1842 - Ida Pfeiffer
In Bethlehem
Am 2. Juni ritt ich in Gesellschaft der Grafen B. und S. und des Paters Paul nach Bethlehem. Die Entfernung dahin beträgt, obwohl man des schlechten Weges halber beinahe immer im Schritt reiten muß, doch nicht mehr als anderthalb Stunden. Die Aussicht, welche man auf dieser Exkursion hat, ist großartig und von ganz eigener Art. So weit der Blick reicht, haftet er auf Gestein - der Boden bietet nichts als Steine, und doch sieht man zwischen denselben Obstbäume aller Gattungen, Weinreben, die sich am Boden hinziehen, und Felder, deren Frucht sich mühsam zwischen den Steinen hervorarbeitet.
Ich war schon voll Erstaunen, als ich den Karst bei Triest und die öde Gegend von Görz sah - im Vergleich mit dem Judäer Gebirge sind jene nur Miniaturgemälde.
Man kann sich gar nicht vorstellen, daß diese Gegenden jemals fruchtbar und schön gewesen. Sie mögen sich wohl besser ausgenommen haben als heutzutage, wo die armen Einwohner von ihren Paschas und andern Beamten nicht bis aufs Blut geschunden werden, allein von Wiesen, Triften und Waldungen mag auch damals schwerlich viel zu sehen gewesen sein.
Man kommt an einem Brunnen vorüber, der mit Steinblöcken umgeben ist. An diesem Brunnen ruhten die drei Weisen vom Morgenlande, und hier erschien ihnen der leitende Stern wieder, den sie schon für verloren gaben. Auf dem halben Wege liegt das griechische Kloster des Propheten Elias. Von dieser Stelle sieht man beide Städte, das große Jerusalem und das unbedeutend scheinende Bethlehem nebst noch einigen Dörfern. Dann liegt gleich rechts am Wege das Grabmal Rahels, ein beinahe verfallenes Gebäude mit einer kleinen Kuppel.
Bethlehem liegt auf einem Hügel und wird von mehreren anderen umgeben; außer dem Kloster erblickt man gar kein hübsches Gebäude. Die Einwohner, zweitausendfünfhundert an der Zahl, wovon die Hälfte Katholiken, leben zum Teil in Grotten und halb unterirdischen Behausungen und beschäftigen sich mit dem Verfertigen von Rosenkränzen und anderem Schnitzwerk in Perlmutter, Olivenkernen usw. Häuser mag es höchstens gegen hundert geben, auch muß die Armut groß sein, denn nirgends wird man so von bettelnden Kindern umrungen wie hier. Man hat noch nicht die Pforte des Klosters erreicht, so strömen sie schon von allen Seiten herbei. Der eine hält dann das Pferd, der andere den Steigbügel, ein dritter und vierter reichen helfend die Arme, die übrigen bilden die Zuseher, und am Ende strecken alle die Hände nach Bakschisch aus. Nirgends ist es nötiger als hier, entweder mit kleiner Münze oder mit einer Reitgerte versehen zu sein, um sich auf die eine oder andere Art von der beispiellosen Zudringlichkeit dieser kleinen Rasse zu befreien. Ein wahres Glück, daß die Pferde dergleichen Szenen schon sehr gewöhnt sind, sonst müßten sie scheu werden und auf und davon galoppieren.
Dies Klösterchen und die Kirche sind nahe an der Stadt auf derselben Stelle erbaut, wo Christus geboren wurde. Das Ganze ist mit einer Festungsmauer umgeben, und eine ganz niedere, schmale Pforte führt hinein. Vor dieser Festung breitet sich ein schöner und gut gepflasterter Platz aus. Sowie man das Pförtchen hinter sich hat, befindet man sich schon in der Vorhalle oder eigentlich im Schiff der Kirche, die leider mehr als halb zerstört ist, einst aber unter die schönsten und größten gehört haben mag. Noch sieht man an den Wänden einige Spuren von Mosaik. Zwei Reihen von hohen, schönen Säulen, achtundvierzig an der Zahl, durchschneiden das Innere, und das Sparrenwerk, das aus Zedernholz vom Berg Libanon gemacht sein soll, sieht wie neu aus. Unter dem Hochaltar dieser großen Kirche liegt die Grotte, in welcher Christus geboren wurde. Zwei Treppen führen hinab, die eine gehört den Armeniern, die andere den Griechen. Die Lateiner gingen leer aus. Die Wände und der Fußboden sind mit Marmor ausgetäfelt. Eine Marmorplatte mit der Inschrift:
Hic de Virgine Maria Jesus Christus natus est
(Hier ist von der Jungfrau Maria Jesus Christus geboren)
bezeichnet die Stelle, von wo das wahrhafte Licht ausgegangen ist. Eine strahlende Sonne, im Hintergrund dieser Platte angebracht, erhält ihr Licht von vielen, immerwährend brennenden Lampen.
