1714 - Charles Johnson
Die verwilderten Piraten auf Madagaskar
Man muß wissen, daß die Eingeborenen von Madagaskar Neger sind. Sie sind aber von denen in Guinea darin unterschieden, daß ihre Farbe nicht von so feiner Schwärze ist, wie denn auch ihre Haare viel länger sind. Man findet eine ungemein große Anzahl kleiner Prinzen unter ihnen, welche immerhin miteinander Krieg führen. Alle ihre Gefangenen machen sie zu Leibeigenen, welche sie nach Gefallen verkaufen oder umbringen. Sobald unsere Seeräuber sich unter ihnen niedergelassen, wurde ihre Freundschaft und Bündnis sogleich von diesen Prinzen gesucht, daher denn auch diejenigen, welchen sie Beistand leisteten, allezeit den Sieg erhielten. Diese Neger bedienen sich keines Schießgewehrs wo man mit Feuer gibt, und kennen auch deren Gebrauch nicht, daher denn auch unsere Seeräuber, welche damit wohl versehen waren, sich so formidable machten, daß wenn nur zwei oder drei sich zu einer Partei schlugen, solches genug war, die andern, sobald sie ihrer gewahr wurden, auch sogar vor dem Treffen, in die Flucht zu bringen. Dieser Vorteil diente ihnen, nicht allein sich furchtbar, sondern auch sehr mächtig zu machen.
Alle Gefangene so sie bekamen, machten sie zu Sklaven. Sie wählten das schönste Frauenzimmer im Lande sich zu Weibern, und waren sie damit nicht vergnügt, deren eine oder zwei zu haben, sondern sie nahmen deren so viele, als es ihnen beliebte, also daß ein jeder unter ihnen ein zahlreiches Serail hatte. Sie bedienten sich der Sklaven zum Reispflanzen, schickten dieselben auf die Jagd und auf die Fischerei. Sie hatten außer diesen eine große Anzahl anderer, welche ihnen Tribut gaben, damit sie nur ihres Schutzes genießen, und vor ihrem benachbarten Überfall gesichert sein möchten. Einige Zeit hernach sonderten sie sich voneinander, damit ein jeder unter ihnen mit seinen Weibern und Sklaven vor sich als ein kleiner Prinz leben könnte. Es währte aber nicht lange, da diese Gewalt und Macht sie untereinander mißtrauisch machte, es kam bald zum Streit, hierauf zum Handgemenge und endlich ging gar einer auf den andern los. Viele unter ihnen verloren in diesen kleinen, einheimischen Kriegen das Leben. Ein gewisser sie betroffener Zufall aber nötigte die übrigen, sicher ihrer allgemeinen Sicherheit wegen miteinander wieder zu vereinigen.
Gleich wie ihre schleunig zugenommene große Gewalt sie sehr übermütig gemacht, also mißbrauchten sie auch dieselbe als rechte Tyrannen, und es war ihnen eine Lust, allerhand Grausamkeiten zu begehen. Um das geringste Versehen ihrer Sklaven brachten sie dieselben mit ihrem Gewehr ums Leben, und dieses war die gewöhnliche Strafe, es möchte das Verbrechen gering oder groß sein. Dieses nun machte die Schwarzen so rasend, daß sie beschlossen, dieselben miteinander in einer Nacht auszurotten. Die Sache war um so viel leichter, weil diese Tyrannen sich in voneinander entfernten Wohnungen aufhielten, und wären dieselbe wirklich ausgeführt worden, wenn nicht eine Frau, welche vorher eine Beischläferin eines dieser Seeräuber gewesen, das Komplott entdeckt; sie lief in drei Stunden ungefähr 20 Meilen, um sie vor der ihnen bevorstehenden dräuenden Gefahr zu warnen. Auf diese Nachricht kamen sie in aller möglichst geschwinden Eile zusammen, daß also die Schwarzen, als sie ankamen, sie in Gewehr fanden, und ohne etwas zu unternehmen, wieder zurückwichen. Diese Begebenheit machte sie ein Zeit lang vorsichtiger, und nahmen sie gewissen Mesures, dergleichen Überfall zuvorzukommen, welche hier zu beschreiben nicht undienlich sein werden.
