Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1835 - James R. Wellstead
Die Falaj von Bedia
Oman

Bedia besteht aus sieben kleinen Ortschaften, die in ebenso vielen Oasen liegen, jede mit 200 bis 300 Häusern. Der Suk oder Markt wird in derjenigen gehalten, welche dem Mittelpunkt am nächsten liegt. Auffallend ist die tiefe Lage jener Ortschaften. Sie sind nämlich in künstlichen Vertiefungen von sechs oder acht Fuß abwärts angelegt, und das ausgegrabene Erdreich hat man rings umher in Hügeln aufgehäuft. Es waren diese die ersten Oasen, die ich bisher sah, und ich richtete daher meine ganze Aufmerksamkeit auf sie. Ich fand, daß diese wie fast alle Orte im Inneren von Oman ihre Fruchtbarkeit der Geschicklichkeit verdanken, womit die Einwohner Wasser herbeizuleiten verstehen, was hier auf eine eigentümliche Weise geschieht und mit einem solchen Aufwand von Zeit und Kunst, daß man dabei mehr an chinesische als an arabische Industrie denkt. Da der größere Teil des Landes des perennierenden Flußwassers entbehrt, so hat man an höher gelegenen Stellen Quellen aufgesucht. Wie sie solche zutage bringen, weiß ich nicht zu sagen, aber die Kunde davon scheint einer besonderen Klasse von Leuten eigen zu sein, die zu diesem Zweck im Lande umherziehen. Einige solche Quellen waren bis zur Tiefe von 40 Fuß [12 m] aufgegraben. Von einer solchen Hauptquelle aus wird dann ein langsam abfallender unterirdischer Kanal gegraben, mit Öffnungen nach oben in regelmäßigen Abständen, damit Licht und Luft Zugang haben für die, welche ihn reinigen. So leitet man das Wasser oft sechs bis acht englische Meilen [10 bis 13 km] weit und gewinnt einen ununterbrochenen Zufluß.
   Diese Kanäle sind gewöhnlich etwa 4 Fuß [1,2 m] breit und 2 Fuß [0,6 m] tief und haben eine klare, rasche Strömung. Wenige von den größeren Städten oder Oasen haben vier oder fünf solcher Flüßchen oder Falaj, wie sie genannt werden. Die verinselten Orte, die auf diese Weise bewässert werden, gewinnen dadurch einen so fruchtbaren Boden, daß die meisten Getreidearten, Früchte und Gemüse Indiens, Arabiens und Persiens beinahe wild wachsen, und man darf die Erzählungen von den fruchtbaren Oasen nicht für Übertreibung halten, wo ein einziger Schritt den Wanderer aus dem öden Sand der Wüste in eine fruchtbare Aue versetzt, die, von hundert Bächen bewässert, von der üppigsten Vegetation strotzt und mit hohen stattlichen Bäumen überwölbt ist, deren schattiges Laub auch die stechendsten Strahlen einer glühenden Mittagssonne nicht durchdringen. Die Mandel-, Feigen- und Walnußbäume sind von enormer Größe und die Fruchtbüschel so dicht auf den Orangen- und Zitronenbäumen, daß wohl kaum der zehnte Teil davon wirklich geerntet werden kann. Am höchsten erhebt sich die Dattelpalme und wirft auch ihren Schatten noch über das dunkle Gemälde hin. Man mag sich eine Vorstellung von diesen dichten Schatten machen, wenn ich bemerke, daß ein Fahrenheit-Thermometer, das im Haus auf 55° [13° C - Wellstead war im Dezember in Bedia] stand, im Freien, und zwar 6 Zoll [15 cm] vom Boden, auf 45° [7° C] fiel. Wegen dieses Schattens und des vielen Wassers hat man dort immer viel Dünste und selbst während der Tageshitze eine feuchte Kälte. Solche Orte geben in der Tat eine ganz eigentümliche Szene ab, die vielleicht nirgends ihr völlig Entsprechendes hat. Nichts kann dies anschaulicher machen als die Menge der Erzeugnisse, die hier oft auf einem Stückchen Land gezogen werden, das nicht mehr als 300 Ellen im Durchmesser hat; ich bin überzeugt, daß ein gleicher Raum nirgends in der Welt so viele verschiedene Arten von Gewächsen in solcher Üppigkeit und in so vollkommener Gestalt hervorbringt.

Rödiger, E. (Hg.)
Wellstead’s Reisen in Arabien
1. Band, Halle 1842

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Arabien, 25 v. Chr. bis 2000 n. Chr.
Wien 2002

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