrei sich aufrichtet und den anderen erzählt, wo er gewesen, was er gesehen und gehört habe; dabei vermeldet er auch das, was der eine oder andere der Gesellschaft von zukünftigen und anderen Dingen begierig zu wissen ist. Und in der Zeit, in der ich da war, ist keine Nacht vorbei gegangen, in der sich nicht hie und da einige von diesen Teufelsdienern mit ihrem Geschrei hören ließen.
Ihre Toten lassen sie drei Tage im Hause stehen; danach setzen sie sie in ein erhabenes Grab in den Gärten oder den Feldern; dann gehen die nächsten Freunde täglich zu dem Grab, an dessen oberem Ende ein Loch gemacht ist, und bringen dem Toten allerlei Speis und Trank und legen die Speise mit einem dazu gemachten Löffel im Grab auf des Verstorbenen Mund; Getränke aber von verschiedener Art setzen sie in kleinen Schüsseln aus Zinn rings um das Grab herum. Solches tun sie einige Wochen lang und danach vergraben sie die stinkende Leiche tiefer in der Erde.
Sie wohnen in Häusern aus Lehm oder Erde, die mit Riet oder dünnem Schilf gedeckt sind, wie in Europa an manchen Orten die Bauernhäuser. Die Wände sind innen zum Teil mit weißem Kalk bestrichen. Um einen Pfeiler im Haus, der ungefähr einen Klafter [etwa 1,7 m] hoch ist, haben sie die Därme von einem Tier gewickelt; daneben hängt ein kleiner Bogen mit Pfeilen, Spießen und anderen Waffen, denen sie dann und wann mit Bücken und Niederfallen abgöttische Ehre erweisen. Die Häuser sind nicht in Gemächer abgeteilt, und es sind auch keine Böden darin; fast das halbe Haus ist nur an den Wänden entlang mit einer Bank, eine Elle hoch, versehen, die ungefähr zwei Ellen breit ist und mit einer aus Schilf geflochtenen Decke belegt wird. Unter diesen Bänken befindet sich ein Schornstein, in welchem an der Tür des Hauses das Feuer von außen angemacht wird, und der an der anderen Seite des Hauses endet. Dieser Schornstein muss ihnen zur Winterszeit statt eines Fußwärmers oder Ofens dienen, obwohl es in dem Haus davon wenig warm wird; ausgenommen, dass die Menschen, die des Tages darauf sitzen und des Nachts darauf schlafen, dadurch etwas gewärmt werden.
Es stehen auch immer in diesen Häusern zwei gegossene und etwas verzierte eiserne Kessel bereit; in einem haben sie immer warmes Wasser, um Tee zu trinken, und der andere wird gebraucht, um darin die Speisen zu kochen. Das Haus hat ringsherum meistenteils große und kreuzweise gemachte Fenster, die statt des Glases mit Papier bekleidet sind; und wenn es warm ist, heben sie sie mit einem Stock in die Höhe, damit der kühle Wind unten durchs Haus wehe.
Die Menschen sind wohl gestaltet, vornehmlich die Weibsleute. Die Männer wie auch die Frauen und jungen Mädchen tragen Kleider wie die mandschurischen Tataren in China. Die Schreiber oder Mandarine, die in des Khans (Kaisers) Diensten stehen und hierher oder an Orte in der Tatarei gesandt werden, haben die Freiheit und daneben einen schriftlichen Befehl von ihren Khan, dass, wenn sie sich im Venusgarten verlustieren wollen, sowohl Frauen wie Jungfrauen nach ihrem eigenen Belieben von den Einwohnern weg zu sich nehmen dürften. Ich selbst habe öfter gesehen, wie sie die schönsten Frauenpersonen auf Wagen wie zur Schlachtbank weg führen. Einige Männer nun, die ihre Weiber auf eine solche Weise herzugeben genötigt werden, bilden sich noch etwas darauf ein, als ob es besondere Gunstbezeugung wäre, einen so vornehmen Herrn zum Schwager zu haben; andere aber, auch wenn sie nicht damit zufrieden waren, mussten doch aus Furcht vor Strafe oder Ungnade sich über dergleichen Begebenheit geduldig zeigen.
Wir erreichten ein Städtchen, Karakaton oder schwarze Stadt genannt (Shangdue, Sommerresidenz der Yuan-Dynastie), die mit eichenen Palisaden oder Sturmpfählen im Geviert umgeben war, mehr zum Schutz gegen die Tiger und Leoparden als gegen andere Feinde. Denn das Land hat hier und da hohe Steinklippen, auf denen Eichbäume und Gras wachsen und wo sich viele Tiger und Leoparden wie auch wilde Schweine und Hirsche aufhalten; deshalb reist man in dieser Gegend bis etwa an die große Mauer aus Furcht vor wilden Tieren des Nachts nicht. Man findet hier auch keine Pferde, Esel, Kamele oder Kühe; wenn es doch welche gibt, tragen sie ein eisernes Glöckchen um den Hals, vor denen die Tiger einige Furcht haben. Die Einwohner erzählten mir, dass selbst bei Tage oftmals Menschen, die sich in das Gebirge begeben, durch die Tiger zerrissen würden. Deshalb warnte mich der Mandarin, dass ich meinen Leuten gebieten sollte, sich nicht vom rechten Wege zur Seite in das Gebirge zu wenden, damit sie nicht den wilden Tieren zum Raube würden. Bei Tage halten sie sich auf den höchsten Spitzen der Berge auf, des Nachts gehen sie auf Raub aus.
Im August kommt alle Jahre der der König von China an diesen Ort auf die Tigerjagd, da hat er dann 2.000 oder 3.000 Mann der besten Bogenschützen aus der Tatarei bei sich, einige führen auch Lanzen. Wenn man nun die Tiger aufjagen will, so geht der König selbst zu Fuß auf den Berg voraus und seine Mannschaft, die er mit Lanzen, Bogen und Pfeilen bewaffnet mit sich führt, umringt und besetzt den Berg bis an die höchste Spitze. Wenn nun Tiger sich auf dem Berg befinden, und diese gewahr werden, dass sie umringt sind, so suchen sie mit aller Gewalt in großen Sprüngen durch das Volk zu setzen, werden aber so lange mit Trommeln und Glocken herum gejagt, bis sie an die Stelle kommen, wo sich der König selbst befindet, der dann die näher und näher kommenden Bestien mit eigener Hand durch Bogen und Pfeile fällt, ohne das er für seine Person dabei eine Gefahr zu besorgen hat, weil sehr viele seiner Leute um ihn sind, die ihn in jedem Fall mit ihren Lanzen vor diesen ergrimmten Tieren wohl zu beschirmen wissen. Mit dieser Kurzweil bringt der König etliche Wochen zu, da indessen auch viel nutzbares Wild wie wilde Schweine, Hirsche, Rehe, Hasen wie auch Wölfe und Füchse gejagt werden. Das habe ich nicht nur von den Einwohnern des Landes, sondern auch von den Jesuiten, von denen jedes Jahr zwei oder drei mit ihm auf diese Jagd ausziehen, vernommen.
Hundt, Michael (Hg.)
Beschreibung der dreijährigen chinesischen Reise – die russische Gesandtschaft von Moskau nach Peking 1692-1695
Neuausgabe Stuttgart 1999