Der Platz, wo Christus den Weltweisen gezeigt wurde, ist nur einige Schritte davon entfernt. Gegenüber dieser Stelle erhebt sich ein Altar an dem Ort, wo einst die Krippe stand, vor welcher die Hirten Christus anbeteten. Die Felswand, woran die Krippe befestigt war, durften wir berühren und küssen. Die Krippe selbst befindet sich in Rom in der Basilika Santa Maria Maggiore. - Dieser Altar gehört den Lateinern. Ganz im Hintergrund der Grotte führt eine kleine Tür durch einen unterirdischen Gang ins Kloster und in die Kirche der Lateiner. In diesem Gang ist ebenfalls wieder ein Altar errichtet, zum Gedächtnis der unschuldigen Kinder, die hier gemordet und begraben wurden. Tiefer in diesem Gang trifft man auf der einen Seite das Grab der heiligen Paula und ihrer Tochter Eustachia und auf der andern jenes des heiligen Hieronymus. Der Leib dieses Heiligen liegt aber in Rom.
Diese große Kirche hier in Bethlehem gehört, so wie die Kirche des Heiligen Grabes zu Jerusalem, den Lateinern, Armeniern und Griechen gemeinschaftlich. Jeder der genannten Sekten hat ein Klösterchen für sich an diese Kirchen angebaut.
Nachdem wir gewiß über zwei Stunden in der Kirche zugebracht hatten, ritten wir noch eine Stunde weiter, Hebron zu. Am Fuße dieses Berges bogen wir links ein zu den drei Zisternen Salomons, die, ungeheuer tief und groß, in den Felsen gehauen und stellenweise jetzt noch mit einer Gattung Mörtel überzogen sind, der die Festigkeit und den Glanz des Marmors hat. Wir stiegen in die letzte derselben hinab, sie mag bei fünfhundert Schritte in der Länge, vierhundert in der Breite und hundert in der Tiefe messen.
Wasser enthält keine dieser Zisternen, die Wasserleitungen, welche ehedem für diese Behältnisse bestimmt waren, sind spurlos verschwunden; ein einziger zarter Wasserstreifen, den man leicht überschreiten kann, fließt oberhalb an der Seite dieser Riesenwerke. Die Umgebung ist entsetzlich öde.
Als wir gegen zwei Uhr ins Kloster zurückkehrten und bei einem frugalen, aber gut bereiteten Mahle Erholung suchten, traf noch ein Zug Reisender ein, und zwar ebenfalls Franken mit arabischer Dienerschaft. - Und siehe, es waren die Grafen H. und W., die in Gesellschaft der Grafen B. und S. die Reise von Wien nach Kairo gemacht hatten. In letztgenannter Stadt trennten sie sich, da die einen über Alexandrien, Damiette und Jaffa nach Jerusalem gingen, während die andern den Weg durch Afrikas heiße Sandsteppen nach dem Berge Sinai einschlugen und dann die Reise zu Lande nach Jerusalem fortsetzten. Hier ward ihnen die große Freude des Wiedersehens zuteil. Es war auch ein Jubel und ein Vergnügen sondergleichen, an welchem alles den herzlichsten Anteil nahm.
Nach dem Essen besuchten wir noch einmal alle heiligen Stellen in Gesellschaft der Neuangekommenen und gingen nach der sogenannten Milchgrotte, welche eine Viertelstunde vom Kloster entfernt liegt. In dieser Grotte sieht man nichts als einen einfachen Altar, an welchem beständig Lampen brennen; sie ist nicht geschlossen, und jeder Vorübergehende kann sie betreten.
Dieser Ort ist nicht nur den Christen, er ist auch den Türken heilig, welche letzteren, so wie erstere, gar manches Krüglein Öl bringen, die Lampen reinigen und füllen.
In dieser Grotte verbarg sich die Heilige Familie vor der Flucht nach Ägypten, und lange Zeit nährte da die heilige Maria ihr Kind einzig mit ihrer Muttermilch, woher die Grotte den Namen führt. Die Weiber in der ganzen Umgebung hegen den Glauben, daß, wenn sie während der Zeit, als sie einen Säugling an der Brust haben, sich unwohl befinden, nur etwas Sand von den Felsen in dieser Grotte abschaben und als Pulver einnehmen dürfen, um gesund zu werden.
Eine Viertelstunde von dieser Grotte entfernt zeigt man das Feld, allwo der Engel den Hirten die Geburt Jesu verkündete. Die Neuangekommenen konnten nicht mehr hingehen, sie mußten sich mit einem Blick dahin begnügen; es war die höchste Zeit, an unsere Rückkehr zu denken.
Pfeiffer, Ida
Reise in das Heilige Land
Wien 1844; Neuausgabe Wien 1995