Weil ihre Macht sie vor einem Überfall nicht versichern konnte, und daß in der Tat auch der tapferste Kerl im Schlaf von dem feigsten könnte ermordet werden, so war ihre erste Politik, einen Krieg unter den Schwarzen zu erregen, sich selbst aber dabei neutral zu verhalten. Diejenigen nun, so die Schwächsten waren, unterließen nicht, ihre Zuflucht zu ihnen zu nehmen, und sie um Schutz anzurufen. So stärkten sie ihre Partei, und indem sie dabei ihren Vorteil fanden, machten sie, daß auch andere durch sie solchen hatten. Wenn aber unter den Schwarzen kein Krieg war, so beflissen sich unsere Seeräuber, allerhand Streit unter ihnen zu erregen, und auf die geringste hieraus entstandene Klage reizten sie dieselben zu Rache an, indem sie denselben Vorschläge gaben, wie sie ihre Freunde überfallen konnten, und ihnen allerhand Schießgewehr liehen, dieselben heimlich zu ermorden. Der Ausgang dieser Politik war, die heimlichen Mörder mit ihren Weibern und Kindern unter ihren Schutz zu ziehen, damit man sie nicht aufsuchen möge. Diese Leute gaben sich ihnen sogar zu eigen, daß ihr Leben in ihren Händen lag. Denn, wie gesagt, unsere Seeräuber waren ihnen so furchtbar geworden, daß keiner von ihren Nachbarn das Herz hatte, sie öffentlich anzugreifen.
Nach wenigen Jahren war sich ihre Anzahl so gewaltig vermehrt, daß sie bedacht sein mußten, sich voneinander zu sondern, damit sie sich besser ausbreiten könnten. Sie teilten sich wie die Juden in verschiedene Stämme, führten ihre Weiber und Kinder, deren sie zur Zeit eine große Anzahl hatten, mit sich samt allem, was ihnen gehörte. Sofern die Macht und das Ansehen die Regenten voneinander unterscheidet, so kann man auch sagen, daß sie alle Kennzeichen derselben hatten: andererseits aber waren sie nicht frei von der Furcht und dem Mißtrauen, welche gemeiniglich die Tyrannen begleiten, wie man aus der Vorsicht sehen wird, die sie um ihre Wohnplätze zu befestigen nahmen. Sie folgten alle darin einem Entwurf, so daß ihre Wohnungen mehr so vielen Zitadellen als Häusern der einzelnen Personen ähnlich sahen, sie erwählten lauter solche Gegenden, die mit Bäumen bedeckt, und nicht weit von denen Flüssen entlegen waren, umgaben dieselben mit Gräben und dermaßen starken und hohen Wällen, daß es unmöglich war, dieselben zu ersteigen, vornehmlich den Schwarzen, welche keine Leitern hatten. Jenseits des Grabens hatten sie einen Weg in dem Walde gemacht; die Wohnung, welche nur in einer Hütte bestand, war in einer Gegend des Waldes aufgerichtet, welche derjenige, so seine Wohnung daselbst aufgeschlagen, für die bestgelegendste gehalten; es war dieselbe so verborgen und bedeckt, daß man sie nicht eher finden konnte, als bis man ihr ganz nahe gekommen.
Ihre größte Geschicklichkeit zeigte sich in der Durchbrechung des Weges, so auf diese Hütten führten, welcher so eng war, daß nicht mehr als eine Person auf einmal denselben gehen konnte, und war derselbe dermaßen durch verschiedene andere kleine Stege durchschnitten, daß es das Ansehen eines wehrhaften Labyrinths hatte, und daß, wenn man den rechten Weg nicht wohl wußte, es unmöglich war, das Haus zu finden, ohne eine lange Zeit von einer Seite zur anderen umherzuirren. Außerdem hatten sie diesen Durchgang mit gewissen großen Dornen besetzt, welche in diesem Lande auf den Bäumen wachsen, deren Stachel steif in die Höhe stehen, und weil diese Fußpfade in die Krumme herum gingen, so mußte ein Mensch, der sich unterstehen wollte, bei nächtlicher Zeit nach den Wohnungen zu gehen, notwendig in diese Stachel rennen, es wäre denn, daß er der Ariadne Faden hätte, welchen sie dem Theseus gab, wie er in des Minotaurus Höhle ging. Solchergestalt lebten diese Banditen selbst, wie sehr sich auch andere vor ihnen fürchteten, in einer stets währenden Furcht.
In einem solchen Zustande fand sie der Capitain Woode Rogers, wie er auf dem Schiff die Ergetzlichkeit genannt, von 40 Stücken Canons nach Madagaskar kam, des Vorhabens, Sklaven zu kaufen, um solche denen Holländern zu Batavia wieder zu verhandeln. Er landete in einer solchen Gegend an, wo seit sieben oder acht Jahren kein Schiff erschienen. Es waren schon 25 Jahre vergangen, seit diese Seeräuber sich auf dieser Insel niedergelassen, und waren nur noch elf von ihnen am Leben, ihre Nachkommen aber waren in großer Anzahl. Wie sie dieses große Schiff-Gebäude sahen, meinten sie anfänglich, das es ein Kriegsschiff sei, so man um sie zu fangen ausgeschickt, versteckten sich deswegen in ihren undurchdringlichen Sicherheitsorten. Wie sie aber sahen, daß einige von ihnen ausgestiegen, die wie unbewaffnet aussahen, als kämen sie um Schwarze zu handeln, wagten sie es, aus ihren Löchern herauszugehen.
