Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1765 - Carsten Niebuhr
Die Ruinen von Persepolis

Am 13. März brauchten wir noch zwei Stunden bis an den Fluß Bend emir. Dies ist der Araxes der alten griechischen Schriftsteller. An diesem Wege ist jetzt kein einziges Dorf mehr. Der erwähnte Fluß ist sehr reißend, und die Brücke über demselben, welche von gebrannten Ziegelsteinen erbaut ist, über 300 Fuß lang. Von Schiras bis an diese Brücke waren wir auf dem Weg nach Isfahan geblieben. Wir verließen selbigen hier, und gingen mehr östlich, gerade nach den prächtigen Überbleibseln von Persepolis; denn ob ich gleich wußte, daß daselbst kein Dorf in der Nähe war, wo ich gleichsam mein Hauptquartier nehmen könnte, so hatte ich mir, nachdem was ich von diesen Ruinen gehört und gelesen hatte, solche Vorstellungen davon gemacht, daß ich mich nicht enthalten konnte, selbige gleich zu besuchen, und mich erst nachher wegen eines Quartiers umzusehen. Mein Führer brachte mich gegen Abend nach Merdast, einem schlechten Dorf eine Stunde Weges nach Süden von den Ruinen. Hier empfahl er mich dem Kalantar oder Dorfschulzen, der mich sehr freundlich empfing, und mir eine Kammer in einem kleinen Hause anwies, in welchem Reisende zu logieren pflegten.
    Von der eigentlichen Stadt Persepolis findet man jetzt wohl nicht viel mehr Überbleibsel, als von Memphis, der ehemaligen Hauptstadt von Ägypten. Beide diese Städte lagen in sehr furchtbaren Ebenen. Nach ihrer Zerstörung wurden die besten Baumaterialien, die ohne allzu große Mühe transportiert werden konnten, nach den neuen Hauptstädten gebracht, das übrige ward nach und nach von dem dahin gewehten Sand gleichsam begraben, und zuletzt der Grund der ehemals berühmten Städte zu Kornfeldern gebraucht. Die prächtigen Ruinen von Persepolis, die wir noch jetzt bewundern, sind wahrscheinlich Überbleibsel von einem Tempel, oder königlichen Palast, und diese haben ihre Erhaltung nicht so wohl der Menge und Größe ihrer Steine, als ihrer hohen Lage zu danken; der Staub, welcher hierher geweht wird, war größtenteils gleich in die unterliegende Ebene geführt. Man sieht daher noch an vielen Stellen den bloßen Felsen, oder den mit überaus großen Marmorstücken belegten Fußboden der Gebäude: so wie man bei den großen Pyramiden von Kahira, die gleichfalls auf einer Anhöhe gebaut sind, auch noch den bloßen Felsen sieht, der ihretwegen abgetragen ist.
    Die Perser nennen diese Altertümer Tacht Jamschid, d. i. die Residenz des Jamschid, und sind der Meinung daß dieser, einer ihrer ältesten Könige, den Grund dazu gelegt habe. Gemeiniglich nennt man sie Tschil minar, d. i. vierzig Säulen. Den letzten Namen haben sie vielleicht daher erhalten, weil die Mohammedaner bei ihrer Ankunft in Persien hier etwa noch vierzig Säulen aufrecht fanden. Jetzt stehen davon noch 19 innerhalb der Ringmauer, eine auf der südwestlichen Ecke auf der Ebene, und dann findet man 1 1/2 Meilen von hier noch zwei aufrecht stehende Säulen zu Istakr. Einige Reisende haben behaupten wollen, Tschil minar sei ein Tempel, und andere, daß hier der Palast eines weltlichen Regenten gewesen. Meiner Meinung nach hat alles anfänglich einen Tempel vorstellen sollen. Denn anstatt daß man vor den großen ägyptischen Tempeln, die mit diesem persepolitanischen vielleicht ein Alter haben, große Sphinxe findet, so sieht man hier, gleich bei dem Aufgange, andere erdichtete Tiere von erstaunlicher Größe. Die Figur, welche an den Fassaden der Begräbnisse vor dem Altar steht, und, die welche man an vielen Stellen unter diesen Ruinen antrifft, sollen ohne Zweifel geistliche Personen vorstellen. Eine Person in eben der Kleidung sieht man auf einem Stuhl sitzen, wo sie vielleicht eine weltliche Person vorstellen soll. Vielleicht war also war das geistliche Oberhaupt der Perser zugleich ein weltlicher Fürst: und so kann dieser Tempel, der nach und nach die Wohnung des Kalifen oder Papstes ward (wenn ich das Oberhaupt der alten persischen Religion so nennen darf) bei veränderter Religion zuletzt auch die Residenz eines bloß weltlichen Königs geworden sein. Wenigstens scheint dies eben der Palast gewesen zu sein, der von Alexander mutwillig verbrannt worden ist.
