Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Um 450 vor Chr. - Herodot
Babylon

Die Stadt liegt in einer großen Ebene, in der Größe von 120 Stadien an jeder Seite, und ist ein Viereck, so daß sich der Stadien ihres Umfanges zusammen 480 ergeben. Das ist die Größe der babylonischen Stadt. Dazu ward sie eingerichtet wie keine andere Stadt, von der wir wissen. Fürs erste läuft um dieselbe ein tiefer, breiter und wasserreicher Graben, sodann eine Mauer, 50 königliche Ellen in der Breite und in der Höhe 200 Ellen. Die königliche Elle aber ist größer als die mittlere, um drei Finger.
   Nun muß ich hier auch noch angeben, wozu die Erde aus dem Graben verwendet, und auf welche Art die Mauer aufgeführt wurde. Indem sie den Graben ausstachen, machten sie zugleich Ziegel aus der Erde, die durch das Graben gewonnen ward, und nachdem sie die erforderlichen Ziegel geformt hatten, brannten sie dieselben in Öfen. Hernach bedienten sie sich eines Mörtels von heißem Erdpech, stopften immer zwischen 30 Lagen von Ziegeln Rohrflechten hinein, und bauten so zuerst den Rand des Grabens und zweitens die Mauer selbst auf gleiche Art; aber oben an den beiden äußersten Seiten der Mauer bauten sie Türme, die nur eine Wand hatten (die andere Wand war die Mauer selbst) , und einander gegenüber standen.; und ließen zwischen diesen Türmen Raum, dass ein Viergespann herumfahren kann. Auch brachten sie in der ganzen Ringmauer 100 Tore an, durchaus von Erz, und die Pfosten und Oberschwellen desgleichen. Von Babylon liegt einen andere Stadt einen Weg von acht Tagen entfernt: Is ist ihr Name. Dort ist ein Fluß, nicht eben groß. Is ist auch der Name desselben; und diesen führt sein Lauf in den Euphrat. Diese Isfluß nun treibt mit seinem Wasser viele Krumen Erdpech herauf, und daher wurde das Erdpech zur babylonischen Mauer geholt.
   Auf diese Weise wurde Babylon ummauert. Diese Stadt hat zwei Abteilungen, denn in der Mitte scheidet sie ein Fluß, dessen Name Euphrat ist. Der strömt von den Armeniern her, groß, tief und reißend, und ergießt sich ins persisch-indische Meer. Nun läuft die Mauer mit ihren beiderseitigen Armen bis zum Fluß herum; von da aber beugt sie sich auf jeder Seite zurück und zieht sich wie ein Wall von Backsteinen an beiden Ufern des Flusses hin. Die innere Stadt ferner, die voll von dreistöckigen und vierstöckigen Gebäuden ist, wird von lauter geraden Straßen durchschnitten, in der einen Richtung sowohl wie in der Quere, wo sie an den Fluß reichen. Nun waren an jeder Straße längs dem Flusse Türen angebracht; deren gab es also ebenso viele wie Gassen. Auch diese waren von Erz und führten alle in eben diesen Fluß.
   Diese Mauer ist also der Panzer. Dann läuft innen noch eine Mauer herum, nicht viel schwächer, nur schmaler als die andere. Auch in jeder von den zwei Abteilungen der Stadt steht ein Bauwerk. In der einen befand sich die Königsburg, mit einer großen, starken Ringmauer, in der anderen das Heiligtum des Zeus Belus mit ehernen Toren, welches bis auf meine Zeit stand, ein Viereck, an jeder Seite zwei Stadien lang. Inmitten des Heiligtums aber war ein Turm von festen Steinen erbaut, von eines Stadiums Länge und Breite; und auf diesen Turm kam noch ein Turm zu stehen, und wiederum ein anderer auf diesen, bis auf acht Türme. Da hinauf ist außen eine Wendeltreppe um alle Türme gezogen. Und ziemlich in der Hälfte der Treppe ist ein Rastort mit Ruhebänken, wo sich die Hinaufsteigenden niedersetzen, um auszuruhen. Auf dem letzten Turm aber ist ein großer Tempel, und in dem Tempel liegt ein großes Lagerpolster wohl gebettet, und davor ist ein Tisch gesetzt von Gold. Standbild ist darinnen aber keines aufgerichtet; auch übernachtet daselbst kein Mensch, außer einer Frau von den Einwohnern, die sich gerade der Gott aus allen erwählt, wie die Chaldäer, die Priester dieses Gottes, sagen.
   Diese Priester behaupten auch, was sie mich nicht glauben machen, der Gott selbst besuche den Tempel und ruhe auf dem Lagerpolster aus, wie das der Fall auch im ägyptischen Theben ist, nach Aussagen der Ägypter; denn dort schläft auch eine Frau im Heiligtum des Thebischen Zeus; und von diesen Beiden heißt es, sie lassen sich nie in Umgang mit einem Mann ein, wie das auch der Fall ist in Patara in Lykien mit der Weissagepriesterin des Gottes (Apoll), die allemal über Nacht in den Tempel eingeschlossen wird, so oft es kommt, weil dort nicht immer eine Orakel ist.
Auch ist in dem Heiligtum zu Babylon unten ein anderer Tempel, worin ein großes Bild des Zeus von Gold sitzt, vor welchem ein großer Tisch aus Gold steht, und dessen Fußgestell und Thron gleichfalls von Gold ist, was, wie die Chaldäer sagen, mit 800 Talenten Gold gemacht worden ist. Und außerhalb des Tempels ist ein Altar von Gold. Auch ist da ein anderer großer Altar, wo die erwachsenen Opfer von Kleinvieh dargebracht werden. Denn auf dem goldenen Altar darf nur dargebracht werden, was noch Milch saugt. Auf dem größeren Altar verbrennen die Chaldäer auch alljährlich 1.000 Talente Weihrauch, wenn sie gerade das Fest dieses Gottes feiern. Auch stand auf dieser heiligen Stätte zu jener Zeit noch eine Bildsäule von zwölf Ellen, ich sah sie indessen nicht und sage nur, was von den Chaldäern gesagt wird.

Herodot’s von Halikarnaß Geschichte, 1. Buch
Übersetzung: Adolf Schöll
Stuttgart 1829

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