Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1670 - Olfert Dapper
Sokotra

 

Die Beduinen oder Eingeborenen dieser Insel wohnen in Höhlen oder Gruben der Steinfelsen oder der Erde, wie die uralten Trogloditen am gegenüberliegenden Äthiopischen Strande, und schlafen auf der bloßen Erde, die nur allein mit einem Bocksfell überdeckt ist. Der höchste Gruß unter ihnen besteht im Küssen der Schulter.
   Man findet bei ihnen keine Künste noch Handwerke. Selbst die Messer bringen ihnen die Araber zu. Doch kann ein jeder soviel weben, daß er Kambolinen oder Leibtücher von Haaren zu machen weiß. Sie können auch weder schreiben noch lesen; ja was mehr ist, sie scheuen allen Unterricht und wollen nichts lernen. Die Zahl ihres Viehs schneiden sie allein auf Hölzer und tragen sie bei sich.
   Wenn die Beduinen einige Söhne haben, so mögen sie andere, welche sie wollen, damit beschweren und einen nach ihrem Belieben zum Vater erwählen, der sich verpflichtet befindet, dieselben zu unterhalten wie seine Kinder. Außerdem muß er ihnen einen Teil von seinen Gütern geben wie seinen eigenen Söhnen. Diese so weggeschenkten Kinder werden Kinder des Rauchs genannt, weil Mann und Frau, wenn sie sich in das Band der fleischlichen Lüste zusammen vereinigen, beschlossen haben, das Kind, das geboren werden soll, jemanden wegzuschenken und dann im Eingang der Höhle ein Feuer von grünem Holze machen. Wenn nun das Holz zu rauchen beginnt und der Rauch aus der Höhle zieht, tritt der Mann vor seine Wohnung und ruft mit lauter Stimme, daß das Kind, welches geboren werden soll, dem oder diesem Manne - dessen Namen er nennt - anheimfallen soll. Sobald nun das Kind geboren ist, bringen es die Eltern demselben, den der Vater genannt, zu Hause: und dieser erzieht es dann mit Viehmilch, wenn es die Frau nicht säugen kann. Und also begibt es sich, daß ein Mann vier, sechs, acht, ja mehr Rauchkinder bekommt, die er als seine eigenen auferzieht.