    Weder auf dem Grundriß noch auf dem Prospekt von der Ostseite hat angedeutet werden können, daß die Ruinen gleichsam auf dem Fuß eines großen Gebirges liegen. Dieser hohen Lage wegen aber sind drei Seiten von einer starken Mauer unterstützt; und an den Stellen, wo der Felsen weiter heraus ging, hat der Baumeister ihn senkrecht abgetragen. An der Nordwestecke liegt noch ein kleiner Fels in der Mauer. Man sieht hier aber schon halblosgerissene Steine, die man noch zum bauen brauchen wollen. Daraus erhellt also daß auch dieser Fels außerhalb der Mauer abgetragen werden sollen, und daß man den Bau noch nicht ganz geendigt habe, als der Palast  zerstört worden.
    Daß nicht alles auf einmal angelegt worden sei, davon sieht man verschiedene Beweise. An der Südseite, und nicht weit vom Berge, ist die Mauer ganz gewiß weiter ausgerückt; vermutlich weil man daselbst ein Gebäude erweitern wollte. Es ist auch wahrscheinlich eben dieser Ursache wegen, daß man in dem Gebäude so viele Ecken findet, welches mit der vortrefflichen Anlage des Ganzen eben nicht übereinstimmt.
    Alle hier befindliche Mauern und andere Altertümer bestehen aus einem grauen und sehr harten Marmor, der eine schöne Politur annimmt, und dann mehr schwarz wird. Aus eben dieser Steinart besteht nicht nur der Hügel, sondern der ganze Berg Rachmed. Es war also ein großer Vorteil für den Bauherrn, daß er alle Steine auf der Stelle haben konnte. Kalk brauchten die persischen Baumeister weder zu der Mauer noch zu den Gebäuden innerhalb derselben. Man sieht zwar noch Merkmale, daß die Steine durch Klammern verbunden gewesen sind, allein diese sind schon längstens verrostet, und doch liegen die Steine noch jetzt so genau auf und aneinander, daß man an vielen Stellen kaum die Fugen erkennen, und an anderen kaum ein Federmesser zwischen denselben hineinstecken kann. Kurz, man findet in ganz Europa wohl keine Mauer von einem besseren Marmor und mit so viel Fleiß aufgeführt als die um Tschil minar.
    Die äußere Mauer hat keine Brustwehr mehr, sondern diese ist abgetragen, und die Steine davon mit vielen anderen Stücken dieser prächtigen Ruinen nach Istakr, Schiras und wohl noch weiter gebracht worden. An der Süd- und Nordseite ist die Mauer so beschädigt, daß man an einigen Stellen mit weniger Mühe hinauf klettern kann. Eigentlich führt zu diesen Ruinen aber eine doppelte Treppe, die wohl die schönste und dauerhafteste ist, die jemals gebaut worden. Jede hat in der Mitte einen Ruheplatz. Die an der linken Hand hat unten noch 57 und oben 47 Stufen. Ihre perpendiculaire Höhe ist 33 Fuß, und also jede Stufe nicht vier Zoll hoch. Alles ist von dem härtesten Marmor, der hier freulich in Überfluß, aber deswegen ich minder schön ist. Die Steine derselben sind so groß, daß einer oft mehr als die halbe Treppe und seine Höhe viele Stufen ausmacht, und alles ist so wohl gebaut, daß man hier, ein paar tausend Jahre, nachdem der Palast zerstört worden, noch zu Pferde hinauf reiten kann. Ganz oben auf der Treppe findet man an drei Stellen Löcher in den großen Steinen, in welchen Türangeln gestanden zu haben scheinen. Der ganze Palast konnte also wahrscheinlich durch drei Türen verschlossen werden, und wenn dieses, so muß auch die Mauer an der Treppe noch viel höher gewesen sein, als sie jetzt ist.

Niebuhr, Carsten
Reisebeschreibung nach Arabien und den umliegenden Ländern
Band 2, Kopenhagen 1778

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