Weil sie so lange sich auf dieser Insel bereits aufgehalten, kann man leicht gedenken, daß ihre Kleider müssen abgetragen gewesen sein.; daß sie dem vermeintlichen Oberherren mit ihrem Gefolge fast halbnackend erschienen; man kann auch nicht sagen, daß ihre Kleidung in Lappen und zerrissenen Lumpen bestanden, weil sie keine mehr am Leibe hatten. Sie waren mit unbereiteten Tierfellen bekleidet, und den Gemälden sehr gleich, worin Herkules, mit einer Löwenhaut bekleidet, gezeigt wird. Der Bart war ihnen gar lang gewachsen, und ihr Leib dermaßen mit Haaren bedeckt, daß man sich nichts wilderes einbilden kann. Sie bekamen aber, durch den Handel dieser armen Leute, so ihre Untertanen waren, und welche man um allerhand Notdurft von Kleidem, Messern, Sägen, Pulver, Kugeln und andern notwendigen Sachen verhandelte, bald genügsamen Vorrat, sich wieder zu kleiden.
Sie gingen oft an Bord des Schiffes, um sich mit der Mannschaft bekannt zu machen, welche sie zu ihnen an Land zu kommen nötigten. Man bemerkte, daß sie des Schiffs Inwendiges gar genau in Augenschein nahmen, weil sie Vorhabens waren zu versuchen, ob es nicht ein Mittel gäbe, sie während der Nacht zu überfallen. Sie hielten das für leicht, weil nur eine mittelmäßige Wacht an Bord war, sie aber viele Mannschaft und Schaluppen hätten, dieses zu unternehmen. Aber der Kapitän, welcher ihnen nicht traute, hielt so gute Wacht, daß sie die Sache fast für unmöglich hielten. Nichts destoweniger gaben sie die Hoffnung noch nicht verloren, die Sache auszuführen, und so bemühten sie sich, diejenigen, so an Land kamen, zu gewinnen, damit sie sich mit ihnen zusammen verbünden und während der Nacht, wenn sie auf der Wacht sein würden, sich des Kapitäns zu bemächtigen, des Lochs oben im Schiff, oder Schiffsbodens Decke sich versichern möchten. Sie redeten miteinander ab, auf das erste gegebene Zeichen zu ihnen an Bord zu kommen, sich mit ihnen zu conjugieren, und versprachen ihnen, daß, wenn die Sache glücken würde, sie miteinander auf den Raub ausgehen wollten; sie versicherten, daß mit einem solchen Schiff sie imstande sein würden, alles wegzunehmen, was ihnen begegnen würde. Weil aber der Kapitän dafür hielt, daß diese öfteren Besuche etwas Böses nach sich ziehen möchten, hielt er für gut, solches zu verbieten, und um deswillen so oft er seine Leute wegen des Sklavenhandels an Land schickte, wurde nur allein demjenigen, welchem der Handel befohlen war, erlaubt, mit den Seeräubern zu reden, die übrigen aber mußten beieinander in der Schaluppe bleiben.
Diese Anstalten machten, daß ihr angefangenes Vorhaben fehl schlug, sie gestanden es ihm selbst, ehe das Schiff wieder abfuhr, er lachte sie aber nur wacker aus, und ließ sie in dem Stande, worin er sie angetroffen, nämlich in ihrer eingebildeten Oberherrschaft, aber mit viel wenigeren Untertanen, weil sie, wie wir vorhin bemerkt, einen großen Teil davon verkauft hatten. So fern der Ehrgeiz ihre herrschende Leidenschaft ist, kann man sagen, daß sie zum wenigsten in einigen Stücken das Ebenbild eines königlichen Ansehens hatten. Einer von diesen vermeintlichen Prinzen war vor diesem ein Schiffer auf der Themse gewesen, und als er allda einen Totschlag begangen, floh er nach Westindien und war mit unter denjenigen, welche mit den Schaluppen durchgingen, die übrigen alle waren Bootsknechte, von weichen kein einziger lesen oder schreiben konnte, und ihr Staats-Secretarius selbst verstand nicht mehr als die andern.
Johnson, Carl (Pseudonym für Daniel Defoe?)
Schauplatz der Englischen See-Räuber ...
Goslar 1728