Sie töten ihre Kranken: Sie warten gemeiniglich nicht bis auf den äußersten Augenblick ihres Sterbetages, sondern die Blutsverwandten nehmen die Kranken, wenn sie halbtot und in den letzten Zügen liegen, und trauen sie in ihre Gräber, einen jeden in sein eigenes. Denn sie sagen, daß zwischen Gestorbensein und Sterbensbeginn kein Unterschied sei. Wenn sie sehen, daß ihr Ende herbeinaht, dann rufen sie ihre Kinder und nächste Blutsverwandten und tun ihnen viel Ermahnungen, darunter drei die gewöhnlichsten sind. Nämlich vorerst, daß sie keiner anderen Lehre als der ihrer Voreltern anhängen sollen, danach, daß sie sich mit niemandem aus einem anderen Volke vermischen oder fleischlich einlassen sollen - und dann, daß sie an einigen ihrer Feinde, welche sie nennen, weil sie ihnen Überlast getan, oder einiges Vieh gestohlen, Rache üben sollen.
   Wenn jemand von einem anderen, der ihn töten will, verfolgt wird, und er ihm nicht entfliehen kann, dann nimmt er einen weißen Saft von einem sonderlichen Baume, der auf dieser Insel wächst, ein, welches das stärkste Gift ist, das man finden kann.  Durch ebendasselbe Mittel trachten sich die Kranken und bekümmerten Leute, die Verdruß haben länger zu leben, den Tod anzutun, oder sie ersäufen sich selbst.
   Die eigene Sprache dieser Beduiner ist ganz seltsam und fremd, also daß sie andere Völker schwerlich verstehen können. Aber die meisten reden Arabisch, indem sie mit den Arabern täglich umgehen.
   Den Mond beten sie wie eine Gottheit an, weil sie ihn für eine Mutter und die Ursache aller Dinge halten. Darum stellen sie, wenn es dürre ist, einen aus ihrer Mitte - den das Oberhaupt nach seinem Belieben auslesen mag - an einen gewissen Ort und machen rund um ihn einen Kreis, daraus er bei Leibesstrafe nicht gehen darf. Danach lassen sie ihn den Mond anbeten: und dazu geben sie ihm zehn Tage Frist. Wenn es nun in währender solcher Zeit nicht regnet, dann schneiden sie ihm die Hände ab.
   Eine jede Kirche, deren viele auf dieser Insel sind, hat einen Richter, den sie Hodamo nennen. Dieser ist soviel wie ein Kirchenvater oder Richter der Kirchensachen. Aber er bekleidet sein Amt nicht länger als ein Jahr: welches er, indem man ihm einen Stab als ein Zeichen solchen Amtes zureicht, auf sich nimmt. Auch trägt er ein Kreuz bei sich. Dieses darf er keinem andern weggeben oder anrühren lassen. Und wo er solches tut, verliert er seine Hand. In ihren Kirchen, darein sie sich begeben, wenn der Mond auf- oder untergeht, gebrauchen sie einen Stock, welcher zwei oder drei Spannen lang ist. Auf denselben schlagen sie mit einem anderen kleinen Stock dreimal des Tages und ebensoviel Male des Nachts etliche gewisse Schläge: welches sie für ein sehr heiliges Werk halten. Wenn dieses eine lange Weile in der Kirche gewährt und man danach dreimal rund um den Kirchhof mit drei Umkehrungen gegangen, dann nehmen sie ein eisernes Becken, welches wie eine breite tiefe Schale gemacht ist und an drei Ketten hängt, und halten es, nachdem sie Späne von wohlriechendem Holze darein geworfen, auf ein Feuer. Hiermit beräuchern sie erstlich dreimal den Altar, danach die Kirchentüren und sagen mit heller Stimme etliche Gebete in der Kirche oder auf dem Kirchhofe her; dadurch sie den Mond anflehen, daß er ihnen allein und sonst keinen anderen Völkern Gutes tun wolle und nicht zustehen, daß Fremdlinge in ihre Gesellschaft kommen oder sich mit ihnen bemühen.
   Unter diesen Kirchengebräuchen hält der Kirchenrichter ein angezündetes Licht, von Butter gemacht, auf den Altar, denn von Wachs- und Talglichtern wissen sie nichts. Und darum haben sie auch in ihren Kirchen allezeit Schüsseln mit Butter stehen; damit sie gleichfalls alle Tage das Kreuz und andere Stöcke, die auf den Altären liegen, beschmieren. Mit dem größten tun sie auf einen gewissen Tag des Jahres einen Umgang rund um die Kirche her, und lassen ihn von einem, den man aus der Versammlung erwählt, tragen. Diesem Träger hacken sie, sobald der Umgang geschehen, zum Lohne für seine Mühe die Finger von der Hand und verehren ihm einen kleinen Stock, darauf gewisse Merkzeichen stehen, welche andeuten, daß ihn niemand beleidigen soll. Ja er wird danach deswegen in höheren Ehren gehalten als andere. Durch dieses Abhauen der Finger und Hände begibt er sich aus Eifer zum Gottesdienst, daß man viel Menschen ohne Finger und Hände sieht. In vielen Kirchengebräuchen folgen sie der Lehre des Nestorius nach, weil sie eine Zeitlang durch Kirchenväter, die von Babilonien gekommen, beherrscht worden sind.
   Thomas Roe, Großgesandter des Königs von England an dem Persischen Hof, meldet in seiner Gesandtschaft, daß sich im Jahre 1615 vielerlei Völker auf dieser Insel befunden haben. Die ersten waren Araber, welche keine Eingeborenen, sondern mit vielen anderen, auf Befehl des Königs von Karem dahin übergeführt worden sind, nachdem er gemeldete Insel erobert. Diese küssen allezeit des Sultans Hände, so oft sie vor ihm erscheinen. Die zweiten waren wie Leibeigene, welche fort und fort zu Hofe dienen und Aloe zubereiten mußten. Die dritten waren Beduinen, die ältesten Einwohner, gegen welche der König von Zokotora lange Zeit Krieg geführt.
   Sie leben in großer Menge und werden jetzt in gutem Frieden gelassen, jedoch mit dem Bedinge, daß sie keinen Aufruhr anrichten, gehorsam sind und ihre Kinder in der mohammedanischen Lehre unterweisen lassen wollen. Etliche halten diese Beduinen für alte Jakobische Christen, weil man in ihren Kirchen Bilder und Altäre und auf den Altären ein Kreuz findet. Die vierten, nämlich die rechten Landsassen, sind ein großleibiges und elendes Volk, welches gern an einem Ort bleibt. Sie gehen mutternackt, sind sehr ungestalt, haben ein langes Haupthaar, halten sich des Nachts meistenteils in den Büschen auf, pflegen keine Gemeinschaft mit den anderen Einwohnern, essen Wurzeln und führen beinahe eine viehisches Leben.

Dapper, Olfert
Umbständliche und Eigentliche Beschreibung Afrikas
Amsterdam 1670
Nachdruck: Stuttgart 1964

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!